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Änderungen an Dirk Lauckes Hallenser Inszenierung "Ultras" gefordert

Absetzen? Ändern?

Halle, 24. September 2009. Letzten Freitag, am 18. September, hatte am Thalia Theater Halle das Stück Ultras von Dirk Laucke Premiere (zur Kritik der Mitteldeutschen Zeitung geht es hier). Es "nähert sich", wie es in der Ankündigung hieß, "mit echten Leuten aus der Ultra-Szene des Halleschen FC dem Phänomen ultra. Es erzählt eine Geschichte, die der Wirklichkeit entlehnt ist und öffnet ein Fenster zu einer Seite des Konfliktes, von dem der Einblick meist fehlt." Es ist also eine Inszenierung mit und über gewaltbereite Fußballfans. Das Ensemble besteht aus zehn Laien, davon sind neun aus der halleschen Ultra-Szene.

Nach der Premiere gehen nun sowohl die Kultur GmbH als auch die Stadt Halle auf Distanz zu Dirk Lauckes Inszenierung, berichtet Andreas Hillger in der Mitteldeutschen Zeitung (21.9.). Grund sind antisemitische Äußerungen der Laien auf der Bühne.

GmbH-Geschäftsführer Rolf Stiska sagte dem Blatt am Montag. "Das Stück hätte so nicht auf die Bühne kommen dürfen." Allerdings verwies er zugleich darauf, dass ein Eingriff in die künstlerische Freiheit des Hauses seine Kompetenz überschreite. Hier könne bestenfalls der Aufsichtsrat der halleschen Theater, Oper und Orchester tätig werden, der morgen zusammentritt.

Dann wird, so Hillger weiter, "ihn wohl auch ein Eklat im Vorfeld der Premiere beschäftigen, den Rolf Stiska bereits in einem Brief an die Thalia-Intendantin Annegret Hahn moniert hat: Bei einer offiziell anberaumten Medienprobe war den Journalisten des Mitteldeutschen Rundfunks der Zugang zum Theatersaal verwehrt worden, weil die "Ultras" keinen Kontakt mit öffentlich-rechtlichen Medien wünschten."

Dass es bei der Premiere "mindestens drei Momente gab, die so nicht stehenbleiben dürften, räumt auch Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados (SPD) ein", so Hillger. Und obwohl auch sie sich "mit Eingriffen in die künstlerische Freiheit zu Recht sehr schwer tut", will sie mit Konsequenzen nicht bis zur turnusmäßigen Aufsichtsrats-Sitzung warten: "Ich habe Frau Hahn schriftlich zu Änderungen aufgefordert", sagt Szabados der Mitteldeutschen Zeitung. "Eine städtische Bühne darf keine Plattform für eine Aufführung bieten, die den Eindruck erweckt, sie würde rechtsradikale oder gewaltverherrlichende Inhalte transportieren."

Dennoch hat gestern, am 23. September, die dritte Vorstellung stattgefunden. Intendantin Annegret Hahn und Projektleiterin Kathrin Westphal reagierten aber mit einer schriftlichen Stellungnahme, die jedem Programmflyer angeheftet war und an die Besucher verteilt wurde, meldet, laut ZDFtheaterkanal, ddp.

In der Erklärung heißt es: "Im Mittelpunkt des Projektes stand die Frage, was die spezielle Ultra-Szene in Halle ausmacht und wie sie sich selbst versteht. Aus diesem Grund wurden die Protagonisten selbst einbezogen – ihre Perspektive auf ihr Handeln, ihre Selbstdarstellung und damit nicht zuletzt ihre Argumente sollten auf den Prüfstand."

Dirk Laucke weist ddp zufolge den Vorwurf zurück, antisemitische Äußerungen unreflektiert auf der Bühne stehenzulassen. Die Figur des Radioreporters (Steven Michl), ebenfalls von einem Laien gespielt, würde auf derartige Äußerungen und Beschimpfungen mit "Das ist rechtsradikaler Mist!" antworten. Außerdem sei es eine dokumentarische Inszenierung, er sehe keine Veranlassung, das Stück zu ändern.

Allerdings wurde am Mittwoch zu Beginn der Aufführung explizit darauf hingewiesen, dass es sich um ein dokumentarisches Stück handle. Nach dem Ende der Vorführung fand ein Publiukumsgespräch statt. Darsteller Marcel Batke erklärte, dass er "geschockt" über Teile der Presseberichte gewesen sei. Sie, die Ultras, seien weder Antisemiten noch Rassisten, betonte er. Derartige Bezeichnungen sollten gegnerische Fangruppierungen provozieren.

Ob es zu einer Absetzung der Inszenierung oder zu Änderungen kommt, ist derzeit offen. "Die Zukunft des Stücks ist im Moment unklar", sagt Laucke auf ddp-Nachfrage.

(dip)

Mehr zu Dirk Laucke finden Sie hier.

 

Kommentare  
Laucke-Eklat in Halle: Aussage einer Figur, nicht des Autors
Sollten wir nun etwa auch Shakespeares „Othello“ und den „Kaufmann von Venedig“ zensieren, weil dort rassistische Kommentare über „Mohren“ und „Juden“ gemacht werden? Ist es wirklich so schwer zu begreifen, dass die Aussage einer FIGUR noch lange keine Botschaft des Autors, des Stücks oder der Inszenierung sein muss? (Selbst dann nicht, wenn die Darsteller sich selbst spielen.)

Wenn Hallenser Publikum und PolitikerInnen damit nicht umgehen können, braucht es Beipackzettel davor und Publikumsgespräche danach. (Wird wohl beides gemacht.)
Die aktuelle Aufregung zeigt indes, wie nötig die Inszenierung ist. So bekommt dann auch mal die Oberbürgermeisterin zu hören, wie Menschen in ihrer Stadt reden.
Nun die Inszenierung zu zensieren, pardon, zu ändern, schiene mir der falsche Weg, so macht man es sich zu einfach mit der „political correctness“. Sinnvoller wäre es, sich ernsthaft mit den präsentierten/dokumentierten Meinungen, Phänomenen und Problemen auseinanderzusetzen, sowohl im Theater (mit Publikumsgesprächen etc.) als auch in der Politik!
Laucke-Eklat in Halle: Absetzen wäre fatal
Aktuelle Themen behandeln - dramatisch - gerade auch auch der Bühne. Brisante Themen - Lauckes Stück ist ein solches. Künstlerische Freiheit? Es ist die pure Wirklichkeit, die sich auf der Bühne darstellt. Fatal wäre es, dieses einzuschränken oder gar abzusetzen. Schande. (aktuell: Solln).

Es schaukelt sich hoch - dumpf kommt es daher.

Ein Glück, dass wir einen neuen deutschen Dramatiker haben, der wagt und sieht, dass solche Stücke auch hierzulande auf die Bühne gehören. Respekt.
Vergl.: "Öl" = Bärfuss.
Laucke-Eklat in Halle: Intendantin soll demontiert werden
Was in Halle passiert, ist doch klar: Eine Künstlerin, die als Intendantin, verschiedenen Personen in dieser Stadt (allen voran der Geschäftsführung der neugegründeten Theater-GmbH) zu unbequem geworden ist, soll jetzt komplett demontiert werden. Vielen, die in den letzten acht Jahren immer mal wieder in Halle vorbeigeschaut haben, wird vielleicht aufgefallen sein, was es für ein mediales Echo auf die Arbeit des Thalia Theaters als Ganzes und der Arbeit von Annegret Hahn im Besonderen gab. Schon sehr lange scheint der Eindruck nicht zu trügen, daß dieses Haus und ihre Chefin unter schärferer Beobachtung stehen, als andere Theater in dieser Stadt. Obwohl A. Hahn es geschafft hat, in kürzester Zeit (unter, zu Beginn, schwierigsten Bedingungen - das Große Haus wurde zu Sanierungszwecken geschlossen, Ausweichspielstätten mußten gefunden werden erhebliche Reduzierung der Mittel usw.) das Kinder- und Jugendtheater! in Halle zu einem neuen, äußerst vitalen, streitbaren und streitfähigen Ort zu entwickeln, wird an ihrer Arbeit fast ausschließlich herummoniert, herumgemosert, es wird herumgemobt usw. usw. Wegweisende Konzepte für Theater, Kinder- und Jugendarbeit wurden und werden hier entwickelt. Wahrnehmung, Be- und Verarbeitung aktuellster Probleme und Entwicklungen wurden und werden auf hohem künstlerischen Niveau begangen. Spiel wird als Leben begriffen und als Möglichkeit sich mit sich und der Welt auseinander zu setzen. Der Anspruch sich mit dem Publikum zusammen auf Abenteuer einzulassen, um zu verstehen, wie z.B. Zusammenleben möglich ist, ist enorm hoch und in der Klarheit, in der er formuliert ist, ist er vermutlich einzigartig an einem deutschen Kinder- und Jugend-Theater. Sicher, so ein Theater und die Leute, durch die es entsteht sind unbequem, manchmal schmerzt es sogar. Aber es wird nicht getan, um zu verletzen. Sondern um verstehen zu lernen, wie Verletzungen entstehen und, vielleicht, manchmal konnte und kann man sehen, was die Wunden wieder heilen läßt. Angesichts dieser Tatsache scheint es unverständlich, warum also dieses Haus und ihre Intendantin ständig beschossen werden, mit negativer, oder gar reaktionärer Presse behelligt werden. Doch der Grund liegt auf der Hand: Diese Art von Theater läßt sich nicht kategorisieren, es ist unberechenbar (in jedem Sinn des Wortes). Es ist zwar ein "Alleinstellungsmerkmal", wenn man "so etwas" in seiner Stadt hat, aber es ist so schwer zu vermarkten, es paßt sich ja nicht mal irgendeiner Verpackung an. Das Beste ist also: es muß weg. Und das geht nur, wenn Frau Hahn weg ist. Da es aber Verträge gibt, leider! muß es irgendwie anders gehen. Vorzeitige Kündigungen sind rein rechtlich schwer durchzusetzen. „Politisch“ fundamentiert geht das vielleicht eher. Und der Boden, Annegret Hahn und das ihr nahe stehende künstlerische Team des Hauses, wegzuschaffen, wird gerade durch diese letzten Attacken vorbereitet. So jedenfalls der schwer auszuräumende Eindruck. Inzwischen kündigte auch die Oberbürgermeisterin der Stadt Halle ihrer vitalsten Intendantin die Loyalität auf. Das dieser Kommentar den letzten Anlaß dieses systematischen Demontage-Prozesses nicht kommentiert (eben Dirk Lauckes „Ultras“ ; Man beachte auch: „Silberhöhe gibt’s nicht mehr“!!) liegt daran, das es eben nur ein Anlaß ist und nicht der Grund der Auseinandersetzungen. So sieht es aus, wenn man sich ab und zu mal auf den Weg nach Halle macht.
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