Gloria - Amélie Niermeyer inszeniert am Münchner Residenztheater die Deutsche Erstaufführung von Branden Jacobs-Jenkins Drama aus dem Großraumbüro
Amoklauf bei Karrieristens
von Petra Hallmayer
München, 20. Oktober 2017. Sie sind jung und ehrgeizig, zynisch, verbittert und desillusioniert. Für die Journalisten eines New Yorker Magazins, die sich in Branden Jacobs-Jenkins Stück "Gloria" bekriegen, sind Inhalte völlig irrelevant. Sie lästern hundsgemein übereinander und den naiven eifrigen Praktikanten (Christian Erdt), kommentieren höhnisch die Niederlagen anderer, schimpfen über den blöden Faktencheck für "eine beschissene Story in einem Scheißmagazin" und auf die alten Säcke, die ihnen den Weg nach oben versperren, wo sie schnurstracks mit ein bisschen Networking und ein paar Mausclicks hin wollen.
Die Austauschbaren
In seiner Satire auf die neoliberale Medien- und Arbeitswelt, die für den Pulitzer-Preis nominiert wurde, zeigt der amerikanische Dramatiker Jacobs-Jenkins die Generation der Assistenten und Aushilfen, die mit temporären Verträgen in einer endlosen Warteschleife zappelt. Jeder ist hier jederzeit austauschbar. In Amélie Niermeyers Deutscher Erstaufführung im Residenztheater tobt in einem Großraumbüro zwischen Schreibtischen und Notebooks ein absurder grimmiger Konkurrenzkampf und ein verbales Schlachtfest. Das biestige Klatschmaul Ani (Marina Blanke), das am Telephon zuckersüß flötet, und die fiese Schlange Kendra (Cynthia Micas) spucken genüsslich ätzende Bosheiten aus. Nur Lorin (fabelhaft komisch: Bijan Zamani) versucht verzweifelt, in dem Tollhaus zu arbeiten.
Keine eignet sich als Zielscheibe für die Giftpfeile der Meute besser als Gloria (Lilith Häßle), die seit Jahren in der Schlussredaktion "Kommata verschiebt" und deren "sozialer Marktwert" gegen Null geht. Auf der Party, zu der sie ihre Kollegen eingeladen hatte, ist denn als Einziger der total frustrierte, dauerverkaterte Dean (stark: Gunther Eckes) erschienen. Nun geistert sie in ihren Trenchcoat gehüllt durch die Redaktion, eine gedemütigte Loserin, für die sich niemand interessiert, bis sie ausrastet und um sich schießt.
Auch die Traumata vermarkten
Jacobs-Jenkins Stück verrät uns wenig über diese Frau, deren Amoklauf nur als Schockmoment und Motor für seine Abrechnung mit der Medienbranche dient. Acht Monate später treffen sich bei Starbucks drei der Überlebenden wieder. Während Dean nach einem Interviewmarathon einen Zusammenbruch erlitt, hat sein Agent dessen Memoiren auf einer Auktion versteigert. Kendra, die bei dem Amoklauf Café trinken war, schreibt an einem Exposé, das "den Fokus auf die Opfer" legt. Nan, die sich abseits unter dem Schreibtisch verkrochen hatte, möchte das Drama einer Schwangeren im Kugelhagel feilbieten. Sie alle wollen ihre Traumata im Authentizitätszirkus vermarkten, aus der Katastrophe Kapital schlagen.
Der dritte Akt führt in die Räume einer Film- und Fernsehproduktionsfirma in LA, in der Lorin als Assistent eines blutjungen Schnösels gelandet ist und die plant, aus Nans Manuskript eine Serie mit Starbesetzung zu machen. Allein dies ist bloß mehr eine Variante dessen, was uns bereits überdeutlich demonstriert wurde.
Eher Farce als Problemstück
Nach dem Büromassaker verliert die Aufführung Tempo und Schwung. Die Szenen über die kommerzielle Ausschlachtung des Blutbades geraten immer wieder langatmig, vordergründig und geschwätzig. Vielleicht hätten sie ja als schrill überdrehte Farce besser funktioniert.
Zunehmend bemüht sich Jacobs-Jenkins, in seinen Text ernste Untertöne einzuziehen, die die Regisseurin zu brav bedient. Nahe aber können einem die Emotionen der Figuren nicht gehen, dafür sind sie zu sehr Karikaturen. Dass Dean an seinem Memoirenprojekt schließlich kläglich scheitert, berührt einen ebenso wenig wie der Versuch, Glorias Amoklauf rückblickend allgemeingültige gesellschaftliche Relevanz zu verleihen: "Es hätte jeder von uns sein können", erklärt Lorin den Filmfritzen. Das klingt wie ein gewichtiger Satz und eine erschreckende Erkenntnis. Tatsächlich aber ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese jungen Karrieristen wirklich um sich schießen statt ein Burnout-Syndrom zu entwickeln, doch äußerst gering.
Schmerzlich verstörend wirkt der Abend leider nie. In den Passagen aber, in denen Niermeyer die Satire lustvoll ausspielt, gelingen einige schöne Pointen und am Ende findet ihre Inszenierung eine überzeugende Illustration für die totale Medialisierung des Lebens: Da flimmert ein Trailer über die Leinwand, der uns "A true story about real people" verspricht und in dem die Figuren zu Schauspielern in einem melodramatischen Hollywood-Film werden.
Gloria
von Branden Jacobs-Jenkins
Deutsch von Christine Richter-Nilsson und Bo Magnus Nilsson
Regie: Amélie Niermeyer, Bühne: Maria-Alice Bahra, Kostüme: Henrike Engel, Musik: Tom Müller, Licht: Tobias Löffler, Video: Philipp Batereau, Dramaturgie: Andrea Koschwitz.
Mit: Gunther Eckes, Cynthia Micas, Marina Blanke, Anne Kulbatzki, Lilith Häßle, Christian Erdt, Bijan Zamani.
Dauer: 1 Stunde und 45 Minuten, keine Pause
www.residenztheater.de
Kritikenrundschau
Ein Tag in der eigenen Redaktion biete mehr Sensation als dieses Stück, schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (23.10.2017). Jacobs-Jenkins gelinge es nicht, Empathie für seine Figuren zu erzeugen. Amélie Niermeyer schaffe es wiederum nicht, die thetische Wahrheit des Stücks in emotional erfahrbare Wut umzuwandeln. Tholl resümiert: "Als Ausdruck für eine Arbeitsrealität, die Menschen zu einem Amoklauf drängt, ist das alles viel zu wenig."
"Mit reichlich Klischees versehen" habe Jacobs-Jenkins "dieses ach so authentische Dramolett aus der Welt des Journalismus, die anscheinend nur Paradiesvögel und kaputte Typen generiert" verfasst, schreibt Hannes S. Macher im Donaukurier (23.10.2017). Das Schlüpfen der Schauspieler*innen in „noch klischeehaftere Rollen“ im zweiten Teil wird besonders moniert: Dass „die ansonsten so kritische Regisseurin Amélie Niermeyer diesen überflüssigen Schluss dieses Stückes auch noch als trivialen Soap-Nachschlag im Münchner Residenztheater inszenierte, darf schon verwundern“.
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Hoffentlich kommt nach den Abgängen von Kusej und Lilienthal mal wieder etwas Interessantes nach München.
WAS DIESE RESIDENZSCHAUSPIER SO ALLES MIT SICH MACHEN LASSEN. SCHON ENORM... WIE UNMÜNDIG!
Dieser verschwurbelten Mischung aus hohem KunstAnspruch ohne Haltung und schlechten Migrationsgeschichten,die fast ausschließlich von mitteleuropäischen Theatermachern inszeniert werden, kann ich jednefalls wenig abgewinnen. Da haben wir in NRW inzwischen viele gute Alternativen ( Dortmund z.B.)
die schauspieler fand ich überzeugend, besonders die frauenrollen.
(Liebe Isabell, das ist korrekt. Wir haben den Beitrag aus der Kritikenrundschau entfernt. Herzlichen Dank für den Hinweis und beste Grüße, Christian Rakow / Redaktion)
Schade, dass so enorm viel (Steuer!)geld in dieses Theater gepumpt wird.. dieses wäre in der freien Szene viel besser aufgehoben und wird dort auch dringend gebraucht! Es würde dort vermutlich auch gerechter verteilt werden bzw. würde schonender damit umgegangen
Das Beste, nein, das Traurigste an diesem Abend war der Hinweis im Programmheft, dass auf der Bühne Schüsse fallen werden.
Ein Theater, das den Besucher warnt, dass im Theater nur Theater gespielt wird und damit ganz ernst gemeint verkündet, es wird kein echter Amok sein, zeigt eine neue Realität, gegen die das Stück auf der Bühne keinerlei Chance hat zu bestehen: Bitte verwechseln Sie das Theater nicht mit der Wirklichkeit!
Dieser Warnhinweis stellt die ganze Theaterarbeit auf den Kopf.
Was mir diesmal auch deutlich aufgefallen ist: Dass die Stimmen mancher AkteurInnen nicht tragen; jedenfalls nicht bis hinter zu den billigen Plätzen; dort, wo Leute wie ich sitzen. Man ist dort nun nicht nur sicht-, sondern auch hörbeeinträchtigt. Muss man heutzutage nicht mehr vorsprechen? Oder besetzt man schlichtweg nach Typ?
Eine Medienschelte also, ein VermarktungsDuDuDu erhobenen Zeigefingers, eine Studie in Sozialunverträglichkeit, insgesamt mehr Boulevard als Residenz. (Tipp: Kleine Komödie!)
10 Tote, 18 Verkrüppelte, aber nur ein Revolver. Von Waffen hat die Requisite, bzw. der Autor keine Ahnung. Ist halt nur Theater.
@#10 ...manchmal hilft es über seinen eigenen Tellerrand zu schauen: Der Hinweis auf fallende Schüsse gilt (ähnlich wie bei Stroboskoplicht) wahrscheinlich weniger Ihnen, als vor-erkrankten Zuschauern (Herzerkrankungen, PTBS, o.ä.).
schlecht war's nicht, gut auch nicht.
Die Schauspieler waren bemüht und gefühlt fehlbesetzt. Angeblich alle in ihren Zwanzigern, tatsächlich teils deutlich älter.
Und das war vielleicht der große Fehler: man hat ihnen die Charaktere nicht abgenommen.
In der Londoner Aufführung passte das viel, viel besser: junge, hyperaktive, energiegeladene Akteure, denen man "geglaubt " hat.
Schade, schade !