DUB - Tanz im August
Reinen Stil gibt es nicht
24. August 2024. In diversen Erdteilen hat Amala Dianor seine Tänzer*innen für "DUB" gefunden. Um mit ihnen unterschiedliche künstlerische Traditionen und urbane Stile zu mixen. In einem rasend dynamischen Stück, das von der Vitalität kulturellen Austauschs erzählt.
Von Elena Philipp
24. August 2024. Amala Dianor und seine Tänzer*innen kosten die Hybridisierung aus: Die Vermischung und Aneignung verschiedener Stile ist in ihrer Hochenergie-Performance "DUB" Programm. Elf Profis hat der französisch-senegalesische Choreograph Dianor für sein neues Stück zusammengebracht. Auf einer Recherche-Weltreise spürte er, selbst ehemaliger Street Dancer, den urbanen Kulturen in Indien, Korea, Südafrika oder den USA nach und castete unterwegs seine Tänzer*innen.
Fremde Moves aneignen
Breaking, Waacking und Krump sind als Stile vertreten, Voguing, Electro und Dancehall, aber auch der indische Kathak, Patsula aus Südafrika mit seinem rasend schnellen Footwork oder der elegant im ganzen Körper swingende Coupé Decalé von der Elfenbeinküste, den hierzulande Gintersdorfer/Klaaßen bekannt gemacht haben. Und während alle elf Tänzer*innen in ihrer jeweiligen Disziplin glänzen und sich in kleinen Battles messen dürfen, müssen sie zugleich in Synchron-Choreographien zusammenfinden oder in Trios aus ihren jeweiligen Stilen einen möglichst schlüssigen Mix kreieren.
Voneinander zu lernen und einander Moves abzuschauen, ist im HipHop wie in den digitalen (Tanz-)Räumen üblich, aber nicht immer leicht: Nur ansatzweise kann da ein Ensemblekollege die Handgesten von Sangram Mukhopadhyay abnehmen, während ein anderer sich an seinen perkussiven Schritten versucht – das komplexe Körpergeschehen des Kathak, das der Tänzer aus Calcutta meistert, basiert dann doch auf einem zu eigenen Training. Wenn Mukhopadhyay sich im zweiten Teil der Show in Pumps als begnadeter Voguer erweist, beherrscht er von all dem auf der Bühne versammelten Talent vermutlich die eigenste Kombination aus Tanz-Idiomen.
Wie kommt das alles zusammen? Schon die Koordinierung einander oberflächlich näher stehender Stile wie Breaking und Krump erscheint schwierig, wenn ersteres akrobatische Power Moves mit ausgefeiltem Footwork kombiniert, zweiteres aber Stomps kraftvoll in den Boden drückt und auf Arme wie Oberkörper fokussiert. Und dann erst die unterschiedlichen Beats per Minute – Dancehall eher langsam, Electro ziemlich schnell.
Awir Leon, Musiker und selbst ehemals Tänzer, der unter anderem mit dem Choreographen Emanuel Gat gearbeitet hat, steuert ein Live-Set bei, in dem ihm die Quadratur des Kreises gelingt. Ein Track ergibt sich aus dem anderen, die Übergänge und die Anpassung der BPM auf die verschiedenen Choreos sind so unmerklich wie bei gutem DJing üblich – und dann schließt sich der hinter seinem Instrumentarium ohnehin mittanzende Leon für eine Szene auch noch dem Ensemble an.
Solos in der Detailansicht
Im ersten Teil von "DUB" gibt sich die global aufgestellte temporäre Kompanie durchweg freudig den Herausforderungen des Gemeinsamen hin. Im zweiten Teil ziehen sich die Tänzer*innen in die Kuben zurück, die Szenograph Grégoire Korganow im Hintergrund der Bühne aufeinander gestapelt hat. Hier würdigen Amala Dianor und sein Ensemble die einzelnen Tanzstile und ihre spezifischen Kontexte. Graffiti von François Raveau prangt an den Wänden eines mittigen Kubus, in der Dachterrassen-Box läuft im Hintergrund ein stylishes Video, rechts unten erinnert der Schriftzug "Pistil" an einen Nachtclub in Seoul. Tatiana Gueria Nade, in "DUB" die Queen des Afro Décalé, erweist sich als virtuos komische MC, die ihren tänzerisch multilingualen kongolesischen Kollegen Enock Kalubi Kadima wie ein Auktionsstück anpreist. Und Yanis Ramet verbleibt minutenlang im Headfreeze, während der Pantsula-Performer Kgotsofalang Joseph Mavundla mit der Schnellkraft seiner Schritte die Gravitation austrickst.
Ein Energieball macht die Runde
"DUB" verkündet keine Botschaft, aber die Message kommt an: "Reinen" Stil gibt es nicht, jede Kulturform hat Vorläufer, ist immer auch zusammengefügt aus zuvor schon existierenden Elementen. Am Schluss schleudern die Tänzer*innen, nach einer letzten Hochtempo-Performance, einen imaginären Energieball, den sie sich zuvor bei ihren Battles immer wieder spielerisch zugeworfen hatten, ins Publikum. Jetzt sind wohl wir dran mit der Erfindung neuer Tanzformen. Die spontane Synchronisierung klappt schon einmal: Beim Applaus reißt es die meisten Zuschauer*innen im Haus der Berliner Festspiele von den Sitzen.
DUB
von Amala Dianor
Choreografie: Amala Dianor, Live-Musik: Awir Leon, Szenographie: Grégoire Korganow, Lichtdesign: Nicolas Tallec, Kostümbild: Minuit Deux, Fabrice Couturier, Graffiti: François Raveau, Ton: Emmanuel Catty, Technische Leitung: Nicolas Barrot, Bühne: David Normand, Thibaut Trilles.
Mit: Slate Hemedi Dindangila, Romain Franco, Jordan John Hope, Enock Kalubi Kadima, Mwendwa Marchand, Kgotsofalang Joseph Mavundla, Sangram Mukhopadhyay, Tatiana Gueria Nade, Yanis Ramet, Germain Zambi, Asia Zonta.
Deutschlandpremiere am 23. August 2024
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause
www.tanzimaugust.de
Kritikenrundschau
"Ricardo Carmona zählt nicht zu den Kuratoren, die diskurslastige Strategien verfolgen. Er liebt das Visuelle genau wie die Kunst der Grenzüberschreitung. Also war jedes Format vertreten, jeder Stil (abseits der Klassik), jedes Genre – und jeder Geschmack", schreibt Dorion Weickmann in ihrem Festival-Bericht für die Süddeutsche Zeitung (2.9.2024). "Wer ins urbane Energiefeld eintauchen wollte, wanderte zu Amala Dianors Straßentanz-Feger "Dub"".
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„DUB“ ist eine mitreißende Show, die die Vielfalt der Street Dance Stile feiert. Dementsprechend groß war der Jubel auch nach der zweiten Gastspiel-Vorstellung. Der Abend erinnert an die großen Tournee-Produktionen, die regelmäßig im Admiralspalast Station machen: perfekt inszenierte Unterhaltungs-Shows, ohne weitere inhaltliche Tiefenbohrung.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/08/25/dub-tanz-kritik/