Ithaka - Botho Strauß' Heimkehrergesang von Rosmarie Vogtenhuber in Celle inszeniert
Im sanften Wellengang
von Jan Fischer
Celle, 11. Januar 2013. Ein Papierschiffchen. Eines, dass sich sich vor orangenem Hintergrund über zart angedeutete Wellen kämpft. Das ist das Plakatmotiv, das man im Celler Schlosstheater gewählt hat, um Rosemarie Vogtenhubers Inszenierung von Botho Strauß' "Ithaka. Schauspiel nach den Heimkehr-Gesängen der Odyssee" zu bewerben. Das macht Sinn: Wer "Ithaka" inszeniert, Botho Strauß' Nacherzählung des letzten Teils der Odyssee, muss sein Schauspielschiffchen über harten Diskurswellengang führen, wenn er sicher irgendwo ankommen will.
Denn obwohl Strauß in der Vorrede des Stücks behauptet, der Text sei einfach nur "eine Übersetzung von Lektüre in Schauspiel" inklusive "Abschweifungen, Nebengedanken, Assoziationen, die die Lektüre begleiten", wollte ihm das 1996 im Jahr der Uraufführung, niemand so richtig glauben. Strauß hatte 1993 den umstrittenen Essay Anschwellender Bocksgesang veröffentlicht, und man hatte von "Ithaka" den Verdacht, es sei nur eine Übersetzung des Essays auf die Bühne. Der Schauspieler Helmut Griem verweigerte sich "Ithaka", weil er bestimmte Textpassagen aus "politischen und dramaturgischen Gründen" einfach nicht über die Lippen brachte und musste ersetzt werden. Die Theaterwelt witterte einen Skandal, zur Uraufführung von "Ithaka" reisten Hundertschaften Kritiker nach München an.
Grundtyp des homo oeconomicus
Als Regisseur hat man bei so einer Vorgeschichte nur zwei Möglichkeiten: Entweder, man versucht, sich den Text mit historischer Distanz neu zu erschließen, oder man geht in die Offensive. Das Papierschiffchen auf dem Plakat könnte beides bedeuten, aber im Celler Schlosstheater wählt Rosemarie Vogtenhuber tatsächlich die Offensive: Im Programmheft ist ein kurzer Auschnitt aus "Anschwellender Bocksgesang" abgedruckt, ohne den umstrittenen Satz: "Dass ein Volk sein Sittengesetz gegen andere behaupten will und dafür bereit ist, Blutopfer zu bringen, das verstehen wir nicht mehr." Dafür aber mit: "Folglich merkt niemand mehr, dass die Macht des Einverständnisses ihn missbraucht, ausbeutet, ihn bis zu Menschenunkenntlichkeit verstümmelt".
Flankiert wird Strauß' Essay mit einem Zitat von Karl Marx, und Adorno und Horkheimer springen mit der These bei, Odysseus sei der Grundtyp des "homo oeconomicus" gewesen. So verdichtet sich in Celle schon bevor der Vorhang aufgeht eine Lesart des Stücks auf die Handlungen des Individuums in einer von ökonomischen Interessen bestimmten Welt, von der Entstehung der Vernunft aus der Barbarei und dem Preis, den man dafür zahlen muss.
Freier in teuren Anzügen
Die Kritiker waren 1996 dann eher enttäuscht: Der Theaterskandal, den sie gewittert hatten, stellte sich – obwohl Penelopes Freier Odysseus Schimpfworte wie "ausländische Missgeburt" und "Volksschädling" an den Kopf warfen - nicht so richtig ein. Denn letztendlich ist das Stück doch eher eine zahme Nacherzählung des letzten Teils der Odyssee, dieser alten Geschichte von Odysseus' Heimkehr und seiner grausamen Rache an den Freiern, die seinen Hof und seine Frau Penelope belagern. Und selbstverständlich ähnelt die Nacherzählung dem homersche Original in dem Punkt, dass man alles Mögliche hineinlesen kann, wenn man möchte.
In Rosemarie Vogtenhubers texttreuer Celler Inszenierung sind Penelopes Freier fiese Hedonisten in Bankkaufmannsanzügen, die zwischen sich und ihren materiellen Gewinn, in diesem Fall das Königreich Ithaka, nichts kommen lassen. Zweimal – immer, wenn sie direkt von Odysseus angesprochen und/oder umgebracht werden – wird auf einer Leinwand hinten auf der Bühne ein Bild des Publikum gezeigt, nur damit klar ist, dass wir alle irgendwie auch schuldig und mit den Missständen einverstanden sind.
Vom Heldsein müder Held
Der Schweinehirt Eumaios wird von Werner H. Schuster als wackerer Naturbursche gespielt, Christina Dom läuft als Pläne schmiedende Pallas Athene in androgynen Marlene-Dietrich-Anzügen herum, und durch den Hintergrund stolpert Marc Vinzing als leicht trotteliger Telemach: Alles in allem eine Parade eher eindimensionaler Figuren, die sich da auf der Bühne zwischen den dorischen Plastiksäulen Richtung Blutbad mit anschließendem Deus ex Machina zu navigieren versuchen.
Die Ausnahme davon sind Christina Rohde als Penelope und Jürgen Kaczmarek als Odysseus – sie schwebt als trauernde Witwe ganz ätherisch zwischen Betroffenheit und Abgestumpftheit durchs Bühnendekor, er ist ein des Heldseins müder Held, der sich mit traurigem Hundeblick und in schwere Falten gelegter Stirn ans Töten der Freier macht, weil es eben sein muss. Und als Penelope ihren schmerzlich lange vermissten Odysseus am Ende des Stückes kaum mehr erkennt, liegt darin mehr tragische Tiefe, als wenn Odysseus - halb von sich selbst angewidert, halb lustvoll – ein Blutbad unter den Freiern anrichtet.
Irrfahrt nach nirgendwo
Tatsächlich wäre "Ithaka" in Celle eine gute Inszenierung des letzten Teils der Odyssee – wäre da nicht die diskursive Vorbelastung und die Art, wie die Inszenierung damit umgeht. Wie das Programmheft, wie die Anzüge der Freier, wie die Spiegelung des Publikums auf der Leinwand darauf bestehen, dass da mehr sei, dass das Stück jetzt unbedingt mehr sein müsse, jetzt unbedingt politisch und hochaktuell zu sein hätte. Und es dann nicht schafft, das selbst gesetzte Programm konsequent umzusetzen. Und so dümpelt "Ithaka" in Celle als Nussschale dahin, auf einer Irrfahrt nach nirgendwo.
Ithaka
Schauspiel nach den Heimkehr-Gesängen der Odyssee
von Botho Strauß
Regie: Rosmarie Vogtenhuber, Bühne: Birgit Bott, Kostüme: Andrea Göttert, Dramaturgie: Tobias Sosinka.
Mit: Christina Dom, Jürgen Kaczmarek, Christina Rohde, Marc Vinzing, Alfred März, Sabine Schmidt-Kirchner, Werner H. Schuster, Sibille Helfenberger, Margit Hallmann, Stefanie Lanius, Andreas Herrmann, Jan-Christof Kick, Thomas Ziesch.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause.
www.schlosstheater-celle.de
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Regisseurin Rosmarie Vogtenhuber sei ein "Wagnis" eingegangen und habe es "mit Anstand überzeugend bewältigt, ohne den angestrebten Spagat zur weiteren Deutungsmöglichkeiten allerdings wirklich zu schaffen", schreibt Hartmut Jakubowsky in der Celleschen Zeitung (14.1.2013). Trotz "kurzer Videoprojektionen mit Bildern aus dem Zuschauerraum und trotz in Schlips und Kragen gewandeter Freier mit Bankerattitüde bleibt die Inszenierung weitgehend eine eindimensionale Nacherzählung des Homer'schen Originals". Der "Erfolg des Abends" verdanke sich der schauspielerischen Leistung, insbesondere von Jürgen Kaczmarek als Odysseus, der eine "anrührende, menschlich überzeugende Darstellung eines Mannes" gibt, "der zwar vom Kampf ermüdet, aber dennoch bedacht und konzentriert und schließlich mit Gewalt auf die Wiedergewinnung seiner Macht ausgerichtet ist".
Der Celler Odysseus ist "eher ein müder Krieger, den man zum Kämpfen tragen muss", schreibt Heinrich Thies in der Hannoverschen Allgemeinen (18.1.2013). Gleichwohl werde der verbitterte Spätheimkehrer zum Wüterich – sein Darsteller Jürgen Kaczmarek bringe diese Entwicklung "vor allem mit seinem Mienenspiel großartig zum Ausdruck". Ansonsten wirke er aber über weite Strecken allzu steif, blutleer und unlebendig. Dies gelte für viele Szenen im ersten Tei. "Dabei ist alles irgendwie sehr stimmig und durchkomponiert." Die Antike sei stilvoll in das Gewand der Gegenwart gehüllt. "Doch bei aller Schönheit der Bilder kommt keine wirkliche Spannung auf." Pathos und Poesie der Strauß-Dialoge verleiteten die Akteure zu "artifizieller Behäbigkeit". Irgendwie beschleiche einen der Eindruck, dass Rosmarie Vogthuber dem Stoff mit so viel Respekt begegne, dass ihre Inszenierung buchstäblich in Ehrfurcht erstarre. Doch nach der Pause gewinne sie an Fahrt. "Jenseits der hehren Worte blitzt plötzlich so etwas wie Spielfreude auf." Insgesamt für den Rezensenten also doch "ein einprägsames Theatererlebnis."
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