Amerika - Einen Tag vor Donald Trumps Inauguration erzählt Claudia Bauer mit Kafkas Romanfragment in Hannover vom fremden Planeten jenseits des Atlantik
Not Born in the USA
von Jan Fischer
Hannover, 19. Januar 2017. Es ist guter Brauch, eine Theaterkritik mit einer Szene zu beginnen. Einer, die im Idealfall über sich hinausweist, komprimiert etwas über die ganze Inszenierung erzählt. Das ist im Fall von Kafkas "Amerika", inszeniert von Claudia Bauer am Staatsschauspiel Hannover, schwierig: Man könnte jede Szene erzählen, die zum Beispiel, in der der Einwanderer Karl Roßmann anfangs verloren zwischen Bodennebel und roten Vorhängen steht, chorisch seine eigene Geschichte erzählt bekommt und dann seinen Schirm suchen geht. Oder die, in der sein gerade gefundener Weggefährte Robinson die versammelte Belegschaft eines Hotels vollkotzt, in dem Roßmann Arbeit als Liftboy gefunden hat, was wiederum zu seiner Kündigung führt. Oder die, in der Karls Onkel und seine Freunde Mr. Pollunder und Mr. Green – allesamt in hohen gesellschaftlichen Stellungen – Karl mit kieferorthopädischen Lippenspreizern im Mund anlächeln. Oder. Oder. Aber in Claudia Bauers Inszenierung gehört alles – auf eine assoziative, nicht ganz greifbare Art – zusammen, formt sich erst in der Masse zu einem Klumpen Hyperrealität, der sich kaum aufbrechen lässt.
Amerika, schief gebastelt
Franz Kafkas unvollendeter Roman "Amerika" ist allerdings auch ein – selbst für kafkaeske Verhältnisse – eigenartiges Buch. Es ist das einzige längere Werk Kafkas, das mit konkreten Ortsangaben arbeitet, es spielt in New York, an anderen Orten an der Ostküste. Kafka selbst war allerdings nie in den USA, alle Orte des Romans puzzelte er sich aus Fotos und Erzählungen zusammen, mit teilweise seltsamen Ergebnissen. Da trägt beispielsweise die Freiheitsstatue ein Schwert statt einer Fackel, Oklahoma heißt Oklahama, es gibt eine Brücke zwischen New York und Boston, und San Francisco liegt an der Ostküste.
Das ist dann tatsächlich auch der Hebel, mit dem sich "Amerika" aufbrechen lässt – trotz der konkreten Ortsangaben geht es nicht um einen konkreten Ort. Kafka konstruiert in seinem Roman einen Sehnsuchtsort, eine fabelartige Parallelrealität, in der er seinen Karl Roßmann nicht an der Realität scheitern lassen kann – sondern an beispielhaft überdrehten Figuren und mythischen Orten, die nur zufällig Ähnlichkeit mit realen Orten haben.
Eine Welt wie in "Twin Peaks"
Das ist auch genau der Punkt, an dem Claudia Bauers Inszenierung ansetzt: Von Anfang an wird Roßmann – gespielt von Maximilian Grünewald – in ein hyperrealistisches Amerika gesetzt, in dem nur mit Lippenspreizern gelächelt werden kann, Menschen ständig riesenhafte Köpfe oder Masken über dem Gesicht tragen, Crossdressing an der Tagesordnung ist und überhaupt alle ständig viel zu laut sind, viel zu extrem, mit viel zu großen Gesten agieren. Manchmal laufen auch Ankleiderinnen oder Techniker auf die Bühne, wenn sie dort gerade etwas zu erledigen haben, Karl ein neues Outfit verpassen oder eine Sperrholztreppe oder ein Haus auf die Bühne schieben.
All das passiert auf schwarz-weiß gemustertem Boden und zwischen den roten Vorhängen um den gesamten Bühnenraum, so dass die Bühne aussieht wie die immer schwer bedeutsame Traumrealität in Twin Peaks. Im Grunde bleibt damit die Hannoveraner Inszenierung von "Amerika" dicht an der Vorlage, die die Welt durch die Augen des ständig an seiner eigenen Fremdheit scheiternden Karl Roßmann verzerrt einfängt. Claudia Bauer übersetzt das in überformte Bilder und Gesten, die nie verleugnen, dass sie auf einer Bühne stattfinden.
Aber selbst wenn "Amerika“ in einem künstlichen Raum stattfindet – Kafkas tragikomische Bilderwelt, die auf der Bühne in Hannover noch einmal ein Stück tragischer, komischer, überdrehter sind, muss immer auch als Metapher gelesen werden. So wie Kafka aus einem unbekannten Ort ein Amerika konstruiert, das durchaus als Fabel auf das zeitgeschichtliche Amerika gelesen werden kann, versucht Claudia Bauer das in ihrer Inszenierung. Karl Roßmann scheitert daran, dass die Gesellschaft, in die er da reingeworfen wurde, ihn schlicht nicht haben will, weil er sie nicht versteht.
Dass die Inszenierung in Hannover ausgerechnet am Tag vor Donald Trumps Inauguration Premiere hat, mag nur ein Zufall sein. Allerdings ein glücklicher: Claudia Bauers Amerika ist kein Sehnsuchtsort, wie er das noch bei Kafka gewesen sein mag, es ist ein durch und durch fremder Planet voller Menschen, die Arbeit, Geld oder Status hinterherjagen. Claudia Bauer gelingt damit nicht nur eine Inszenierung, die Kafkas Komik und seine Tragik ausbalanciert, sondern auch ein Kommentar zu diesen eigenartig bekannten, und doch immer wieder fremden Land auf der anderen Seite des Atlantiks.
Amerika
von Franz Kafka
Regie: Claudia Bauer, Bühne: Andreas Auerbach, Kostüme: Patricia Talacko, Musikalische Leitung: Smoking Joe , Video und Dramaturgie: Jan Friedrich.
Mit: Klara Deutschmann, Rainer Frank, Katja Gaudard,Maximilian Grünewald, Günther Harder, Christoph Müller, Frank Wiegard.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.staatstheater-hannover.de
"Regisseurin Claudia Bauer schafft krasse Bilder, denen man sich nicht entziehen kann", lobt Katharina Sieckmann vom NDR (20.1.2017). "In diesem Stück steckt viel Liebe zum Detail und der immerwährende Mut zur Überzeichnung. Ein grandioser Schachzug ist die Verquickung des Bühnenspiels mit den Live-Videosequenzen von Tobias Haupt." Das Dargestellte werde durch diese Verschiebung des Blickes noch unmittelbarer, noch schonungsloser.
"Psychorealismus hin oder her, es ist doch recht schön, wenn einem die Figuren nicht irgendwann gänzlich egal werden", moniert Jörg Worat von der Kreiszeitung (23.1.2017). "Gedanken hat man sich (...) über den Aspekt des Humors bei Kafka gemacht, was einen durchaus interessanten Ansatz darstellt. Noch schöner wäre allerdings gewesen, etwas davon hätte sich dauerhaft in der Inszenierung niedergeschlagen – ständige Überzeichnung aber ermüdet eher und ist darüber hinaus alles andere als originell, erst recht beim Thema Amerika."
"Kafkas Roman soll hier ganz Theater werden. Also fährt die Regisseurin auf, was das zeitgenössische Theater so zu bieten hat (…) Heidewitzka, was ein Spaß", schreibt Ronald Meyer-Arlt in der Hannoverschen Allgemeinen (19.1.2017). Und trotzdem sei da eine Kälte im Kern und eine Leere. "Und das ist ganz genau bei Kafka." Meyer-Arlt lobt wunderbare Charakterstudien, "stets mit erheblicher Spielfreude dargeboten". Dass der Applaus nicht überbordend begeistert ausfalle, liege vielleicht daran, "dass der Bretterbudencharme, der Theaternebel und die Viodeofilmerei doch schon ein bisschen in die Jahre gekommen sind".
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