Glück ist geil

von Andreas Schnell

Oldenburg, 14. November 2009. Glück ist eine seltsame Sache, temporär und relativ, gleichwohl aber gern und oft als primärer Lebenszweck gehandelt. Nicht weniger seltsam erscheint es, wenn es an prominenter Stelle in einem Stück auftaucht, dass vordergründig vor allem mit den Krisen des Kapitalismus und den Folgen wie Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Armut, Elend und der Fortsetzung der "friedlichen" Konkurrenz mit den Mitteln der Gewalt, unterm Strich also mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun hat. Seltsam?

Aber so steht es geschrieben, in der Ankündigung von "Geld – her damit", dem neuen Stück von Bernhard Studlar und Andreas Sauter, das gestern im kleinen Haus des Oldenburger Staatstheaters Uraufführung feierte: "Eines Tages wachst du auf und es herrscht Krieg, nein Wirtschaftskrise. Also doch Krieg. Du schlägst die Zeitung auf und liest, dass dein Staat pleite ist. Deine Bank eingegangen. Du drehst den Fernseher auf und jemand erzählt dir vom Weltglücksindex. Schon mal vom Weltglücksindex gehört? Da liegen die Deutschen auf dem 42. Platz. Im letzten Drittel. Wieso? Woran liegt das, fragst du dich. Wovon hängt mein Glück ab? Vom Job? Vom Geld? Vom Sex? Der Beziehung?"

Panoptikum des Überlebens
Das sind natürlich gewichtige Fragen. Aber: Haben Sauter und Studlar Antworten? Wie gehören Existenzkampf und Glück zusammen? Es dauert immerhin knapp zweieinhalb Stunden, bis wir eine Ahnung davon bekommen. In diesen fast zweieinhalb Stunden passiert eine ganze Menge. Und das ist durchaus ein Genuss. Ein wesentlicher Grund ist die Leistung des Ensembles. Tempo und Präzision, mit denen die sieben Schauspieler die 33 Rollen im minimalistischen Setting einer Art Behördenkorridors meistern, an dessen Wänden Automaten hängen, die bei Münzeinwurf kurzfristig Wärme spenden, sind schlichtweg beeindruckend.

Mit mitreißendem Spielwitz, hervorragendem Timing und enormer Wandlungsfähigkeit erzählen sie einen Schwung Geschichten, die, ganz wie in einem Episodenfilm, gelegentlich in- und immer wieder auch aneinander geraten: Vom prekären Maler und der Alkolholikerin, die ihm Modell steht, über den betuchten Sammler, dessen ukrainische Gemahlin das ganze Geld im Kasino verprasst, zum Kindermädchen, das die Tochter der beiden entführt, über den glücklosen Ikea-Verkäufer, dessen Frau Flugbegleiterin ist, deren Mutter wiederum das Prinzip Sparsamkeit bis zum Tod durch Erfrieren verinnerlicht hat; der einsame Nachbarn, der besagter Dame jeden Tag die Zeitung bringt und sie jedes Mal vergeblich zu Kaffee und Kuchen in seine Wohnung bittet.

Oder der zackige Sales Manager einer Kaufhauskette für Unterhaltungs- elektronik, der sich in der Mittagspause einen Callboy kommen lässt, ein erfolgreicher Anwalt, dessen Ehefrau unter Existenzängsten leidet, und schließlich die Arbeitslose, die ihren Kredit nicht mehr bedienen kann, ihre Wohnung verliert und schließlich den Banker tötet, der ihr keinen weiteren Kredit gewähren will...

Der Mensch, na ja, Sie wissen schon
Ganz offensichtlich keine klassische dramatische Konstellation, sondern eher ein "Panoptikum des alltäglichen Überlebens", wie (noch einmal) die Ankündigung weiß. Ein Gesellschaftsporträt also, das hier durchaus aktuell ist mit seinen Anspielungen auf "Geiz is geil"-Kampagnen und den zusätzlichen Pullover, den Thilo Sarrazin frierenden Hartz-IV-Empfängern im vergangenen Winter anempfahl. Gewissermaßen also auch: die Ausweitung der Kampfzone, die mit Sauters Forderung nach einer anständigen Förderung für junge Dramatiker eröffnet wurde.

Etwas irritierend allerdings angesichts des Szenarios, was sich am Ende von "Geld – her damit" als Schluss und damit ja ein Stück weit auch als Kampfziel präsentiert: Kleinfamilie, das kleine Glück im Privaten, die Hinwendung zu den Nächsten (und hier damit wieder zur Kleinfamilie). Hinter dem Korridor, draußen, ist ein Wolfsrudel zu sehen. Am Ende gehen die allesamt gebeutelten Kreaturen hinaus und gesellen sich zu den Wölfen. Die sich zum Rudel zusammengerottet haben angesichts der sie umgebenden Widrigkeiten, während der Mensch dem Menschen, naja, Sie wissen schon...

Vielleicht ein schwaches, zumindest aber ein etwas hilfloses Ende. Vielleicht ja aber auch nur ein angesichts der Verhältnisse angemessener, aber trostloser Realismus.

 

Geld – Her Damit (UA)
von Bernhard Studlar und Andreas Sauter
Regie: K. D. Schmidt, Bühne Thomas Drescher, Kostüme: Alin Pilan.
Mit: Gaby Pochert, Eva-Maria Pichler, Bernhard Hackmann, Klaas Schramm, Caroline Nagel, Jens Ochlast, Thomas Birklein.

www.staatstheater.de

 

Mehr zu Andreas Sauter und Bernhard Studlar im nachtkritik-Archiv: Andreas Sauter gehört zu den Battle-Autoren, die im September 2007 ihr viel beachtetes Manifest 10 Wünsche für ein künftiges Autorentheater veröffentlichten. Auch beim Symposion der Berliner Festspiele Schleudergang Neue Dramatik präsentierte Sauter seine Thesen. Bernhard Studlar, der zu den Unterzeichnern des Manifests gehört, bearbeitete u.a. Juli Zehs Roman Spieltrieb für das Schauspiel Köln, wo die Fassung im April 2009 der Inszenierung von Jette Steckel zugrunde lag.

Alles zu den Diskussionen um Neue Dramatik auf nachtkritik.de finden Sie hier.

 

Kritikenrundschau

Eine zumindest online bislang nicht namentlich gezeichnete Rezension der Nordwest-Zeitung (16.11.) kommt nach der Uraufführung des Finanzkrisen-Stücks "Geld – her damit" am Staatstheater Oldenburg zu dem Schluss: "Andreas Sauter und Bernhard Studlar haben ein Drama verfasst, das wie eine Scheibe Wurst den Alltag durchschneidet." Es gebe "wunderbar fließende Übergänge, schnelle Verwandlungen der Schauspieler und viel zu lachen, auch wenn unser Lachen immer wieder gefriert", wobei das Stück mit der Finanzkrise aber nicht "so richtig hart" ins Gericht gehe. Es bilde "bewusst nur ab, ohne schlicht zu wirken, es ist humorig, ohne albern zu sein. Kein Aufruf zur Revolte, sondern eine kurzweilige, zweieinhalbstündige Anregung zum Nachdenken."

"Hübsch war das kahle Bühnenbild von Thomas Drescher mit drei fensterlosen Schaufenstern", findet Stefan Grund in der Welt (17.11.) und wendet sofort ein: "Die soziale Kälte aber wird in den Dialogen so flach gespiegelt, dass sie uns kalt lässt." Sieben gute Schauspieler und Regisseur K.D. Schmidt mühten sich tapfer, die in 33 Rollen aneinander geklatschten Klischees aufzubrechen. Fazit: "Im Dunkeln hinter den Schaufenstern steht ein Rudel Wölfe und erinnert daran, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist und der Wolf dem Wolfe ein Mensch. Es war zum gemeinsam Heulen."

 

 

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