Unterwäsche? Was für Feiglinge!

5. November 2023. Illyrien als Schauplatz eines Disney-Streifens: Shakespeares Liebeswirren werden in Paul Spittlers Inszenierung zum schillernden Spiel mit Geschlechterrollen und -zuschreibungen. Klischees, zelebriert als Showact. Und der Narr im Spiel entlarvt die großen Liebesfragen.

Von Sarah Heppekausen

"Was ihr wollt" von William Shakespeare, in der Regie von Paul Spittler am Theater Dortmund © Birgit Hupfeld

5. November 2023. Dieser Narr war auf Dienstreise. Diesmal ein Hüpfburgenfest. Davor durfte er zum Thema nachhaltiges Feiern konferieren und sich zum Delfintrainer weiterbilden lassen. Er war auf Staatskosten schon in Dubai, in Andorra und Düsseldorf – Orte, mit der "höchsten Dichte von Influencer:innen pro Quadratmeter".

Die Krux des Arbeitnehmenden

Dieser Narr führt Deep-Talks und berichtet von von steigenden Mieten in Großstädten, von Kriegen und Klimaklebern. Denn sein Fulltime-Job ist es, den Hof zu schikanieren und die ganzen Idioten auf ihre weißen Flecken hinzuweisen. "Ey, was ist los mit euch?". Das ist des Narren berechtigte Frage. Laura Naumann hat ihm für die Dortmunder Fassung von Shakespeares "Was ihr wollt" einen neuen Text verpasst. Unter seiner fellbezogenen Narrenkappe ist er Gesellschaftskritiker mit Durchblick. Und er ist ziemlich verzweifelt.

Sie haben ihm die traditionellen Attribute verpasst, die Eselsohren, die Glöckchen am roten Samtkostüm, darunter die ehrlose Blöße. "Unterwäsche ist für Feiglinge", sagt er. Also habe er nackt dagestanden, als er bei der Flughafenkontrolle seinen Gürtel ablegen sollte, erzählt er. Aber Laura Naumanns Narr ist vielmehr ehrlich als ehrlos. Die Autorin, die die Theaterkollektive Henrike Iglesias und machina eX mitgründete, legt ihm eine zeitgeistige Ansprache in den Mund. Ein Narr, der mitmischt, der sich einmischt und widerwillig, aber gefolgsam die Stimme zum Gesang erhebt. Es ist die Krux des Arbeitnehmenden. Am Ende bleibt ihm nur die Kündigung, weil diese Farce am Hofe einfach nicht auszuhalten ist.

Wasihrwollt4 1200 Birgit Hupfeld uEin Narr, der mitmischt: Alexander Darkow, Raphael Westermeier, Ekkehard Freye, Antje Prust, Nika Mišković, Linda Elsner, Adi Hrustemović, Sarah Quarshie © Birgit Hupfeld

Regisseur Paul Spittler hat große Lust auf eben diese Farce, aufs Spiel mit Geschlechterzuschreibungen, Rollenwechseln und Liebesverwirrungen. Sein Illyrien ist Schauplatz eines exaltierten Disney-Streifens. Vorne plätschert der Springbrunnen, hinten flimmern alte Buchcover, bunte Ornament-Grafiken oder "Shakesbeer"-Witze über den Videoscreen. Bühnenbildnerin und Video-Designerin Nicole Marianna Wytyczak bebildert die Inselwelt auf der Drehbühne märchenhaft-kitschig und spleenig-verspielt. Hier zeigt Raphael Westermeiers Herzog Orsino gerne seinen Bauch unterm wehenden Morgenmantel und geilt sich an seiner Verliebtheit auf. Die gilt Gräfin Olivia, die bei Linda Elsner befremdlich große Gesten zelebriert.

Bauchfreies Streifenhemd, ausgestopfter Schritt

Zu ihrem bizarren, fast schon außerweltlichen Spiel passt allerdings hervorragend ihr Kostüm (Tom Unthan), die schwarze enge Lackhose, die riesigen Schulterrüschen und der überlange Trauerflor. Den tauscht sie gegen einen weißen Schleier, wenn sie Cesario heiraten will. Cesario allerdings ist eigentlich Viola, die sich am Hof als Page eingeschlichen hat. Als Schiffbrüchige ist sie auf der Insel gelandet, gerettet von einer Witzfigur an Kapitän, hier im bauchfreien Streifenhemd und mit reichlich ausgestopftem Schritt. Den tragen hier alle Männer – oder die Frauen, die einen Mann spielen.

"Heiraten ist kein Hobby!"

So zelebriert der Abend das Klischee als Showact. Körper wollen gezeigt werden, ausgestellt. Spittler und Choreografin Jasmin Avissar lassen sie auch tanzen, mal höfisch in der Reihe, mal mit mechanischen Zombie-Moves, mal lasziv. Frauen legen Männer flach. Und das Ritter-Duo Sir Toby und Sir Andrew kämpft bei "Everybody" von den Backstreet Boys um den Karaoke-Titel. In dieser orgiastischen Gemengelage entlarvt der Narr die Liebe als bloße Folge von Langeweile. "Dating ist kein Hobby! Verführen ist kein Hobby! Heiraten ist kein Hobby!" Ziemlich niederschmetternd, diese Diagnose. Aber die Illyrer interessieren sich wenig für ausgesprochene Wahrheiten. Weiter geht's ans Heiraten. Mittlerweile ist auch Violas Zwillingsbruder Sebastian wieder aufgetaucht, Viet Anh Alexander Tran spielt beide Rollen angenehm direkt, leicht überdreht den Cesario/Viola und gelassener den Sebastian. Der bleibt in seiner Liebe hier übrigens entschieden homosexuell und bei Antonio.

Wasihrwollt1 1200 Birgit Hupfeld uMit außerweltlichen Spiel: Linda Elsner, Sarah Quarshie © Birgit Hupfeld

Die Begegnung der Zwillinge findet auf der Dortmunder Bühne virtuell statt, Sebastian ist per Video zugeschaltet. Realitätsbewusst verweist der Narr auf die Projektion, aber die Traumtruppe glaubt lieber an Wunder. Und an die Ehe. Des Narren Brandrede – die Leute wollen nicht heiraten, sondern faire Löhne, Kindergrundsicherung und eine gesunde Work-Life-Balance – wird nicht gehört. Der Narr verlässt die Bühne, raus auf die Hinterbühne, durch die Gänge des Theaters, hin zur Garderobe, wo sich Viola in Hochzeitsschale wirft. Nichts hilft. Verlorene Lebensmüh.

Paul Spittler und Laura Naumann legen alle Karten offen, der Narr (der bei Antje Prust entschiedener und damit verletzlicher sein könnte) spricht überdeutliche Worte, jeder Witz, auch jede Plattheit wird auf der Bühne ausgekostet und am Ende bleibt die Freude am Spiel. Das ist gar nicht wenig.

 

Was ihr wollt
von William Shakespeare
aus dem Englischen von Thomas Brasch
mit Texten für den Narren von Laura Naumann
Regie: Paul Spittler, Bühne und Videodesign: Nicole Marianna Wytyczak, Kostüme: Tom Unthan, Komposition und Sound-Design: Zooey Agro, Choreografie: Jasmin Avissar, Film: Tobias Hoeft, Licht: Stefan Gimbel, Dramaturgie: Viktoria Göke.
Mit: Raphael Westermeier, Viet Anh Alexander Tran, Alexander Darkow, Nika Mišković, Linda Elsner, Sarah Quarshie, Ekkehard Freye, Antje Prust.
Premiere am 4. November 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.theaterdo.de

 Kritikenrundschau

"Einen forschen Dreh in unsere genderfluide Zeit" bescheinigt Kai-Uwe Brinkmann in den Ruhr Nachrichten (6.11.2023) der inszenierung. "Queere Comedy total, sehr unterhaltsam, nichts für Freunde von Werktreue." Aus Sicht des Kritikers bringt die Inszenierung "den Aberwitz des Stückes noch intensiver zum Tanzen und die Figuren gleich mit, wie die stark beklatschte Premiere am Samstag zeigte." Dass die Texte des Narren von Laura Naumann neu geschrieben wurden und nun voll Modernismen und Zeitgeistverweisen stecken (Dubai-Reise, Delfintrainer-Workshop, Klimakleber) mag denen aufstoßen, die das als mutwillig übergestülpt empfinden. Wirklich irritieren können die schnippischen Exkurse ins Jetzt nicht." Antje Prust findet der Kritiker einfach "wunderbar".

"Klar, so ein Shakespeare (...) geht irgendwie immer", schreibt Lars von der Gönna in der WAZ (6.11.2023). "Ein bisschen Lady Gaga, etwas Roy Black, hier ein Kühlschrank, dort ein Feuerlöscher. Am Ende eine Polonaise. Dazu nimmt man dem Narren seine Shakespeare-Verse, um ihn kaum über Abi-Kabarett-Niveau (...) der Gegenwart den Marsch blasen zu lassen." Dabei würde Nicole Wytyczaks Bühne aus Sicht des Kritikers für mehr Tiefgang schönen Raum bieten. "Klug mischt sie mit einem Felsenbecken (aus dem die ganze Partygesellschaft entsteigt) und per Drehbühne kreisenden Residenzen die Zutaten alten Zaubertheaters." Doch zu "den Figuren dringe Spittler zu wenig vor." Wer sie sind, "die den Richtigen im Falschen lieben", was sie antreibe, bleibe vorwiegend unscharf. Zwar "kein ganz verschenkter Abend, doch von großem Theater ein gutes Stück entfernt", so das Fazit des Kritikers.

Der Abend sei so inszeniert, "dass man auch mitkommt", lobt Christoph Ohrem im WDR (6.11.2023). "Bei aller Blödelei hätte sich Regisseur Paul Spittler sogar noch mehr für einen boulevardesken Ansatz entscheiden können, um das Ganze noch atemloser zu machen." Dennoch sei das im Ganzen ein "schöner, unterhaltsamer Abend".

Kommentare  
Was ihr wollt, Dortmund: Mäßige Akustik
Wir haben uns zu viert das Stück angesehen. Wir hatten Plätze etwa in der Mitte des Saales.
Wir sind alle um die 60 oder auch noch etwas älter.
Leider konnte keiner von uns aus akustischen Gründen dem Stück wirklich folgen. Der Akustik in dem Saal war mäßig, insbesondere der Narr war am besten Willen nicht zu verstehen, insbesondere wenn er mit dem Rücken zum Publikum stand. Schade.
Es gibt dort Lautsprecher. Sind Mikrofone wirklich unerschwinglich?
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