Draußen vor der Tür - Düsseldorfer Schauspielhaus
Die Fratze Krieg
6. Oktober 2024. Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" ist nicht nur ein Kriegsheimkehrer-Drama, sondern erzählt auch vom Schicksal eines Traumatisierten. Zumindest in der Inszenierung von Regisseur Adrian Figueroa, der eine absolut sehenswerte Innenansicht einer krank gewordenen Seele zeigt. Die Zeit steht hier verstörend still.
Von Dorothea Marcus
6. Oktober 2024. Aus dem Dunkel kommt er, ins Dunkel geht er, und rettungslos einsam wird er bleiben. Wolfgang Borcherts berühmter Kriegsheimkehrer Beckmann (Raphael Gehrmann) im berühmtesten deutschen Nachkriegsdrama "Draußen vor der Tür" ist in der Regie von Adrian Figueroa ein humpelnder Punk, geschorene Haare mit Bürstenschnitt, ein hagerer Mann mit Militärmantel und schwarzgerandeter "Gasmaskenbrille", der jeden Glauben an das Gute fahren gelassen hat. In der Schwärze des gewaltigen Bühnenraums steht er hinter einem Gazevorhang an einem Abgrund. In seiner Nähe nur eine schlichte Reinigungskraft, die seinen "seltsamen Fall" beobachtet – bis er haltlos sich fallen lässt.
In der Düsseldorfer Version von "Draußen vor der Tür" bleibt von Beginn an unklar, ob der Suizid gelingt oder nicht. Zeit- und Raumebenen lösen sich hier schwindelerregend auf. Auf der Gaze sehen wir in riesenhaften Videobildern, wie er sich kreiselnd in der Luft dreht – auf uns zu, minutenlang. Die Zeit bleibt quasi stehen in dieser Inszenierung. Alles Weitere könnte auch ein auf knapp zwei Stunden gedehnter letzter Moment sein. Oder die Innenschau einer psychischen Erkrankung, in der sich Hoffnung und Verzweiflung permanent ablösen.
Gedehnter letzter Moment
Zuerst tritt auf: der "Andere", der Jasager und Optimist. In Düsseldorf ist es die Schauspielerin Sonja Beißwenger, die mit Glatze, Bürste, Mantel genauso aussieht wie Beckmann und sich resolut und lebenszugewandt abrackert, um ihm zu zeigen, wofür zu leben sich lohnen könnte – "Kannst doch nicht einfach so in die Elbe jumpen", umgangsspricht sie – sein positives Spiegelbild, seine gute Innenstimme und die Figur der "Elbe", die hier ansonsten gestrichen ist. Doch er, der Versehrte, Humpelnde, hat Kind, Frau, Wohnung, Glauben verloren und versinkt in Leid, aber auch Selbstmitleid und Larmoyanz.
Während er wie ein Häuflein Elend in der Bühnenmitte liegt, tritt ein blonder, weißgekleideter Rettungsengel auf ihn zu (Pauline Kästner), ganz rettende Lieblichkeit in schwarzer Stunde. Sie nennt ihn zärtlich Fisch oder Gespenst, nimmt ihn mit. Zu düsterem Elektrodröhnen fährt ein dunkler Wohnquader aus der Drehbühne, in dem ihre Wohnung auch noch einmal als Videobild gedoppelt ist. Wir sehen sie von der Seite und von vorne als Großbild zugleich, wie sie tröstet, die Liebe, menschliche Kommunikation, Sex, kurz als Ausweg erscheinen: "Sag was, damit etwas da ist" - erstaunlich poetisch und bühnenwirksam wirken die elliptischen Sätze von Borchert aus dem Jahr 1947. Doch da schlagen Beckmanns inneren Dämonen zu, schwärzt sich ihr Gesicht, löst sich auf, wächst das rettende Zimmer weg und versinkt.
Innere Dämonen schlagen zu
Grandios, wie hier die Bühnentechnik arbeitet, das gruselige Bühnenbild der dunklen, beweglichen Wohnkästen von Irina Schicketanz als Alptraumlandschaft agiert, sich auf der kunstvoll bewegten Drehbühne permanent heben, senken, drehen und die Figuren dank Videobearbeitung immer wieder in Fratzen und Zerrbilder verwandeln: Beckmanns Reise ist letztlich die Inszenierung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Immer wieder wird Beckmann von Erinnerungen an Schlachtfelder und soldatische Befehle überfallen.
Tapfer geht er von Station zu Station, Haus zu Haus, sie wachsen aus dem Boden, drehen sich weg und hin, können durchleuchtet werden oder finster abweisend schwarz sein, entstehen immer neue atemberaubende Bilder, finstere Labyrinthe und Gassen ohne Ausweg. Bis sich wieder ein warm leuchtender Innenraum irgendwo öffnet: Der Oberst (Florian Lange) sitzt schmatzend an der Festtafel neben Schweinekopf, ausgestopften Tieren und Jagdgewehren, gibt gönnerhafte Lebenstipps und lehnt jede Verantwortung ab, der rotgeleidete Kabarettdirektor (Thiemo Schwarz) will die Kunst zum Vergessen einsetzen. Und im Elternhaus hat sich eine ignorant-gehässige Frau Kremer breitgemacht – von Claudia Hübbecker erschreckend überzeugend gespielt als breitbeinig-selbstzufriedenes deutsches Nachbarschaftsklischee: kalt und gefühllos, aber immer im Recht.
Wie weiterleben?
Da kann sich "Der Andere" noch so tapfer in Überzeugungskraft verrenken – diese Welt scheint verloren. Wie und wozu weiterleben? Beckmann trägt sie auf dem Rücken wie eine Bürde, die er nicht loswird, manchmal tanzen die Spieler und verrenken sich wie Hakenkreuze, der Wille zum Weiterleben und der Todeswunsch lösen sich ab, Videohände greifen nach ihm, immer wieder kippt alles in ein Horrorgame.
Dass das Nazitum aus den Deutschen nicht plötzlich verschwand – zeigt sich ja leider auch an Borcherts Werk selbst, in dem alle Opfer des Krieges ausschließlich deutsch sind und jegliches Verbrechen darüber hinaus nicht erwähnt wird. Und doch in seinem Ringen zwischen Hoffnung und Verzweiflung einen existentiellen, philosophischen Kampf darstellt. "Ich habe das Gefühl, wir müssen uns nach einem neuen Planeten umsehen", sagt Beckmann gleich zweimal – ein heute neu und fatal klingender Satz, ebenso gültig scheinen wie nach der bodenlosen Kriegserfahrung.
Beeindruckende Inneneinsicht
Immer wieder geht in Beckmanns Adventskalender des Grauens auch wieder eine Tür zur Liebe auf, wiegt er sich mit Pauline Kästner in einem Kuss, tapfer spricht sein Alter Ego Textteile aus Borcherts pazifistischen Vermächtnistext zum Nein-Sagen, den der 26-jährige Autor noch kurz vor seinem Tod an Leberversagen auf dem Krankenbett schrieb. Um dann wieder in einen irren Bühnenstrudel aus Gruselbildern überzugehen.
Am Ende spricht er, der einsame, hoffnungslose Soldat und Mensch, in riesenhafter Großaufnahme zu uns, der Jasager ist auch verschwunden, die Kehrkraft vom Anfang hat sich in Gevatter Tod verwandelt, Beckmanns Schicksal ist besiegelt, jede Hoffnung verschwunden. Ein gewaltiger Kampf der philosophischen Konzepte wurde hier inszeniert, ein Psychogramm des menschlichen Untergangs, eine beeindruckende Innenansicht einer krank gewordenen Seele. Ein sehenswerter, verstörender Abend.
Draußen vor der Tür
von Wolfgang Borchert
Regie: Adrian Figueroa, Bühne: Irina Schicketanz, Kostüm: Malena Modéer, Musik: Ketan Bhatti, Video: Benjamin Krieg.
Mit: Raphael Gehrmann, Sonja Beißwenger, Pauline Kästner, Florian Lang, Thiemo Schwarz, Claudia Hübbecker, Markus Danzeisen.
Premiere am 5. Oktober 2024
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.dhaus.de
Kritikenrundschau
"Mit expressionistischer Wucht stürzt das Elend und das Leid des Menschen Beckmann und aller Versehrten in seiner jüngsten Inszenierung von 'Draußen vor der Tür' über uns herein", schreibt Lothar Schröder in der Rheinischen Post (7.10.2024). Raphael Gehrmann Raphael taumele durch "diese fremde, feindliche Trümmerwelt". Dabei sei er "immer erbarmungswürdig, nie lächerlich". Figueroas Inszenierung entwickele einen "permanenten Sog" und sei durchaus "denkwürdig", so der Kritiker.
"Wenn auch kein einziges Requisit auf heutige Kriege verweist, so wirken Figuren und innere Dialoge beklemmend aktuell", meint Michael-Georg Müller in der Westdeutschen Zeitung (7.10.2024). Figueroa zeige Beckmann "in den pausenlosen, packenden 100 Minuten als tragisch vereinsamter Mensch". In dieser Inszenierung habe das alles "auch nach 77 Jahren nichts an Intensität und Aktualität eingebüßt".
"Die Lichtregie (Konstantin Sonneson) macht mit Lichtkegeln und Farben und bläulich abweisenden Stimmungen aus der Bühne wechselnde, begeisternde Bilder. Die schwarzen Bauten des Bühnenbilds (Irina Schicketanz) unterstützen die abweisende Atmosphäre des 'Draußenseins'", schreibt Jo Achim Geschke von der Neuen Düsseldorfer Online Zeitung (6.10.2024). "Raphael Germann ist als 'Beckmann' so überzeugend und intensiv, dass es weh tut, ebenso Sonja Beißwenger als 'Der Andere'."
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