My Private Jesus - Düsseldorfer Schauspielhaus
Bitterböses Wünsch-dir-was
28. Mai 2023. Die junge Frau Pi will sich umbringen – und erfüllt den ihr Nächststehenden zum Abschied ihre Wünsche. Was im Ergebnis nicht unbedingt dem Vorgestellten entspricht... Ein komisch-böses Stück hat Lea Ruckpaul geschrieben, das um einen dunklen Kern kreist. Heikel könnte das werden. Aber Bernadette Sonnenbichler umschifft die Klippen souverän.
Von Martin Krumbholz
28. Mai 2023. Was wünschen wir uns wirklich? Also tief-innerlich? Geld, viel Geld? Den perfekten Sexualpartner? Die grenzenlose Wertschätzung aller, mit denen wir es zu tun haben? Und würden wir in letzter Konsequenz wollen, dass unsere Wünsche unbedingt in Erfüllung gehen? Diesen Fragen geht Lea Ruckpaul in ihrem Stück "My Private Jesus" nach, und da Ruckpaul nicht zuletzt Schauspielerin ist (von 2018 bis 2022 war sie am Düsseldorfer Schauspielhaus engagiert), formt sie aus abstrakten Ideen pralle, gut spielbare Theaterfiguren.
Zu weit im Wünschen
Da ist die junge Frau Pi, die ihrem Leben ein Ende setzen will, aus Gründen, die sich nie recht erschließen. Da sind ihre Eltern und ihr Bruder: Der Vater hat beträchtlich was auf dem Kerbholz, die Mutter erwartet, wenn sie ehrlich ist, Dankbarkeit für jahrelange Aufopferung. Es gibt einen Ex-Freund, Ali, eine Freundin aus früherer Zeit, Ewa, und eine aktuelle Freundin, Hanna. Alle dürfen sich was wünschen, als Gegenleistung für den Abschiedsschmerz, so Pis Versprechen, und alle bekommen etwas: das Gewünschte in veränderter Form. So weit die märchenhafte Grundkonstellation des Stücks, das sich eine Komödie nennt, aber als Komödie mit Abgründen entpuppt – mit einem bitteren Kern.
Dem komödiantischen Ansatz kommen die Kostüme von Anna Brandstätter entgegen: surreale, plunder- und plusterartige bleiche Gewänder wie von lebenden Toten. Die Bühne ist ein arenaförmiger Holzverschlag; einzelne Bretter lassen sich herauslösen und zum Verprügeln von Hassobjekten verwenden: denn Hanna, zum Beispiel, weiß sich von Subjekten genervt, die im Netz hetzen, und sollte man denen nicht mal eine Abreibung verpassen? Pi übernimmt den Job, allerdings weit gründlicher, als Hanna es sich vorgestellt hat. Und später geht Pi noch viel weiter: Sie entstellt Hannas schönes Gesicht, weil Hanna etwas "loswerden" will, das sich vermeintlich im Zentrum ihrer Existenz befindet.
Missbrauch als bitterer Kern
So charmant und freundlich Blanka Winkler diese Pi nach außen hin anlegt, so koboldhaft-böse und alles andere als altruistisch agiert sie in Wahrheit. Sie lässt sich nicht ganz fassen, aber offensichtlich definiert sie die Menschen in ihrer Umgebung nach eigenem Gutdünken. Der bittere Kern ist ein Motiv, das Ruckpaul fast zögernd in ihren Text einzubauen scheint. Bernd, Pis Vater, ist pädophil und hat die Kindheitsfreundin Ewa jahrelang missbraucht. Naturgemäß drängt sich ein derart schwergewichtiges Thema, das Phänomene wie Hasskommentare im Netz verblassen lässt, wie von selbst in den Vordergrund.
Doch die Regisseurin des Abends, Bernadette Sonnenbichler, geht klug und subtil damit um. Der kurze Auftritt von Cennet Rüya Voß, die Ewa spielt, aus dem Zuschauerraum heraus, wird zu einem Höhepunkt der Aufführung: Weil Voß ihn vollkommen natürlich interpretiert; sich nicht als Opfer präsentierend, sondern als aufgeklärtes Subjekt. Sie schäme sich, sagt Ewa, und zwar, weil die Gewalt, die ihr angetan wurde, Teil ihrer aktiven Sexualität geworden sei. "Ich will unterscheiden können", sagt sie, "zwischen mir und dem, was mir passiert ist. Ich kann es nicht."
Lapidar versus theaterhaft
Voß' lapidare Interpretation dieser kleinsten Rolle des Abends, die einen tatsächlich den Atem anhalten lässt, hebt sich von anderen Leistungen ab, die denn doch vergleichsweise theaterhaft ausfallen, etwa Florian Claudius Steffens' Interpretation des spielsüchtigen Bruders Thomas oder auch Minna Wündrichs Anlage der schönen Hanna. Tolle, virtuose Darbietungen zweifellos, aber eben ganz und gar: Theater. Als ob. Theater aus einem Guss sozusagen. Ebenso Friederike Wagner als Mutter Monika und Sebastian Tessenow als Ex-Freund Ali. Wolfgang Michalek in der komplizierten Rolle des Vaters Bernd schneidet bei dieser Schauspielergala sogar am besten ab: Seine zögerliche, von Pi geforderte Selbstentblößung des gequälten Täters funktioniert jedenfalls tadellos.
Im Programmheft erklärt Lea Ruckpaul, der Missbrauch sei nicht das zentrale Thema der Familie. Natürlich nicht, weil er ja gar nicht thematisiert wird. Als szenisches Motiv aber lässt sich etwas derart Gewichtiges nicht relativieren. Die Balance gerät hier ein wenig aus den Fugen. Das schriftstellerische Handwerk scheint noch nicht ganz perfekt, dennoch erweist sich "My Private Jesus" als große Talentprobe. Das D'haus hat in diese Uraufführung spürbar viel investiert, und tatsächlich zählt der Abend im Kleinen Haus zu den gelungensten der zu Ende gehenden Saison.
My Private Jesus
von Lea Ruckpaul, nach einer Idee von Eike Weinreich
Regie: Bernadette Sonnenbichler, Bühne und Kostüm: Anna Brandstätter, Musik: Cico Beck, Licht: Thomas Krammer, Dramaturgie: Dorle Trachternach.
Mit: Blanka Winkler, Friederike Wagner, Florian Claudius Steffens, Wolfgang Michalek, Sebastian Tessenow, Minna Wündrich, Cennet Rüya Voß.
Uraufführung am 27. Mai 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.dhaus.de
Kritikenrundschau
"Ruckpaul kann viel, sagt viel, zeigt viel - manchmal auch auf Kosten einer erkennbaren dramatischen Linie", schreibt Lothar Schröder in der Rheinischen Post (30.5.2023). "'My Private Jesus' ist ein ziemlich wildes Stück, ein bisschen eine Groteske, nur schonungsloser." Bernadette Sonnenbichler sei als Uraufführungsregisseurin "eine glückliche, richtige Wahl, die poetische Texte sehr feinsinnig auf die Bühne zu bringen weiß".
Birgit Koelgen schreibt auf ddorf-aktuell.de, es werde "völlig krauses Zeug auf die Bühne gebracht". Immerhin: Ein gewisser finsterer Humor sei manchen Szenen nicht abzusprechen. "Es geht der Autorin aber vor allem um den gesellschaftlichen Rundumschlag. Auch die ökologische Frage werde deshalb schließlich noch gestreift. "Das ist gründlich, macht das Drama aber noch konfuser."
Das Erstlingswerk von Lea Ruckpaul wolle zuviel auf einmal, findet auch Jo Achim Geschke von der Neuen Düsseldorfer Online Zeitung (29.5.2023). Der Kritiker lobt den Abend dennoch, wegen des ausgezeichneten Ensembles, der Ausstattung und der höchst interessanten Inszenierung, die Sonnenbichler aus dem schwierigen Text geschaffen habe.
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