Was Ihr wollt - Jürgen Gosch färbt William Shakespeare
Paint it black!
von Christian Rakow
Düsseldorf, 19. Oktober 2007. Beim Abholen der Karten: "Ca. 4 Stunden" soll dieser Shakespeare also dauern (so lang?). Und "Was ihr wollt" schreiben sie etwas provokant mit drei Ausrufezeichen (was ihr schon wollen könnt!!!). Da drängt sich gleich eine Reminiszenz auf: Was meinte vorgestern der ältere Herr zu seinem Begleiter auf der Theatertoilette im Hamburger Thalia? "Wäre schön, wenn es nicht schön wird. Dann können wir zur Pause gehen. Den Frauen ist heute auch mehr nach Restaurant."
Schön, wenn es nicht schön wird. In Düsseldorf, bei Jürgen Gosch blieb der Wunsch unerfüllt. Es wurde schön, sehr schön sogar. Und doch hat, wer zur Pause ging, nicht alles verkehrt gemacht.
Da ist er wieder …
Auf die imposanten, leicht das Publikum spiegelnden Messingwände, die wie ein riesiger Karton offen zur Rampe hingestellt sind (für Auf- und Abgänge zur ersten Publikumsreihe), kriegt man nur beim Einlass einen ungetrübten Blick. Sofort erscheint Herzog Orsino (Guntram Brattia), mit wegwerfender Geste, aber hochgekrempelten Hemdsärmeln, und malert sie flächig, tiefschwarz an. Kurz darauf schießen die ersten Ladungen Wasser durch den Bühnenraum (der ist – wie gewohnt – von Johannes Schütz).
Ein schmieriges Gemisch entsteht – für pralle Sudelei. Stöhnen und ein gelegentliches "O Gott" im Publikum bezeugen, dass man sich hier erinnert. Da ist er wieder, der Gosch, der vor 2 Jahren einen ungekannt schmutzigen, blutverschmierten "Macbeth" ins Düsseldorfer Haus gebracht hat. Und tatsächlich zeigt sich "Was ihr wollt" eingangs in ähnlicher Weise inspiriert und zupackend.
Ein ferner Hall von Liebe
Die Seelen tragen Trauer. Orsino darbt an der unerwiderten Liebe zu Gräfin Olivia (Kathleen Morgeneyer), die seit dem Tod ihres Bruders zurückgezogen lebt. Als sich die Gräfin in Orsinos Gesandten, den jugendlichen Cesario verliebt, ereilt auch sie der Liebeskummer. Denn Cesario ist niemand anderes als die verkleidete Viola (Katharina Lorenz), die selbst wiederum heimlich ihr Herz an Orsino verloren hat.
Das Schmerzliche an diesem jeweils unerfüllten Begehren: Goschs Regie nimmt es auf und rückt es ins Existenzielle. Während der Messingraum das leise Sprechen und alle Nähe verschluckt, dringt Musik noch durch: "Es klingt wie Widerhall von jenem Ort, an dem die Liebe wohnt", sagt Viola. Undenkbar, dass jener Ort aus dieser Messingbox heraus zu erreichen wäre.
Um Wortspiele verlegen
Wo aber das Rettende nicht mehr anzunehmen ist, da gewinnen die Akteure eine wunderbar nonchalante Haltung gegenüber dem eigenen Dasein. Sie suhlen sich im Dreck, schonen sich nicht, bleiben dabei stets unaufgeregt und mit aller Zeit der Welt ausgestattet. Die Saufbrüder Toby (Michael Abendroth) und Andrew (Matthias Leja) brillieren mit lakonischen Einlagen und Alters-Sarkasmen à la Walter Matthau. Katharina Lorenz bringt mit staksigen Bewegungen und gezielten Griffen in den Schritt ihren bezaubernd androgynen Cesario hervor. Und die Zofe Maria (Claudia Hübbecker) bewahrt auch im dunkelsten Bühnendreck einen unantastbar kühlen Putzfrauenappeal.
Im Zentrum aber gibt der fabelhafte Horst Mendroch einen Narren, voll stiller Traurigkeit, um Wortspiele mehr verlegen als um ein hingeworfen weltbedeutendes Schulterzucken. Seine brüchigen, dissonanten Lieder sind die berührenden Höhepunkte dieser Komödienverdüsterung.
Gesäubert
Gute zweieinhalb Stunden lang sehen wir so großes Theater. Dann geht dem Abend mit Beginn der Malvolio-Verstrickungen der Atem aus. In der Posse um den ambitionierten Diener, der im Liebesglühen für seine Herrin Olivia fehlgeleitet wird, verliert sich die Inszenierung an die Längen des Plots. Fritz Schediwy, der uns zunächst glanzvoll mit der überheblichen Gelassenheit eines Wiener Oberkellners begegnet, sucht dann das Herrische im Diktatorengestus, zerdehnt Rede und Spiel. An ihm allein liegt es nicht. Allerorten verliert das Spiel an Präzision und Einfallsreichtum. Wo Begehren und Ansprache war, dominiert zunehmend bloße Deklamation, was als Langsamkeit begann, wird Zähigkeit.
Die Bühne wird zur Pause für den zweiten Teil gesäubert, doch das Finale bleibt konsequent antiillusionistisch. Ein Happy End im Ton der Grabrede – für (viele Male) Liebe, die nicht blühen konnte. Dann singt der Narr zum Abschied. Schön. Spät.
Was ihr wollt
von William Shakespeare
Deutsch von Angela Schanelec
Regie: Jürgen Gosch; Bühne und Kostüme: Johannes Schütz; Licht Franz David; Dramaturgie: Christine Besier. Mit: Guntram Brattia, Katharina Lorenz, Ilja Niederkirchner, Rainer Galke, Kathleen Morgeneyer, Claudia Hübbecker, Fritz Schediwy, Michael Abendroth, Matthias Leja, Götz Schulte, Horst Mendroch.
www.duesseldorfer-schauspielhaus.de
Kritikenrundschau
Gosch "geht volles Risiko", beobachtet Andreas Rossmann (FAZ, 23.10.2007), denn bei ihm gehe es – im Unterschied zu Elmar Goerdens Bochumer Inszenierung von "Wie es euch gefällt" (siehe hier) – "ums Ganze". Aus dem "Blut und Kot" des "archaischen 'Macbeth' von vor zwei Jahren wird eine schwarzwässrige Schmiere, die das Theater genau dazu aber nicht macht und alle Gewissheiten in Frage stellt". Und wie Gosch "ohne jede Prätention und aus dem Stand heraus die Figuren in extreme Nöte versetzt", wie er sie "mit elementaren Mitteln auf die nackte Existenz zurückwirft", das mache ihm so schnell keiner nach. Allerdings käme der "Kern des Stücks" dabei zu kurz; und überhaupt mangele es dem Abend an "Rhythmus und Relation, Zeit und Maß": "Jürgen Gosch wird mit Shakespeare nicht fertig."
Was Jürgen Gosch an Ideenreichtum und schauspielerischer Präsenz vom ersten Moment an herzustellen vermag, "zerfällt und zerfasert nach der Pause", schreibt Annette Bosetti in der Rheinischen Post (23.10.2007): "Ab kurz vor elf passiert wenig Neues in Illyrien." Zuvor aber ließ die schwarze Farbe die Kritikerin rätseln, um dann festzustellen: "Im Verbund mit reichlich verspritztem Wasser ergibt sich manche Sudelei, auch böse Aggression. (...) Doch die Sprache wird keinen Moment zugekleistert in diesem Spielergefängnis, selbst wenn Gartenschläuche auf nackte Komparsen zielen und diese in elementare Lebenssituationen zurückwerfen." Die Geschichte, meint sie überdies, "stichelt" Gosch "in Momente voller Zauber und Verrücktheit. So wie es ihm gefällt: männlich und mit Längen."
Marion Meyer (Westdeutsche Zeitung, 22.10.2007) hat zwar einen langen, aber keinen "großen" Theaterabend gesehen. Die Haupthandlung bleibe blass, den "bunten Nebenfiguren" gebe Gosch dagegen "enormen Raum, sich zu entfalten. Vor allem der erste Teil des Abends bis zur Pause sprüht vor witzigen Ideen und komödiantischen Highlights." Als köstliches Duo infernale trieben der versoffene Sir Toby Belch (Michael Abendroth) und der tölpelhafte Sir Andrew (Matthias Leja) "ihre derben (Männer-)Späße", wobei der "Grat zwischen Komik und Albernheit" sehr "schmal" sei. Im zweiten Teil aber verpuffe der Effekt vieler szenischer Ideen. Und "worum ging es eigentlich nochmal", fragt sich die Kritikerin: "Das scheint nach über vier Stunden völlig nebensächlich."
Gosch wäre nicht Gosch, weiß Günther Hennecke in der Kölnischen Rundschau (22.10.2007), "gäbe es nicht immer wieder auch geniale und packende Einzelszenen in einer Inszenierung, die freilich zusehends zerfasert und in klamottige Szenen abrutscht". Im sich ausbreitenden inszenatorischen Chaos verliere selbst Malvolio die Faszination, die ihm Fritz Schediwy zuvor "mit grandiosen Selbstüberschätzungs-Posen" verliehen habe. Toby und Andrew, "ein wahrhaft irre-komisches Alkoholduo", ließen sich von keinen Späßen abhalten. Und: "Soviel Küsse zwischen männlichen Heteros dürfte es auf einer Bühne selten gegeben haben", meint Hennecke und berichtet von "enormem" Applaus.
Vasco Boenisch (Süddeutsche Zeitung, 22.10.2007) meint, eine ebenso anrührende wie amüsante und aggressive Inszenierung gesehen zu haben. Allen "Nudisten-Chronisten und Fäkalien-Pharisäern" kann er aber versichern: "Die Geschlechterkomödie 'Was ihr wollt' wird nicht zur Geschlechtsteilkomödie. Und gesudelt wird ohne Ekel-Alarm." Vielmehr bleibe Gosch dicht am "Kern" des Dramas, den er "so scharf wie spielerisch herausschält", ohne ein "Gender-Konzept" bemühen zu müssen: "Wie Gosch Schmerz und Scherz unangestrengt wechselt und gleichberechtigt verbindet in jener Ambivalenz, die das Leben ausmacht: Das ist große Kunst." Denn "auf Goschs Bühne wird nicht behauptet, sondern (aus-)gelebt". Herr Boenisch ist entzückt: "So wahrhaftig, wie man es selten sieht."
Als "kurzweilig" hat auch Stefan Keim (Die Welt, 22.10.2007) den Abend erlebt: "Die Zeit verfliegt, staunend schaut man den Schauspielern zu, die sich völlig dem Augenblick hingeben." Jürgen Gosch lasse die "knackig aktualisierte" Übersetzung von Angela Schanelec spielen und habe kaum gestrichen. Und "auch das Ausstellen männlicher Genitalien, die zuletzt manchen Rezensenten nervten, ist auf ein dem Stücke dienliches Maß reduziert". Jürgen Gosch sei, urteilt Herr Keim mit Befriedigung, "wieder auf dem richtigen Weg. Er erfindet seinen Stil nicht komplett neu, treibt ihn aber weiter ins Extreme. Sein ohnehin rauschhaftes, extrem körperliches, spontanes Theater scheint nun die Grenzen der Zeit sprengen zu wollen, sich zu einem dionysischen Spektakel zu entwickeln."
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