Es dröhnt die Tonspur, es zucken die Silben

Von Regine Müller

Düsseldorf, 24. November 2010. Himmelblaue Samtvorhänge rahmen die Bühne und den Zuschauerraum ein. Neonlampen werfen kaltes Licht in eine Ödnis, die an realsozialistische Multifunktionsräume erinnert. Die Bühne ist leer bis auf ein paar sehr kleine Lautsprecher, im Zuschauerraum sind die Sitzreihen abgebaut, auf den übrig gebliebenen Stufen liegen dünne Sitzkissen, auf denen man mehr hockt als sitzt. An der rechten Seite der Tribüne fehlen die kargen Polster, um eine Gasse für die Darsteller zu bilden.

Einen Raum für ein armes, asketisches Theater hat Claudia Bosse mit dem Wiener theatercombinat im Düsseldorfer Juta-Theater – eine der beiden Spielstätten des Forum Freies Theater der Landeshauptstadt am Rande ihrer weihnachtsmarktseligen Altstadt – gebaut, um ihre neueste Theaterarbeit aus der Taufe zu heben.

Herzklopfen vom Band

Die Erwartungen sind hoch, denn die Wiener Truppe ist hoch dekoriert und gilt als ausnehmend innovativ. Entsprechend voll sind die Reihen, die Off-Szene der Region ist angereist.
Es beginnt mit einer rauen, erloschenen Frauenstimme vom Band, die auf Englisch von ihrer Drogenkarriere berichtet, Yoshie Maruoka mustert derweil streng schweigend das Publikum. Dann deklamiert sie Texte, die von sozialer Gerechtigkeit und Sozialismus handeln und schlenkert dabei rhythmisch mit den Armen, akustisch unterlegt von elektronischem Fiepen und Rattern aus den Lautsprechern.

Das nächste Solo gehört Ulrike Meinhof aus dem Off, die über die Koordinationsprobleme von Kindererziehung und ihrer hauptberuflich revolutionären Tätigkeit berichtet. Dann hört man Herzklopfen vom Band, der nächste Textblock fordert lamentierend das Erlernen des autonomen Lebens ein, bevor die Grenzerfahrungen einer Sexarbeiterin referiert werden.

Im Lamento-Brei

So geht das immer weiter: Vier Darsteller deklamieren im hohen Ton aus allen Ecken zusammen geklaubte Textfragmente und lassen sie im Raum stehen. Aus dem Off raunen zwischendurch und währenddessen Zeitdokumente: Der eiserne Kanzler Helmut Schmidt beschwört in einem Loop immer wieder die parlamentarische Demokratie angesichts der RAF-Bedrohung, Saddam Hussein und ein Simultandolmetscher übertönen mit krähenden Parolen seinen Richter während der Urteilsverkündung.

Gesetzestexte werden verlesen, postmoderne Philosophie, Globalierungskritik, Baudrillard etc., alles, was gut und teuer ist, Zitate aus Wagners "Tristan" werden aufgesagt und in einem gefühlt halbstündigen Crescendo die Kapitelüberschriften aus Marx' "Das Kapital" skandiert. Zwischendurch wird gerannt, über die Zuschauer geklettert und konvulsivisch gezuckt, die Tonspur dröhnt und dräut dazu.

Das alles will hoch ambitioniertes Texttheater sein, bleibt aber leider stocksteif und bierernst. Zumal die Texte in kein Verhältnis zueinander treten, sondern bloß zu einem einzigen Lamento-Brei zusammen schwappen. Dem Ganzen fehlen Rhythmus und Drive und letztlich auch Aktion, die sich mit Schüttelkrämpfen oder glotzender Katatonie kaum ersetzen lässt. Zwischen altbackener Agitation und Belehrung breitet sich alsbald lähmend die Beliebigkeit eines humorfreien Rundumschlags aus.

So ziehen sich die zwei Stunden dann doch arg. Irgendwann ist es dann doch auf einmal vorbei. Enden wollender Applaus.

Vampires of the 21st Century oder Was also tun?, Uraufführung
von Claudia Bosse / theatercombinat
Konzept, Regie, Raum: Claudia Bosse, Sound: Günther Auer
Mit: Frédéric Leidgens, Nora Steinig, Caroline Decker, Yoshie Maroula.

www.forum-freies-theater.de


Mehr zu Claudia Bosse im nachtkritik-lexikon: hier.

 

Kommentare  
Vampires, Düsseldorf: nicht beliebig
Für mich ist Claudia Bosses "Vampires..." ein im allerbesten Sinne herausfordender Theaterabend. Das Einlassbild: ein leerer Saal, leergefegt, vielleicht wie "nach der Orgie"? Unheimlich, ein bißchen an David Lynch erinnernd. Vielleicht auch Beerdigungsinstitut. Dann hört man die Stimme von Nan Goldin, die darüber spricht, wie sie zum Fotografieren gekommen ist und wie sie vom Leben in der Dunkelheit ins Tageslicht zurückfand und warum sie ihre Arbeiten als Hommage begreift. Dazu wird dann ein O-Ton von Ulrike Meinhof gestellt: Man kann zuhause seine Kinder nicht nicht schlagen, ohne sich an den politischen Kämpfen in der Gesellschaft zu beteiligen. So ungefähr. Dann ein Text, der beschreibt, wie der Sozialismus auf Kosten zukünftiger Generationen Gerechtigkeit verspricht aber dabei höchst ungerecht gegenüber den Lebenden ist. Will mich hier nicht in Beschreibungen verlieren. Nur, die Auswahl der Texte ist alles andere als beliebig! Die Art und Weise, wie Texte durch die Darsteller verkörperlicht und verräumlicht wurden, so würde ich es nennen, und wie andererseits die dokumentarischen O-Töne einen historischen Gedächtnisraum geöffnet haben, fand ich ungeheuer spannend. Ganz abgesehen von der Dynamik der Geschlechter- und Generationenspannung, die durch die Besetzung entsteht. Was dem einen Lamento-Brei, rettet dem anderen seinen Glauben an die Möglichkeiten des Theaters. Ich werd mir die Aufführung auf jeden Fall noch einmal ansehen!
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