Der Witz der Melancholie

von Stefan Keim

Düsseldorf, 23. April 2016. Eine Stimme quäkt aus dem Lautsprecher. Wie ein Mantra wiederholt sie, dass Gott das "Ende von der Welt" kenne und man sich deshalb mit ihm gut stellen sollte. Kornelius Heidebrecht sitzt am Klavier und schlägt zunächst stimmlose Tasten an. Die speichert er als Loop im Computer, spielt den Rhythmus ab und improvisiert dazu Akkorde und Melodiefetzen. Die anderen kommen dazu, nehmen sich Instrumente, steigen ein. So entsteht die Ouvertüre des Theaterkonzerts "Wenn ich was hören will, muss ich aufs Dach".

Tradition feinen Theaterhumors

Das Theaterkollektiv subbotnik versteht sich als Band. Die Aufführungen laufen ab wie Konzerte. Ständig verändern Kornelius Heidebrecht, Martin Kloepfer und Oleg Zhukov Kleinigkeiten und Übergänge, probieren etwas aus, lassen anderes weg. Seit der Gründung 2012 hat subbotnik einige Stücke entwickelt, auf mehreren Off-Festivals gespielt und zuletzt mit dem Schauspiel Köln koproduziert. Der Begriff "subbotnik" bezeichnet die zwangsfreiwillige Extra-Arbeit an Feiertagen im kommunistischen Ostblock. Zwei aus dem Trio haben osteuropäische Wurzeln, der Name zeigt schon die spezielle Ironie dieser Gruppe, Traditionslinien der feinen literarischen Groteske sind stets zu spüren.

Heidebrecht ist Musiker, Kloepfer Regisseur, Zhukov Schauspieler und Autor. Im Rahmen von subbotnik macht jeder alles, auf hohem Niveau. Es sind leise, versponnene, unberechenbare Abende voller Zwischentöne. Etwas Eigenes, das quer zu den gängigen Theatermoden liegt. Vielleicht gibt es Berührungspunkte zu Marthaler, Clemens Sienknecht oder David Marton, aber eben nur Berührungspunkte.

Flucht in den Traum

Für das Theaterkonzert haben die drei Töne aufgenommen, in Restaurants, Zügen, U-Bahnen oder draußen auf der Straße. Aus diesen Lauschangriffen auf die Realität wurden Inspirationsquellen für Geschichten, Szenen und Songs. Zum Teil sind die Aufnahmen schwer zu verstehen, dann sprechen die Performer die Sätze. Oder sie treten mit ihnen in einen Dialog. Sabine zum Beispiel hat ihren Mann angerufen, der gerade Zug fährt. Sie steht anscheinend an der Kasse im Supermarkt, und die Kreditkarte funktioniert nicht.

Wennichwas1440 560 Annette Jonak uDrei von der Tankstelle? Jedenfalls ein Trio mit Musik, feinem Humor und einer Frau an der Seite
in subbotniks neuer Produktion © Annette Jonak

Eingespielt werden die Antworten des Mannes, was Sabine sagt, hat sich subbotnik ausgedacht. Oleg Zhukov steht im Kleid auf der Bühne und erträgt die demütigenden Anweisungen des Mannes am Telefon, der seine Frau anscheinend nicht für die Hellste hält. Irgendwann verlässt Sabine/Zhukov einfach das Gespräch und träumt sich in eine märchenhafte Welt hinein, in der es schneit. Hier will sie erst mal bleiben, sagt sie, sie rufe zurück. Das klingt nicht so, als ob sie es täte.

Alltäglichkeiten bekommen etwas Skurriles in dieser Aufführung, eine poetische Überhöhung. Ein Betrunkener sitzt in der U-Bahn. Drei Sicherheitsleute – zwei Frauen und ein Mann – schreien ihn an, dringen aber nicht zu ihm durch. Ein Mann protestiert: "Kein Mensch heißt Du da!" Die Sicherheitsleute bilden einen Chor, klagen darüber, dass ihre Arbeit ihnen auch keinen Spaß mache. Irgendwann steht der Betrunkene einfach auf und geht.

Ein Lautsprecher mit Höhenangst

"Wenn ich was hören will, muss ich aufs Dach" ist eine Ansammlung solcher Geschichten. Sie sind nicht sensationell, sondern fast schon gewöhnlich. Eben darin liegt ihr Reiz, zumindest wenn sie so subtil und sanft ver-rückt werden wie es subbotnik tut. Da geht es um einen Kinobesuch in Thailand, wo die Zuschauer sich nicht auf den Film "The Revenant" konzentrieren. Und plötzlich singt Martin Klöpfer einen Blues aus der Perspektive Leonardo di Caprios, der darum bittet, seinem oscarprämierten Stöhnen doch bitte zuzuhören.

Wennichwas1510 560 Annette Jonak uAlltägliches und Beiläufiges mit Kornelius Heidebrecht, Oleg Zhukov, Martin Kloepfer 
© Annette Jonak

Ein leiser, intensiver Song voller Gefühl und Ironie. Man schmunzelt, dann wieder nicht, dann doch wieder. Die Poesie von subbotnik findet genau auf dem schmalen Grat zwischen Witz und Wehmut statt. Sogar eine Lautsprecherbox bekommt eine Seele und verlangt danach, auf einem Tisch stehend sanft geschaukelt zu werden. Damit sie ihre Höhenangst überwindet.

Subbotnik sucht nach dem Zauber, der allen Dingen innewohnt. Kornelius Heidebrecht erklärt die Depression als grundlegende Geisteshaltung, um überhaupt offen zu sein für die Geräusche der Welt. Um keinen Filter zwischen sich und all den anderen Menschen zuzulassen, deren Gerede auf einen einströmt. Dann, in der künstlerischen Verarbeitung des Gesammelten, entstehen Momente voll Humor, Wärme und Menschlichkeit. Ohne auch nur in die Nähe des Kitsches zu geraten.

Kleines Sicherheitsnetz

Dafür sorgt die große Aufrichtigkeit mit der Heidebrecht, Kloepfer und Zhukov – hier unterstützt vom Kontrabassisten Nico Brandenburg - auf der Bühne stehen. Zwischen ihnen und dem Publikum gibt es ebenfalls keinen Filter. Ein subbotnik-Abend ist ein gemeinsames Träumen und Spinnen. Nichts kann melancholischer Sein als ein Witz, nichts lustiger als ein verzweifelter Kampf, sich im chaotischen Leben ein Sicherheitsnetz aufzuspannen. Manchmal verliert man sich in der Absurdität, findet aber immer zurück. Es ist ein freundliches, entspanntes Theater. Wellness für Intellektuelle? Vielleicht. Haben wir auch mal nötig.

Wenn ich was hören will, muss ich aufs Dach
von subbotnik
Produktionsleitung: Armin Leoni, Dramaturgische Beratung: Felizitas Kleine.
Mit: Kornelius Heidebrecht, Martin Kloepfer, Oleg Zhukov und Nico Brandenburg (Band).
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.fft-duesseldorf.de

 

Kritikenrundschau

Der Abend besteche durch eine unkonventionelle Erzählweise, so Florian Sawatzki in der Westdeutschen Zeitung (25.4.2016).  Er sei ein "Klang- und Seherlebnis, dass das Alltägliche zum Thema hat – und aufgrund der abwechslungsreichen Inszenierung ganz und gar nicht alltägich wirkt." Dabei blitze immer wieder das komödiantische Talent der drei Künstler auf.

 

Kommentare  
Wenn ich was hören..., Düsseldorf: genauer formulieren
Depression ist keine Geisteshaltung, sondern eine Krankheit, in der wirklich nichts, aber auch gar nichts dazu auffordert, das Schöne in kleinen Dingen zu sehen. Bitte etwas genauer formulieren!
Wenn ich was hören will..., Düsseldorf: sorry und Dank
Das stimmt, lieber DM, da habe ich geschludert, und das wurde auch in der Vorstellung nicht wörtlich so gesagt. Danke für die Korrektur.
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