Cyrano de Bergerac - Dominique Horwitz spielt in Recklinghausen Rostands großnasigen Dichter
In der Profiküche
von Regine Müller
Recklinghausen, 1. Juni 2011. Es gibt Stücke mit eingebauter Regie-Falle. Die zuverlässig und unbarmherzig zuschnappt, wenn ein Regisseur frei Haus gelieferten Pointen die Ambivalenz opfert. Und es sich bequem macht in der wie von selbst abschnurrenden Dynamik eines gut gebauten Textes. Edmond de Rostands "Cyrano de Bergerac" gehört zu diesen Risiko-Kandidaten.
Die Gefahr droht vom Boulevard. Dabei ist die Geschichte des tragischen, romantischen Liebenden, des Freidenkers und Dichters Cyrano, dessen schöne Seele in einem hässlichen Körper gefangen ist, gar nicht so lustig. Denn der Titelheld ist mit einer monströsen Nase begabt und ob dieses buchstäblich hervorstechenden Makels derart befangen, dass er sich nicht traut, um seine heiß geliebte Cousine Roxane zu werben. Die Angst vor Zurückweisung oder gar vor Spott ist übermächtig. Als der schöne Christian auftaucht, dem Roxane zugetan scheint, ergibt sich für Cyrano die zweifelhafte Chance eines amourösen Ghostwritings. Denn der gute Christian ist zwar ein hübsches Kerlchen, aber von schlichter Intelligenz und zudem gänzlich unfähig, den Hunger Roxanes nach wohl formulierten Liebesbriefen zu stillen. Das aber ist Cyranos ureigenstes Terrain, der fortan diesen Dienst für Christian übernimmt. Die Sache endet tragisch, der Schönling wird im Krieg hinweggerafft, bevor der Schwindel aufgeklärt werden kann, der edle Cyrano will ihn posthum nicht schmähen und behält sein bittersüßes Geheimnis so lange für sich, bis er selbst tödlich verwundet Roxane sowohl seine Liebe als auch seine Autorschaft gesteht.
Das Basilikumtöpfchen bleibt eisern stehen
Kürzlich hat Katharina Thalbach Rostands hintersinnige Komödie in Bochum gründlich versemmelt, indem sie keine Plattheit ausließ. Armin Rohde in der Titelrolle konnte die Sache nicht retten. Auch Dominique Pitoiset gelingt es nun in Recklinghausen nicht, die Boulevard-Falle zu umgehen. Und auch hier schafft es ein zugkräftiger Star – Dominique Horwitz als Cyrano – nicht, den Abend zu retten. Das Multitalent Horwitz gehört neuerdings zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, mit dem die Ruhrfestspiele koproduzierten.
nachtkritik.de hat alles zum Theater. Damit das so bleibt, spenden Sie hier!Kattrin Michel hat eine chromblitzende Profiküche auf die Bühne des Festspielhauses gebaut. In der Mitte die Kochinsel, rechts ein Arbeitsplatz mit Flachbildschirm, links eine Waschecke. Dieses Setting muss nun den ganzen Abend als Einheitsbühne herhalten, verbraucht sich in seiner Konkretion aber sehr rasch. Egal ob Balkonszene oder Kriegsgetümmel, das Basilikumtöpfchen bleibt ebenso eisern stehen wie die Backwaren auf der Arbeitsplatte.
Verdruckstes Skype-Coaching
Das gesamte Rostand'sche Personal wird mehr oder weniger in eine Küchenhierarchie gequetscht. Das geht natürlich nicht auf, und gegen Ende rettet sich der Regisseur dann doch noch ins Kostümstück, wenn er Graf Guiche mit Federhut auftreten lässt und Roxane in ein albernes rosa Taftkleidchen mit Strassdiadem steckt.
Horwitz gibt derweil in Fleischer-Gummistiefeln mit Küchenhandtuch um die Hüften den Koch-Philosophen, alle anderen hantieren mit Messern, Besen, Töpfen und Tiegeln. Profil gewinnt dabei einzig Horwitz, der mit mäßig großer Klebenase dem Komödien-Affen zwar tüchtig Zucker gibt, aber sehr wohl um leisere Töne und um Differenzierung bemüht ist. Seine Diktion ist dabei von natürlicher Selbstverständlichkeit, er spielt mit dem Text, hört seiner Poesie nach und fürchtet sich nicht vor Emphase. Die berühmte Balkonszene, in der Cyrano dem tumben Liebhaber souffliert, wird in Recklinghausen zum verdrucksten Skype-Telefonat. Eine Szene, die Horwitz mit größter Eleganz und kraft seiner Bühnenpräsenz grandios rettet.
T-Shirt-Model vor Bistro-Musik
Daneben bleiben das "schöne" Paar erschreckend blass: Anne Schäfer sollte wohl ziemlich heutig burschikos wirken, kann Roxanes Sucht nach Verführung durch Worte aber kein bisschen glaubhaft machen, Aleksandar Radenkovic steht so steif herum, als hätte sich ein T-Shirt-Model auf die Theaterbühne verirrt.
Das Ganze wird grundiert von einer charmanten, très francais timbrierten Bistro-Musik mit gestopfter Trompete, Akkordeon und leise wimmerndem Harmonium. Die Spannungs-Durchhänger kann diese zudem recht unklar verortete Stimmungsgrundierung nicht auffangen.
Cyrano de Bergerac
von Edmond Rostand
Regie: Dominique Pitoiset, Bühne und Kostüme: Kattrin Michel, Musik und Komposition: Peer Baierlein, Christian Gerber, Licht: Annette ter Meulen, Dramaturgie: Frank Behnke.
Mit: Dominique Horwitz, Anne Schäfer, Aleksandar Radenkovic, Hanns Jörg Krumpholz, Michael Prelle, Erik Schäffler, Jürgen Uter, Martin Pawlowsky, Herbert Schöberl, Juliane Koren, Julian Horeyseck, Hauke Kleinschmidt.
www.ruhrfestspiele.de
Mehr zu Edmond Rostands langnasigem Helden? Im Januar 2011 inszenierte Katharina Thalbach den Klassiker in Bochum, Cilli Drexel machte daraus im Juli 2008 Heidelberger Sommertheater.
Dominique Horwitz spiele den Cyrano "bemerkenswert gut", sagt Ulrike Gondorf auf Deutschlandradio (2.6.2011). "Er trumpft komödiantisch auf, wenn seine Schlagfertigkeit (mit Worten oder beim Duell) gefordert ist, er denkt schnell und bewegt sich gewandt. Aber er findet auch ganz leise, brüchige Töne". Das Material, aus dem Horwitz sein Figur entwickle, sei "zuallererst die Sprache", Horwitz und der Regisseur Dominique Pitoiset seien "hier auf einer Spur, die in deutschen Aufführungen allzu oft vernachlässigt wird. Der Abend in Recklinghausen zeigt, dass romanische Sprachbewusstheit, die Lust an der Formulierung, aber auch an Artikulation und Klang, die eigentliche Lebensader dieses Versdramas aus der 'L'Art pour l'Art' -Bewegung ist." Der Überraschungseffekt des Küchen-Settings hingegen nutze "sich schnell ab, und die vorgeblich konkrete soziale Situation der Figuren beschädigt die Glaubwürdigkeit ihrer ohnehin hochkomplizierten und äußerst ästhetisierten Gefühlslage."
Auch Andreas Rossmann ist in der Frankfurter Allgemeinen (3.6.2011) von der Idee der Inszenierung, das Stück in eine Küche zu verlegen, wenig begeistert: "Was die Nase kitzelt, füllt nicht den Magen. Der Grundeinfall trägt nicht über die ganze Menufolge." Wie Horwitz jedoch "den schüchternen Liebhaber mit dem Trotz des Aussichtslosen und klammheimlich masochistischer Freude spielt, deutet an, dass für die Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg ein Michelin-Stern durchaus drin gewesen wäre: wenn, ja wenn er gleichwertige Mitspieler gefunden und die Regie ihn nicht doch zu sehr an der Nase herumgeführt hätte."
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von Cyrano de Bergerac zu sehen und bin noch in Schock starre.
In einer Küche! Auf der grössten Sprechbühne!
In einer Küche halb naturalistische Vorgänge spielen und weil man selber schon nicht mehr an die Idee glaubt, immer schön, wie in der schlimmsten Provinzposse, an die Rampe marschieren und Text sagen, um dann wieder so ein bisschen Küche zu spielen.
Ich kann nicht verstehen wie die ja doch irgendwie verantwortliche Interimsleitung solch ein Ergebnis vertreten kann.
Nach Robert Guiskart ein Weiterer Höhepunkt der Koproduktionen mit Recklinghausen. Wenn das Geld fehlt dann doch lieber kleine, innovativere, mutigere Produktionen, als kalkuliertes Star-Theater.
Es ist doch immerhin das deutsche Schauspielhaus, Herrgott!
Eine Pause gab es nicht. Natürlich nicht. Glücklicherweise nicht.
Sobald die Schauspieler sich warm gespielt hatten, die Texte sauberer artikuliert wurden, die Küche nicht mehr Handlungsort sondern Staffage war, wuchs die Faszination der Inszenierung. Horwitz und Schäfer entfalteten ihre Schauspielkunst, ohne die der Regisseur allerdings aufgeschmissen gewesen wäre. Ja, es gab auch weiterhin Brüche in der Inszenierung, die bei mir ein gewisses Gefühl der Befremdung bis zum Schluss aufrechterhielten.
Aber der Genuss an denTexten und an der Kunst des großartigen Horwitz, an der leicht widersprüchlichen Figur Roxane und deren Darstellerin Anne Schäfer, an dem präzisen Witz der Juliane Koren oder der anrührenden Auftritte des Michel Prelle hat nicht nur meine Hände beim Schlussapplaus vor Begeisterung erröten lassen.