Die Zofen - Jakob Fedler betont in Wuppertal die Nähe zwischen Genet und Beckett
Nach dem Tod ist vor dem Spiel
von Sascha Westphal
Wuppertal, 11. November 2017. Die hellgraue, etwa einen Meter hohe Rampe, die dann in eine ebene, nicht sonderlich tiefe Spielfläche übergeht, ist so steil, dass sie nur schwer zu erklimmen ist. Im Hintergrund erhebt sich eine sogar noch deutlich steilere schräge Wand, in deren Zentrum, gerade außerhalb der Reichweite der schon auf der Bühne stehenden Zofen, ein Gewölk aus farbigen Stoffbahnen hängt. Ein Raum also, der einen durchaus zur Verzweiflung treiben kann. So kahl und kalt, dass er kaum weiter vom herrschaftlichen Schlafzimmer der "gnädigen Frau" entfernt sein könnte, das Genet vor 70 Jahren als Luxus-Gefängnis imaginiert hat. Der Aufstieg, von dem die Domestiken-Schwestern und Gummihandschuh-Würgeengel Claire und Solange träumen, ist hier unmöglich. Dafür ist es umso leichter, abzurutschen und zu stürzen. Aber auch dieser Traum von Mord und vom Schafott, von Ächtung und Bewunderung, erfüllt sich nicht. Claire und Solange fallen nicht. Als eine von ihnen ganz nah an der Rampe steht und sich gefährlich nach vorne beugt, hält die andere sie fest.
Dorien Thomsens schlichtes und doch so aussagekräftiges Bühnenbild deutet es schon an: Jakob Fedler hat "Die Zofen" in Wuppertal nicht nur von allem Staub befreit, der sich seit der Pariser Uraufführung auf Genets barocker Sprachphantasie angesammelt hat. Er verweigert sich auch der anarchistischen Verbrechensromantik des Stücks. Ihm schwebt etwas ungleich Existenzielleres vor, ein Endspiel aus dem Geiste Becketts, das sich zugleich noch an Schillers berühmter Sentenz "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt" abarbeitet. Allerdings gilt für die beiden von Lena Vogt und Philippine Pachl verkörperten Zofen, dass sie überhaupt nur in ihrem Spiel wirklich zu Menschen werden. Wenn sie nicht spielen können, hören sie auf, lebendige, also fühlende und träumende, leidende und handelnde Wesen zu sein. Sie erstarren zu animierten Statuen, die nur darauf warten, die nächste Runde ihres Spiels einzuläuten.
Nur wer spielt, ist ganz bei sich
Es dauert, bis der erste Satz erklingt. Zunächst stehen Claire und Solange an der hinteren Wand, die eine ganz rechts, die andere links. Lena Vogt eröffnet schließlich das Spiel mit einer grotesken Pantomime. Ihre Claire schlüpft in die Rolle der gnädigen Frau, fängt an zu zucken und stirbt schließlich einen überaus theatralischen Tod. Der Wunsch der Zofe, ihre Herrin zu morden, ist ein absurdes Spiel, das sich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wiederholen wird. Nur ist es dann Philippine Pachl, die zuckend und zitternd sterben wird.
Aber zurück zum wortlosen Beginn. Nach dem Tod ist vor dem Spiel. Als seien sie Laurel und Hardy in einer burlesken Stummfilmkomödie, schneiden Pachl und Vogt Grimassen und zelebrieren große Gesten. Nicht einmal der alte Gag, in dessen Verlauf Solange ihre Schwester dazu verführt, sich zu bücken, nur um sie dann von hinten zu treten, darf in dieser Slapstick-Choreographie fehlen. Und wie einst Samuel Finzi und Wolfram Koch in den ersten Minuten von Dimiter Gotscheffs Berliner Inszenierung von Aischylos’ Die Perser, bei der Fedler assistiert hat, gelingt es auch Lena Vogt und Philippine Pachl, aus eigentlich stereotypen Routinen und abgeschmackten Witzen eine ganze Welt zu erschaffen. Wie Becketts Verzweiflungsclowns ringen Claire und Solange fortwährend mit der Leere und Sinnlosigkeit des Lebens. Ihre Spiele, die immer wieder um ihr Verhältnis zur gnädigen Frau kreisen, kommen nie zum Ende. Die Zeit reicht nicht aus. Also rutscht Lena Vogts Claire auf ihren Knie herum, um die imaginären Spuren ihres Spiels zu beseitigen, während ihr Solange Vorwürfe macht.
Bei Genet stehen sich die Dienerinnen und die Herrin unversöhnlich gegenüber: Sie hassen einander und könnten doch nicht ohne die andere existieren. In Jakob Fedlers Inszenierung schwebt die gnädige Frau über den Schwestern und ist doch wie sie. Julia Reznik erscheint fast wie ein göttliches Wesen zwischen den Stoffbahnen hoch oben in der Wand. Aber auch sie existiert nur im Spiel. Einen Großteil ihres Textes spricht Julia Reznik auf Französisch. So wird jedes Wort zu einem theatralischen Coup und jede Bewegung bekommt etwas Opernhaftes. Die sozialen Konflikte, die schon Genet nur am Rand interessierten, verblassen angesichts der allgemeinen Flucht vor sich selbst. Während man Lena Vogt, Philippine Pachl und Julia Reznik dabei zusieht, wie sie zwischen Pathos und Komik, echten Schmerz und gekünstelter Leidenschaft schwanken, wie sie ihr Spiel erotisch aufladen und ihre Begierden in Kunst verwandeln, ahnt man, dass Authentizität überschätzt wird. Nur wer spielt, ist ganz bei sich.
Die Zofen
von Jean Genet
Deutsch von Simon Werle
Regie: Jakob Fedler; Bühne und Kostüme: Dorien Thomsen; Musik: Gunda Gottschalk; Dramaturgie: Barbara Noth.
Mit: Lena Vogt, Philippine Pachl, Julia Reznik.
Dauer: 1 Stunden 30 Minuten, keine Pause
www.wuppertaler-buehnen.de
Das "konzentrierte und überzeugende Spiel" an diesem Abend würdigt Monika Werner-Staude in der Westdeutschen Zeitung (13.11.2017). Genet zeige Menschen, die sich "ihre Verdammnis verdienen wollen, indem sie todessüchtige Rituale pflegen wie im Theater, das für Genet ein rauschhaftes Fest ist, auf dem alle Exzesse der Freiheit locken". Die Inszenierung ordne alles diesem Ritual unter.
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