Pomp auf Pump

von Dorothea Marcus

Wuppertal, 11. Oktober 2012. Proteste zu ignorieren, braucht Zeit. Aber es ist verlässlich: Wenn ein Aufstand lästig ist, muss man ihn einfach nur aussitzen. Denn Energien können nur punktuell mobilisiert werden. In Wuppertal ist kaum vorstellbar, dass erneut, wie vor zwei Jahren, ein bundesweit beachteter Theaterkampf losbrechen wird, flankiert von Promis und solidarischen Ensembles, getragen vom Theater und Bürgern. Dabei wäre er jetzt genauso nötig. Denn was damals im Raum stand, wird heute umgesetzt. Die Spielstätte Schauspielhaus wird im nächsten Jahr geschlossen, das Ensemble halbiert, der Intendant Christian von Treskow wurde soeben nicht verlängert, angeblich, weil keine Zuschauer mehr kamen – was ja auch an den ständigen Schließungsdiskussionen liegen könnte. Ein kleines Flugblatt bekommt man am Theater-Eingang in die Hand gedrückt. Was 2010 mobilisiert wurde, wird so wohl nicht wiederholbar sein.

Geld ist alles

Auch in Carlo Goldonis "Trilogie der Sommerfrische" von 1761 geht es um Geld, allerdings nicht ums Sparen – sondern ums Verprassen. Während die Stadt verkommt. In einem grau angelaufenen Beton-Amphitheater mit Rundbögen und riesiger Treppe (Bühne: Jürgen Lier) bereitet die Livorneser Gesellschaft ihre Sommerfrische vor, koste es, was es wolle, das Cembalo schrammt höfische Klänge dazu.

Eine Gesellschaft auf Pump, in der Liebes- stets Geschäftsbeziehungen sind, in der die Fassade alles zählt. Kostümbildnerin Dorien Thomsen hat ganze Arbeit geleistest: in pompösen, verspielten Rokoko-Minikleidern in Braun-Rosé, mit turmhohen Frisuren, dicker Schminke und hochhackigen Goldschuhen agieren die Schauspieler im ersten Teil, der "Gier nach der Sommerfrische", wie aufgedrehte Porzellanpuppen. Sie machen Luftsprünge, kalauern durch die Gegend, wedeln mit den Fächern, weichen umständlich den zu niedrigen Türen aus und agieren dabei fast so überdreht, als wärs eine Inszenierung von Herbert Fritsch.

Letzte Lösung Heirat

Ein Kleid muss her, um gesellschaftlich nicht unterzugehen, aber wie bezahlen? Vittoria (Juliane Pempelfort wiehert stets beim Abgang) und ihr Bruder Leonardo (Heisam Abbas behält einen Rest Rationalität) haben ernste Geldsorgen und lassen kräftig anschreiben – zwei Hochzeiten wären da die eleganteste Lösung. Vittorias schwerste Rivalin ist die reiche Giacinta (eine souveräne Hanna Werth, die das verwöhnte, emanzipierte Biest sehr glaubhaft macht), die ihren Bruder Leonardo heiraten will, auch ihre sonnenbebrillter, cooler Vater Filippo (Jochen Langner) hat nichts dagegen.

sommerfrische2 560 uwe stratmann uAb in die Sommerfrische © Uwe Stratmann

Wie Knallchargen rasen die Schauspieler durch den Text, Vittoria und Giacinta liefern sich einen keifenden Zickenkrieg und verhaken sich im barocken Damen-Wrestling, bis sie sich später – Supergau! – im gleichen Kleid gegenüberstehen. Und dann ist da natürlich noch der selbstzufriedene Gewinnertyp Giuglielmo (Jakob Walser), der Vittoria zwar die Liebe vorspielt, aber in Giacinta verliebt ist, und natürlich der perfide Geschäftsmann Fulgenzio, der am Schluss die Liebesheirat verhindert und bei Thomas Braus ein spitznäsiger, dämonischer Graf Zahl ist. Jeder, den er anfasst, steht in einer zischenden Rauchwolke.

Christian von Treskow inszeniert in dreieinhalb Stunden ein lustiges und opulentes Schauspielerfest, als gäbe es kein Morgen. Gibt es ja wahrscheinlich auch nicht.
Der zweite Teil, der eigentliche Sommerfrische, spielt im umgedrehten Bühnenbild, das Illusionstheater wird zur Sperrholzkulisse, das Cembalo tupft in Lounge-Musik. Die reiche, lüsterne Witwe (Julia Wolff) im Rollator schmeißt sich dem Betrüger Ferdinando (Markus Haase) an den Hals, man posiert dekorativ, prügelt und streitet sich, tanzt zwischendurch muntere Polonäsen über die Bühne, und Leonardo ertappt Giuglielmo, wie er sich unter Giacintas Rock vergnügt.

Dank an die Sparkasse

Doch seine moralische Übermacht nützt nichts, im dritten Teil ist sein Besitz verpfändet. Da sind alle Perücken ab, Katerstimmung macht sich breit, Vittoria steht an der Rampe, als würde sie gleich herunterstürzen oder sitzt lethargisch im Karton – und die Zwangsverheirateten gucken neidisch auf das einzige glückliche Paar des Abends. Und während sie noch weggetragen wird, dankt Giacinta der Sparkasse Wuppertal für die Unterstützung, welche die städtischen Kürzungen mit 1,2 Millionen jährlich abmildert. Was auch nicht reichen wird.

Von Treskow zieht in großer Besetzung und souverän alle Register des Schauspielertheaters. Zwar treibt er der Komödie von Goldoni jegliche Düsterkeit aus, auch zeigt er keine intellektuell scharfe Analyse einer Gesellschaft, in der nur noch das Monetäre zählt. Dafür zeigt er aber, wofür man Schauspieler lieben muss. Fröhlich prassend geht in Wuppertal die Theaterwelt zugrunde.

Trilogie der Sommerfrische
von Carlo Goldoni, aus dem Italienischen von Achim Gebauer, für die Wuppertaler Bühnen bearbeitet von Christian von Treskow
Regie: Christian von Treskow, Bühne: Jürgen Lier, Kostüme: Dorien Thomsen, Musik: Bastian Wegner, Dramaturgie: Sven Kleine.
Mit: Jochen Langner, Hanna Werth, Heisam Abbas, Juliane Pempelfort, Markus Haase, Jakob Walser, Thomas Braus, Lutz Wessel, Maresa Lühle, Marco Wohlwend, Julia Wolff, An Kuohn, Anne-Catherine Studer, Hendrik Vogt, Lutz Wessel, Marco Wohlwend, Hendrik Vogt.
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, 2 Pausen

www.wuppertaler-buehnen.de

 

Kritikenrundschau

"Viel Schwung, kleine witzige Einfälle, aber auch große Spannungsbögen und punktuellen Tiefgang" bescheinigt Martina Thöne in der Westdeutschen Zeitung (13.10.2012) dieser Inszenierung. Auf die Sparbeschlüsse der Stadt reagierten Regisseur und Ensemble mit allen Mitteln der Dramatik: "Als könnte der Zeitpunkt der Premiere nicht besser gewählt sein, bewiesen die Schauspieler, dass sie ein eingespieltes Team sind – und Ensembletheater bestens funktioniert, wenn man denn mal mit großer Besetzung auftrumpfen kann. 18 Ensemblemitglieder und Gäste, so viele wie lange nicht mehr, machen seit Donnerstagabend Theater". Nahezu die komplette Belegschaft stehe im Rampenlicht. Carlo Goldonis Komödie drehe sich – "welch Parallele zur aktuellen Wuppertaler Bühnenwelt – um Zukunftspläne und Zahlungsnot. Ein Schelm, wer dabei an das sanierungsbedürftige Schauspielhaus und die Sparmaßnahmen denkt". Die Kostüme werden als "zauberthaft" gefeiert, Giacinta-Darstellerin Hanna Wert gar als "grandios". Insgesamt demonstriert der Abend der Kritikerin eindrucksvoll, was für ein tolles Ensemble hier weggespart werden soll und nun buchstäblich an diesem Abend um seine Existenz spielt.

Auf WDR2 (12.10.2012) rät Stefan Keim: "Wuppertaler Theaterfans [müssen] jetzt ins Theater gehen. Wer weiß, wie lange es Aufführungen wie die 'Trilogie der Sommerfrische' noch gibt." Auch er nimmt auf die Hiobsbotschaften im Vorfeld Bezug, bemerkt aber, dass sich Treskow die Stimmung nicht vermiesen lasse und eine "spritzige, wilde, enorm komödiantische Inszenierung" hinlege. Dank der "Riesenenergie" der Schauspieler sei die Länge des Abends gut auszuhalten.

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