Antonius und Kleopatra - Schauspiel Leipzig
Die Erotik der Macht
16. April 2023. Antonius und Kleopatra – wer hat bei diesem Titel nicht sofort Sandalenfilm-Bilder im Kopf. Die weite Wüste, der breite Nil! Aber am Schauspiel Leipzig machen Claudia Bauer, Patrick Isermeyer und Theresa Schergaut quasi das Gegenteil aus dem Stoff: eine konzentrierte Installation, in der Weltpolitik und Liebelei sich in der Datsche kauern.
Von Michael Bartsch
16. April 2023. Vorsicht, hier wird Theater gespielt, ließen sich die "Zusatzhinweise auf sensible Inhalte" auf der Internetseite des Schauspiels Leipzig übersetzen. Man solle auf Krieg, sexualisierte Gewalt und Drogenmissbrauch gefasst sein, sogar auf Kunstblut, und es fielen Schüsse, warnt das Leipziger Haus.
Monsterdrama als Kammerspiel
So schlimm kommt es dann doch nicht in dieser Zwei-Personen-Alternative zu Shakespeares Monsterdrama über Antonius und Kleopatra oder zum amerikanischen Monumentalfilm von 1963. Jedenfalls nicht brutaler als im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zwischen Rom und Alexandria, als man ziemlich schnell tot sein konnte, ob in den besten Kreisen oder beim Schlachten zu Wasser und zu Lande.
Man muss dieser "Shakespeare-Installation im Kolonialstil" unbedingt den Charakter einer eigenständigen Alternative zubilligen und darf sie keineswegs als Light-Variante der aufwändigen Bearbeitungen des Stoffes abtun. Zwar rankt sich auch diese Leipziger Fassung in den unterschiedlichsten Verpackungen am historischen Ränke-, Macht- und Liebesspiel zwischen den römischen Triumvirn und der ägyptischen Königin entlang.
Aber Claudia Bauer, bis zum Ende des Vorjahres noch Hausregisseurin am Leipziger Schauspiel, und die beiden herausragenden Spieler Teresa Schergaut und Patrick Isermeyer haben gemeinsam einen Perspektivwechsel entwickelt, der zeitenübergreifende, repetierbare Machtkonstellationen in den individuellen, ja intimen Konstellationen konkreter Akteure spiegelt. Deshalb empfindet man die Reduktion auf zwei Personen gar nicht als solche.
Respekt, Toleranz und wildes Begehren
Sie funktioniert auch deshalb, weil Claudia Bauer die Zuschauer in der Experimentierbühne "Diskothek" mit verschiedensten Sounds und Stilmitteln abwechselnd ködert und herausfordert. Der Einstieg nimmt geradezu kabarettistisch die oben erwähnten Triggerwarnung aufs Korn. Antonius und Kleopatra versichern einander, in weißen Bademändeln noch als Spieler vor ihrem Auftritt erkennbar, ihres Respekts und vollkommener Toleranz. Sie nehmen die Drastik dessen, was kommt, vorweg, geloben beste Absicht auch bei Übergriffen, weisen einen Test auf Geschlechtskrankheiten nach und besiegeln schließlich einen Kontrakt für die Aufführung.
Unmittelbar auf diesen Publikumsgaudi aber folgt eine wunderbar poetische gegenseitige Körperentdeckung, ohne dass der Bademantel fallen müsste. Das Zarte kippt ins wilde Begehren im Locus Amoenus, hier eine Wochenend-Datsche in klassizistischem Kolonialstil mit römischem Portal. Symbolstark blitzt es aber erst zwischen Antonius und Kleopatra, nachdem dieser seinen Kampfhelm und sie eine schwarze Perücke aufgesetzt hat, die sie plötzlich wie Elizabeth Taylor aussehen lässt. Die Erotik der Macht eben.
Weltpolitik aus der Datsche
Antonio wird von Kleo als "größter Soldat der Welt" vergöttert. Er hat einen Body aus dem Fitnessstudio und ist nicht dumm, aber etwas einfältig. Die Königin wiederum entspricht nicht Hollywoods Body-Mass-Standardindex und hat das Heft in der Hand. "Still, ich mache jetzt Politik", weist sie mit dem Telefonhörer am Ohr den lästigen Antonius zurecht.
Das Telefon ersetzt den klassischen Drama-Boten. In der sich drehenden Datsche wechseln Zimmer, eine Küchenveranda und Bad als Schauplätze. Die hervorragende Live-Kamera erscheint hier gar nicht aufgesetzt, sondern die Projektionen auf die Wandflächen entfalten eine Zusatzwirkung. Kleopatra wechselt in lächerlicher Uniform in die Rolle des Antonius-Rivalen Octavian, des späteren Kaisers Augustus. Dessen Schwester Octavia, die Antonius zur Besänftigung Octavians heiratet, ist nicht mehr als eine willige Puppe. Vielleicht etwas albern, dass auch ihre Kinder als Puppen gehätschelt werden.
Täter sind auch Opfer
Gestorben werden muss nach verlorener Schlacht schließlich doch. Meisterhaft, wie diskret das Claudia Bauer gelingt. In einem Dialog zwischen Octavian und Kleopatra deutet sich zunächst eine Fortsetzung des gegenseitigen Benutzens an. Die Königin unterbricht dann aber mit ihrem Schlangen-Selbstmord diesen Zyklus nicht nur, sie emanzipiert sich auch ganz individuell zur Siegerin.
Eine gelungene Parabel auf die konkrete Machtausübung, in der Täter zugleich Opfer sind. Zurück auf Anfang. Nach dem Stück ist vor der Dusche. "Die Gewalt war doch ganz erträglich", resümieren die Spieler. "Ihr wart gut", lobt die Souffleuse. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Antonius und Kleopatra
Regie und Text: Claudia Bauer, Teresa Schergaut und Patrick Isermeyer, Bühne und Kostüme: Andreas Auerbach, Live-Kamera Fabian Polinski.
Mit: Teresa Schergaut, Patrick Isermeyer.
Premiere am 15. April 2023 in der Diskothek des Schauspiels Leipzig
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.schauspiel-leipzig.de
Im "günstigsten Fall" werde die "Aktualisierung" eines Shakespeare-Stücks "zum Triumph", schreibt Andreas Platthaus in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (16.4.2023). Das sei hier gegeben, wenn nach 100 Minuten Spielzeit "die 'Diskothek' des Schauspielhauses ein Ort einhelligen Jubels" werde. Der Abend sei eine "mutig mutwillige Aneignung", der den "angedrohte(n) Kolonialstil" als "Kolonialisierung Shakespeares" zeige, "indem seinem Kontinent Debatten und Begriffsbesteck der Gegenwart aufgezwungen werden". Das sei jedoch selten "so witzig und respektvoll (von Shakespeares Sprache, hier in der klassisch klingenden und doch aktuellen Übersetzung von Frank Günther, bleibt doch verblüffend viel) erfolgt wie in Leipzig", freut sich der Kritiker.
"Wie immer, wenn man sich Figuren nicht gewachsen fühlt, greift man zur Karikatur", schreibt Steffen Georgi in der Leipziger Volkszeitung (17.4.23, €). Und "je weniger man sich gewachsen" fühle, "desto grober" falle diese aus – was "weniger ein schauspielerisches als ein inszenatorisches Verschulden" sei. Die Inszenierung habe selbst etwas von "Kolonialstil", rekurriert der Kritiker auf den Titel des Abends, und zwar "in der Art, wie forsch und selbstgewiss sie einen Theatertext okkupiert, instrumentalisiert, plündert, ausbeutet." Erst im letzten Viertel finde die Inszenierung "den Ton, der trägt: den berührend illusionslosen, tragikomischen, hypnotisch melodiösen Shakespeare-Ton", urteilt der Kritiker.
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Die von Frank Günther übersetzten Verse Shakespeares werden mit viel Slapstick und Kunstblut, ein paar Farbklecksereien und mancher Live-Video-Aktion begleitet, die im Stil von Frank Castorf/Bert Neumann von Fabian Polinskis Kamera aus der Kolonialstil-Villa (Bühne wie üblich bei Claudia Bauer: Andreas Auerbach) eingefangen werden. Teresa Schergaut, die Bauer 2021 von der Berliner Volksbühne mitbrachte, und Patrick Isermeyer spielen das royale Paar. Diese Konstellation lebt von den Gegensätzen der Körper, die Michael Bartsch beschrieben hat.
Was Bauer und ihr Team an dem antiken und von Shakespeare bearbeiteten Stoff besonders reizte, wird auch nach Programmheft-Lektüre nicht ganz klar. Als Parabel über Machtausübung, wie sie Michael Bartsch in seiner Nachtkritik feiert, bleibt der Abend dünn. Heraus kam eine ganz unterhaltsame Fingerübung vor der letzten Premieren-Party.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/04/15/antonius-und-kleopatra-schauspiel-leipzig-kritik/