Nicht ohne meinen Colt!

5. März 2023. Die Regierung will ein Waffenverbot durchsetzen? Nur über unsere Leichen! Aufstand! – Maria Milisavljević schenkt mit "Staub der Prärie" dem rebellischen Osten einen Western. Lisa Pauline Wagner bringt ihn in Zittau heraus.

Von Michael Bartsch

"Staub der Prärie" von Maria Milisavljević am Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz und Zittau © Pawel Sosnowski

5. März 2023. Zweifellos war es ein Zufall, dass nur 50 Kilometer und einen Tag von Zittau entfernt eine Zwillings-Uraufführung lief. Ein zweieiiger Zwilling: das "Widerstand"-Drama von Lukas Rietzschel am Abend zuvor in Bautzen. Dort wie hier in Zittau geht es um Sinnleere, um angestautes Volksgrummeln gegen die Verhältnisse und ihre vermeintlichen Verursacher, schließlich um das Kippen dieses Frustes in Selbstjustiz.

Was bei Rietzschel psychologisch untersucht, ja schon pathologisch seziert wird, will beim Zittauer "Staub der Prärie" erst als unterschwellige Botschaft entdeckt werden. Denn eine halbe Stunde lang wird erst einmal zum Gaudi des Publikums eine Parodie auf angestaubte Westernklischees zelebriert. Ja, die junge Autorin mit serbischen Wurzeln Maria Milisavljević schreibt im Auftrag des in Görlitz und Zittau ansässigen Gerhart-Hauptmann-Theaters einen Theaterwestern, der aber laut Ankündigung etwas mit der Oberlausitzer Prärie zu tun haben soll.

Deftige Western-Karikaturen

Solche Rocky's wie im Bühnenhintergrund gemalt kann das Zittauer Gebirge jedoch nicht aufweisen, und überhaupt sollte man nicht auf die Erfüllung geweckter Erwartungen lauern. Die ausgedörrte Prärie mit Monsterkakteen, einem imposanten Büffel aus der Theaterwerkstatt, einer vereinsamten Saloon-Klapptür und einem riesigen Blue Moon of Kentucky assoziieren doch Filmbauten, in denen keiner mehr dreht.

Die Musik kann da leider nicht mithalten, erinnert weder an Filmschnulzen noch an halbwegs authentischen Hillbilly. Das machen auch die hübsch choreografierten Line-Dance-Elemente nicht wett.

StaubDerPrärie 2 c Pawel SosnowskiNur echt mit Stetson Hut: Paul-Antoine Nörpel als Charly © Pawel Sosnowski

Die Kostüme in Schwarzweiß könnten hingegen alle aus dem Original-Versandhandel stammen, Fransenhemden, Boots, Stetson. Keine Spur von Verfremdung. Auch nicht bei den fünf Typinnen und Typen, die Regisseurin Lisa Pauline Wagner präsentiert. Mit Ausnahme von Sheriff John gehören sie alle einer schrecklich netten Familie namens King an. Mama ist die einzige, die nicht mit dem Colt herumfuchtelt und hat das ob ihrer durch einen Gehstock unterstützten Dominanz auch nicht nötig. Eine köstliche Rolle für die Grande Dame des Hauses Sabine Krug.

Die gute Seele und die ehrliche Haut des Clans stellt Paul-Antoine Nörpel als Charly dar. Mit einer Art Dorf-Konsum plus Barbiersessel versucht er, die Familie über Wasser oder Feuerwasser zu halten. Letzterem ist nämlich seine labile Schwester Sarah verfallen. Bruder Flint hat mal ehrlich in einer Mine gearbeitet, bis diese geschlossen wurde. Aha, Kapitalismuskritik! Seither gaunert er herum, wird gar in eine Attentatsverschwörung verstrickt. Bis zu Mamas und Flints absehbarem Ableben wird nicht ganz deutlich, wer in dieser ödipalen Diagonalbeziehung die größeren Abhängigkeitskomplexe zeigt und mehr Gewalt gegen den jeweils anderen ausgeübt hat.

Aha, wir sind gemeint

Die übliche Wildwestmischung aus Understatement und Cholerik dient als schmackhafter Köder und wird von den Zuschauern laut goutiert. Meinetwegen eine Western-Dekonstruktion, aber wann geht es ans Eingemachte, zumal die Guten und die Bösen nicht eindeutig identifizierbar sind?

Weil Sarah für Flint plötzlich Dynamit aus dem Nachbarort beschaffen soll, kommt heraus, dass in zwei Tagen eine Kommission den Ort Nirgendwo und Überall besuchen will. Es geht um die Durchsetzung eines Waffenverbots, die vor allem bei Mama und Kronsohn Flint Empörung auslöst. Denn solch eine administrative Maßnahme spielt nicht nur auf ein tatsächliches US-Dilemma an. Sie steht auch für den administrativen Durchgriff von "denen da oben, die uns sagen, was wir machen sollen".

StaubDerPrärie 3 c Pawel SosnowskiMonsterkakteen säumen ihren Weg: das Ensemble im Bühnenbild von Lisa Buchholz © Pawel Sosnowski

Aha, endlich und ziemlich unvermittelt hört man die Nachtigall nicht nur trapsen, sondern poltern. "Ich habe lieber ein paar Knarren als die unterschwellig brodelnde Wut", bekennt Flint. Freie Schussbahn für freie Bürger. Denn "auf uns kleine Leute hört ja nie einer". Kurzzeitig wird es dann ganz pathetisch, wenn darüber geklagt wird, dass es nichts mehr gebe, "was lohnt, früh aufzustehen". Denn "die Leute brauchen einen Lebensinhalt"! Und eine Eisenbahnanbindung, womit auch auf den im Strukturstärkungsgesetz nach dem Kohleausstieg vorgesehenen ICE durch die Lausitz angespielt wird.

Shakespeare meets Sergio Leone

So plötzlich und aufgesetzt das manchmal kommt, so unmissverständlich ist es adressiert. Solch konkrete Relevanz verschwindet aber schnell wieder hinter der Familientragödie. Die Knarren-Kommission soll in die Luft fliegen, aber der Anschlag wird vereitelt. Wahrscheinlich hat der Verfassungsschutz gut gearbeitet. Dennoch stehen drei der fünf Akteure erst zum Schlussapplaus wieder auf, gegenseitig abgeballert bei ungeklärt bleibender Frage "wer wen?". Eine Mischung aus Shakespeare-Schlüssen und "Spiel mir das Lied vom Tod". Mit sichtlichem Behagen gespielt und dankbar angenommen. Einen gültigen Ostern hat die importierte staubige Prärie indessen nicht kreiert.

 

Der Staub der Prärie
von Maria Milisavljević
Regie: Lisa Pauline Wagner, Ausstattung: Lisa Buchholz, Dramaturgie: Theresa Selter.
Mit: Sabine Krug, Xenia Wolfgramm, Paul-Antoine Nörpel, David Thomas Pawlak, Marc Schützenhofer.
Uraufführung am 4. März 2023
Dauer 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.g-h-t.de

 

Kritikenrundschau

Marcel Pochanke von der Sächsischen Zeitung (7.3.2023) kritisiert "die bisweilen lieblose Sprache zwischen Alltag und Drastik". "Sie mag eine Referenz an den Naturalisten Gerhart Hauptmann sein, findet aber keinen rechten Platz zwischen Westen und Osten, Gestern und Heute. Zudem ist die Geschichte an Themen überladen, die dann aber über angespielte Zitate nicht hinauskommen." Pochanke lobt gleichwohl Paul-Antoine Nörpel, der die Ebenen eines von Gefühlen und Verzweiflung erdrückten und dennoch hoffnungsvoll anpackenden Antihelden des Wilden Westens wunderbar auslote. "Marc Schützenhofer indes, der in Rollen wie der des vierschrötigen, hadernden und unfreiwillig komischen Sheriffs für gewöhnlich zu glänzen pflegt, kommt nicht recht in Fahrt."

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