Eine Mittsommernachts-Sex-Komödie - Matthias Hartmann weiß Woody Allen am Wiener Burgtheater für sich zu nutzen
Die Komik der Dingwelt
von Christian Desrues
Wien, 1. Januar 2012. Es gibt einen einfachen Grund, warum die Wiener Matthias Hartmann mögen: er schafft es, Lustspiel im besten Sinn des Wortes auf die Bühne zu stellen. Den Wienern gefällt Vieles nicht, sehr Vieles nicht. Walzer, Operette und Lustspiel gehören zu den (ebenso vielen!) Dingen, die ihnen sogar sehr gefallen, nicht zuletzt, weil sie sich in diesen Genres wirklich auskennen. Aber sie bleiben, eben deshalb, ein zu Recht kritisches Publikum.
Woody Allens "Eine Mittsommernachts-Sex-Komödie" ist eine "echte" Komödie mit allen nötigen Zutaten und ... mit Aufmerksamkeitspflicht. Der Inhalt: Drei Paare verbringen das Wochenende auf dem Land. Sie geraten mit sich und den anderen ins Hadern, ins Zweifeln, ins Konkurrieren, ins Begehren, ins Hinterfragen. Pseudo-Philosoph trifft auf Spinner, Prahler prallt auf Eitlen ... Nichts Besonderes also, würde man meinen. Abwarten!
Lüste eines Erfinders
"Vor unserer Heirat gehörte das Haus Andrew", erklärt einleitend Adrian (vorerst entzückend hilflos im Erotischen: Dorothee Hartinger) die Ehefrau des als Börsenmakler reüssierten, als Hobbyerfinder nicht so erfolgreichen Andrew (umwerfend: Michael Maertens) den Gästen. Maxwell (Roland Koch, liebenswert als prahlender, frauenverführender Arzt), seine letzte Eroberung, die blutjunge Krankenschwester Dulcy (perfekt als fröhliches Sexbündel: Esmée Liliane Amuat), der schöngeistige, pedantische, eitle, alte Philosoph Leopold (lästig, anstrengend und dadurch im Spiel so präzise: Martin Schwab) und die mondäne, ätherische, Nomen est Omen, Ariel (Sunnyi Melles, schlichtweg genial komisch und so blass, dass man sich fürchten könnte, muss man aber nicht), die früher schon einmal "fast etwas" mit Andrew hatte.
Melles und Maertens sind zweifelsohne die Stützen des Ensembles, das verlangen ihre Rollen, das schmälert keineswegs die Leistung der anderen Darsteller, aber sie machen das einfach souverän. Hartmann hätte nicht besser besetzen können. Das Bühnenbild (Stéphane Laimé) ist ein wunderbarer Dschungel aus Pflanzen. Ein Haus sieht man nicht, den Bach schon gar nicht, aber sie sind da, es bewegen sich Blätter, Bäume, Blumen, es stehen und erscheinen Andrews Erfindungen, eine schrulliger als die andere, wahnsinnig witzig, wie der Umgang damit getrieben wird.
Es gibt einen ganz wichtigen Nebendarsteller, das ist kein Mensch, sondern ein Ding, eine Kugel auf Rädern, die sehr viel kann, oder auch nicht, unbedingt liebenswert, aber mehr wird nicht verraten. Nur soviel: den Requisiteuren und Technikern muss man ein ganz großes Lob aussprechen. Soviel Erfindungsgeist mit Spaß und Effizienz gepaart bekommt man sonst eher nur auf "experimentellen" Bühnen zu sehen.
Kluge Komik, menschliche Chaotik
Es geht so schnell, so chaotisch und dabei so klug und unendlich menschlich zu, dass sich keiner sicher sein kann, wirklich jede Pointe, jedes Bonmot und jede Anspielung mitbekommen zu haben. Nur ein Beispiel eines Dialogs: der anscheinend seriöseste Darsteller fragt die vermeintlich leichtlebigste Akteurin, was sie denn am Nachmittag gemacht habe. Sie: "Ich habe die letzte Folge der Katzenjammer Kids gelesen." Er: "Nein so was! Ich auch!" Es gab nicht sehr viele im Zuschauerraum, die damit etwas anfangen konnten. Die anderen haben umso mehr gelacht. Man spürt, dass der Regisseur Woody Allens Wissen und Geist nicht nur schätzt, sondern auch auf äußerst schlaue und charmante Art für sich zu nutzen weiß.
Im ausverkauften Burgtheater, mit äußerst prominentem Wiener Publikum, also wie einleitend erwähnt, Lustspiel erprobten Zeitgenossen, einem grandiosen Ensemble, erlebte man eine wunderbar witzige und kluge Silvesterpremiere. Lachen und Applaus bis zum Schluss. Die Neujahrsparty vor dem Rathaus gegenüber war sicher nicht so lustig. Frohes Neues Jahr.
Eine Mittsommernachts-Sex-Komödie
von Woody Allen
Regie: Matthias Hartmann, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Tina Kloempken.
Mit: Michael Maertens, Dorothee Hartinger, Roland Koch, Esmée Liliane Amuat, Martin Schwab, Sunnyi Melles.
www.burgtheater.at
"Eine mit Mythologien und Zaubereien durchsetzte Kunstwelt", so beschreibt Bernhard Doppler im Deutschlandfunk (31.12.2011) den Abend: "Man könnte an Stücke von Botho Strauss aus den 80er-Jahren denken: Boulevard und Mythos. Soap und Philosophie. Sexprobleme und Metaphysik. Philosophische Grundsatzfragen und gleichzeitig ein Dialog, der immer wieder auf ganz schnelle zynische Pointen und Lacher setzt." Schnell gewinne der Abend "mit dem brillanten Schauspielersextett des Burgtheaters (psychologisch genau gezeichnete Figuren und faunartige Märchenfiguren gleichzeitig)" als Zauber- und Märchenstück eine theatralische Eigendynamik, "präzise instrumentiert, choreografiert und inszeniert".
Einwände formuliert hingegen Barbara Petsch in der Presse (2.1.2012): "Kleine Gesten und Blicke wirken vergrößert wie unter der Lupe." Hartmann tue sich bei aller sinnlichen Heiterkeit schwer mit Allens trocken-lakonischem Humor. "Da wirkt vieles zu laut und ins Groteske verfremdet, während Allen seine Figuren auf eine leise, beiläufige Weise sprechen lässt, was ihre Tragik und ihre Komik stärker wirken lässt als die mitunter allzu forcierte Bedeutsamkeit, die hier bemüht wird." Auch manche Liebesszenen seien unbeholfen. Dennoch: Allens punktgenaue Dialoge würden "aktuell und punktgenau" serviert, und "einfach schön ist die Aufführung natürlich auch."
Noch kritischer zeigt sich Margarete Affenzeller im Standard (2.1.2012): "Der durchaus ernste Kern der Komödie, die Nöte bürgerlicher Zwänge und Moral bzw. die alle Konventionen übersteigenden Sehnsüchte des Individuums, verschwinden alsbald hinter der schauspielerischen Blödelkunst des Starensembles." Dieser "sich vor allem selbst gefallende Abend" leide aber auch an Schlampigkeit, die man selbst einer Silvestervorstellung nicht zumuten sollte. "Textunsicherheiten und grobe bzw. verhuschte Handhabung von Requisiten nehmen dem Spiel einiges an Wirkung, die "trotz einer vor allem auf Choreografie reduzierten Regie" möglich gewesen wäre. Doch die "deutungsfreie, ganz auf Schabernack und Tollerei abzielende Inszenierung" sei sich "auch für ganz billige Witze nicht zu schade". Dazu gehöre nicht zuletzt ein erigierter Baumstamm, der eine sich dahinter abspielende Kopulation andeutet.
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