Contes et légendes - Wiener Festwochen
Roboter sind die besseren Menschen
15. Juni 2023. In einem gar nicht so abwegig wirkenden Science Fiction-Szenario lässt Joël Pommerat Roboter und Menschen einigermaßen friedvoll zusammenleben. Die Produktion hatte schon 2019 Premiere und gastierte jetzt erstmals im deutschsprachigen Raum.
Von Andrea Heinz
15. Juni 2023. Menschen sind auch nicht immer so toll. Das sieht man sehr schön in Joël Pommerats wirklich wunderbarer Arbeit "Contes et légendes". Denn in dem bereits 2019 im französischen La Rochelle uraufgeführten Stück, das im Rahmen der Wiener Festwochen im Odeon zum ersten Mal in den Deutschsprachigen Raum kommt, stellt er den menschlichen Schauspieler*innen (großteils Jugendliche) eine Gruppe Roboter gegenüber.
Beziehungsweise, um präzise zu sein: Menschen, die Roboter spielen. Und das mit erstaunlicher Kunstfertigkeit. Wenn der Androide Roby zu Atomic Kittens "Whole Again" einen Moonwalk hinlegt, ist das einfach zum Dahinschmelzen. Die Roboter in "Contes et légendes" sind vernünftig und langmütig, sie sind witzig und aufmerksam, kurz: Sie sind die besseren Menschen. Diese dagegen benehmen sich in den Versuchsanordnungen gleichenden Szenen meistens wie total Durchgeknallte. Geisteskranke. Es ist ein bisschen so, wie Frauen ja immer noch gerne attestiert wird, sie seien das irrationalere Geschlecht – während es dann doch eher Männer sind, die weltweit … aber lassen wir das.
Hilflos fluchende junge Männer
Pommerat zieht die, nennen wir es Gender-Ebene, ganz elegant ein. Bei ihm sind es großteils weibliche Jugendliche, die in einer Szene einen Haufen Halbstarker spielen, die von einem Erwachsenen in einer Mischung aus Boot Camp und Selbsthilfegruppe auf Männlichkeit gedrillt werden. Das Problem kennen wir ja alle: Die Mainstream-Meinung will die ganze Welt weiblich machen, die schönen männlichen Werte (nein, Schönheit gehört leider nicht dazu) sollen einfach ausgelöscht werden, und da muss man die jungen Männer natürlich empowern. Sie sollen sich wehren gegen die woke Gehirnwäsche, tun sich aber schon schwer damit, traditionelle männliche Werte auszumachen: Gehört "Muskeligkeit" dazu? Leider schon wieder falsch, es ist die Männlichkeit, die gesucht war.
Eier und Verbissenheit sind aber korrekt, beides eindeutig männlich. In der französischen Originalsprache ist das – nicht nur in dieser Szene – noch ein bisschen lustiger als in den deutsch-englischen Untertiteln, werfen die jungen "Männer" doch touretteartig um sich mit "Putain" und "Meuf" (was in der auch schon recht alten Jugendsprache Verlan Frau bedeutet, nicht immer unbedingt nett gemeint). Unendlich aggressiv ist die Sprache der Jungbullen sowieso, ständig soll jemand das Maul halten oder kriegt die Fresse eingeschlagen. Da kommt schon auch ein bisschen die latente Brutalität und Verwahrlosung nicht nur der Vorstädte durch.
Menschliche Verkommenheit
Es ist eine der wenigen Szenen, in der nur "Menschen" beteiligt sind. Denn "Contes et légendes" spielt in einer fiktiven Welt, in der Roboter ganz normal zum Alltag dazugehören. Sie werden den Kindern und Jugendlichen als "Lernroboter" an die Seite gestellt, aber die Grenzen zur Freundschaft bis hin zum Liebeswahn sind fließend – besonders, wenn die Roboter als Popstars vermarktet werden. Die Phase der Adoleszenz, in der man gewissermaßen von gesellschaftlichen Codes programmiert wird beziehungsweise sich selbst konstruiert, wird der ganz konkreten Künstlichkeit der Roboter gegenübergestellt.
Und wie gesagt, am entlarvendsten ist in all diesen Versuchsanordnungen, wie daneben sich die Menschen benehmen. Von den im Rollenkonflikt gefangenen jungen Männern war bereits die Rede, aber die Erwachsenen sind auch nicht viel erwachsener. Da ist zum Beispiel die Familie, die einen gebrauchten Roboter erstehen möchte. Ein Auslaufmodell, aber billig zu haben. Die Familie hat keine großen Ansprüche, wird er doch ohnehin nur für die Hausarbeit gebraucht. Die Mutter wird demnächst sterben, und da der Vater sich außerstande sieht, die häuslichen Aufgaben zu übernehmen (ganz ehrlich, Waschmaschine, Geschirrspüler? Das kann er einfach nicht!), muss eben ein Roboter ran. Denn: "Eure Mutter will nicht durch eine Putzfrau ersetzt werden." Die Kinder aber wollen keinen Roboter als Putzfrau (oder als Mutter?) und die Familie kriegt sich dermaßen in die Haare, dass der Roboter, wenn auch von schlichtem Gemüt, tröstend den Arm um seinen Besitzer legt. Verkauft wird er trotzdem.
Männlein, Weiblein oder Roboter – egal!
Der vielleicht schönste Moment ist ein anderer: Mediperle ist zu Besuch bei Zacharias, sie wollen Hausaufgaben machen, irgendwie aber auch was anderes, aber es ist unklar, ob Zacharias vielleicht schwul ist oder aber hetero und promisk. Roboter Steven macht entsprechende Andeutungen, in aller Unschuld natürlich. Dann aber taucht Zacharias plötzlich in Frauenkleidern als seine angebliche Cousine auf, und bittet Mediperle, mit ihm einen Stücktext zu üben, in dem wiederum Mediperle der Typ ist, und die Zacharias-Cousine die Frau. Und während Steven voller Inbrunst eine Liebesschnulze performt, die Zacharias vermutlich mit ihm gemeinsam für Mediperle geschrieben hat, rücken die beiden am Sofa immer näher zusammen und küssen sich schließlich. Wer nun was ist, ob Männlein, Weiblein oder Roboter, ist am Ende doch ganz egal. Nur benehmen sollte man sich halt, und auf die Ausdrucksweise achten, wie der schlichte Roby einmal gutmütig lachend seinen Putain-Merde-fluchenden Besitzer ermahnt: Sprache!
Contes et légendes
von Joël Pommerat
Regie: Joël Pommerat, Bühne, Licht: Éric Soyer, Kostüme: Isabelle Deffin, Sounddesign: François Leymarie, Philippe Perrin, Dramaturgie: Marion Boudier.
Mit: Prescillia Amany Kouamé, Jean-Édouard Bodziak, Elsa Bouchain, Justine Lou Dhouailly, Angélique Flaugère, Lucie Grunstein, Lucie Guien, Marion Levesque, Angéline Pelandakis, Lenni Prézelin.
Wien-Premiere am 14. Juni 2023
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.festwochen.at
Kritikenrundschau
Von "Pommerats verblüffender Szenenfolge" berichtet Ronald Pohl schon im Vorfeld der Festwochen-Premiere aus Paris für den Standard (13.6.2023). Es handele sich um die „"ubkutan verstörendste Premiere der aktuellen Festwochen-Ausgabe". Pohl schreibt: "Die allernächste Zukunft findet heute statt, vor unser aller Augen. Die lose verknüpften Szenen von 'Contes et légendes' könnten sich vielleicht Oswald Wiener und Steven Spielberg miteinander ausgedacht haben: Ersterer hat mit der künstlichen Umweltsimulation seines 'Bio-Adapters' den Grund gelegt für das bloße Vorschützen natürlicher Milieus. Spielbergs herzzerreißender Film A.I. -Künstliche Intelligenz (2001) warb um Empathie für einen entzückenden Roboterbuben."
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