Debatte über (Post-)Migranten an deutschen Theatern - Ein offener Brief des Schauspielers Murali Perumal an die Süddeutsche Zeitung
Brief von Murali Perumal
In seinem offenen Brief antwortet der Schauspieler Murali Perumal auf den Artikel Offene Türen von Christiane Lutz auf jetzt.de/SZ (11.12.2013). In dem Artikel geht es um eine Diskussionsrunde von Münchner Künstlern und Theatermachern zur Situation von Theatermachern mit Migrationshintergrund. (Hervorhebungen von nachtkritik.de.)
Sehr geehrte Christiane Lutz,
ich bin der indo-germanische Schauspieler Murali Perumal. Sie wissen schon... der rheinisch-indische Jeck, der auch in den Katakomben des Milla zugegen war und sich an diesem Abend auch geäußert hat. Kurz zu mir: Ich arbeite seit 13 Jahren als Schauspieler, habe bisher 50 Filme in fünf Ländern gedreht und an großen Theatern wie den Münchner Kammerspielen, der Schaubühne Berlin und zuletzt vier Jahre am Schauspiel Köln unter Karin Beier gespielt. Ich möchte auf Ihre Aussage eingehen, dass wir unsere Wut, die wir empfinden, nur schwer konkretisiert hätten und die alleinige Gesprächsbereitschaft der Theater als Beleg für unsere Vorwürfe ansehen würden.
In all den Jahren, die ich am Theater erlebt habe, spielen deutsche Schauspieler mit sichtbarem Migrationshintergrund auf unseren hiesigen Bühnen keine Rolle. Sie werden, wenn überhaupt, dann nur als Gast(arbeiter) engagiert, für Ausländerrollen, z.B. schwarze Figuren in Stücken wie in "Kampf des Negers und der Hunde" oder "Das Fest". Ich kenne einen afro-deutschen Schauspieler, der zum vierten Mal den Schwarzen in "Das Fest" spielen muss und das an vier unterschiedlichen Theatern. Nur dafür wird er dann engagiert. Oder wir spielen in "speziellen Migrantenstücken" auf Nebenbühnen mit, aber eben nicht im Haupthaus, da man das "Silbermeer" im Zuschauerraum nicht "verstören" will. Wir werden also nur als Gäste engagiert, die kommen und gehen, werden aber niemals in Ensembles fest angestellt, und wenn, dann ist es allenfalls ein Exot unter 30 Schauspielern.
Anhand des Residenztheaters in München zeige ich Ihnen auf, was ich meine: Das Ensemble dort besteht aus 49 Schauspielern, von denen kein Einziger einen asiatischen, afrikanischen oder südamerikanischen Migrationshintergrund hat. Das Ensemble spiegelt in keinster Weise unsere Gesellschaft wieder und das ist meiner Meinung nach ein Armutszeugnis für die deutschsprachige Theaterwelt. Es ist keine ästhetische Frage, wie Chefdramaturg Sebastian Huber behauptet, sondern eine Haltung zu unserer heutigen durchmischten Gesellschaft, die auf der Bühne nicht existent ist. Es wird Theater von "Weißen" für "Weiße" gemacht, wenn ich das so sagen darf. Herr Huber sagt zwar, dass Sie versucht haben, den Ferdinand aus "Kabale und Liebe" mit einem Halb-Nigerianer zu besetzen. Dies ist aber längst nicht genug, zumal er auch nur als Gast für ein Stück engagiert war. Gut wäre es gewesen, wenn sie z.B. die Rolle des "Hofmarshall von Kalb" oder den "Wurm" zusätzlich mit einem deutschen Asiaten oder Araber besetzt hätten. Dann würde sich der Zuschauer auch nicht mehr fragen, welche Bedeutung es hat, warum der Ferdinand ein Schwarzer ist. Wenn ein anderer aus dem Hofstaat ein koreanisch aussehender Schauspieler wäre, würde sich kein Zuschauer mehr fragen: "Warum spielen da jetzt ein Schwarzer und ein Koreaner mit?". Nein, dann wäre es ein Bild unser heutigen deutschen Gesellschaft und es würde irgendwann mehr und mehr und ganz selbstverständlich Normalität werden.
Nur sollten wir jetzt endlich einmal anfangen den Zuschauer an diesen noch ungewohnten Blick mehr und mehr zu gewöhnen und nicht immer nur zu sagen, das versteht der Zuschauer nicht. Wie oft habe ich von Dramaturgen gehört, "dass ich zu speziell wäre, was denkt denn dann der Zuschauer, ein Inder, das müßte man ihm dann erklären, warum ich auf der Bühne stehe". ... Sie haben recht, ich bin zu speziell, ich komme aus Bad-Godesberg. Was macht denn der Zuschauer, wenn er mich auf der Bühne sieht, rennt er raus? Kein Dramaturg würde doch dem Abopublikum unterstellen, dass es keine Ausländer auf der Bühne sehen will. Aber sie denken es leider und wollen aus ihrem Silbermeer keine bunte Hühnersuppe machen, wie wir es gerne hätten.
Am Schauspiel Köln ist das "Multi-Kulti Ensemble" deswegen gescheitert, weil die Dramaturgen und deutschen Regisseure uns fast nur in Migrantenstücken als Ausländer besetzt haben, nicht jedoch als Deutsche, die wir im wirklichen Leben alle sind. Es wurde von der Dramaturgie behauptet: "Ja, wir können ja nicht nur Migrantenstücke machen, wir müssen auch Stücke über Korruption machen." Mit dieser Aussage haben sie uns exemplarisch ausgegrenzt als Migranten, die Migranten bleiben und niemals als Deutsche angesehen werden würden. Als ob wir nichts mit menschlichen Themen wie Korruption zu tun hätten. Völliger Schwachsinn. Der Migrant spielt nur den Migrant, und der Biodeutsche den Biodeutschen. Das ist leider immer noch Realität an deutschen Bühnen. Ich habe nichts dagegen, wenn Biodeutsche ausländische Rollen spielen, sich schwarz, braun oder gelb anmalen. Aber im Gegenzug dürfen wir keinen Deutschen spielen, sonder nur den Ausländer. Das akzeptiere ich nicht. Weiße deutsche Schauspieler spielen spanische Rollen wie Don Carlos, Marquis von Posa, Sultan Saladin und den Derwisch in Nathan der Weise, französische Rollen von Molière, italienische Rollen von Goldoni, schwarze Othellos, das akzeptiert der Zuschauer anscheinend. Aber einen indischen Hamlet, afrikanischen Prinz von Homburg, einen türkischen Wallenstein würde er ablehnen? Das widerspricht sich doch erheblich.
Zur Differenzierung von sichtbaren Migranten und denen, denen man es nicht ansieht: Französische, italienische, hölländische, australische oder serbische Schauspieler werden sehr gut integriert an den Bühnen, sie werden als Deutsche akzeptiert, nicht jedoch asiatisch-, afrikanisch- oder südamerikanischstämmige Darsteller, denen man ansieht, dass sie eine nicht deutsche Herkunft haben (und das obwohl viele von ihnen Hochdeutsch sprechen). Da gibt es sehr wohl einen Unterschied, wie wir behandelt werden, und das ist offensichtlich. Dies zu Ihrer Aussage: "Fragende Gesichter".
Ich werde das Gefühl nicht los, liebe Frau Lutz, dass Sie unser Anliegen bzw. unsere Wut herunterspielen in Ihrem Artikel nach dem Motto: "Ach, kommt Leute, so schlimm ist es doch nicht." Es tut sich doch was, es werden internationale Produktionen eingeladen (die kommen und wieder gehen), es spielen holländische, schweizer Schauspieler, Esten, Ungarn (denen man ihre ausländische Herkunft eh nicht ansieht, also keine großartige Weltöffnung), eine Schauspielerin aus Uganda, die als Schauspielschülerin bisher nur ein Stück als Gast gespielt hat und die anderen beiden Stücke als Inszenierungen der Otto-Falckenberg Schule gespielt hat. Das ist doch eindeutig zuwenig. Damit braucht sich niemand zu rühmen.
Ihre Aufgabe als Theaterkritikerin ist es doch auch, Theater zu kritisieren und nicht nur Inszenierungen. Sie haben doch auch eine gesellschaftliche Verantwortung, unser Anliegen, eine Multi-Kulti-Gesellschaft auf der Bühne weiter voranzutreiben, es an die Öffentlichkeit zu bringen und es nicht abzuwerten und zu sagen, es ist doch alles gut so wie es läuft. Nein, Sie müssen die Theater auch auf ihre Verantwortung hinweisen, ein realistisches Bild unserer Gesellschaft abzubilden und nicht eine demographisches Szenario von 1920. Solange sie sich nicht öffnen, sollten auch Sie Druck auf die Theater ausüben und nicht nur wir. Sonst wirkt es leicht so, dass wir aus einer "Opfer-Position" heraus klagen und man uns dann nicht ernst nimmt. Vielleicht verstehen Sie unsere "Wut" aber auch nicht, weil Sie selbst nicht betroffen sind. Ich bitte Sie darum, auf unseren Zug aufzuspringen und konstruktiv mitzuhelfen, dass sich das deutschsprachige Theater viel mehr öffnet und wandelt. Denn so darf nicht weitergehen wie bisher.
Eine letztes Wort: Als ich in Köln gespielt habe, sah ich zum ersten Mal in einem Theaterpublikum Frauen mit Kopftüchern, Afro-Deutsche und Asiaten im Publikum sitzen. Ich kam mit ihnen ins Gespräch und sie dankten mir dafür, dass ich im Stück mit dabei war. Ich fragte sie, warum, und sie sagten mir, dass sie sich durch mich und andere türkisch- und jamaikanischstämmige Schauspieler im Ensemble endlich repräsentiert sehen würden im Theater, in der Gesellschaft auf der Bühne. Sie seien vorher nie ins Theater gegangen. Sie hatten sich ausgegrenzt gefühlt und das hatte sich mit uns geändert. Es waren übrigens zu einem großen Teil auch Migranten aus Nicht-Akademiker-Familien. Es ist nicht nur eine Frage der Bildungsbürgerschicht.
Ich würde mich sehr freuen, von Ihnen zu hören, Frau Lutz, und dass Sie unser Thema immer wieder aufgreifen, wenn sich nichts Spürbares ändert. Der Rheinländer verabschiedet sich mit den Worten "Jeder Jeck ist anders".
Mit freundlichen Grüßen,
Murali Perumal
In den Kommentaren zu unserer Zusammenfassung der Münchner Diskussionsrunde meldeten sich bereits unter anderem Tuncay Acar, Karnik Gregorian, Samuel Schwarz und Tristan Seith zu Wort.
"Eine schwarze Maria Stuart oder einen türkischen Faust, wann hat es das auf den deutschsprachigen Bühnen gegeben?", fragte im Mai 2011 auch Özgür Uludag in seinem Text Migranten spielen auf den Sprechbühnen keine Rolle auf nachtkritik.de.
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Aber leider hat Nachtkritik immer noch nicht verstanden, dass sie den Exotismus selbst weiter anfeuern, wenn Sie die Debatte als "Migranten-Diskussion" weiter führen. Es geht um strukturellen Rassismus. Auch hier auf Nachtkritik besteht dieser strukturelle Rassismus. Wie viele Theaterkritiker_innen of Color haben Sie? Und wenn Sie nicht auf Hautfarbe bei der Auswahl ihrer Kritiker_innen achten, warum schreiben hier hauptsächlich nur weiße Kritiker_innen?
Apropos ein Beitrag, der nicht auf Ihrer Seite erschienen ist,weil zu "uninteressant":
http://www.migazin.de/2013/12/12/ueber-rassismus-selbst-repraesentation/
Ein Argument, wahrscheinlich das schwerst zu widerlegende ist jenes der mangelnden Qualität von Schauspieler mit "sichtbarem" Migrationshintergrund. Im Sinne; wir würden sie schon besetzen, ja suchen nachgerade händeringend geeigneten Darstellern, aber wir finden einfach keine wirklich guten. Und ihr(die Schauspieler mit Migrationshintergrund ) wollt ja nicht nur wegen eurer Hautfarbe angagiert werden.
Das wäre ja rassistisch.
Eine bekannte Figur der rassistischen Retorik.
Samy Davis Junior , eine Jahrhundertbegabung durfte natürlich in allen wichtigen Clubs auftreten. Und selbstverständlich dürfte auch ein genialer junger schwarzer Schauspieler den Hamlet auf deutschen Bühnen geben, aber wirklich entscheidend wäre eben, dass auch ein durchschnittlich begabter asiatischer oder schwarzer Darsteller diese Chance kriegt.
Die gleiche Chance wie sie unzählige durchschnittlich begabte weisse Schauspieler seit Jahrzehnten im
deutschen Theater kriegen.
Und an solchen Aufgaben wachsen und sich verbessern können. Ein nicht unerheblicher Punkt, da der Beruf des Schauspielers nie fertig erlernt ist und der Übung bedarf. Diese Möglichkeit sich auszuprobieren und im Idealfall sogar an neue, andere Aufgaben mit Bedacht herangeführt zu werden, wird den Darstellern mit Migrationshintergrund schlicht nicht gewährt.
So entsteht eine Situation in der sie immer wieder verlieren müssen.
die Kommentarbetitelung unter dem Text von Petra Hallmayer zur Münchner Diskussion griff schlicht den Titel unseres Artikels auf, der sich widerum auf ein Zitat von Karnik Gregorian bezieht. Wir sehen aber, dass diese Verkürzung missverständlich ist und haben deshalb in "Diskussion Diversität" geändert.
Außerdem möchte ich noch eine Sache richtigstellen: Ihr Beitrag über die Veranstaltung "Berlin Calling Stockholm" am Berliner Gorki Theater wurde von uns keineswegs abgelehnt, weil er zu "uninteressant" war (er lag uns schließlich noch gar nicht vor, als Sie uns eine Berichterstattung anboten).
Dies geschah aus der einfachen Überlegung heraus, dass wir – die jeden Monat aus einer großen Vielzahl von Premieren und Veranstaltungen auswählen müssen – das Thema nicht allein am Programm des Gorki Theaters abbilden wollten, da wir ein überregionales Medium sind. Auch hatten wir zu diesem Zeitpunkt schon die Berichterstattung über die Münchner Diskussion geplant.
Mit freundlichen Grüßen,
Anne Peter / Redaktion
wir haben uns kurz auf facebook kennengelernt, dort habe ich meine Haltung beschrieben, nun befinden wir uns auf dieser Seite, die sich mittlerweile als "führendes Unterhaltungsmedium", wahrscheinlich auch für "postmigrantische" Fragen empfindet. Es macht nicht viel Sinn in diesem Zirkus zu argumentieren. Es tut mir sehr leid. Aber vielleicht war es doch eine "bescheuerte Idee", ihren Brief hierher zu leiten.
Respekt
Martin Baucks
Nein, drücken sie nicht. So sehr ich (auch) darin befangen sein mag, von einer alltagspragmatisch induzierten Ähnlichkeitsannahme (dieweil von mir selbst) mensch-
lichen Verhaltens auszugehen (das betrifft Grundstrukturen), so ist es ja geradezu frappant und nicht selten irritierend, mitunter aber auch sehr belebend und spannend, wie sehr gerade der Ausdruck variieren kann und ggfls. zu erheblichen Mißverständnissen (was Sie sagen, ist etwa so, als sprächen wir alle sehr ähnliche Sprachen; Übersetzer verzweifeln hingegen zuweilen an einer Mauer der Unübertragbarkeit) in Alltagssituationen führt (die gerade desmeist nicht offen sind für grundsätzliche Klärung bzw. Übersetzungsfragen): eigentlich ein Gemeinplatz, was ich hier schreibe, aber ich finde, man sollte nicht gewaltsam einen jeden solchen meiden..
und der "Prinz von Homburg" ist eine weiße Kunstfigur von einem Weißen namens Kleist verfasst, der sich mit der Figur auf eine reale historische Figur bezog, die im 17zehnten Jahrhundert lebte und in einer Schlacht ein Bein verlor. (...)
Würde das dann der Intention des Autors entgegenstehen oder würde es nicht "funktionieren", weil es eine historische Persönlichkeit und ein (vermutlich) historisches Ereignis gibt, auf die/das Kleist sich bezieht?
Schwierig wird es, wenn jemand aus dem Prinzen einen postmigrantischen Helden machen möchte, denn dem stünde der 7. Auftritt im 5. Akt latent entgegen, in dem sich der Prinz wie folgt äußert:
Ruhig! Es ist mein unbeugsamer Wille!
Ich will das heilige Gesetz des Krieges,
Das ich verletzt´, im Angesicht des Heers
Durch einen freien Tod verherrlichen!
Was kann der Sieg euch, meine Brüder, gelten,
Der eine, dürftige, den ich vielleicht
Dem Wrangel noch entreiße, dem Triumph
Verglichen, über den verderblichsten
Der Feind´in uns, den Trotz, den Übermut,
Errungen glorreich morgen? Es erliege
Der Fremdling, der uns unterjochen will,
Und frei, auf mütterlichem Grund, behaupte
Der Brandenburger sich; denn sein ist er,
Und seiner Fluren Pracht nur ihm erbaut!
Es lohnt sich weiter zu lesen. Und bei dem historischen Ereignis, auf das sich Kleist bezieht, handelt es sich um die Schlacht bei Fehrbellin. - Ich würde, beim dem Stand der Debatte, falls es einen farbigen Darsteller gäbe, der sich für die Rolle erwärmen könnte, ihn auffordern sich weiß anzumalen und diese Figur ohne jeden darstellerischen Kommentar zu spielen. Allerdings käme für mich eine solche Besetzung nur in Frage, wenn auch andere Rollen vergleichbar besetzt wären und diese Darsteller ebenso bereit wären sich weiß zu schminken.
Der historische Prinz war schon für sich ein einfacher Außenseiter, weil er durch eine Kriegsverletzung behindert war. Ich denke, dass es wenig Sinn machen würde einen zwei- oder mehrfachen Außenseiter aus ihm zu machen, da dies seine Geisteshaltung, die man hauptsächlich aus der deutschen und militärischen Kultur heraus verstehen sollte, nicht näher klären würde.
sie hätten nun alles Mögliche antworten können, aber sie ziehen es vor zu schweigen. Darüber ließe sich spekulieren.
Man fragt sich, warum sie einem Shakespeare als eine Art Rassist verkaufen wollen? Wieso sie denken, nur schwarze Autoren seien kompetent für schwarze Kunstfiguren? Heißt das, nur Schwarze dürfen über Schwarze schreiben und umgekehrt nur Weiße über Weiße?
Shakespeare hatte ebenfalls eine Vorlage. Er bediente sich bei Cinzio. Das Stück Othello erschien so um 1604. Die Quelle stammt von 1566. Es handelt sich also um die ungeplante Kooperation eines englischen und italienischen Autors, worin sich ein gewisses Maß an Diversität abbildet.
Warum sie die Sicht der beiden Autoren auf Schwarze für inkompetent halten, müssten sie erst einmal aus diesem Zusammenhang heraus erklären. Solange halte ich Othello weiterhin für eine schwarze Kunstfigur von einem weißen Autor, der ich nicht alleine eine gewisse Bedeutung beimesse. Natürlich gibt es keinen direkten Zusammenhang zur amerikanischen Sklaverei, denn die Sklaverei begann erst im 17.zehnten Jahrhundert. Direkte Verbindungen hierzu und anderen von ihnen genannten historischen Figuren sind also historisch unwahrscheinlich.
Aus all dem kann man entnehmen, das es ihnen hauptsächlich um heutige politische Ziele geht, weniger um eine Kunstbetrachtung.
Für mich bleibt also Othello weiterhin schwarz und der Prinz von Homburg weiß. Darin kann ich nichts Verwerfliches entdecken.
Mein Kommentar (13) war eine Reaktion auf Ihren (11). Mir war es daran gelegen, darauf hinzuweisen, daß die Kunstproduktion und die damit verbundene Rezeption der letzten ca. 550 Jahre in Europa ein zum Kanon gewordenes Werk hervorgebracht hat, das einerseits ein sehr von der Realität nichtweißer Menschen in Europa entferntes Bild entwirft (d.h. entworfen hat und wieder und wieder reproduziert) und andererseits das "reale", außerkünstlerische Leben, das Verständnis von Gesellschaft, die Kultur (mit)bestimmt.
Alessandro de' Medici war ein (pi mal Daumen) Zeitgenosse Giambattista Giraldis, (Cinzios) - Cinzio dürfte als gebildeter Mensch von ihm gehört haben und mit ihm seine Leser_innen.
Abdel-Ouahed ben Messaoud war im Jahr 1600 *maurischer* Gesandter am Hof Königin Elizabeth' I. Sechs Monate verhandelte er mit der Königin im Auftrag von Ahmad al-Mansur, dem marokkanischen König, über eine marokkanisch-englische Alliance gegen Spanien. Es wird vermutet, daß dieser Botschafter eine weitere Inspirationsquelle für Shakespeares 'Othello' war.- Es gibt ein Portrait von Abdel-Ouahed ben Messaoud, das heute im Shakespeare Institut in Stratford-upon-Avon zu sehen ist. (Schauen Sie sich das Bild an, dann werden Sie sehen, daß der Botschafter keineswegs Schwarz war - Bart- und Haupthaar indes schon.) Auf diesem Bild ist folgendes zu lesen: LEGATUS REGIS BARBARIÆ IN ANGLIAM - Königlicher Botschafter der Barbaren in England. - 1585 gründete Königin Elizabeth I. eine Handelsgesellschaft, die sogenannte Barbary Company (oder auch Marocco Company). Die Patente an dieser Handelsgesellschaft gab die Königin an 42 englische Hochadlige aus. Diese Handelsgesellschaft garantierte einen exklusiven Handel zwischen den Königreichen von England und Marokko für erst einmal 12 Jahre - letztendlich bestanden die Privilegien bis weit ins 18. Jhd. hinein.
Nun hat die weitaus größere Rolle (gemessen am Textumfang) in Shakespeares "Othello" Jago. Jago ist, wie Sie sicherlich wissen, eine Verkürzung des Namen des Hl. Santiago - der Maurentöter und Schutzpatron Spaniens. (Ganz zu Anfang des Stückes läßt Sh. 'Jago' sagen: "... you'll/ have your daughter covered with a Barbary horse ..." - "Barbary horse" - Barbary Company - ein Zufall?)
Bei Cinzio rächt sich der 'Fähnrich'('Jago') für die Zurückweisung durch 'Desdemona'. Shakespeare läßt seinen 'Jago' (das feindliche Spanien) eine fürchterliche Intrige spinnen, die letztendlich 'Desdemonas' (Englands, Elizabeth's) Tod zur Folge hat. Desweiteren, eher "kollateral" fällt 'Othello' durch eigne Hand und 'Jago' (Spanien) wird angeklagt.
Bei Cinzio ist die Moral: Oh, Ihr europäischen Frauen laßt Euch nicht mit afrikanischen Männern ein! Bei Shakespeare scheint es subtiler: Schmiedet England die falschen Alliancen gegen mächtige Feinde, wird es fallen.
Werter Herr Baucks, Sie können das für eine semiprofessionelle Literaturanalyse halten, für eine überspannte Verschwörungstheorie (Verschwörungstheorien sind sicherlich immer überspannt) oder Propaganda oder politische Pädagogik (im Sinne der hellenistischen Klassiker) - entscheiden Sie selbst! Meiner Meinung nach bleibt: Es (u.a. Shakespeares Werke) sind Gedanken, Spielereien - Kunst eben.
Doch noch einmal zur "Hautfarbe" zurück: Schwarz wurde 'Othello' erst im späten 19. Jhd. (Sie können das an den bildlichen Darstellungen durch die Jahrhunderte verfolgen.) Und doch, selbst Laurence Olivier zog einer kompletten Blackface-Maskerade ein "dezenteres" Make-up vor. Schwarz mußte Othello werden, um (und jetzt sind wir tatsächlich an einem widerlichen, obgleich machtpolitisch verständlichen, Punkt) zu rechtfertigen, warum Schwarze und nicht weiße Menschen eben nicht integraler Bestandteil der europäischen Gesellschaften, insbesondere der Eliten, sein "dürfen" (Obwohl sie es durch alle Jahrhunderte hindurch waren und sind.) Schließlich mußte die Kolonialisierung, die Versklavung gerechtfertigt werden. Victor Hugo kommt zu folgendem Schluß: "Was ist Othello? Das ist die Nacht. Eine gewaltige, fatale Gestalt. Die Nacht ist verliebt in den Tag. Die Finsternis liebt die Morgenröte, der Afrikaner betet die Weiße an. Desdemona ist für Othello die Klarheit und der Wahnsinn. Deshalb verfällt er der Eifersucht so rasch. [...] Die Eifersucht verwandelt den Helden jäh in ein Ungeheuer, der Schwarze wird zum N****. Es ist, als ob die Nacht dem Tod ein rasches Zeichen gegeben hätte. [...] Was könnte schrecklicher sein für die Weiße und die Unschuld als Othello, der N**** . [...] - Auch das können Sie selbstverständlich nur für eine Reflektion über Kunst, über Theater halten. Bei einem derartig öffentlich politisch bewegten Intellektuellen und Künstler, wie Hugo es zweifellos war, sehe ich letztendlich doch nur einen Vertreter des geistigen Establishments seiner Zeit - mit Ausstrahlung bis in unsere Zeit. (Die Sternchen sind von mir gesetzt, da ich mich bemühe, gewaltvolle Sprache nicht zu reproduzieren.)
Nebenbei: Victor Hugo und Alexandre Dumas d.Ä. wurden im selben Jahr geboren. Und darüber hinaus dürften Thomas Alexandre Dumas und der Chevalier de Saint-George ("Le Mozart noir“ )Hugo bekannt gewesen sein.
Herr Baucks, Sie schrieben irgendwo etwas vom "Nationalen Gedächtnis" - nicht, daß mir dieser Begriff behagt, aber, ich nehme ihn für einen Moment ernst: Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben haben unterschiedliche Lebenserfahrungen - das werden Sie nicht leugnen können - daraus ergeben sich unterschiedliche Positionierungen, unterschiedliche Perspektiven. Jedoch: Solange wir nicht anerkennen wollen/können, daß wir ALLE (die wir künstlerisch, wissenschaftlich, politisch arbeiten) Repräsentant_innen EINER Gesellschaft sind, solange wir uns die Frage (nur zum Beispiel auf Berlin bezogen), WER ist das DEUTSCHE Theater, WER ist das BERLINER Ensemble, WER ist die VOLKsbühne nicht (neu) beantworten, werden wir uns nicht wirklich einem tatsächlichen, gemeinsamen "Nationalen Gedächtnis" bewußt sein. - Wieder neu an prominenter Stelle versucht es jetzt das GORKI.
Erlauben Sie mir noch folgenden Hinweis (da Sie oben von der "amerikanischen Sklaverei" schrieben - die selbstverständlich ein Initial und Ergebnis des sich bereits globalisierenden Kapitalismus' sind): Zwei der prominentest platzierten Filme des letzten Jahres ("Lincoln" und "Django Unchained") die die "Sklaverei" (besser doch "Versklavung") zum Thema hatten, verzichteten konsequent darauf die (wahre) Geschichte der UNDERGROUND RAILWAY (Googlen Sie es!) zu erwähnen. Warum erzählen etablierte Künstler_innen, Kunstproduzent_innen diese Geschichten nicht? Prinzip, Desinteresse, Nachlässigkeit, Unwissen (sicher nicht) ? - Urteilen Sie selbst!
Herr Baucks, ich hoffe, das war Ihnen jetzt genug des Nicht-Schweigens und verbleibe mit Herzlichen Grüßen ...
@2: Sie schreiben: "Gegen die Deutungshoheit von weißen Theaterkritiker_innen und für eine Selbstrepräsentation! Go Murali!" - Warum führen Sie in ihrem Statement rassenbiologische Kriterien zur Erklärung sozialen Verhaltens ein? In der Bundesrepublik Deutschland ist das m.E. ein Straftatbestand. Da bitte ich um Erklärung.
@Murali Perumal: Ich begrüße ihren Brief und denke, die inhaltliche Auseinandersetzung gerade mit den ästhetischen Schwerpunkten in den von Ihnen angesprochenen Arbeitsbereichen ist mehr als positiv. Auch als Ostdeutscher kann ich Ihnen bestätigen, dass es nicht einfach ist, sich im Westen ausweisen zu müssen als Nazi oder Stasi. Zweitens aber muss ich Ihnen mitteilen, dass ich einige Worte problematisch finde: "indo-germanische Schauspieler" schreiben Sie oder auch "durchmischten Gesellschaft" oder "Weiße deutsche Schauspieler spielen spanische Rollen" - Warum benutzen sie dieses Vokabiular, für das normalerweise die Rechtsaußen von CSU und NPD stehen?
das ist mal eine Antwort auf einem ganz anderen Niveau, die ich sehr begrüße. Und doch ist es so, dass man die Rezeptionsgeschichte des "Othello" nicht leichtfertig Shakespeare anlasten sollte. Wir haben also herausgearbeitet, dass auch Shakespeare Vorbilder hatte, was sie zunächst in Frage stellten. Sei´s drum. Nun stellen sie einige Verbindungen her. Schön.
Es wäre natürlich die Aufgabe eines heutigen Theaters dieses Stück von seiner Rezeptionsgeschichte zu befreien. Es zu schälen.
Aber kommen wir einmal auf den "Prinzen von Homburg" zurück. Wenn man dieses Stück durchgehend mit Farbigen besetzen würde und diese keine weiße Gesellschaft abbilden würden, dann wäre dies Stück eventuell geeignet heutige Konflikte im Südsudan oder Mali abzubilden. Woraus sich eine komplett andere Verarbeitung ergeben würde, als es das postmigrantische Theater für sich in Anspruch nimmt. Die "farbigen" Figuren wären dann keine postmigrantischen Leitbilder oder Ikonen mehr, sondern würden Menschen anderer Kulturen als ebenso problematisch zeigen, wie wir es in der kritischen Selbstreflexion von Europäern schon längst gewohnt sind.
Hier sehe ich die Defizite des Gorki, deren Arbeit zuweilen als eine Art Mobilmachung gegen die weiße, heterosexuelle Gesellschaft verstanden werden kann.
Auch mir behagt der Begriff des "nationalen Gedächtnisses" nicht unbedingt, aber ich empfinde ihn als würdig genug, sich mit ihm auseinander zusetzen. Eine Verweigerung aus ideologischen Gründen ist mir fremd, so wie ich die Kunst immer als ein Gegengift und einen Gegenentwurf zur Politik verstanden habe.
Natürlich verteidigt er das Blackfacing mit den "guten" Absichten. Der strukturelle Rassismus wird von Martenstein nicht einmal im Ansatz erkannt. Niggemeier hat auf Twitter ein "Martenstein" sehr schön als die "Maßeinheit für den Unwillen, sich beim Denken anzustrengen" definiert.
Was ich mich nach der Lektüre der unguten Kolumne gefragt habe: Warum singen in Opern schwarze SängerInnen die Gräfin aus Figaro, eine Walküre, den Fliegenden Holländer, Don Giovanni und Leporello etc., ohne dass man zum Mittel des "Whitefacing" greifen würde? Als Begründung würde man wahrscheinlich sagen: Da sollen Menschen dargestellt werden, und somit ist es egal, ob die schwarz oder weiß sind.
Aber man greift zum Blackfacing. Da sollen offenbar keine Menschen dargestellt, sondern Klischees markiert werden. Wenn es unwichtig ist, ob Siegfried schwarz oder weiß dargestellt wird, muss es auch unwichtig sein können, ob Othello schwarz oder weiß ist. Ansonsten setzt sich eine Gruppe (üblicherweise die Weißen) als "normal" und karikiert den Außenseiter. Und da beginnt dann der Rassismus. Es geht auch im Othello nicht um einen Schwarzen, sondern um einen Menschen. Das könnte auch Martenstein begreifen.
Wie erklärt man den Zuschauern, dass es keinen Unterschied im menschlichen Charakter auf Grund der Hautfarbe gibt? Indem man jede divergierende Wahrnehmung auf Grund von Hautfarben einfach auf der Bühne ignoriert? Muss man den Zuschauern heute in der BRD überhaupt noch erklären, dass es keine Unterschiede im menschlichen Wesen auf Grund von Hautfarben gibt?
Nun, den Zuschauern, die heute das Gorki besuchen ganz sicher nicht. Ihnen sollte man einmal, und den Machern ebenso, verdeutlichen, was ein „positives Vorurteil“ ist. Nämlich, wenn ich von jedem Andersfarbigen, der nicht weiß ist, auf der Stelle unkritisch annehme, er sei ein guter, vielleicht sogar ein besserer Mensch. So eine Haltung nenne ich „positiven Rassismus“. Und er ist ebenso erbärmlich, wie der Hautfarbe „weiß“ bessere Eigenschaften zuzuschreiben.
Natürlich kann alles was Othello widerfährt und alles was er macht, auch einem „Weißen“ widerfahren und er würde wahrscheinlich vergleichbar handeln. Aber damit wäre noch lange nicht erklärt, warum sich Menschen verschiedener Hautfarbe unterschiedlich wahrnehmen, und dies beidseitig, denn auch der „Schwarze“ nimmt einen „Weißen“ anders wahr als sich selbst. Hierin unterscheiden sich beide wenig. Und in diesem Wahrnehmungskonflikt hilft Ignoranz recht wenig.
Die Aufforderung: Ach komm, ignorieren wir einfach unsere Unterschiede und tun so als seien wir identisch! ist in zweierlei Richtungen naiv. Einerseits änderte sie nichts an der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung der verschiedenen Gruppen untereinander. Andererseits unterschlägt sie reale Unterschiede, die es überall gibt, nicht nur zwischen Menschen verschiedener Hautfarben. Nicht jeder Weiße gleicht dem anderen Weißen. Ebenso sind nicht alle Schwarzen gleich. Die Unterschiede im Charakter, den Fähigkeiten, dem sozialen Stand nehmen keine Rücksicht auf Hautfarben, aber sie sind vorhanden.
Sich Menschen gleich zu denken, macht sie noch lange nicht in der Realität zu gleichberechtigten Gegenübern, sonst gäbe es den Konflikt nicht. Würde das Hoffen und schön Denken alleine reichen, lebten wir schon längst in einem Paradies. Solange wir dies aber noch nicht tun, ist es sinnvoll sich damit auseinanderzusetzen, wie die Wahrnehmung unterschiedlicher Hautfarben funktioniert.
mit
Azadeh Sharifi – Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin
Birgit Mandel – Professorin für Kulturmanagement und Kulturvermittlung
Björn Bicker – Theatermacher und Autor
Cigdem Teke – Schauspielerin an den Kammerspielen in München
Ersan Mondtag – Nachwuchsregisseur in Frankfurt
Johan Simons – Intendant der Münchener Kammerspiele
Mekonnen Mesghena – Mitarbeiter der Heinrich Böll Stiftung
Murali Perumal – Schauspieler
Atif Hussein – Aktivist und Regisseur
Nuran David Calis – Schriftsteller und Regisseur
Shermin Langhoff – Intendantin des Maxim Gorki Theaters in Berlin
Tuncay Acar – Kulturschaffender in München
Vassilis Tsianos – Soziologe und Mitgründer von Kanak Attak
Wagner Cavalho – Intendant des Ballhaus Naunynstraße in Berlin