Hildesheimer Thesen II - Wie Interkulturelles Audience Development Relevanz stiften kann
Repräsentativer werden
Hildesheim, 31. Oktober 2012. Die Kooperation mit neuen Akteuren und neuen Nutzern kann das Theater programmatisch und strukturell verändern und dazu beitragen, dass es mehr Relevanz im Leben breiter und sozial wie ethnisch diverser Bevölkerungsgruppen hat.
Von Birgit Mandel
Aber nur dann:
– wenn das Ziel interkultureller Öffnung mit allen Mitarbeitern reflektiert, präzisiert und strategisch verankert wird in den Leitlinien eines Theaters,
– wenn alle überzeugt sind, dass sie auch persönlich von den inhaltlichen und ästhetischen Anregungen durch Menschen anderer Milieus, anderer Herkunft, anderen Alters profitieren,
– wenn die Abteilungen, die vor allem mit neuen Nutzergruppen zu tun haben (v.a. die Theaterpädagogik und Vermittlung) als gleichwertig in das künstlerische Team integriert sind und auch entsprechend gleichwertig mit Personal und Budget ausgestattet sind,
– wenn auch im Haus Interkultur gelebt wird auf der Basis flacher Hierarchien,
– wenn es den Mut der Leitung und die Unterstützung durch Politik und Verwaltung gibt, neue Programme und Formate auszuprobieren statt am Repertoire-Spielplan festhalten zu müssen, damit interkulturell ausgerichtete Projekte nicht mehr die Ausnahme sind, sondern Kontinuität in der Arbeit mit neuen vielfältigen Akteuren erzielt werden kann.
Für öffentliche, sogenannte Hochkultureinrichtungen sind interkulturelle Veränderungsprozesse aufgrund ihrer langen Tradition besonders schwierig und darum nicht kurzfristig zu gestalten. Die größten Probleme bestehen in den klassischen Repertoirestrukturen, dem traditionellen Kanon, den traditionellen Produktions- und Rezeptionsformen, den Erwartungshaltungen an Theater und Museum und dem damit verbundenen Image.
Ein für neue Zielgruppen attraktives Programm ist der wesentliche Einflussfaktor, um diese als Publikum zu gewinnen.
Unter dem Begriff "Menschen mit Migrationshintergrund" befinden sich sozialstrukturell sehr heterogene Gruppen mit unterschiedlichen kulturellen Interessen und Zugängen zum Kulturbetrieb in Deutschland. Das Problem besteht nicht darin, Menschen anderer ethnischer Herkunft als Publikum zu gewinnen, sondern es erweist sich als schwer für öffentliche Einrichtungen, Menschen mit niedrigem Bildungshintergrund, gleich welcher Herkunft, zu erreichen.
Auch mit einem interkulturellen Audience Development können nicht alle Bevölkerungsgruppen für Theater und Museum interessiert werden.
Durch Kooperation mit vielen verschiedenen Partnern und Multiplikatoren jenseits des Kultursektors kann es gelingen, Menschen aus bislang nicht kunstaffinen Milieus zu erreichen und in partizipativen Projekten zu involvieren.
Öffentliche Theater und Museen haben dabei nicht die Aufgabe Sozialarbeit zu machen, aber sie haben die Aufgabe, mit künstlerischen Mitteln interkulturelle Bildungsprozesse zu ermöglichen. Dadurch werden sich langfristig auch die Institutionen verändern und repräsentativer für die sich verändernde Bevölkerung.
Prof. Dr. Birgit Mandel, geb. 1963, ist Professorin für Kulturmanagement und Kulturvermittlung an der Universität Hildesheim. Sie berät diverse Kultureinrichtungen in Deutschland zu Strategien der Kulturvermittlung, des Audience Development und des Kulturmarketings und führt Forschungsprojekte in diesen Bereichen durch. Sie ist Herausgeberin der Forschungs-Website kulturvermittlung-online.de.
Mehr zur Vorlesungsreihe: www.uni-hildesheim.de
Alle Hildesheimer Thesen sind im Lexikon zu finden
Siehe auch: die Stadttheaterdebatte auf nachtkritik.de
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Wenn es, wie beschrieben und von der Referentin ausführlich dargestellt, aber nur bei den Pilotprojekten bleibt, deren Nachhaltigkeit nicht gemessen werden kann, weil sie keine haben, dann frage ich mich, warum die Theater, respektive die Leitung, bei diesem Projekt überhaupt mitgemacht haben.
Wenn es ernst gemeint ist, damit neue Besuchergruppen dauerhaft ans Haus zu binden und nicht nur dazu da ist, sich nach Außen hin damit zu schmücken, warum ist es dann nicht möglich, sie direkt in den Spielplan aufzunehmen und das "Projekt" im Repertoire zu integrieren?
Warum ist es nicht möglich, einen Teil des Budgets für "bürgerliche" Inszenierungen in die Förderung und Durchführung des interkulturellen Projektes zu stecken? Denn erst dann, wenn dies als Herzensangelegenheit der Theaterleitung (Intendanz) erkennbar wird, sollte es die Möglichkeit geben, Zuschüsse vom Land/Bund zu erhalten.
Ansonsten nimmt man wieder der freien Szene, indirekt die Fördermittel weg, die Projekte an anderen Orten mit Menschen bildungsfernerer Schichten schon vielfältig betreibt.
Überhaupt, wo bleiben die multikulturellen Ensemble, bei denen es nicht darum geht, den "Quotentürken" dabei zu haben, sondern nicht auf die, nach dem Kanon zu besetzenden Rollentypen/bilder zu achten, sondern auf darstellerische Vielfalt, egal welcher ethnischen Herkunft.
Ein solches Ensemble könnte dann auch dazu beitragen, dass sich die bisher nur durch Projekte angesprochenen Besucher die ein oder andere Inszenierung aus dem Abonnenten- Angebot ansehen.
Wir dürfen gespannt sein, was sich zukünftig am Maxim Gorki Theater unter Shermin Langhoff entwickeln wird.
Es stellt sich also für mich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, an längerfristigen Projekten zu arbeiten, wie beispielsweise die Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendzentren. Diese bieten eine gute Möglichkeit auch junge Menschen mit Migrationshintergrund oder aus niedrigeren Bildungsschichten zu erreichen.
Man findet heute in der Jugendszene eine große Anzahl an künstlerischem und musischem Potential - auch wenn es von der anerkannten Theaterszene häufig nicht als "Künstlerisch wertvoll" angesehen wird.
Zudem sollte man vielleicht nicht nur überlegen "wie kriegen wir neue Zuschauergruppen?", sondern "Warum sprechen wir nicht alle Milieus an?" Viele junge Menschen haben sich ihre eigenen Bühnen geschaffen, fern von imposanten Theatergebäuden, Abendkleidung und tiefgründig inszenierten Stücken. Es liegt also nicht am Theater selbst, sondern an der Inszenierung des Theaters. Wenn man diese jungen Leute dazu bringt, ihre Werke im Theater aufzuführen und nicht nur in Jugendzentren und Jugendtreffs, so ist meiner Meinung nach der erste Schritt getan, um dem Theater wieder neues Leben einzuhauchen.
Theater von Jugendlichen für Jugendliche.
Man möchte meinen, dass nicht nur den Projektbeteiligten, sondern auch den Theaterleitungen an Ergebnissen und Handlungsempfehlungen, die auf Grundlage der Analyse ausgesprochen werden können, gelegen ist. Doch die Tatsache, dass die Mehrzahl der Intendanten, deren Projekte im Rahmen des zweijährigen Modellversuchs des Landes Nordrhein-Westfalen untersucht wurden, es offenbar nicht für nötig hielten, sich mit einer persönlichen Einschätzung an der Prozessevaluation der jeweiligen Projekte zu beteiligen, dokumentiert das genaue Gegenteil.
Zwar erfahren interkulturelle Projekte wie die, welche im Vortrag von Frau Prof. Dr. Birgit Mandel Erwähnung fanden, hohe Wertschätzung, doch werden sie alleine kaum dazu in der Lage sein, das Bild eines Theaters nachhaltig zu verändern. Nur, wenn sich Projekte dieser Art auch längerfristig in den Programmen der Theater etablieren können, kann auch ein attraktives Programm für die gewünschte Zielgruppe geschaffen werden, das es ermöglicht, diese Menschen dauerhaft als Publikum zu gewinnen und ihnen zu zeigen, dass das Theater von heute bereit ist, aus ihren Häusern herauszutreten und sowohl ästhetisch als auch inhaltlich neue Wege zu beschreiten.
Vorbildliche, innovative Projekte wie „CRASHTEST NORDSTADT“ enden als berühmter Tropfen auf den heißen Stein, wenn sie keine Rückendeckung erfahren und Eintagsfliegen bleiben. An was es einer Vielzahl von Theaterhäusern noch immer zu mangeln scheint, ist der Mut zur Veränderung.
Theater hat schließlich eine Zukunft verdient!
und zur frage der bildung: auch da geht es doch darum, was wir an jeweils anderer idee davon aushalten, jenseits der eigenen vorstellungswelt. klar, soll man da und dort eintauchen, nur schlauer wäre auch da, die leute selbst zu aktivieren und dann in ruhe zu lassen. dann kann ich auch ehrlich sagen, dass mich das vielleicht null interessiert. ehrlichkeit hat was mit chancengleichheit zu tun. und wenn wir aus der ja! bürgerlichen ecke davon reden, dann hat das meist was mit "ich ermögliche" zu tun. das aber ist immer schon status und wer da wo steht, ist nur eine theoretische frage. wir investieren eben ungern da, wo es uns nicht nachvollziehbar ist, wo wir den wert nicht erkennen. ob das dann eine andere kultur im sinne eines anderen landes/volkes meint oder im sinne einer anderen schicht, macht da keinen unterschied. die diskussion finde ich gut, wenn sie ehrlich wäre noch besser.
Ich habe das Gefühl, dass unter den Theaterschaffenden der großen Institutionen große Angst herrscht. Selbst miterlebt habe ich am Theater die Angst vor negativen Kritiken, schlechten Besucherzahlen kurz: vorm Scheitern. Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum sich die Theater bei diesem gesamten Projekt geweigert haben, konkret messbare Ziele zu stecken. Aus Angst diese nicht zu erreichen. Und vielleicht war deshalb auch der Rücklauf der Fragebögen so gering, weil viele nicht darüber sprechen wollten, was und warum etwas nicht so geklappt hat, wie geplant.
Mir stellt sich also in erster Linie die Frage: wie schafft man Rahmenbedingungen, in denen keine große Angst vor dem Scheitern herrschen muss?
Es gaht ja nicht darum, dass man dasselbe Geld in einen Topf wirft und dann nur anders ausgeben muss. Es geht darum, dass das Geld wahrscheinlich weg ist, wenn man sich nicht dran klammert. Nur nicht laut über schlechte Zuschauerzahlen sprechen, über Theater für ein immer älter werdendes Abopublikum, immer stärker an dem vorbei, was die Leute heute wollen. Klar gehen die gerne auch mal ins Sprechtheater, aber sie wollen auch andere Sachen, die die Häuser gar nicht bieten können, weil sie mit der Versorgung der übrig gebliebenen Abonnenten voll beschäftigt sind.
Wär das schön, wenn mal von der Geberseite gesagt werden könnte: Ihr kriegt genauso Geld wie vorher, auch, wenn ihr reformiert. Aber da wird man dann wahrscheinlich eher abgeschafft...
Meiner Meinung nach sind eine Menge Häuser bestrebt, sich auch mal ein Projekt mit armen, sozial schwachen Hartz IV-Kindern und Migrantenkids auf die Fahne schreiben zu dürfen, lassen ihr neu gewonnenes Jungblut aber direkt nach den Projekten wieder fallen. Wo bleibt da die Nachhaltigkeit? Wenn sich die Theater seit unglaublich vielen Jahren immer noch darüber beklagen, dass das junge Publikum ausbleibt, dann kann der Fehler doch offensichtlich nur im eigenen System liegen. Von fehlenden Subventionen möchte im Übrigen niemand mehr etwas hören!
Bleibt zu überlegen, ob man sich gern auf dem Intendantenstuhl zurücklehnen und den Laden so wie immer laufen lassen möchte, oder die Chance beim Schopfe packt, die draußen vorm Foyer, ja, da in der echten Welt, vorbeiläuft...
Allein das Wort „Projekt“ zeigt schon, dass es eine zeitliche Begrenzung gibt. Obwohl dauerhaft Strukturen und Initiativen mit allen Bewohner_innen einer Stadt wünschenswert wären.
Schade ist besonders, dass viele der bisher gelaufenen Projekte kaum nachhaltig sind, denn sobald sie vorbei sind, kann sich niemand im Theater mehr um die Akteur_innen kümmern, denn es gibt ja noch anderes zu tun. Verständlich. Aber gerade dann muss es ab jetzt personelle Veränderungen geben. Theaterpädagog_innen, die sich vor allem um Communities in der Stadt kümmern und über eine Projektdauer hinaus zwischen Theater und Bürger_innen vermitteln, sollten essentiell sein. Denn ohne eine solche Nachhaltigkeit, verpufft auch die Wirkung eines wunderbaren Projekts, wie z.B. Crashtest Nordstadt, ganz schnell im Wind.
Dennoch kommt es mir manchmal wie Hohn vor, wenn große, gut subventionierte Stadt -oder Landestheater extrem viel Geld aus Kulturfonds bekommen um Projekte zu realisieren, die auf mich eher wie eine teure Image-Verbesserung wirken, als der wirkliche Wunsch nach einer Veränderung der Theater und deren Strukturen.
Solche Projekte werden in Soziokulturen Zentren und freien Theatern seit Jahren für einen Bruchteil des Geldes und deutlich weniger Anerkennung auf die Beine gestellt. Man könnte sich überlegen diese Einrichtungen endlich ordentlich finanziell zu unterstützen, da ist dann auch die so oft geforderte Nachhaltigkeit schon gegeben.
(1) "...mit allen Mitarbeitern reflektiert, präzisiert und
strategisch verankert wird..." --> im Vortrag hörten wir unter anderem, dass es sowohl während der Arbeiten/Produktionen als auch - und das finde ich besonders relevant - in der Evaluation und Zielperspektive kaum Rückmeldungen von den Intendanten und Entscheidungsträgern in Institutionen gegeben hat. Das finde ich fatal! Sollte es nicht gerade das künstlerische Leitungspersonal sein, dass hinter solcher Art von Projekten steht? Wenn bereits dies in solchen Pilotprojekten nicht gegeben ist, glaube ich, wir haben besonders große Mengen Geld zu einem weit geöffneten Fenster herausgeworfen. Wo ist die Nachhaltigkeit? Wo ist der Wille zur Flexibilität bzw. zur Veränderung? Wir scheitern an dem Uninteresse derjenigen, die sich Neuerungen, Ideen und Potentialen zur Veränderung am ehesten öffnen und vorallem sie in ihren innersten Interessenkreis aufnehmen sollten!
Es ist erfreulich, dass im Rahmen dieses Forschungsprojektes nun auch die Relevanz einer "Kultur der Wertschätzung" ihre Bestätigung erfahren hat. In der Befragung der Beteiligten wurde deren positives Feedback in Bezug auf die Ernsthaftigkeit im Umgang sowie die Relevanz der gemeinsamen Weiterentwicklung eines Kulturbegriffs genannt.
So wie die Menschen die Kultur ihrer Gegenwart formen, werden auch umgekehrt wir von der Kultur geprägt. Da wir uns mit unserem gesamten Umfeld heute so schnell wandeln, entsteht nun eine gewisse Differenz in der kulturellen Umgebung der verschiedenen Generationen. Verallgemeinernd könnte man es folgendermaßen betrachten: Während es für ältere Generationen noch normal war, in Theater, Oper oder Klassische Konzerte zu gehen, so ist das für die jüngeren Generationen eine exotische, in gewisser Weise verständlicherweise verstaubte Form der Freizeitbeschäftigung. Verständlich, da sie bereits ihr ganzes Leben mit ganz anderen Medien, in anderem kulturelle Gelände, umgeben sind. Theater tauchte dazwischen schlichtweg noch kaum auf – und wenn dann im Zusammenhang mit alten Texten, die neben aktuellen Bestsellern oft unattraktiv anmuten. Wieso sollte man diese Institution dann in seiner Freizeit gerne besuchen?
So betrachtet, würde es bei „älteren“ Zielgruppen wohl reichen, die Themen der Veranstaltungen anzupassen um sie mehr zum Besuch zu motivieren. Bei jungen Menschen und Menschen mit niedrigem Bildungshintergrund müsste meiner Meinung nach allerdings nicht in Projekten im Theater, sondern schon viel früher angesetzt werden – damit, dass das Gedankengut „Theater“ in positiver Weise in die Köpfe kommt. Ob dies nun Arbeit der Theaterhäuser, Kindergärten, Schulen oder dem TV-Programm ist, ist wieder eine andere Frage.
Ich kann nur hoffen, dass die Intendanten weiterhin Mut beweisen und die Chancen, die im Audience Development zu erahnen sind, in Zukunft greifen werden. Nicht nur in Besucherzahlen, sondern viel mehr in der Vielfältigkeit auf der Bühne.
Ja, die Häuser, ob nun Theater oder Museen, müssen gesellschaftsrelevanter werden! Sie müssen sich öffnen, partizipative Möglichkeiten bieten, die sozialen Realitäten einer Gesellschaft mit Einwanderern, Bildungsbenachteiligten, vielen Alten und Orientierung suchenden jungen Menschen anerkennen.
Ich würde das Gegenteil vertreten. Alle Menschen können denken und also bildungsmäßig gefordert werden - und solche Ansätze gab es bereits, in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Beispiel, ich verweise auf die Begriffe "Arbeiterbildungsvereine" und/oder "Kulturarbeit". Kultur und erst recht Kunst ist die Gesamtheit aller menschlichen Lebensäußerungen, siehe auch die Stichworte "soziale Plastik" und "erweiterter Kunstbegriff" bei Joseph Beuys. Kultur ist also für alle da und für die Entwicklung des öffentlichen Gemeinwesens bzw. einer emanzipatorischen Bürgergemeinschaft wesentlich, aber das sollte meines Erachtens nicht heissen, dass das Theater sich jetzt dem Fernsehen und/oder Computerspiel angleichen sollte. Nein, es sollte schon bei den eigenen Mitteln bleiben. Mehr Eventhaftigkeit zu fordern, das geht meines Erachtens in die falsche Richtung.
Wenn ich in der Vorlesung sitze habe ich manchmal den Eindruck, um mich herum sitzen lauter junge Alchimisten, die auf der Suche sind nach dem Stein der (Theater)Weisen. Wenn wir diese eine Verbindung finden könnten, dann könnten wir den Theaterhomunkulus schaffen, der bis in die nächste Ewigkeit hinein "THEATER" bedeuten kann. Aber ich bin der Meinung, dass Theater und seine Formen nie aussterben werden, auch wenn man uns alle Gelder streicht und damit unsere Straßen sanieren würde. Weil es, sollte dies passieren, Menschen wie uns (ja, auch dich) gibt, die Möglichkeiten und Formen finden werden an Orten und mit Mitteln, die wir vorher nicht für möglich gehalten hätten.
Wenn Stadttheater, speziell in größeren Mittelstädten und kleineren Großstädten, siebenstellige Beträge erhalten, um damit oft bestenfalls mittelmäßige Hochkultur zwecks bürgerlicher Selbstvergewisserung zu produzieren, während vor den Toren der Stadt, in Sozialbauten in den Vororten, marginalisierte Bevölkerungsgruppen außerhalb kommerzieller Angebote kaum Anschlusspunkte finden, läuft etwas falsch.
Ich persönlich habe solchen Projekten auch ein großes Skepsis gegenüber, weil ich sie zumeist beinahe als jugend und immigrationsfeindlich erlebt habe. Ich kann nicht verstehen warum ein interkulturelle Installation auch inhaltlich immer das Thema Integration haben muss. Warum muss man Jugendliche auf eine Bühne zerren und sie über ihre Herkunftsunterschiede ausquetschen, warum dieses Einteilen und grade zu Feiern der Bildungs- und Herkunftsunterschiede? Warum kann man ein Immigrationsprojekt nicht so gestalten, dass man Jugendliche verschiedener Herkunft einfach nur als Jugendliche betrachtet? Warum arbeitet man mit ihnen nicht kleine individuelle Erlebnisse auf, statt diesem ewigen Fragen nach dem „ist das so, weil du da und da her kommst?“. Ich selbst möchte mir solches Jugendtheater wirklich nicht ansehen! Häufig sind solche Produktionen das Ergebnis von Erwachsenen, die auf die Bühne bringen, wovon sie sich einreden, dass es Jugendliche fühlen und versuchen das dann in häufig klischeereicher Form anderen Erwachsenen bei zu bringen, die dann eine Aha-Effekt haben, der wenig mit dem Anerkennen von Jugendlichen als Menschen zu tun hat.
Auch fand ich die Begründung von Frau Dr. Mandel, dass so viele Kulturgelder in die Stadttheater gesteckt werden, weil diese es nötig haben, nicht zureichend. Folglich werden die belohnt, die weder ausreichend Willen, noch Flexibilität aufweisen. Hervorragende Theater der Off-Szene, die sich medialer Mittel, wie Facebook, Twitter usw, schon lange bedienen und gut mit Jugendlichen als potentielle Zuschauer umgehen, werden nicht ausreichend belohnt.
Des Weiteren glaube ich nicht das Theater und der Umgang mit diesem nicht nur ein kulturpolitisches Problem ist, sondern bereits in der schulischen Bildung Aller stattfinden muss. In meiner Schullaufzeit wurde Theater nie als repräsentatives Mittel für Gesellschaftszustände genutzt, es wurde in keiner Form in den schulischen Alltag als Bildungsmöglichkeit verschiedenster Art wahr genommen. Theater existierte nur im Rahmen langwieriger und weder vor- noch nachbereiteter Schulaufführungen. Und da Frau Dr. Mandel betonte das Jugendliche bis zum 12ten Lebensjahr besonders offen für Kultur sind, muss doch gerade da was getan werden.
M. W. H.
Weiterhin würde ich mir gelegentlich von beiden Professionen mehr Offenheit wünschen. Wie sieht es denn mit dem Theater in der Türkei oder der Arabischen Welt aus? Welches kulturelle Erbe gibt es dort? Welches hier? Unterschiedliche Sprachen, Musikstile, Traditionen und vieles mehr, was häufig in solchen Projekten zu kurz kommt. Theatergruppen aus dem Land einladen, gemeinsam Workshops und Inszenierungen vorbereiten etc. Ich glaube, es gäbe diverse Möglichkeiten einen Anreiz zu geben, allerdings ist es, meiner Meinung nach, von Nöten sich zu öffnen, ins Gespräch zu kommen und sich nicht anmaßen zu wollen: wir bringen Kunst bei/vermitteln/"werben" ein neues Publikum,...
Vor allem ist es doch dann so, dass eine Institution, eine Leitung oder dergleichen genau dies auch austrahlt und vermittelt. "Ich möchte euch ein Interesse für Kultur und Theater vermitteln". Voneinander Lernen und respektvolles Umgehen mit Kulturen, anderen "Bildungsniveaus"
Da stößt man von einigen Seiten auf starre Strukturen und Denkweisen, die es erstmal zu lösen gilt um langfristig und nachhaltig in die interkultrelle Kommunikation zu gehen und somit ein solches Publikum zu erreichen. Interesse für Kunst und Kultur ist mit Sicherheit auch in diesen Köpfen vorhanden.
Mir werden die ganzen Vermarktungsapparate (Einführungen, Educationprojekte, Schülerprojekte etc.) um die Aufführung herum langsam zu viel.
Ich finde, man sollte die dort investierte Energie lieber in die Aufführungen selbst reinstecken, um sie wieder so zu machen, dass die Leute reingehen wollen.
Ich weiss, dass die sich selbst erklärende Aufführung ein Idealfall ist, der nur selten gelingt. Mein Statement will Marketing etc. gar nicht abschaffen. Es will nur sagen: der Education-Rummel um die Aufführung herum wird allmählich zum die Hauptsache überwuchernden Selbstzweck, zur para-sitären Industrie. Die dort investierten Mittel und Energien sollten in die Aufführung fließen, nicht um sie herum.
Aber in diesen "Edjucationprojekten" stecken doch meist die Mitmachprojekte. Die Schüler und Jugendliche allgemein können sich dort selbstausprobieren und durch eigenes Erfahren intensiver in die Aufführung einsteigen. Das heißt ja nich, dass die Aufführung somit nicht alleine stehen kann.
Allerdings ist es heute so, auch bei mir, dass mir das selber Spielen und Workshops, bei denen ich selber Aktiv werde mehr Spaß machen als das bloße Zuschauen. Das man beides hat, ist für die Kulturlandschaft und die verschiedenen Menschentypen wichtig!
Ein weiterer Aspekt des Audience Development ist meiner Meinung nach deswegen Theatergruppen aus anderen Ländern nach Deutschland zu holen. Nicht nur durch die Einbindung von "Menschen mit Migrationshintergrund" oder Menschen mit niedrigem Bildungshintergrund könnte das Publikum vielfältiger werden, sondern auch durch Gastspiele aus anderen Ländern. Das können ganze Gruppen sein, oder nur ein Skiptautor aus einem anderen Land, der sich dementsprechend mit ganz anderen Thematiken befasst.
In Marokkos Hauptstadt Rabat gibt es zum Beispiel solch ein Projekt. Es heißt "Dabateatr" und dort werden Skripte aus verschiedenen Teilen der Erde von jungen Marokkanern oder Gastspielern aufgeführt.
Solch ein Projekt lockt nicht nur ein anderes Publikum in das Theater, es bietet dem bestehenden Publikum auch Einblick in andere Welten und andere Kulturen.
Daher ist es für mich besonders interessant ihr Thesen nun nochmal zu lesen, ca. ein halbes Jahr und etliche Thesen später.
Vor allem, wenn ich Herrn Heegs Thesen über das transkulturelle Theater berücksichtige, merke ich, dass mir doch Einiges an Frau Mandels Thesen fraglich bleibt:
Ist es wirklich so sinnvoll, Menschen mit Migrationshintergrund, als repräsentative Gruppe in den Fokus des Audience Development zu setzen? Mir ist klar, das man rein marketingtechnisch Schritt für Schritt arbeitet und diese Zielgruppe nunmal das genaue Gegenteil des Stadttheaterbesuchers ist, doch unterstützt diese Strategie womöglich nicht sogar das Phänomen der fehlenden Nachhaltigkeit?
Ich denke wir müssen dieses Schubladendenken beenden und stattdessen mit Audience Development dort beginnen, wo jeder irgendwann mal anwesend ist, nämlich in den Schulen. Theater sollte die Gesellschaft was angehen, aber halt die ganze Gesellschaft und wie könnte man das gezielter vermitteln als in den Schulen? Meiner Meinung nach ist eine Reform des Schulsystems dringend nötig, um Kunst und Kultur nicht nur in das Curriculum zu intergrieren, sondern sie als fundamentale Bildung jedes Einzelnen zu begreifen. Erst dann werden wieder mehr Menschen ins Theater gehen und dort auch bleiben!
Ich denke aber, allein in den Schulden anzusetzen wird vorerst nicht ausreichen, will man bereits heute allen die Teilhabe an Kultur ermöglichen (und das auch nach der Schule, die die Gesellschaft leider doch wieder ein Stück weit spalten wird) Dafür braucht es entsprechende Kulturangebote.
Außerdem stell ich mir die Frage, ob die Theater selbst nicht vermodern, wenn sie sich, als Spiegel der Gesellschaft, nicht auf die Innovationen einlassen/einlassen können, die ihre Aktualität und gesellschaftliche Relevanz ausmachen.
>> Hier möchte ich an meine_n Vorredner_in anschließen. Wie mehrfach erwähnt, ist die Idee keine Neue, doch wird an Erfolgen meist nicht festgehalten: Es scheint oft so, als wolle man es auch einmal versuchen, für ein Projekt mit einer anderen Zielgruppe zu arbeiten - zum Beispiel mit einer Gruppe von Menschen mit niedrigerem Bildungshintergrund - doch dann wird daran nicht festgehalten. Es wird als einmaliges Event (oder Experiment) angesehen. So, wie Theater immer noch als etwas Besonderes, nicht Alltägliches und für Menschen mit hohem (höherem) Bildungshintergrund angesehen wird. Ich bin auch der Meinung, es müsste sich ein Weg finden lassen, dass dies eben nicht so bleibt. Es müsste irgendwie zu schaffen sein, den Theaterbesuch als etwas Besonderes und gleichzeitig Alltägliches anzusehen und zu verstehen. Wie bereits bei den Thesen Günther Heegs angesprochen, müssten zu diesem Zweck, zum Beispiel die Schule/der Schulunterricht von Grund auf anders getstaleten werden, es müsste den Schülern vermittelt werden, das Theater, unabhängig von der Inszenierung zur gemeinsamen Lektüre im Deutschunterricht, sehenswert ist. Wenn wir bei der Schule als ein Beispiel bleiben, müssen Theater und eben diese viel enger zusammenarbeiten, als es der Fall ist.