Hildesheimer Thesen VIII - Die Zukunft der Theatervermittlung
Zwischen Lektion und Labor
von Geesche Wartemann
These 1
Alle Formen der Vermittlung am Theater unterstreichen die konstitutive Bedeutung des Zuschauers als co-creator (Susan Kattwinkel) des Theaters. Aktualität gewinnt die Vermittlung immer dann, wenn die Beteiligung des Zuschauers – aus sehr unterschiedlichen Gründen – problematisch wird.
Der Begriff der Vermittlung ist unscharf und umfasst in einem weiten Sinn dramaturgische Strategien der Inszenierung, den gesamten Bereich der Publikumsakquise sowie Aktivitäten der theaterpädagogischen Abteilungen. Insgesamt zielt Vermittlung immer auf die Teilhabe der Zuschauer bzw. nicht professioneller Akteure am Theater. Sie ist also rezeptions- oder produktionsorientiert. Die theaterpädagogische Tätigkeit am Theater umfasst beide Bereiche. Eine rezeptionsorientierte Theaterpädagogik zielt darauf das Publikum zu qualifizieren, sodass es kenntnisreich und selbstbewusst an der Aufführung teilhaben kann.
Auch im aktuellen theaterwissenschaftlichen Diskurs wird die Aufführung im Theater als "Zwischengeschehen" (Jens Roselt), als ein performatives und dynamisches Geschehen zwischen Darstellern und Publikum beschrieben. Die Aufgabe aktueller Vermittlung besteht also darin, den Zuschauer für den so genannten Ereignischarakter der Aufführung, seine Wahrnehmungen und seinen Beitrag zum Theater zu sensibilisieren.
These 2
Theater für junge ZuschauerInnen sind die Vorreiter in der Entwicklung und Reflexion von Modellen der Vermittlung, von denen alle Theater profitieren können.
Als Theater, das sein spezifisches Profil über seine Zuschauer gewinnt, verfügen die Kinder- und Jugendtheater über eine vergleichsweise lange Tradition der Vermittlung. Pädagogische Abteilungen waren fester Bestandteil aller russischen Kinder- und Jugendtheater, die Modell waren für die großen ostdeutschen Kinder- und Jugendtheaterhäuser. In Westdeutschland entwickelte das GRIPS Theater in den 70er Jahren erste Hefte und Unterrichtsvorschläge zur Nachbereitung von Aufführungen. Auch war der Zusammenhang von Theaterrezeption und eigenem Theaterspiel an den Kinder- und Jugendtheatern immer im Blick. Heute zeichnen sich die Theater für junge ZuschauerInnen dadurch aus, dass sie ihr Publikum schon im Produktionsprozess einbeziehen und ihm immer mit Neugier begegnen. Diese Offenheit dem Publikum gegenüber, die Bereitschaft, es mit seinen Fähigkeiten, Erwartungen und Bedürfnissen ernst zu nehmen, macht die Begegnung und auch die theaterpädagogischen Aktivitäten dialogisch.
Die Idee vom Theater als Kommunikation geht in den Kinder- und Jugendtheatern über die einzelne Aufführung hinaus. Selbstverständlich sind Recherchen mit Kindern und Jugendlichen im Probenprozess vieler Theater und insbesondere des GRIPS. Formate wie der "Theorietester" am "Theater der jungen Generation" Dresden oder die "Winterakademie" am Berliner "Theater an der Parkaue" zeigen ein weites Theaterverständnis, das im Austausch mit Kindern und Jugendlichen immer wieder überprüft wird. Auch Entwicklungen im Theater für die Allerkleinsten, also Theater für Kinder bis zu drei Jahren, beim "Helios Theater" Hamm und einigen anderen haben gezeigt, dass die Begegnung von KünstlerInnen und Publikum nicht primär direktiv im Sinne eines audience developments zu verstehen ist, sondern die Beobachtungen der Zuschauer umgekehrt künstlerisch anregend sein können.
Weil die Begegnung mit Kindern und Jugendlichen im Theater für junge Zuschauer nicht als notwendiges Übel, sondern als genuiner Teil der Theaterkunst verstanden wird, haben die TheaterpädagogInnen hier vorbildliche Arbeitsbedingungen. Auch die Auflösung scharfer Grenzen zu anderen Arbeitsbereichen wie der Dramaturgie oder umgekehrt die Etablierung eigener Sparten wie der Theaterakademie am "Theater der jungen Generation" in Dresden sind Ausdruck für die zentrale Position der Vermittlung in diesen Häusern.
These 3
Theaterpädagogische Formate bewegen sich zwischen Lektionen in kunsterzieherischer Tradition und einer offenen Erkundung dessen, was man als Theater bezeichnet.
Ein großer Teil der theaterpädagogischen Formate setzt ein normatives, meist traditionelles Theaterverständnis voraus. Der "Kleine Theaterknigge" (Theater an der Parkaue), aber auch Gespräche mit Schulklassen werden so zur Lektion, in der eine Vermittlerin als Expertin das Theater und seine Konventionen erklärt. Auch die "Theaterakademie" für Kinder in der Tradition der Kinderuniversität (RuhrTriennale 2005) sowie (Bilder-)Bücher, die das Theater den meist jungen ZuschauerInnen vorstellen, gehören in dieses Modell. Als Übung kann man ein weiteres Modell bezeichnen, dem in gleicher Weise ein normativer Theaterbegriff zugrunde liegt, der die Teilnehmer aber praktisch, das heißt szenisch und körperlich involviert. Das Labor ist schließlich ein drittes Modell der Vermittlung, in dem das Verhältnis zwischen Vermittlern und Teilnehmenden grundsätzlich anders bestimmt wird: Hier untersuchen Vermittler, Künstler und Kinder gemeinsam ihre Ideen vom Theater. Es fehlt eine Reflexion und Diskussion darüber, wie sehr Ziele und Formen der Vermittlung an einen jeweiligen Theaterbegriff gebunden sind.
These 4
Formen und Ziele in der Vermittlung von Theater sind gebunden an den jeweiligen Theaterbegriff. Eine Vermittlung von Theater setzt deshalb die Fähigkeit zur Reflexion theoretischer Implikationen und historischer Bedingungen von Theaterkonzepten voraus.
In der Ausbildung von TheaterpädagogInnen soll praktisches und theoretisches Wissen über Theater und nicht einfach ein "Methodenkoffer" vermittelt werden. Nur so kann Vermittlung sich immer wieder neu ins Verhältnis setzen zur Theaterkunst, kann sie Voraussetzungen, Praxen und Ziele der Vermittlung überdenken und weiter entwickeln.
These 5
Vermittlung am Theater soll auch in Zukunft auf möglichst vielfältige Weise möglichst vielen den Zugang zu den hier praktizierten Theaterkünsten eröffnen. Umgekehrt kann das Theater seine Zeitgenossenschaft gerade im Austausch mit jungen und allen anderen mit Theater nicht vertrauten Menschen behaupten. Für entsprechende Projekte braucht es mehr personelle und finanzielle Kapazitäten.
Nach der Konsolidierung des Berufsfelds Theaterpädagogik an Theatern wird die Vermittlung auch in Zukunft auf die Sicherung der tradierten Institution verpflichtet werden, indem sie auf möglichst vielfältige Weise möglichst vielen den Zugang zu den hier praktizierten Theaterkünsten eröffnet. Wünschenswert wäre darüber hinaus, dass TheaterpädagogInnen in ihrer Arbeit mit jungen, aber auch allen anderen, mit Theater nicht vertrauten Menschen mehr Kapazitäten bekommen, die Theaterkunst zu befragen und Theater als Medium und als Ort öffentlicher Auseinandersetzung für viele erfahrbar zu machen.
Geesche Wartemann ist Professorin für Ästhetik des Kinder- und Jugendtheaters an der Universität Hildesheim. Zuvor war sie Theaterpädagogin und Dramaturgin am Staatstheater Braunschweig, Juniorprofessorin für Theorie und Praxis des Kindertheaters in Hildesheim und anschließend Professorin für Theater und Theaterpädagogik an der Universität in Agder, Kristiansand (Norwegen). 2005 initiierte Geesche Wartemann das International Theatre for Young Audiences Research Network (ITYARN), das inzwischen zum Forschungsnetzwerk von ASSITEJ International wurde.
Mehr zur Vorlesungsreihe: www.uni-hildesheim.de
Alle Hildesheimer Thesen sind im Lexikon zu finden.
Siehe auch: die Stadttheaterdebatte auf nachtkritik.de
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"Kinder- und Jugendtheater als Vorreiter in der Entwicklung und Reflexion von Modellen der Vermittlung", die schon während des Probenprozesses ihr Publikum im Blick haben und die Fremdheit dessen produktiv machen.
-> Ich stimme insofern zu, alsdass das Publikum als künstlerisch anregend wahrgenommen wird und dies eine wunderbare Alternative zum konventionellen Audience Development darstellt. Nur so gelingt doch Theater im heutigen Sinne, nämlich als Zwischenspiel, als Ereignis. Dennoch meiner Meinung nach auf das Erwachsenentheater nicht übertragbar, weil bei dieser "Zuschauergruppe" und dessen Bedürfnissen nicht nur ihr Alter eine Rolle spielt.
-> Daher ein konkretes Modell meinerseits: Auswahl einer Gruppe von potentiellen bzw. schon vorhandenen Zuschauern durch Theaterpädagogen, die die Probenprozesse im Theater beratend begleiten. Natürlich kann man hier kritisch einwenden: Nach welchen Kriterien wird diese Gruppe ausgewählt? Ist dieses Modell nachhaltig? Müsste nicht vorher ein Audience Development dafür stattfinden? Wird dadurch nicht die künstlerische Freiheit beschnitten?
Mir geht es jedoch bei einem solchen Modell vielmehr im Sinne des Theaters als Ereignis um die Einbindung der Zuschauer im künstlerischen Prozess, sodass eventuell Vermittlung ein Teil dieses Prozesses werden kann und nicht parallel abläuft.
-> Außerdem sollten wir uns immer wieder bewusst machen, welche Intention und welchen Stellenwert Theater als Kunstform in Deutschland hat, nämlich meiner Meinung nach eine Verhandlung von gesellschaftlich relevanten Themen. Daher sollten die Interessen des Publikums (die das Theater finanzieren!!) vor der künstlerischen Freiheit berücksichtigt werden.
-> Theater also als eine Kunst der Beziehung und nicht der Präsentation!
Einwand: Ein Theater, das durch derartig aufwändige Para-theatralische Aktionen und Apparate (Theaterpädagogik etc.) am Leben erhalten werden muss, kommt mir vor wie ein sterbender Patient. Obwohl ich Theater sehr liebe, würde ich ihn dann lieber sterben lassen und mich mit dem beschäftigen, was von sich aus lebt in der heutigen Zeit.
Auch ist mir ein Theater, das einfach die Bedürfnisse seiner Rezipienten bedient, eine unangenehme Vorstellung. Es führt überhaupt nicht mehr heraus aus der Spirale der Selbstbezüglichkeit (vulgo Selbstbespiegelung, Inzucht, Selbstbefriedigung).
Fazit: Die Thesen klingen klug und vernünftig, behandeln ihr Objekt (die Theateraufführung) aber wie eine Fast-Leiche, für die sie Krücken konstruieren. Irgendwas stimmt da nicht.
Man kann dieses Vorgehen als verkaufen bezeichnen.
Aber für mich liegt der Gedanke der Werbung oder auch Verbreitung viel näher. Ich finde es wichtig, deutlich zu machen, dass Theater aktiv sein kann und vor allem, dass man selbst die Spielfreude für sich entdeckt. In dem Theater Koblenz, habe ich sehr gute Erfahrungen mit Workshops für Jugendliche gemacht. Auch die, die vorher bereits in das Theater gegangen sind, haben eine andere Sichtweise bekommen, weil sie nicht nur Rezipienten waren, sondern eine Verbindung zu dem Theater herstellen konnten.
Meiner Meinung nach kann sich die Zahl der Begeisterten Theatergänger erhöhen, wenn mehr Leute solche Erfahrungen machen, die nicht nur Theater näher bringt, sondern auch neue Betrachtungsweisen und vorallem ein Wir-Gefühl.
Wie wohl durchaus bekannt ist, geht die Zuschauerzahl in den meisten Theatern zurück - doch warum nicht etwas tun, um ein neues Bewusstsein zu schaffen. Ich würde auch nicht sagen, dass das Theater gleich stirbt. Es hat einen schwierigen Stand, aber den kann man vielleicht gerade mit neuen Methoden verbessern.
Desweiteren - wer wirbt heute nicht für eine Institution? Ohne Werbung oder verkaufen funktioniert in unserer Gesellschaft doch kaum etwas.
Ja, aber wollen wir diese Gesellschaft?
Wollen wir zu ihrem Fortbestehen beitragen, indem wir tun, was in ihr "funktioniert"?
Oder lieber passiven Widerstand leisten nach dem Motto "I'd rather not" (Barnaby) und an der Utopie des Theaters als "dem Anderen" festhalten?
Ich weiss es auch nicht.
Habe aber eine Aversion gegen den utilitaristischen Theaterbegriff. Und das Theater als Ware.
Ebenso, wie ich den folgenden Satz von Sibylle Lewitscharoff in "Blumenberg" als irgendwie an der Realität vorbei formuliert empfinde. Als ob sie noch nie etwas mit realen Kindern und/oder Erwachsenen zu tun gehabt hätte. Einfach folgendes zu behaupten: "Um sich vom Löwen abzulenken, erzählte er von seinen Kindern. Kinder verlangten nach Gerechtigkeit. Sie dürsteten danach, brennender, ungestümer als die Erwachsenen." Ja, stimmt denn das? Oder ist das von Erwachsenen im Sinne des "von Natur aus guten und gerechten" Kindes in dieses hineinprojiziert? In welchem Sinne denn gerecht? Kinder können doch andererseits auch total egoistisch sein, genauso wie Erwachsene, und die eigentliche Frage ist für mich deshalb konsequenterweise, in welchen Situationen sich das äussert und/oder aus welchen Motiven heraus.
Ausserdem, aus meiner Erfahrung heraus sind Kinder wie Erwachsene zugleich fasziniert und irritiert vom "Bösen". Daran anschließen müsste sich also die Frage: Was ist das eigentlich, diese Erfindung des "Bösen"? Gibt es ein absolutes Böses? Und ist eine/r, wenn er Kartoffeln klaut, weil er Hunger hat, schon böse? Tja, es ist eben alles relativ, aber das meint eben nicht Chaos, sondern eine alternative Betrachtung von Welt und Selbst.
Wenn man dem Publikum immer nur das gibt, was es erwartet, dann könnte es sehr langweilig werden, oder nicht? Ist das dann nicht eine Art marktkonformes Theater nach dem Angebots- und Nachfrageprinzip? Ist das nicht eine Kommerzialisierung und/oder aufklärerische Verbildungsbürgerlichung des Theaters? Ist es demgegenüber nicht gerade herausfordernder, wenn ich nicht gleich alles verstehe und gerade deswegen gezwungen bin, selbständig weiterzudenken?
Manchmal reicht es ja schon, die Raumaufteilung zwischen Bühne und Zuschauerraum zu ändern, indem man das Publikum sich frei durch das Theater bewegen lässt (im Berliner HAU oftmals beobachtet, auch bei Sasha Waltz, als sie noch an der Schaubühne war, und nun offenbar erstmals auch wieder im Theater Bremen beim "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny"). Ausserdem las ich gerade in der aktuellen "Theater der Zeit" vom "Embedded Audience", womit zugleich das Thema der Funktion des Medialen im Krieg künstlerisch bearbeitet wird. Meines Erachtens geht es also weniger um Vermittlung als vielmehr darum, den sich beim Wahrnehmen von Theater selbst reflektierenden Zuschauer wiederzubeleben.
Wenn ich objektiv schon nicht aus dem Vermarktungsprozess rauskomme, stellt sich nur die Frage, ob ich auch subjektiv mitmachen und mein Theater von vorauseilend daran anpassen soll.
Mein Vorschlag zur Diskussion: Der Hase "Künstler" hört auf, ständig hinter dem Igel "Markt" herzulaufen, sondern läuft einfach mal in die Richtung, auf die er selber Bock hat. Auf die Gefahr hin, dass der Igel "Markt" auch dort seine Agenten schon postiert hat, die rufen "Ich bin schon da". So what? Dann schlägt der Hase eben wieder gemütlich einen Haken, statt in Melancholie zu sinken oder sich tothetzen zu lassen.
Ansonsten, auch ich empfinde die Bartleby-Politik bzw. den "passiven Widerstand" gegenüber einem ideologisch-besoffenen bzw. zwanghaften und pseudo-politischen Aktionismus als sinnvoller, vor allem dann, wenn dieser nur auf der Theaterbühne stattfindet.
Und das Absurde ist, da, wo wirklicher Widerstand stattfindet, da sieht es oftmals aus wie Theater. Und DAS sollte uns wirklich zu denken geben. Siehe zum Beispiel hier:
www.youtube.com/watch?v=L8NThTSwLGM
Theater für die Allerkleinsten kann nur funktionieren, wenn die Kinder (d.h. die Zielgruppe)bereits im Produktionsprozess mit einbezogen wird, wenn es einen "Dialog" gibt, wenn Künstler auch bereit sind, von ihren Zuschauern, d.h. von den Kindern, zu lernen und auf sie einzugehen. Diese offene Haltung dem Publikum gegenüber, die den künstlerischen Prozess bereichern kann, würde sicherlich auch anderen Theatern und Theatermachern gut tun. Daher stimme ich Geesche Wartemann zu, dass Kinder- und Jugendtheater Vorreiter im Bereich der Theatervermittlung sind, nicht nur was konkrete Modelle angeht, sondern auch in der grundsätzlich offenen, neugierigen und kommunikativen Haltung ihren Zuschauern gegenüber.
Denn für Viele mag der Zugang zum Theater schwierig sein, da schlichtweg entsprechende Erfahrungen fehlen. Gemäß dem Prinzip „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“. Der Umgang mit Dingen, die einem unbekannt sind, ist zuweilen recht schwierig und kann daher uninteressant sein. Dies ist vollkommen natürlich und spielt sich in allen Bereichen des täglichen Lebens ab. Geht man nun aber davon aus, dass das Theater ein gesellschaftliche Aufgabe erfüllen soll (und meiner Meinung nach auch kann, in welchem Umfang auch immer), so tun wir gut daran, ein „Kennenlernen“, d.h. eine konkrete Vermittlung zu unterstützen. Denn ein Theater ohne Publikum ist kein Theater.
Theater zu vermitteln heißt nicht automatisch, es zu verkaufen.
Man versucht, seine eigene Kunst dem Publikum verständlich zu machen und wenn das nur heißt, zu vermitteln, dass man nicht alles verstehen muss.
Aus meinem eigenen Bekanntenkreis weiß ich, dass viele selten ins Theater gehen und wenn dann nur in klassische Inszenierungen oder Komödien, die leicht zu verstehen sind.
Wenn die anderen Stücke zunächst einmal auf Unverständnis treffen, dann muss man eben Wege finden, sie zu vermitteln.
Den Theatern fehlt das Publikum. Durch Theatervermittlung kann neues Publikum generiert werden. Ich verstehe wirklich nicht, warum für diesen sehr sinnvollen und wirkungsvollen Ansatz nicht mehr Geld zur Verfügung steht.
Sich der unterschiedlichen Theaterkonzepte bewusst zu sein sowie eine reflexive Praxis anzustreben kann ein Potenzial von Theaterpädagogik sein, ist es doch auch eine künstlerische Praxis, die sich als selbstreflexive Theaterkunst verstehen kann.
Geht es doch also nicht um die Reformierung der bisherigen Ästhetik hin zu einer ausschließlich zeitgenössischen Kunst, sondern um ein breites Spektrum an künstlerischen Formen und unterschiedlichen Vermittlungsformaten, die ein breites Publikum ansprechen können.
An der bisherigen Diskussion sieht man, dass der Begriff der Vermittlung an unterschiedliches Theaterverständnis gebunden ist. Ich bilde mir ein keinen Theaterbegriff zu widersprechen wenn ich sage das Theater selbst schon vermittelt (Inhalte, Stimmung, Ideen usw.). Und auch bei der Produktion ans Publikum zu denken, bzw. mit ihm zu sprechen, scheint mir auch noch keine Unterwerfung der Kunst gegenüber des Marktes zu sein.
Grade da es so viele Begriffe von Theater und Möglichkeiten der Vermittlung gibt, sollten Ziele/Aufgaben klar formuliert werden.
Da besteht bei vielen Häusern auch Nachholbedarf. Denn auch Strukturen müssen dann angepasst werden um diese Ziele zu verfolgen.
Wenn davon auszugehen ist, dass ein Kulturvermittler es schafft das Theaterstück relevant für die jeweiligen Kinder zu machen, finde ich nicht, dass er oder sie nach bestimmten Richtlinien agieren muss. Eine Vermittlung vor allem für Kinder halte ich extrem wichtig, um zu generieren, dass diese einen Zugang zum Gesehenen finden.
Eine Vermittlung soll helfen, ein Stück an eine bestimmte Gruppe, in diesem Falle an Kinder, heranzutragen, um ihnen eine Annäherung leichter zu machen.
Ist wirklich entscheidend, was für einen Theaterbegriff der Vermittler hat oder die Kinder haben? Kann eine Vermittlung nicht viel mehr genau diesen Begriff von Theater bei der jeweiligen Zeilgruppe erweitern?
Und gerade von diesem Verständnis bewegt sich die Theatervermittlung erfreulicherweise weg hin zu einem Dialog und einem Raum, der zur Aushandlung und Austausch einlädt. Der die Kunst ernst nimmt, gleichermaßen auch die Menschen. Damit ermächtigt es gleichzeitig die Zuschauer, die Kunst wird in gewisser Hinsicht demokratisiert und von seinem Machtmonopol entledigt.
Einen eigenen Zugang zu finden, finde ich erstrebenswert. Anders ist dies ja auch gar nicht möglich, da jeder mit seinen individuellen Voraussetzungen einen ebenso individuellen Eindruck und Erfahrungsweg geht. Sich dem jeweiligen Theaterverständnis bewusst zu sein finde ich schon von großer Bedeutung. Frau Wartemann hat dies ja auch darlegt, dass die unterschiedliche Perspektive vom Verhältnis von Kunstpraxis und Zuschauer, also die Beziehung entscheidend die Vermittlung prägt. Ein herantragen und einführen in die Kunst ist sicherlich wichtig, aber sollte dies immer auf Augenhöhe und im Gespräch stattfinden.
Die Schwierigkeit liegt jedoch darin, ob das Publikum offen für Neues ist. Deshalb sind vor allem auch Kinder und Jugendliche gefragt, sie brauchen Zugang zum Thema, sie müssen kenntnisreich und selbstbewusst an einer Aufführung teilhaben können, denn nur so kann ihr Interesse geweckt werden. Wenn weitere finanzielle Mittel vorhanden wären, hätte die Vermittlung einen großen Spielraum und ich denke somit auch Potenzial die Theaterlandschaft zu verbessern.
Ist es nicht vielmehr spannend beide Seiten zu hinterfragen und selbstreflexiv zu handeln? Institutionsstrukturen kritisch zu betrachten und damit auch Perspektiven zu verändern? Ich glaube schon, dass es beide Seiten bereichern kann voneinander zu lernen und nicht nur Publikum/ Zuschauer vs. Theater, sondern nach draußen gehen, offen sein für Einflüsse und somit Strukturen zu lockern.
Ich interessiere mich sehr dafür, wie ein Stück entsteht, was davor passiert und wie an welche Themen mit welchen Mitteln ran gegangen wird.
Ich glaube, wenn man mir das vorher jemand zeigen und erklären könnte (und da meine ich nicht die Schultheaterpädagogik, wo die ganze Klasse, in der man sich eh nicht wohl fühlt etwas zu fragen, eine Theaterpädagogin das Stück durchgeht, was man sich gleich anschaut), wäre ich bei der Aufführung viel konzentrierter dabei und würde in eine ganz andere Ebene einsteigen, als in die bloße Unterhaltungsebene.
Mir fehlt es da an Angeboten, zumindest fliegt keines auf mich zu und um intensiv danach zu suchen fehlt mir bisher das Engagement.
Ein Labor fände ich sehr ansprechend und ich wäre bei so einem Projekt sofort dabei, weil ich neugierig nach dieser künstlerischen Erfahrung bin und etwas dazu lernen möchte.
MfG
Die Idee davon, dass die Zusammenarbeit zwischen Theatermachern und Kindern und Jugendlichen (manchmal auch Erwachsenen) als fruchtbar und nicht als notwendiges Übel verstanden wird, betrachte ich als zukunftsorientiert. Dies scheint aber an vielen Stadttheatern mit Theaterpädagogischer Abteilung nicht unbedingt auf Zuspruch zu treffen. Hier wird die die Vermittlung von Theater häufig nicht als gleichberechtigte - künstlerische - Sparte behandelt,sondern eben nur als Marketing-Abteilung, um Publikum, bestehend aus Kindern und Jugendlichen, zu generieren. Der/die Theaterpädagog_In ist mit der Erklärung von Zeichen innerhalb einer Inszenierung beschäftigt. Innerhalb dieser "Vermittlungsarbeit" entsteht kein Raum für einen Diskurs um den Theaterbegriff an sich. Diesen empfinde ich jedoch als notwendig, da die Zuschauerhaltung häufig eher zurückhaltend ist: ich muss verstehen, was der Autor des Dramas/ der Regisseur/ die Schauspieler mir sagen wollen, um die Inszenierung zu verstehen. Wenn dieser Anspruch des/der (unerfahrenen) Zuschauer_In an sich selbst nicht erfüllt wird, was in zeitgenössischen Inszenierungen häufig der Fall sein kann, wird er sich nicht für Theater begeistern können. Grund dafür ist ein eingeschränkter Begriff von Theater.
Erst wenn der/die Zuschauer_In selbstbewusst den Theaterbesuch auch als sinnliche Erfahrung betrachtet, sich selbst als am Geschehen teilhabend, also Theater als kollektives Ereignis begreift, könnte ihm/ihr Theater, als Ort für die Aushandlung persönlich- und gesellschaftlich- relevanter Themen, bedeutend werden. Solch einen Zuschauer braucht das Theater, denn, wie bereits in einem vorangegangenen Kommentar bemerkt: kein Theater ohne Publikum. Es sind also künstlerische Vermittlungsformate nötig, die die Zuschauer (also Teilnehmer) ernst nehmen, die aber auch selbst als künstlerische Praxen ernst genommen werden. Dazu gehören die nötigen Gelder genauso wie Anerkennung, auch seitens der Theater und Theatermacher.
Der Begriff der Theaterpädagogik an den Stadt- und Staatstheatern sollte nicht zu theoretisch gesehen werden im Sinne von Textbearbeitung, das Stück erklärend zu vermitteln. Die (schau-)spielerische wie natürlich theoretische/kognitive Auseinandersetzung mit Stücken oder Inszenierungen sind wichtig, wobei ich den Schlüssel in der Vermittlung nicht nur darin sehe, einzelne Inszenierungen zu befragen, sondern ein generelles Verständnis, einen persönlichen, praktischen, erfahrbaren Impuls zu geben und erlebbar zu machen, der durch die aktive Auseinandersetzung mit dem Medium Theater vermittelt wird.
Theaterpädagogik sollte niemals als Zwang instrumentalisiert werden, um Publikum zu akquirieren, das könnte manchmal so gelesen werden. Sie sollte nicht als Mittel zum Zweck dienen.
Die Sparte Theaterpädagogik sollte noch stärker die Möglichkeit bekommen, sich als ein mehr und mehr unabhängiger, eigenständiger künstlerischer Bereich auch an den institutionellen Theatern zu etablieren, der Akquise nicht als Hauptziel betreibt sondern als positiven Nebeneffekt und vielleicht (aber das ist noch nicht so gut durchdacht...) Ergebnis gelungener Theatervermittlung.
Das bedeutet, dass die Institution Schule mit ihren Bildungszielen einen großen Einfluss auf die Auswahl der Themen und Theaterstücke, die vermittelt werden sollen, genießt. Was, wie, wo vermittelt wird, wird schon allein in diesem Feld nicht etwa aufgrund künstlerischer Autonomie oder Interessen/ Bedürfnisse der Zielgruppe festgelegt. Angebote auf die Zielgruppe zugeschnitten, sie orientieren sich aber an einem bildungspolitischen und pädagogischen Konsens. Dieser Apekt wird meiner Meinung nach wenig berücksichtigt. Daher wird auch mit größter Selbstverständlichckeit davon geredet, was Theaterpädagogik/-vermittlung sollte. Findet denn da auch ein Abgleich statt von Soll- und Ist-Zustand? Werden Warum-Fragen thematisiert? Wer ist Adressat/in (bestimmte soziale Gruppen, freie Öffentlichkeit, institutionsgebunden oder- ungebunden uvm...) und aus welchen pädagogischen/künstlerischen/politischen/ökonomischen/sozialgesellschaftlichen... Bestrebungen?
Meinem Eindruck nach werden viele Ebenen miteinander vermischt und Theaterpädagogik ist und wirkt in verschiedenen Kontexten und je nach Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und deren Leitbildern und Zielen verschieden. Bestimmte allgemeingültige Kriterien lassen sich erkennen, aber sind im Einzelnen einfach zu unscharf (siehe These 1).
Die Vermittlung von Werten und Lehren erscheint durch das Theater sinnvoll, dann muss es aber auch komplett durchdacht, aufregend und einzigartig sein. Sich mehrerer künstlerischer Sparten zu bedienen, macht einen größeren Sinn, wenn es um die Anregung eines ästhetischen Verständnisses geht. Ein pädagogischer Aspekt sollte vielleicht erst dann eingebracht werden, wenn die Unterhaltung so ansprechend ist, dass man mehrere Aufführungen besuchen möchte.
Ein essentielles Merkmal der Kunst ist doch, dass sie erst einmal aus sich heraus existiert, und eine starke Beschäftigung mit der Wirkungsforschung und davon ausgehende Maßnahmen haben für mich oft einen Beigeschmack der Rechtfertigung der Kunst, die diese in diesem Maße nicht braucht.
Die richtige Vermittlung ist also das Stichwort, das Heranführen an künstlerische Denkprozesse, und da stimme ich Anna G. zu, dies sollte möglichst früh ansetzen.
Bei der Artikulation der leider immer noch weit verbreiteten Meinung darüber, dass Theater seinen „Anspruch“, sein Niveau halten müsse und dass das „Problem“ eher an der Offenheit des Publikums liege, das sich gefälligst bilden solle, um nachzuziehen, kann ich nur müde lächeln. Was kann das für ein trauriger "Anspruch" sein? Theater ist schon lange keine moralische Anstalt mehr. Kunst ist nicht unnatürlich. Es ist von Menschen für Menschen. Romantisch, aber nicht unmöglich.
Viel eher geht es doch bei Vermittlung um die Schulung der Wahrnehmung, mit der die Wege sich Theater zu erschließen geöffnet werden. Nicht durch theoretisches Studium im Alter sondern durch ästhetische Erfahrungen im jungen Alter. Sollte Theater denn verständlich sein oder sollte es nicht viel mehr und in allererster Linie wahrnehmbar sein?
Wie sieht es in der Realität aus? Dass das Schulsystem einer grundlegenden Reform bedarf ist wohl kein Geheimnis. Besonders in diesem Punkt. Ich denke an eine Unterhaltung mit einer jungen Lehrerin zurück. Ich denke an Lehrer, die mit Schülern in und aus Aufführungen gehen, mit verkrampften Minen hinein, heraus voller Erleichterung darüber, dass keiner mit Chips geworfen hat. Zustimmung gibt es, wenn über die Notwendigkeit von Theaterpädagogik gesprochen wird. Zwei Stunden vor der Aufführung solle man die Kinder beim Theaterpädagogen „abgeben“, damit der sie „vorbereite“. Was will Theater und was will Schule? Theaterpädagogen und Lehrer als überforderte Wesen? Die Schule als steifes Bildungsgefängnis? Das Theater als ominöse, unverständliche, aber zu würdigende hohe Kunstform? Lehrplan = Spielplan? O-Ton: „Die Schüler müssen begreifen, dass es sich hierbei um Kunst handelt, diese auch wahrnehmen und ihr respektvoll begegnen.“ Wer oder was spricht da? Ein Mensch, der andächtig vor einem Kandinsky steht, eine Kritzelei, die er weggeworfen hätte, hinge sie nicht in einem Rahmen an der Wand? Der eng gefasste Kunst- und Theaterbegriff? Das Versäumnis seitens des Theaters oder der Schule sich anzufreunden? Was wenn diese scheinbar „hohe Kunst“ genau das Falsche für die Jugendlichen ist? Wie lassen sich diese Welten zueinander bringen? Es geht hier nicht darum Publikums“geschmack“ zu zwangsbilden sondern um Verstand und Verständnis und vor allem den Willen um Verständnis, um Lernen, um Reden und Redenlassen, um Selbsterfahren. Auf beiden Seiten.
Die Abendspielleitung ist erst glücklich entspannt, wenn alle Schulklassen endlich wieder draußen sind. Sieht so unsere zukünftige Zusammenarbeit aus?
Ganz generell halte ich die Vermittlungsarbeit an Theatern für ein unverzichtbares Ressort, das finanzieller und struktureller Unterstützung bedarf. Es stellt die Brücke zwischen Produzenten und Rezipienten dar und wirkt einer elitären Abwendung des Theaters von seiner Gesellschaft entgegen. Grundvoraussetzung einer erfolgreichen und fruchtbaren Vermittlungsarbeit ist ein starkes Netz von Kooperationspartnern und eine ambitionierte Öffentlichkeitsarbeit. Jedoch darf die Theatervermittlung nicht ausschließlich als Aushängeschild und Einnahmequelle dienen!