Julia Wissert: Zur Kritik an der Dortmunder Intendantin
Warten auf den Funken
16. Juni 2022. Nach zwei Jahren als Intendantin des Dortmunder Schauspiels sieht sich Julia Wissert harter Kritik ausgesetzt. Es heißt, sie vergraule Publikum und Mitarbeiter:innen. Was ist dran an den Vorwürfen?
Von Max Florian Kühlem

16. Juni 2022. Wer die regionalen Medien hier im Ruhrgebiet liest, könnte zu der Ansicht gelangen, Dortmunds Schauspielintendantin Julia Wissert habe gerade massive Probleme: eingebrochene Zuschauerzahlen, flüchtende Mitarbeiter*innen, mangelnde künstlerische Qualität. Betrachtet man die Lage jedoch etwas genauer und umfassender, dann zeigt sich ein weitaus differenzierteres Bild.
In den vergangenen zwei Wochen knöpften sich die einzige in Dortmund verbliebene Lokalzeitung, die Ruhr Nachrichten, und die im Ruhrgebiet auflagenstärkste Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) Julia Wisserts Schauspiel-Intendanz vor. Erster Anlass der Ruhr Nachrichten, die gesamte erste Seite des Lokalteils mit dem Thema zu füllen, waren die schlechten Auslastungszahlen: "Gerade mal 33,05 Prozent Auslastung inklusive Freikarten hatte das Schauspiel bisher in der Spielzeit 21/22."
In einem später erschienen Artikel korrigierte die Zeitung die Zahl sogar noch nach unten: "In den ersten neun Monaten der aktuellen Spielzeit hatte das Schauspiel eine Auslastung von nur 27,44 Prozent." Noch eine Schippe – allerdings mit einem anderen Referenz-Zeitraum – konnte die WAZ drauflegen: "Freikartenbereinigt ist die Auslastung (Spielzeiteröffnung 2021 bis Ende Dezember) auf rund 22 Prozent eingebrochen – und das bei Corona-Sitzordnungen, in denen (sonst 493) teils gerade mal 200 Plätze blieben – das wären durchschnittlich 44 zahlende Besucher am Abend."
Kein Molière, kein Brecht
Die Ruhr Nachrichten zitieren zur Auslastungsfrage den städtischen CDU-Politiker Joachim Pohlmann, der auch zur Findungskommission gehörte: "Das Publikum besteht nicht nur aus queeren und diversen Leuten, sondern auch aus weißen Männern", und stoßen mit einem Kommentar in dasselbe Horn. Er ist überschrieben mit der Aufforderung "Hören Sie auf, das treue Schauspielpublikum zu verprellen!" und führt unter anderem an, dass das Schauspiel "nicht nur Experimentallabor" sei.
Die WAZ hingegen glaubt: "Gelernt haben muss sie (die Intendantin, Anm.) zuletzt, dass ihr Theater, das Repertoire-Säulen von Molière bis Brecht meidet, sich aber mit Leidenschaft, gar eigenen Festivals, Multikulturellem, der LGBTQ-Bewegung und dem Feminismus widmet, von einem Großteil des Publikums kaum angenommen wird." Zugleich zitiert der WAZ-Autor Lars von der Gönna anonyme Mitarbeiter*innen des Schauspiels oder eine "altgediente Kulturpolitikerin der Grünen", um Julia Wissert einen dogmatischen Führungsstil vorzuwerfen und wenig Hoffnung auf Besserung zu hegen: Es fehle an "künstlerischem, auch an handwerklichem Potenzial", glaubt diese Quelle.
Während die schlechten Auslastungszahlen diskutiert werden, ist eine nicht unwichtige Personalie bekannt geworden: Chef-Dramaturgin Sabine Reich, die sich mit Julia Wissert im Doppelpack beworben hatte und als die erfahrene Theatermacherin an der Seite der jungen Frau wahrgenommen wurde (Julia Wissert war bei ihrem Antritt 36 Jahre alt), hat ihren Posten mit sofortiger Wirkung geräumt.
Im Gespräch mit ihr wird jedoch klar, dass es sich um eine ganz persönliche Entscheidung und nicht um ein Auseinandergehen im Streit handelt: "Ich betreue weiterhin als Dramaturgin Julias Arbeit 'Bakchen – die verlorene Generation'", sagt Sabine Reich. "Allein das sollte zeigen: Es gibt noch eine Verbundenheit, sonst wäre solch eine weitere enge Zusammenarbeit gar nicht möglich." Auch in der Folge wehrt sie alle durch die regionale Presse erfolgten Angriffe ab: Die Aufgabe der neuen Intendanz sei es, neues Publikum zu bekommen, die Frage zu stellen, wie Stadttheater aussehen kann in der Zukunft. Weil man mitten in der Corona-Zeit gestartet sei, wäre eine Kontaktaufnahme zum Publikum extrem schwer gefallen.
Sabine Reich © Birgit Hupfeld
Und zum Vorwurf übermäßiger Freikarten-Verteiler, der sich offenbar vor allem auf die Premiere von Julia Wisserts Inszenierung Der Platz bezieht, die im Rahmen einer ruhrgebietsweiten Theaterfahrt stattfand, sagt sie: "Manchmal sind nachhaltige Bindungen wichtiger als Karten zu verkaufen." Eine singuläre Werbeaktion sei das gewesen. "Nach dem Lockdown haben wir so Zugänge ermöglicht und damit nachhaltig ein neues Publikum angeworben." Eine noch entspanntere Sicht auf den finanziellen Aspekt hat der Dortmunder Kulturdezernent Jörg Stüdemann: "Julia Wissert hat so viele Förderungen eingesammelt – so viel Geld hätte sie bei den wenigen Plätzen während der Corona-Zeit unmöglich erspielen können." Eine halbe Million Euro an Drittmitteln habe sie erhalten – "quasi ohne spielen zu können" – und so gehe das Haus aus schwierigen Zeiten mit schwarzen Zahlen raus.
Mitarbeiter:innen kündigen
Der Grund, aus dem Sabine Reich gegangen ist, ist im Wesentlichen ein persönlicher, und, das klingt auch im Gespräch mit Julia Wissert selbst an, findet sich in der Konstellation: Verschiedene Perspektiven und Erfahrungen treffen im Dialog zwischen der erfahrenen Theatermacherin, die vorher unter anderem Chef-Dramaturgin am Schauspielhaus Bochum war, und der jungen Berufsanfängerin, die auch ihre Identität als Person of Color nutzt, um andere Geschichten, Formate und Repräsentationsformen zu entwickeln, aufeinander. Das kann produktiv sein, aber manchmal erschwert es auch die komplexen Entscheidungsfindungen in der Leitung eines Theaters. Und letztlich ist es eine nachvollziehbare und vielleicht sogar an anderen Leitungsstellen im deutschen Stadttheatersystem wünschenswerte Entscheidung von Sabine Reich, einen Raum einfach frei zu machen, das Feld einer anderen Generation zu überlassen.
Ein anderer Vorwurf, den die Ruhr Nachrichten in den Raum gestellt hatten, lautet, dass "rund ein Dutzend" der Mitarbeitenden des Schauspiels Dortmund wieder gekündigt habe. Julia Wissert findet das schade, sieht es aber als natürliche Fluktuation, mit der sie gerechnet habe, "weil ich mich bewusst entschieden habe, auf ein junges Team zu setzen – und die gehen jetzt teilweise an größere Häuser." Kulturdezernent Jörg Stüdemann ergänzt: "Das sind junge Leute, die wollen vielleicht nicht so viel diskutieren, nur Texte lernen. Oder sie sagen sogar: Die antirassistische Attitüde ist zwar da, aber ich fühle mich trotzdem rassistisch behandelt. Aber das ist ein Neuanfang, da gibt es eben auf allen Ebenen Irritationen."
Auf Abstand
Eine Irritation, bei der quasi auf allen Seiten Einigkeit herrscht und die auch niemand wirklich wegdiskutieren mag, liegt im Feld der künstlerischen Qualität. Sebastian Franssen, der Vorsitzende des Vereins der Schauspielfreunde, stellt fest: "Wir unterstützen das Theater und auch diesen Neuanfang bedingungslos und wollen bewusst nicht die Kritikerrolle einnehmen." Und: "Der Erfolgt kommt sicher nicht allein durch die Setzung von klassischen Stücken. Die können genauso Publikum vergraulen." Doch zwischen den Zeilen ist dann doch leise Kritik herauszuhören: "Die Herausforderung ist, den Diskurs, den diese Intendanz sich gesetzt hat, zu dramatisieren, andere dafür in Brand zu setzen, in die Stücke hineinzuziehen, zu rühren." Offenbar fehlt es daran also gerade: am überschlagenden Funken.
Das räumt sogar Julia Wissert selbst ein: "Wenn ich mir mit etwas Abstand Inszenierungen nochmal ansehe, merke ich auch eine gewisse Kälte und Distanz." Da habe sich leider die Corona-Zeit eingeschrieben, mit der sie und ihr Team die ganze Zeit arbeiten mussten. "Dadurch entsteht natürlich eine große Distanz, wenn Assistierende am Bühnenrand stehen und auf Sicherheitsabstände achten. Wenn sich in den Proben schlechte Laune einschleicht. Wenn Schauspieler*innen sagen: Wie soll ich spielen, wenn ich die Hälfte deines Gesichts nicht sehe?"
Mit dem Rücken zum Publikum. Aus Julia Wisserts Inszenierung von Kathrin Rögglas Stück Kinderkriegen 4.0 © Birgit Hupfeld
Tatsächlich wirkten vor allem Julia Wisserts eigene Inszenierungen am Haus etwas blutleer, kühl, zu stark am Text orientiert, ohne ihn mit Gefühl aufzuladen: Ihre Annie-Ernaux-Adaption Der Platz hatte dieses Problem, war nacktes Stellungs- und Textspiel. Ähnlich wirkte Kinderkriegen 4.0 und auch bei der Eröffnung, dem Stadt-Stationen-Stück 2170, hinterließen die Orte in der Stadt und ihre Bewohner*innen einen stärkeren Eindruck als die oft thesenhaften, stark konstruierten Texte junger Dramatiker*innen. Sicher hat das mit Corona-Arbeitsbedingungen zu tun. Julia Wisserts Inszenierung 2069 – Das Ende der Anderen, die sie lange vor Corona am Schauspielhaus Bochum vorgelegt hat, litt allerdings auch an fehlender Lebendigkeit. So setzten Glanzpunkte an ihrem Schauspiel Dortmund bisher andere – zum Beispiel Poutiaire Lionel Somé mit Zwischen zwei Stürmen.
Über einen Punkt herrscht bei eigentlich allen, die man fragt, Konsens: Julia Wissert braucht mehr Zeit und Ruhe, um ihr Programm zu entfalten und bekannt zu machen. Die Vorschau auf ihre dritte Spielzeit in 2022/23 liest sich jedenfalls nicht, als spreche sie nur ein wokes, queeres PoC-Publikum an, ihr ist ganz klar an einem Theater für alle gelegen. Und selbst wenn dem nicht so wäre, bliebe Kulturdezernent Jörg Stüdemann entspannt: "Das Theater hat vier Sparten, die – ich nenne es mal so – konventionelle Interessen auf hohem Niveau bedienen. Das Schauspiel kann ganz legitim ein Labor für neue Theaterformen sein – und Wisserts Schauspiel ist nunmal ein Bruch zu dem visuell und technisch überwältigenden Theater von Kay Voges. Es ist stiller, diskursiver, reflektierter."
Max Florian Kühlem, geboren 1979 in Bergneustadt, studierte Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft in Bochum. Er ist schwerpunktmäßig in NRW als freier Kulturjournalist, Autor und Songwriter aktiv. Er schreibt unter anderem für die taz, Rheinische Post, das Magazin Rolling Stone und nachtkritik.de.
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-- Und nach dem Ende der Intendanz nochmal heftig nachtreten? Echt jetzt? Voges war nicht diskursiv und nicht reflektiert? Wie kommt man auf diese Idee?
Kunst ist nicht nur deshalb schon Kunst, nur weil sie niemand sehen will.
"weil ich mich bewusst entschieden habe, auf ein junges Team zu setzen – und die gehen jetzt teilweise an größere Häuser."
kritisch betrachten.
In der Berichterstattung über die Vorgänge am Badischen Staatstheater Karlsruhe unter der Leitung von Peter Spuhler wurde auch immer wieder diese Argumentation vorgebracht:
"Dass auch in den Ensembles eine hohe Fluktuation herrscht, wurde von Spuhler gern als Qualitätsbeweis gedeutet: Karlsruhe, so heißt es dann, sei ein Karrieresprungbrett."
Die Gründe, warum man einen Arbeitgeber wechselt, mögen verschieden sein. Aber auch gute Leute würden an einem kleineren Haus bleiben, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen.
Quelle:
bnn.de/nachrichten/kultur/immer-mehr-staatstheater-mitarbeiter-erheben-schwere-vorwuerfe-gegen-spuhler
Nirgendwo wird dieses Problem in Zusammenhang mit dem diversitätsorientierten Programm gebracht, schon gar nicht schwingen in der Berichterstattung über die anderen Häuser subtile Stigmatisierungen, Marginalisierungen und Rassifizierungen mit.
Da wird nach Jahrzehnten der Nichtbeachtung und strukturellen Diskriminierung mal zwei Jahre lang ein Programm für bisher vernachlässligte Gruppen produziert (die im Übrigen genauso Steuern zahlen wie alle anderen, aber nie als Publikum imaginiert oder gar bedient werden) - und schon läuft die bildungsbürgerliche Elite heiß und heult dem seit Jahrhunderten runtergeduldeten weiß-eurozentrischen Kanon nach (ich werde nie verstehen, warum sich Gymnasiallehrer noch immer nicht sattgesehen haben an Moliére & Co und ihre Schulklassen da gewaltvoll hinkarren, statt mal ein gegenwartsrelevantes Stück in Betracht zu ziehen). 200 Jahre lang Faust und Shakespeare hoch und runter - ödet das nicht an? Ist das die sogenannte "künstlerische Freiheit"? Was ist nochmal das innovative Moment, wenn man Jahrhundertelang immer nur Zauberflöte, Carmen, Aida, Otello hoch und runterspielt? Ganz zu schweigen von den immer gleichen Stereotypisierungen, Exotisierungen, Rassismen, die im Kanon immer wieder aufgetischt werden. Das will doch kein Mensch mehr sehen! Die steuerfinanzierte Elitensuventionierung im Theaterbereich muss echt mal aufhören. Mehrere Millionen Euro im Jahr, nur um 5 - 7% der Bildungsbürgerspießer zu erreichen. Es gibt Städte, in denen sogar genau diese Ewiggestrigen (über Freundeskreise etc.) den Theaterintendanzen diktieren wollen, was auf den Spielplan kommt. Künstlerische Freiheit, pah! Theater schafft sich selbst ab.
Liebe Julia Wissert, Sie sind mutig und bringen Erneuerungen in diese alten Gemäuer! Weiter so! Es gibt viele (eher stille) Menschen, ohne großbügerliches Entitlement, die hinter Ihnen stehen.
Und das Nachtkritik diesen Punkt nicht aufgreift, ist entweder eine schlampige Analyse des Artikels oder aber bewusstes Verschweigen. Beides untergräbt die Glaubwürdigkeit von Nachtkritik.
Ein dramatischer Rückgang auf 22-27% Auslastung ist einfach katastrophal, das zeigt, dass das Publikum, für das ja eigentlich das Theater gemacht werden sollte, wenn immer alle von einem 'Theater für die Stadt' sprechen, nach 2 Jahren nicht/noch nicht überzeugt ist. Da wird das 'Theater für die Stadt' dann zur hohlen Phrase. Auch der Weggang von zahlreichen Mitarbeitenden nach so kurzer Zeit ist ein alarmierendes Zeichen für ein Haus. Gerade, wenn eine neue Intendanz erst vor 2 Jahren gestartet ist.
Diese Probleme zu thematisieren halte ich für legitim, auch wenn die Leiterin weiblich, jung und POC ist. Der Artikel hier auf nachtkritik ist Frau Wissert in Anbetracht der offensichtlichen Probleme in meinen Augen sogar überdurchschnittlich wohlgesonnen.
@Luchino Visconti: Schon Recht. Nun kann man das auch als abschätzbares Risiko sehen. Sabine Reich zumindest ist ja eine (Leitungs-) erfahrene Dramaturgin...
Vielleicht auch ganz gut mal was zu wagen - das jetzt gleich eine der größten Theaterkrisen mit Corona hereinbricht, dafür kann auch Frau Wissert nichts.
Nichtsdestotrotz müssen wir uns doch alle in allen Theatern die Frage stellen, was wir denn zu erzählen haben und warum und wohin die Menschen wiederkommen sollen...das ist allein mit Relevanz (Für wen eigentlich?) nicht getan, auch nicht allein mit Unterhaltung.
Im Theater wie bei diesen Debatten: Mehr Fragen, weniger Antworten, bitte!
Und: Ja, Wagnisse sind gut, die Pandemie ist gewiss eine unfaire Volte des Schicksals - aber so ist das Leben. In der Krise zeigt sich auch das Können von Menschen in Leitungspositionen. Die werden dafür, dass Sie Verantwortung übernommen haben, auch entsprechend hoch entlohnt. Und diese Verantwortung gilt nicht nur für Schönwetter-Tage, sondern für alle Eventualitäten.
Volle Zustimmung im übrigen zur Frage, "was wir denn zu erzählen haben und warum und wohin die Menschen wiederkommen sollen". Das ist momentan, wie ich die deutsche Theaterlage einschätze, die zentrale Frage der nächsten Jahren. Sie stellt sich überall, nicht bloß in Dortmund, und wo sie sich noch nicht stellt, möge sich niemand zu früh freuen, das kommt schon noch.
So ist es.
Ich fürchte nur, dass das Theater mit dem, was es vielerorts derzeit erzählt, die Menschen nicht in so großer Zahl zurückholt, wie es das müsste. Die Älteren kommen nicht mehr (aus unterschiedlichsten Gründen). Und die Jüngeren, die sich doch eigentlich in den neuen Inhalten wiederfinden müssten, kommen trotzdem nicht.
Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Menschen wie etwa Julia Wissert nicht einen Kompromiss schließen: den ambitionierten Spielplan mit den neuen Stückentwicklungen weiterführen, aber ihm ein paar Klassiker für Abonennten und ein Weihnachtsärchen für Familien und Kinder an die Seite stellen.
Verräterisch finde ich hier aber den Kommentar vom Kulturdezernenten, das Theater hätte ja vier Sparten, und das Schauspiel kann dann ja als Labor dienen..
Im Grunde genommen eine schöne Idee, dann bitte auch ohne direkten Leistungsnachweis wie Auslastung, Kritik etc.
Dennoch, die „Fehlentscheidungen“ spiegeln eben vor allem auch die vollkommene Bedeutungslosigkeit des Schauspiels wieder.
Kein Widerspruch zu: Künstler:innen/Leiter:innen Zeit zu geben, Auslastungszahlen nicht als Maßstab zu nehmen, Publikumsentwicklung zu zulassen, Kunst als Kunst zu begreifen.
Was nicht geht: (unabhängig von Alter, Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft, Ability): Machtbündelung, Machterhalt, Konservatismus in der Unfähigkeit zum Team oder der Gruppe, gesteigerter Egoismus...usw.
Diese Faktoren sind in Dortmund negativ beispielgebend - dass z.T. in Mustern des "verhassten alten weißen Mannes, den es abzuschaffen gilt" agiert wird.
(...)
#5 Mizgin Bilmen wurde das Vertrauen entzogen (die getroffene Sprachregelung ist aber an vielen Theatern/Politik/Sport usw. üblich) - ärgerlich, da man mehr Transparenz erwartet hat.
(...)
#14 Reich und Wissert sind ein eigenes Thema ( auch dies häufig im Theater und sonst wo vorkommend) - manchmal passt es halt nicht.
Was auf JEDEN FALL nicht geht, ist zu agieren, wie die Intendant:innen des letzten Jahrhunderts und dies durch eine programmatische Neuausrichtung decken zu können.
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Anm. der Redaktion: Dieser Kommentar wurde in gekürter Form veröffentlicht, da er in Teilen nicht unserem Kommentarkodex entsprach. Dieser ist hier nachzulesen: www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12&Itemid=41
Sonst würden sie nämlich ahnen, dass Theaterleitungen Themen wie Arbeitsrecht und Schutz der Privatsphäre aller Beteiligten berücksichtigen MÜSSEN - besonders in jeglicher Außenkommunikation.
Will sagen: Selbst wenn, wie in diesem Fall, eine Regisseurin sich öffentlich hier auf Nachtkritik geäußert hat.... ihre institutionelle Auftraggeber*in / Vertragspartner*in würde riskieren, rechtliche Probleme zu bekommen, wenn sie sich ebenfalls öffentlich zu dieser Causa in voller Transparenz äußern würden.
Diesbezüglicher Wissensdurst wird also leider nicht gestillt werden können.
Nicht aus Unwillen, sondern aus Undürfen.
Und es wird in solchen Fällen immer so sein.
Dass Theaterleitungen gerne öffentlich kundtun, ihre Intransparenz sei bloß eine wichtige Maßnahme um die Privatsphäre ALLER Beteiligten zu schützen ist leider nur ein heuchlerischer Deckmantel um eben nicht öffentlich darzulegen wie sie betrieblich handeln- das hat nämlich rein garnichts mit Privatsphäre zu tun sondern betrifft berufliches Handeln im öffentlichen Raum und dazu hat sich Bilmen immerhin getraut- Wissert und Teich eben nicht…
Ihr Kommentar lässt aus meiner Sicht erkennen, dass Sie völlig Recht haben! Änderungen in der Regieposition sorgen oft für Aufsehen, und nie erhält der*die interessierte Unbeteiligte Aufklärung (egal, wie stark ansonsten die TRANSPARENZ-Fahne geschwungen wird), sondern immer gibt es irgendwelche ausweichenden Aussagen der entsprechenden Theaterleitungen. Ich würde zustimmen, dass das generell so sagen gesagt werden kann (da dieser Fall aus Dortmund kein Einzelphänomen ist: andere Non-Wissert-Theaterleitungen kommunizieren genauso).
--->Den konkreten Dortmunder Fall kann ich nicht kommentieren, da ich nicht weder an der Produktion beteiligt war noch Teil der Dortmunder Theaterleitung bin.