Interview – Die Regisseurin Pınar Karabulut über Frauen(figuren) am Theater
Wir entscheiden, was sich ändert
28. März 2018. Wie sieht es aus mit der Präsenz von Frauen am Theater und mit Frauenfiguren auf den Bühnen? Wir haben nachgefragt bei der Regisseurin Pınar Karabulut, die in ihren Arbeiten die weibliche Perspektive stärkt. (Die Fragen stellte Esther Slevogt per Email.)
Pınar Karabulut, am Zürcher Neumarkttheater haben Sie mit Ihrem Abend The Great Tragedy Of Female Power gerade den Theaterkanon auf Frauenpräsenz untersucht. Wie sieht denn da Ihre Bilanz aus?
Pınar Karabulut: Die Texttradition ist klar: Männer verhandeln mit Männern ein Problem, gelegentlich taucht eine Frau auf (Hexe, love interest, Kriegsgrund), gerne auch mal hysterisch und/oder suizidal. Natürlich gibt es die Widerspenstigen, die Johannas, die Noras, etc., aber wo sind die denn auf den ganzen Spielplänen? Die starken und spannenden Frauenfiguren gibt es bereits alle im konventionellen Theaterkanon, wir müssen sie nur rauspicken und die alten Rollenbilder und damit die Lesart aufbrechen – quasi benutzen und ummodellieren.
Der Ausgangspunkt von "The Great Tragedy Of Female Power" sind Shakespeares Königsdramen und seine Frauenfiguren. Ich bin der festen Überzeugung, dass Shakespeare sehr viele starke Frauenfiguren schuf, allerdings der Interpretationsraum sich verschoben hat. Wir können nicht die Klassiker fallen lassen, um aktuelles Theater zu machen, wir müssen uns nur entscheiden, wollen wir in den Klassikern einen romantischen Theaterabend, der mich nichts kostet, oder wollen wir in einen politischen Konflikt gehen, der Kontroversen aufzeigt und meine Gegenwart hinterfragt.
Jüngst haben Sie mit Romeo und Julia in Köln das kanonische Bühnenwerk schlechthin inszeniert, mit dem Sie nun auch zu Radikal-Jung 2018 eingeladen sind. Würden Sie sagen, dass Sie als Frau in einem solchen Stoff andere Aspekte als männliche Regisseure entdecken?
Aber das hoffe ich doch! In unserer Inszenierung steht Julia stark im Vordergrund. Sie ist mutig und versucht, sich dem vorhandenen System, getragen von ihrer dominanten Mutter, zu widersetzen und scheitert daran. Bei mir sind keine Väter auf der Bühne, es existiert nur das Konstrukt der kinderlosen Amme und der alleinerziehenden Mutter. Warum finden gerade diese zwei Frauen zueinander und warum halten beide Frauen das Patriarchat aufrecht? Ihre systemische Passivität drängt Julia in eine Radikalität, Julia wird zu einer Liebes-Terroristin. Ihr Romeo bringt sich um, während sie nur mit dem Tod spielt. Wie ihre Entscheidung letztendlich verlaufen wird, bleibt offen. Das Stück endet, nachdem Julia Romeo tot auffindet. Ich will keine Frau zeigen, die ohne Mann nicht leben kann. Unsere Julia zieht aus Romeos Tod Stärke. Sie begreift, dass durch einen weiteren Selbstmord keine Konservierung der Liebe entsteht, sondern nur ein Akt der Idiotie. Das kann sie allerdings nur begreifen, weil sie bereits einmal gestorben ist, und nun als Untote mit Romeos kalter Liebe in den Adern weiterleben kann; hoffentlich nicht mehr in Verona.
Gibt es für das Theater so etwas wie eine weibliche Ästhetik?
Egal welche Abteilung am Theater: jede*r arbeitet mit den Mitteln, die ihnen jeweils zur Verfügung stehen. Ich finde, Herkunft und Sozialisation sind immer stark in den Zugriffen zu erkennen. Diese Prägungen finde ich interessanter als das Geschlecht. Dieses ist oft in den Arbeiten nicht ersichtlich, da der männliche Blick den Theaterkanon dominiert und somit auch eine Anpassung einer "weiblichen" Ästhetik – falls es sie denn geben sollte – in eine Vermännlichung zwingt. Wenn ich Erotik inszeniere, bediene ich mich auch eines männlich genormten erotischen Empfindens, ich kann ja gar nicht anders, da ich mich in dieser männlichen Matrix befinde. Natürlich ist es meine Aufgabe und die aller Theatermacherinnen, diesen Kanon mit der ganzen Kraft unserer Vulva aufzubrechen und neu zu definieren.
In Bonn fand mit der Konferenz Burning Issues gerade ein Netzwerktreffen für Geschlechtergleichheit im Theater statt. Vor einiger Zeit hat sich bereits die Initiative Pro Quote Bühne formiert. Würden Sie sagen: der Veränderungsdruck steigt?
Der Veränderungsdruck muss steigen! Wir müssen beginnen, uns alle genau jetzt zu hinterfragen. Die Veränderungen müssen in den Grundstrukturen stattfinden – das sind immer die schmerzlichsten Veränderungen, da die Privilegierten lernen müssen zu teilen. Auch Frauen müssen beginnen, ihre patriarchalen Denkmuster und Überlebensstrategien einzutauschen. Ich habe oft genug hören müssen, wie Frauen schlecht übereinander sprechen. Das ist so langweilig. Es wird momentan viel über das Thema der Frauenpräsenz im deutschsprachigen Theater gesprochen, aber zu einer Lösung kommen wir nicht. Noch nicht. Interessant ist, dass wir gerade dabei sind, die Verhältnisse respektive die Quote zu drehen. In naher Zukunft werden immer mehr Stadttheater, wie zum Beispiel Hannover oder Karlsruhe, von Frauen geleitet werden. Die Frage ist aber, wird sich dadurch etwas an den Spielplänen, der Auswahl der Regisseurinnen, der Bezahlung, etc. ändern? Dahin müssen wir kommen.
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Warum keine Väter? Zuviel Konstrukt, zu wenig Lebenserfahrung?
"Das Stück endet, nachdem Julia Romeo tot auffindet. Ich will keine Frau zeigen, die ohne Mann nicht leben kann. Unsere Julia zieht aus Romeos Tod Stärke."
Sind das nicht zwei ganz unterschiedliche Themen? Ohne jemanden nicht leben zu können als Metapher, okay. Und dann aber der reale Tod von jemandem? Wie bitte? Wie kann man aus jemandes Tod Stärke ziehen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das real so einfach funktioniert.
was wollen Sie mit "labelfishing" und "fuzzies"? Label Mann / Frau ist egal. Sie schmeißen mit Klischees um sich, bringt nix. Ich finde, Pinar ist schon weiter. Sie hinken hinterher.