China-Gastspiel der Berliner Schaubühne abgebrochen
Nicht genehme Diskussion
Berlin, 12. September 2018. Die Schaubühne wird das China-Gastspiel von Thomas Ostermeisters "Volksfeind"-Inszenierung nicht fortsetzen. Die für morgen und übermorgen in Nanjing geplanten Vorstellungen wurden von dem dortigen Theater wegen technischer Probleme abgesagt, bestätigte Schaubühnen-Co-Direktor Tobias Veit auf Nachfrage. Die Schaubühne tourt mit dem "Volksfeind" seit vergangener Woche in China. Während der ersten Vorstellung in Peking kam es an der Stelle, an der das Ensemble mit dem Publikum in Dialog tritt, zu sehr offenen Gesprächen über chinesische Umweltskandale, mangelnde Meinungsfreiheit und Menschenrechtsverletzungen.
Unkontrollierbar
Zwei Vizepräsidenten des Pekinger Theaters intervenierten daraufhin. "Es wurde uns gesagt, dass die Vorstellungen nicht mehr stattfinden könnten, weil die Diskussion nicht kontrollierbar sei", so Veit, der die Gastspielreise im ersten Teil begleitet hat. Nach langen Gesprächen habe man als Kompromiss die beiden folgenden Abende modifiziert und geschwiegen, jedoch auch markiert, dass eigentlich eine Diskussion stattfinden sollte.
"Das Theater in Nanjing hat am Sonntag noch bestätigt, dass man auch die modifizierte Version zeigen will", sagt Veit. Zwei Tage später kam die Absage, überraschend und bedauerlicherweise, denn eigentlich seien alle mit dem Kompromiss zufrieden gewesen, glaubt Veit.
Die Schaubühne gastiert seit 2014 regelmäßig in China. Am Pekinger National Centre for the Performing Arts wurde bereits der "Tartuffe" gezeigt und das Theater habe den "Volksfeind" auf eigene Initiative eingeladen. Nanjing liegt weiter im Süden als Peking, aber die Zensurbehörden arbeiten sehr lokal, sagt Veit. So wurden Milo Raus "Five Easy Pieces" in verschiedenen chinesischen Städten gezeigt, nur Shanghai hatte das Gastspiel nicht erlaubt.
(sik)
Mehr dazu auch im Interview auf dradio.
"Der 'Volksfeind' ist den Pekinger Verantwortlichen einfach passiert", schreibt China-Korrespondent Kai Strittmatter in der Süddeutschen Zeitung (13.9.2018), "entsprechend überrumpelt, ja panisch hatten sie auf die erste Vorführung reagiert und dem Ensemble eine 'Anpassung' des Stückes abgehandelt." Dass die Schaubühne ihr Stück modifizierte, "hat am Ende nichts mehr genützt". Aber auch die gekürzte Version hatte das Publikum noch mitgerissen, einmal sei aus dem Saal der Ruf "Für die Freiheit!" zu hören gewesen. Auch "die Bundesregierung bedauert diesen Tourneeabbruch. Die deutsche Botschaft habe dies im chinesischen Kulturministerium zum Ausdruck gebracht."
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Über einen Fall, der eindeutig woanders und als Sonderfall stattfand, lässt sich auch leichter leidenschaftlich diskutieren und moralisch abstimmen als über einen, der im Alltag als offiziell beschwiegene Geläufigkeit vielfach und überall auf der Welt existiert.
Und es ist leichter zu argumentieren, wenn ein politisierendes Element eindeutig Teil des inszenierten Dramentextes ist, als wenn es eindeutig inszenatorisches, klassischen, also bekannten und nachprüfbaren Text aufbrechendes Element eines inszenierten Dramentextes ist.
Eine inszenatorisch gestaltete, vom Autor als Regie-Anweisung vorgegebene Abstimmung ist doch etwas anderes als eine gestaltete, vom Klassiker-Autor z.B. naturalistisch geschriebene Abstimmung.
Herr Veit und Herr Borchmeyer machen mir auch aus großer Ferne nicht den Eindruck, als wüssten sie nicht sehr gut zu argumentieren, nur weil etwa Ibsen eher zu Mehrdeutigkeiten und zum Durchdenken größerer moralischer Untiefen für alle beteiligten, zu gestaltenden Figuren herausfordert als der ziemlich flach lediglich zweideutige Herr von Schierach dies in und mit TERROR vermag.