Medienschau: FAZ – Dramaturg Bernd Stegemann über die neue Unfreiheit an den Theatern
"Theater ist eine unordentliche Kunst"
"Theater ist eine unordentliche Kunst"
10. Juni 2021. In einem Artikel in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung attestiert der Dramaturg und Publizist Bernd Stegemann den Theatern, in einem "bedenklichen Zustand" zu sein. Die "Debatten, die die Theatermacher gerade mit sich selbst führen", wirken auf Stegemann, als "säßen sie in einem Oberseminar 'Postkolonialismus' und müssten zugleich in einem Sweatshop in Bangladesch arbeiten". Dabei entstehe die "Übertreibung", dass "die deutschen Theater ein Hotspot des Rassismus sind, in dem Hungerlöhne bezahlt werden". Zugleich bekräftigt der Autor, dass ein "Klima der Angst", wie es zuletzt etwa am Berliner Gorki-Theater öffentlich geworden sei, "falsch" sei.
Für Stegemann müsse ein "Ausweg aus der Sackgasse des Regietheaters gesucht werden", der als "Befreiung aus der eingeübten Unmündigkeit" gemeinsame Anstrengungen erfordere. Stattdessen schwebe aber "über allen ein schlechtes Gewissen, das jede Handlung auf ihre Korrektheit prüft". Damit werde aber "der Platz der Macht nur neu besetzt".
Neue Tabus
Stegemann unterscheidet im Folgenden "zwischen den betrieblichen Grausamkeiten, die falsch sind, und den Herausforderungen der Probe, die möglich sein müssen". Deutlich kritisiert er in diesem Zusammenhang Veranstaltungen und Aussagen beim diesjährigen Berliner Theatertreffen. Eine Podiumsdiskussion mit den Intendant:innen der eingeladenen Häuser etwa habe ein Bild "von erschütternder Bravheit" abgegeben, während Festivalleiterin Yvonne Büdenhölzer mit der Interview-Aussage "anarchisch (zu sein), bedeutet nicht politisch unkorrekt" lediglich "die neue Autorität" und die vermeintlich "letzte Entscheidungsinstanz" benannt habe. Damit werde die "politische Unkorrektheit" ebenso tabuisiert wie "die kritische Darstellung der politischen Korrektheit selbst".
Winter der Unfreiheit
Schließlich kommt Stegemann auf die "selbstreferentiellen Wendungen" des postmodernen Denkens zu sprechen, die er in der Forderung ausgewiesen sieht, "dass die Produktionsbedingungen eines künstlerischen Ereignisses seinen Inhalt spiegeln sollen". Doch "wenn eine direkte Verbindung zwischen dem Darsteller und dem Dargestellten gezogen wird, schnurrt die Vielfalt der Welt auf den Horizont des moralisch Vertretbaren zusammen". In dieser Weise argumentiere auch die Identitätspolitik, die im Theater behaupte, "dass die private Identität des Spielenden über die Auswahl seiner Rollen entscheidet". Stegemann setzt dagegen, dass er Theater für eine "unordentliche Kunst" halte und eine "Selektion nach Hautfarbe oder Geschlecht" ablehne. Andernfalls drohe den Theatern "nach dem kurzen Sommer der Kunstfreiheit gerade ein Winter neuer Unfreiheit".
(Frankfurter Allgemeine Zeitung / jeb)
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@Steckel: glaube nicht, dass das ein Missverständnis ist. Das "nicht" gehört zum Verb "bedeutet" des Satzes, nicht zu zu der Beschreibung des politisch Unkorrekten. Also zu sein und eben NICHT zu sein. Kleiner, feiner, aber wichtiger Unterschied.
Nein, so einfach ist es nicht. Die PC-Debatte fragt ja nicht von ungefähr nach der impliziten Reproduktion von Machtstrukturen, Rassismus, Imperialismus u.a. in der Theaterpraxis. Sich die Freiheit einfach zu nehmen, würde diese Fragen einfach ausblenden. Vielmehr müsste man diskutieren, wie sich künstlerische Praxis auf hohem künstlerischen Niveau - z.B. vor dem Hintergrund von Kunstphilosophie, ästhetischer Theorie etc. - praktizieren lässt, ohne genannte Praktiken fortzuschreiben, aber eben auch, ohne bei der von Stegemann (und anderen, z.B. Jakob Hayner!) problematisierten Angepasstheit, Bravheit, Konsensschaffung zu landen.
Kreativität widmet, hat sich bis heute gehalten.
Es MUSS über freie Kunst diskutiert werden, zumal Kunst abhängig ist
und u n f r e i bezüglich der EXISTENZ des Künstlers, denn er muss sich
ja am Leben erhalten, und irgendwie zu seinem "Brot" kommen.
Ohne Brot und Not kein Künstler. Wie aber kann er sich "existenziell" stellen, dass er f r e i arbeiten kann? und nicht für Geld eine Arbeit
verrichten muss, die er nicht verrichten will, die ihn von seinem
"Kunstwillen" woanders hinführt? Nebenbei kann man KUNST nicht machen,
oder nur in den seltensten Fällen (will man kein "Sonntagsmaler" sein, sage ich als Maler). -
Freiheit der Kunst - und woher kommt das Geld, welches sie ermöglicht?
Hat man Geld für diese Arbeit, die Kulturlose für "leicht" empfinden,
so ist man f r e i, sonst aber nicht, man ist dann abhängig vom Staat, von einer Lebensgemeinschaft usw. Eine Möglichkeit ist, sich eine Frau zu "nehmen", die berufstätig ist. Das Besten ist, man heiratet eine Frau mit Vermögen, die den Künstler und die Kunst (überhaupt) liebt - aber das ist doch (ideal fatasiert) ein seltener Fall in einer Zeit, in der das so genannte "Kulturelle" im Niedergang begriffen ist, wenn man den konservativen Kulturkritikern Glauben schenken kann.
Ich zitiere aus "Brotlose Künste" DW Made for minds:
Eine der bekanntesten Mythen in der Kunst ist die Geschichte vom armen
Künstler: Er opfert sein Leben für die Kunst - und erhält im Tausch Genie
und Unsterblichkeit. (Einwurf: Man sehe um sich - wo sind die armen
Künstler mit GENIE und UNSTERBLICHKEIT? (da würgt sich doch ein gequältes
Lachen aus dem Inneren sich heraus, hört man diese Begriffe aus längster Vergangenheit (19.Jahrhundert) - GENIE! UNSTERBLICHKEIT! - Ja, Talent - doch talentiert sind viele!))
Weil der Künstler sich mit diesen Eigenschaften über die Regeln und Normen der Gesellschaft hinwegsetzen kann, besitzt er ein Maximum an
Freiheit, das ihm für sein kreatives Schaffen zugebilligt wird. Als
Preis verzichtet er dafür auf ein etabliertes und finanziell abgesichertes Leben. Die Vorstellung vom armen Künstler, der sein Leben ganz dem kreativen Schaffen widmet und dafür auf Wohlstand verzichtet, hat sich bis heute gehalten. (...) Dagmar Pütsch:
Ich denke schon, der Kunst muss man ganz schön viel zufüttern, Brot geben
dass sie zu der werden kann, die sie ist vom Namen her und vom Inhalt.
Insofern ist die Frage, wie man mit dem Begriff brotlose Kunst umgeht.
Sie (Dagmar Pütsch) begegnet dem allgemeinen Vorurteil über ihr Tun als
brotlose Kunst mit sprachlichen Spielen: Ursprünglich ist das Wort los
ein althochdeutsches Adjektiv mit der Bedeutung: frei, ledig, bar, beraubt. (Einwurf: Frei sei der Künstler also, ledig, ohne Bargeld und hungrig, jedoch genial und unsterblich! Was aber wenn er nur über dem Durchschnitt begabt ist? Stimme aus der Masse: Soll er doch einer
ordentlichen Arbeit nachgehen - so wie wir es MÜSSEN Tag für Tag, Jahr für Jahr!,) -
Wo wird das eigentlich entschieden? Etwa hier? Wer vermisst die (Kunst)Freiheit? Sie? Ich ?
Weder die Macher noch die Zuschauer oder KommentartorenInnen oder KritikerInnen vermögen das. Denn am Ende ist es immer eine juristische Frage, wie man bei Falk Richter und der Schaubühne vor wenigen Jahren sehen konnte. Hier wird im Grunde nur über FasK und Selbstzensur geredet. Und da wird der Druck aus einer bestimmten Richtung erhöht. Solche Richtungen gab es immer. Das sind Machtkämpfe um die Deutungshoheit und manchmal geht es auch nur darum eine Gruppe zu verdrängen, um sich selbst an ihren Platz zu setzen.
(Hier der besagte Link: https://www.deutschlandfunkkultur.de/carl-hegemann-ueber-theater-co-der-exzess-gehoert-auf-die.2159.de.html?dram:article_id=497702)