Gier unter Ulmen - Residenztheater München
Wem gehört die Farm?
6. März 2022. In "Gier unter Ulmen" tritt eine Femme Fatale ins Leben und ins Haus des Patriarchen Ephraim Cabot, und sie macht wie alle kein Hehl daraus, was sie will: sich bereichern. Regisseur Evgeny Titov inszeniert das Stück inmitten einer steinernen Felslandschaft als düsteres Sinnbild.
Von Thomas Rothschild
6. März 2022. Der Ruhm ist häufig nur von kurzer Dauer. Als einziger Dramatiker der Vereinigten Staaten von Amerika hat Eugene O'Neill bisher den Literaturnobelpreis erhalten. Heute, 86 Jahre danach, wird im deutschsprachigen Raum nur noch "Eines langen Tages Reise in die Nacht“ und allenfalls "Trauer muss Elektra tragen“ gespielt. Man muss schon weit reisen, um irgendwo auf andere Stücke zu stoßen. Das gilt auch für "Desire Under the Elms“, dessen sibyllinischer, die Neugier anstachelnder Titel meist – so auch aktuell am Residenztheater – mit "Gier unter Ulmen" übersetzt wird.
In vieler Hinsicht deutet das 1924 entstandene Stück auf Tennessee Williams, namentlich auf dessen 31 Jahre jüngere "Katze auf dem heißen Blechdach" voraus, aber geht auch, wie "Trauer muss Elektra tragen", auf antike Muster zurück. Das sind nicht unbedingt die Orientierungspunkte, die im Mittelpunkt der im Trend liegenden Debatten über zeitgemäßes Theater stehen.
Drama der Realität
Was also mögen sich die Münchner Planer gedacht haben, als sie just dieses Drama – lange vor dem Angriff auf die Ukraine, versteht sich – dem zurzeit gefragten russischen Regisseur Evgeny Titov anvertrauten, der jüngst erst in Wiesbaden Strindbergs thematisch gar nicht so weit entfernten Vater inszeniert hat? Inzwischen freilich hat sich die Welt verändert.
Und so gab Evgeny Titov am Tag vor der Premiere die folgende Erklärung ab: "Der Angriffskrieg gegen die Ukraine ist eine furchtbare Katastrophe! Das Blutvergießen unserer ukrainischen Brüder und Schwestern ist eine Schande für jeden Russen! Und ich möchte nicht, dass nun jeder Russe als Unterstützer dieses Krieges verdächtigt wird! Tausende und Abertausende von Russen protestieren in vielen Städten Russlands, überwinden ihre Angst und riskieren ihr Leben, das Leben ihrer Kinder und Angehörigen! Ich spreche mich auch für diese tapferen Russen aus, die in dieser schrecklichen Zeit – einer Zeit des Krieges, des Schmerzes, des Blutes, der Zerstörung, an der Seite ihrer ukrainischen Freunde gegen dieses Verbrechen kämpfen und ich bitte Sie nun inständig, nicht noch mehr Hass, Intoleranz, Diskriminierung und Rassismus hinzuzufügen! Nein zum Krieg! Nein zum Krieg in der Ukraine!"
Zugleich verlautbart das Residenztheater: "Der Krieg in der Ukraine macht uns alle fassungslos. Wir haben spontan beschlossen, mit den Lkw‘s und Sprintern aus dem Fuhrpark des Residenztheaters dringend benötigte Hilfsgüter an die ukrainische Grenze zu transportieren. (...) Weitere Fahrten folgen am Wochenende und in der nächsten Woche. Das Resi-Ensemble sammelt ab heute im Anschluss an unsere Vorstellungen. Für jede Fahrt werden ca. 1.000 € Spritkosten benötigt, die wir ausschließlich über Spendengelder finanzieren. Bei Organisation und Logistik werden wir eng mit dem sozial engagierten Verein Münchner Freiwillige zusammenarbeiten."
Brutale Direktheit
Bleibt also die angesichts der Ereignisse in der Ukraine und in Russland vielleicht belanglos erscheinende Frage: Lohnt sich die Wiederentdeckung, oder bestärkt sie den Verdacht, dass O'Neill zu Recht nahezu vergessen ist?
Darüber, dass Habsucht unsere Gesellschaft heute nicht weniger bestimmt, dürfte Konsens bestehen. Und auch der Typus des rücksichtslosen Patriarchen, den Ephraim Cabot im Stück verkörpert, ist nicht ausgestorben oder treibt jedenfalls im öffentlichen Bewusstsein sein Unwesen. Aber reicht das, um Interesse an der doch ziemlich holzschnittartigen Psychologisierung und dem bis zur Klischeehaftigkeit krassen Stoff des Dramas zu wecken?
Nach dieser Premiere kann man die Frage nur mit einem uneingeschränkten Ja beantworten. "Gier unter Ulmen" zeigt ungeschminkt eine Welt, in der sich niemand mehr wie Tartuffe verstellen muss, um sein Ziel zu erreichen. Alle, ausnahmslos, sprechen mit brutaler Direktheit aus, was sie wollen, nämlich Besitz. Auch Abbie Putmann, die junge Frau, die sich Ephraim Cabot ins Haus holt, um das Erbe zu sichern, macht von Anfang an kein Geheimnis aus ihrem materiellen Begehren.
Berechnung statt Liebe
Das Personal von "Gier unter Ulmen" besteht aus vier Männern, von denen zwei sehr schnell zur Goldsuche nach Kalifornien und aus dem Stück verschwinden, und einer Frau. Abbie muss das Geschlechtergleichgewicht herstellen. Aber da gibt es noch eine Frau. Nur ist sie auf der Bühne nicht zu sehen, weil sie vor Beginn der Handlung gestorben ist. Es ist Ephraim Cabots zweite Frau, Ebens Mutter, die die Farm in die Ehe gebracht hat. Eben erwähnt sie immer wieder. Sie ist, abwesend, im Text ständig vorhanden.
Evgeny Titov hat sie in seine Inszenierung aufgenommen. Die Toten schweigen nicht bei ihm. Sie singen. Der Gesang der Mutter begleitet mit Hall die Zeitlupenverführung Ebens durch Abbie. Das wirkt poetisch. Allerdings nehmen sich weder Eugene O'Neill, noch Evgeny Titov die Zeit, die erforderlich wäre, um die Liebe glaubwürdig erscheinen zu lassen. Handelt es sich nicht doch wieder um Berechnung?
Der Abend erinnert an einen Höhepunkt der vorausgegangenen Intendanz, an Kušejs aus Wien übernommenen, zehn Jahre vor O'Neills Drama entstandenen Weibsteufel von Karl Schönherr, nicht allein durch den Typus der femme fatale. Anstelle von Martin Zehetgrubers Baumstämmen füllen Felsplatten die Bühne von Duri Bischoff. Die optisch wirkungsvollen Steine sind zugleich eine nach außen gekehrte Seelenlandschaft.
Alles im Halbdunkel
Und in beiden Stücken ist das Motiv der Verführung, des Einsatzes von Erotik eng verknüpft mit dem Motiv der Bereicherung, der Gier nach Besitz eben. Wenn "Der Weibsteufel" oft in die Nähe von "Blut und Boden" gerückt wird, so lässt sich "Gier unter Ulmen" mit Fug und Recht dessen amerikanischer Entsprechung zuordnen. Es weist unmissverständlich in diese Richtung, wenn der alte Cabot im Stücktext über seine Farm, den Inbegriff von Besitz und Heimat, sagt. "Oder, wenn ich könnte, würde ich sie in meiner Sterbestunde in Brand stecken, sehen, wie es brennt – das Haus und jede Ähre Getreide – und jeder Baum – bis zum letzten Halm. Würde da sitzen und zusehen, wie alles stirbt, was mein war, was ich aus dem Nichts heraus geschaffen habe."
Evgeny Titov lässt durchgängig im Halbdunkel spielen. Hell ausgeleuchtet ist nur das Bett inmtten der Steinlandschaft. Der Regisseur nützt sie, um die Personen in immer neuen Positionen zu konfigurieren. Sie bewegen sich weitgehend wie in einem Traumspiel.
Wo bleibt die Gerechtigkeit
Oliver Stokowski ist der alte und doch immer noch vitale Ephraim Cabot. Von einer zentralen Szene, in der er das tanzend unter Beweis stellt, ist nur ein Fragment geblieben, das aber selbst in seiner knappen Form zu den Höhepunkten der Aufführung zählt. Seinen Sohn Eben spielt Noah Saavedra halb kindlich naiv, halb pubertär trotzig. Den Kindsmord kurz vor dem Ende vollzieht Pia Händler als Abbie, zur tragischen Figur geworden, auf offener Bühne, mit dem Rücken zum Publikum.
Den Sheriff, der die Mörderin abholt, hat sich Titov gespart. Es ist wie im wirklichen Leben. Mit der Instanz der Gerechtigkeit kann man nicht rechnen.
Gier unter Ulmen
von Eugene O'Neill
Deutsch von Alexander F. Hoffmann und Hannelene Limpach
Regie: Evgeny Titov, Bühne: Duri Bischoff, Kostüme: Eva Dessecker, Musik: Moritz Wallmüller, Licht: Markus Schadel, Dramaturgie: Stefanie Hackl.
Mit: Oliver Stokowski, Simon Zagermann, Niklas Mitteregger, Noah Saavreda, Pia Händler, Dora Garcidueñas.
Premiere am 5. März 2022
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
https://www.residenztheater.de
Kritikenrundschau
"Bühnenbildner Duri Bischoff schuf schroffe schwarze Schieferfelsen als scharfkantige Endzeitkulisse, die nichts romantisch Verheißungsvolles an sich hat", schreibt Teresa Grenzmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (7.3.2022) in der Doppelbesprechung mit "Der Drang". Der Text verliere in Evgeny Titovs Inszenierung das Amerikanische und gewinne Spannung und Transzendenz. In satter einer "satten, archaischen Bühnensprache" führe Titov den Menschen deutlich auf sein tierisches Wesen zurück. "Er verführt ihn aber auch zum Zuviel einer Monumentalästhetik: zum Ausstellen von Schönheit in der Kargheit."
Von einem "grob zurechtgezimmerten Theatermuseum" spricht Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (6.3.2022). "Im Text kann man vielleicht noch ein paar Subtilitäten entdecken, in der Aufführung macht Titov denen den Garaus“, urteilt er. Der Regisseur dränge "alle Schauspieler zu monochromen Figuren", alles sei "biblisch, archaisch, frei von Nuancen".
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