Körper und Geld

3. Juni 2022. Wer Schulden hat, muss zurückzahlen. Mit Zinsen. In der Regie von Janis Knorr schält sich eine Horrorgeschichte über menschliche Grausamkeit heraus und dient als Parabel zum Umgang der Europäischen Union gegenüber der griechischen Staatsschuldenkrise.

Von Christian Muggenthaler

"Gefesselt" in der Regie von Janis Knorr am Theater Regensburg © Martin Kaufhold

3. Juni 20222. Eine tückische, fiese Form von Schuldknechtschaft bahnt sich da an. Das wird so ziemlich von Anfang an klar. Es kommt so, wie es offenbar kommen muss in einer Welt, in der sich das Geld zum Geld fügt und die Armut zur Armut. Nephos kann die Hypotheken auf sein Haus nicht mehr bezahlen. Sein Freund Kallios hilft ihm aus der Klemme – wofür sind Freunde schließlich da? Dass Kallios Nephos danach bittet, beim Renovieren des eigenen Hauses kurz mal auszuhelfen: auch das ein Freundschaftsdienst. Zwei Wochen Urlaub nimmt Nephos dafür – wird aber nicht fertig, weil die ihm aufgetragenen Arbeiten immer mehr werden. Kallios und seine Frau Pyrra schwingen beständig die Moralkeule und versklaven den Freund des Hauses in hurtiger Vehemenz. Sie fühlen sich im Recht. Sie haben vorgeleistet. Sie missverstehen ihr wirtschaftliches Glück als ehrlichen Lohn und Anspruch.

Gewinnerstück des Mythos-Dramatikwettbewerbs

Die Aufführung ist das Ergebnis eines Wettbewerbs für zeitgenössische griechische Dramatik, den das Theater Regensburg zusammen mit dem Nationaltheater Nordgriechenlands in Thessaloniki ausgelobt hatte. 126 Texte wurden eingeschickt. "Gefesselt" von Natassa Sideri gewann. Jetzt wurde das Stück in der Regie von Janis Knorr, der es zusammen mit der Dramaturgin Laura Mangels auch ins Deutsche übersetzte, uraufgeführt – und es ist eine durch und durch bemerkenswerte Entdeckung. Denn die 1981 in Athen geborenen Schriftstellerin Natassa Sideri hat mit diesem Kammerspiel eine überzeugende Farce und Parabel geschrieben, die Drehung um Drehung immer noch gnadenloser wird.

Zu Beginn kann man noch lachen über den steifen Richter Kallios und seine schrille Gemahlin. Und dann wird’s Horror. So, wie es unentwegt von der Decke auf die Bühne tropft, so werden Freiheit und Bewegungsraum des naiv gutmeinenden Nephos immer mehr eingeschränkt, bis die ganze Sache in einem grotesken Alptraum endet: Nephos wird verdächtigt, die Tochter des Hauses, Petalia, verführt und zur Flucht überredet zu haben – bizarr, wo er die Flucht doch selbst nicht schafft. Er wird einem immer brutaleren Verhör unterzogen. An seinem Körper wird gezeigt, wie das Geld sowohl auf der Seite der Besitzenden wie der Besitzlosen alles Menschliche verdirbt. Und es wird in gleichnishafter Form auch davon erzählt, wie die EU mit dem verschuldeten Staat Griechenland umgegangen ist. Es steht Erpressung im Raum und die Selbstgewissheit der Erpresser, moralisch, ökonomisch und juristisch auf der richtigen Seite zu sein.

Automatenhaft eingeübte Haltung

"Ein guter Mensch zu sein. Das ist alles, was zählt. Sonst nichts", ist das Mantra, das Pyrra unentwegt vor sich herträgt. Das Falsche im Glauben tun, richtig zu handeln – so entsteht Entfremdung. Knorr lässt im Ehepaar jene automatenhafte Haltung entstehen, die eingeübte Regeln mit sich bringt. Der Glaube an ihr System geht ihnen bis in Körper und Haltung. Tochter Petalia kann für sich diese ebenfalls vorgesehene Haltung durchbrechen und befreit sich wirklich: Sie nimmt ihre eigene Gestalt an. Nephas agiert anfangs völlig natürlich, bis er sich immer mehr auch körperlich in seine Gefangenschaft hineinwindet. Sehr viel geht in dieser Inszenierung durch, mit und in den Körpern der Schauspieler:innen als Verdeutlichungsprozess vor. Die Normalität jedes Handelns schwindet. Die Figuren scheinen durch ihre jeweilige ökonomische Stellung den Bezug zum eigentlichen Dasein und eben auch zu ihren Körpern verloren zu haben.

Gefesselt 2 MiloyQuestKapcikWachter FotoMartinKaufholdNoch sieht alles harmlos aus, aber vier Gleichberechtigte sitzen da nicht am Essenstisch. © Martin Kaufhold

Besonders drastisch wird das in einer Szene, in der Pyrra vom inzwischen von der Familie Gefangenen sexuelle Gefälligkeiten verlangt und dieser verweigert: Hier steigert sich die beständig angelegte entfremdete Körperlichkeit zu einem quälenden Duett des schmerzhaften Berührungsmissklangs zwischen Menschen. Spätestens hier entspringt ein zunehmendes Grauen der Unmenschlichkeit, das immer heftiger wird. Von Anfang an ist auf dieser Bühne von Ariella Karatolou alles in durchsichtige Plastikfolien eingepackt – alle Möbel, aller Wohlstands-Tand. Das ist kein natürlicher Renovierungszustand. Hier wird zerstört. Hier ist einfach vom Bein weg nichts richtig. Licht (Martin Stevens) und Musik (Thorsten Drücker) setzen in diesem chronischen Nestabbaubetrieb markante Zeichen.

Mit Wucht und Wonne

Das Ensemble bewältigt die Körperlichkeit und Eindringlichkeit der Inszenierung mit Wucht und Wonne. Guido Wachters Kallios kann allein durch seine Blicke die ganze gedankliche Impertinenz seiner Falschheit unterstreichen. Amélie Miloy als Pyrra steht ihm da in nichts nach und ist eine gewaltige Mischung aus Muskelstrang und Nervenbündel, die ihre Figur praktisch permanent psychisch hyperventilieren lässt. Philipp Quest lädt, weil er eine wunderbare natürliche Offenheit ausstrahlt, die Zuschauer:innen als Nephos ein in die Lage eines Mannes, der bittere wirtschaftliche Ungleichheiten bitter büßen muss. Und Zelal Kapçıks Petalia ist eine Löwenbändigerin der eigenen Wut, die dennoch immer wieder durchbricht. Besonders tückisch: Am Ende fängt alles wieder von vorne an. Und ganz ehrlich: Man könnt' sich's glatt gleich noch mal anschauen.

 

Gefesselt
Von Natassa Sideri, übersetzt von Janis Knorr und Laura Mangels
Regie: Janis Knorr, Bühne und Kostüme: Ariella Karatolou, Musik: Thorsten Drücker, Licht: Martin Stevens, Dramaturgie: Laura Mangels.
Mit: Guido Wachter, Amélie Miloy, Philipp Quest, Zelal Kapçık.
Uraufführung am 2. Juni 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theater-regensburg.de

Kritikenrundschau

Es sei ein "kurzweiliges Vergnügen", diesem "souverän von Regisseur Janis Knorr eingefädelten, knapp eineinhalbstündigem Spiel" beiwohnen zu dürfen, freut sich ein*e Autor*in mit dem Kürzel "mgn" in der Mittelbayerischen Zeitung (4.6.2022), der*die vor allem Guido Wachter in der Rolle des Kallios lobt. Dieser sei "diabolisch gut". 

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