"Kein Update jetzt – ich mag dich so wie du bist."

3. Juni 2022. "Zu Hause bleiben" war das Credo der ersten Corona-Phasen. Während wir glücklich sind, wieder ins Theater zu können, zeigt Caroline Peters eine mediale Dystopie, in der Zoom noch viel mehr kann als den eigenen Hintergrund zu verwischen.

Von Gabi Hift

"Die Maschine steht nicht still" von und mit Caroline Peters bei den Wiener Festwochen © Frank Dehner

3. Juni 2022. Kuno, eine mondäne, nervöse Frau, ist bei der Vorbereitung eines Abendessens für mehrere Gäste und wird dabei vom Anruf ihres alten Vaters gestört, der unbedingt möchte, dass sie ihn besuchen kommt. Er will sie in echt sehen und nicht immer nur auf dem Bildschirm. Was nach dem Beginn einer gewöhnlichen Konversationskomödie klingt, sieht aber äußerst ungewöhnlich aus. Das Zimmer ist ein Käfig mit flimmernden Bildschirmwänden. Die Frau steckt in einem neongrünen Avatardress, und ihre Gesprächspartnerin ist eine blau glimmende KI-Assistentin. Wir befinden uns in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der die meisten Menschen alleine in solchen technisch hochgerüsteten Wohnmonaden leben und nur noch elektronisch kommunizieren. Das Ganze soll vor langer Zeit mit einer Bewegung begonnen haben, die "zu Hause bleiben" hieß.

Liebevolles Hickhack mit der persönlichen KI

Caroline Peters hat dieses Projekt auf dem Gipfel ihrer Coronaverzweiflung mit einer Gruppe von Video-, Sound- und Designkünstler:innen entwickelt – auf der Basis der berühmten Sience-Fiction-Geschichte "The Machine Stops" von E.M. Forster aus dem Jahr 1909. Peters spielt Kuno, eine mit der Entwicklung der Dinge zunächst völlig zufriedene Frau. Im von der Designerin Flora Miranda entworfenen Avatardress (Definitiv ein It-Piece!) diskutiert sie in ständig liebevollem Hickhack mit ihrer KI-Assistentin Isadora ("Nein! Bitte! Kein Update jetzt, ich mag dich so wie du bist!"). Isadora ist zweigeteilt: in eine Skulptur aus mildleuchtenden bläulichen Kugeln und in das Kameraauge, das Kuno in Gestalt der ebenfalls neongrünen Live-Kamerafrau Andrea Gabriel permanent umrundet und ihr Bild ins World-Wide-Web schickt. Isadora ist Teil der großen Maschine. Aber das ist keine Science-Fiction, das sind Siri und Alexa auch schon.

Schöne neue Videowelt

Der Wohnkubus ist vorne und hinten von Gazeleinwänden begrenzt, die den verschiedensten dreidimensionalen Videoprojektionen erlauben, sich zu Fluchtpunkten rasender graphischer oder ornamentaler Effekte zu biegen. Sie sind auch Kunos Bildschirme, über die sie mit ihren Bekannten spricht. Das ist wunderschön gemacht, einfallsreich und ästhetisch ansprechend. Man kann sich aber nicht dagegen wehren, dass es in der inneren Wahrnehmung mit den Videowelten konkurriert, die man überall bei Megaevents und in der Werbung sieht.

Zu viel Spaß

Anders als in der ursprünglichen Geschichte von E.M. Foster ist diese Dystopie nicht düster und bedrohlich angelegt, sondern satirisch. Das macht großen Spaß, ist aber auch ein Problem. Es gibt Caroline Peters jedenfalls die Gelegenheit, sämtliche Register ihres komödiantischen Könnens zu ziehen. Die sechs Gäste, die zu ihrem virtuellen Abendessen erscheinen, spielt sie alle selbst – mit Hilfe von Perücken und Bärtchen sehen sie alle so unterschiedlich aus, dass man zweimal hinschauen muss, um durchzublicken. Beeindruckend dreidimensional sitzen die Projektionen rund um den perspektivisch dastehenden virtuellen Tisch – die Möglichkeiten von Zoom haben sich in dieser Zukunftsvision enorm weiterentwickelt. Die Gäste sind allesamt wunderbare Karikaturen von Schicki-Micki-Intellektuellen: eine schrille Angeberin, ein fürchterlich schwadronierender Kulturwissenschaftler und so weiter. In dieser Welt sind Ideen endlich von ihrer Ausführung entkoppelt, und so können sich alle gefahrlos damit überschütten. "Wahrheit ist das falsche Konzept!", doziert eine. "Stillstand ist Freiheit" ein anderer.

Das ist sehr lustig. Die Crux ist aber, dass eine ernste Dystopie dadurch wirkt, dass es einen schaudert und man alles tun möchte, damit die Welt niemals so wird, wie man es in einem solchen Schreckensbild gezeigt bekommt. Bei einer Satire wie dieser hier kommt man hingegen vor lauter Lachen nicht zum Fürchten. Und man denkt auch nicht, dass man sich selbst jemals so hanebüchene Dinge einreden ließe wie diese lächerlichen Figuren.

DieMaschine1Frank DehnerCaroline Peters zwischen medialer Projektion und digitaler Wirklichkeit © Frank Dehner

Was die gesellschaftspolitische Aussage betrifft, ist das Problem wiederum, dass ihr hundert Prozent der Zuschauer:innen von vornherein zustimmen werden. Nur diejenigen, die in Gefahr sind, aus der Isolation nicht wieder aufzutauchen, könnten davon aufgerüttelt werden, aber gerade die haben sich ja zu Hause mit ihren elektronischen Geräten verschanzt und sitzen nicht im Theater. Für die, die gekommen sind, ist es ein befreiendes Heimspiel, bei dem alle eingeladen sind, auf ein: "War das nicht schrecklich, wie wir alle isoliert in unsere kleinen Wohnungen eingesperrt waren?" innerlich auszurufen: "Ja, es war schrecklich!" Und auf ein: "Wollt ihr, dass es so oder noch schlimmer für immer bleibt?" zu rufen: "Nein! Auf keinen Fall!"

Geteilter Raum

Der Rest ist ein äußerst unterhaltsamer Abend mit einer wunderbaren Komödiantin, der die beeindruckend hohe Pointendichte des Anfangs nicht ganz halten kann. Aber als Caroline Peters sich am Ende durch einen Schlitz im vorderen Gazevorhang vorsichtig und blinzelnd ins nackte Draußen zwängt – in denselben physischen Raum, in dem direkt vor ihr die Zuschauer:innen sitzen, da ist das ein ganz ungehöriges Ende für eine Dystopie. Für sie und für uns ist das der Beginn des neuen alten Lebens, in dem Zuschauer:innen und Schauspieler:innen sich wieder begegnen können, mit allem Drum und Dran, mit Körpern und Blicken und Atem, und das ist gut so.

Die Maschine steht nicht still
Nach Motiven aus E. M. Forsters "The Machine Stops"
Konzept: Caroline Peters und Ledwald, Text: Caroline Peters, Video und Live-Kamera: Andrea Gabriel, Visuals: Eric Dunlap, Sounddesign und Licht: Lars Deutrich, Kostüm: Flora Miranda, Assistenz: Lea Witeschnik.
Mit: Caroline Peters.
Eine Produktion der Wiener Festwochen
Dauer: 70 Minuten, keine Pause
Uraufführung am 2. Juni 2022

www.festwochen.at

 

Kritikenrundschau

"Das Stück mach sich lustig, was legitim ist", findet Michael Wurmitzer im Standard (4.6.2022). Nervig aber sei "die Ignoranz und Einseitigkeit", mit der dies an diesem Abend geschehe. Das "spacig grüne Kostüm mit grafischem schwarzem Muster" von Caroline Peters sehe aus, "wie man sich in den 80ern Zukunft vorgestellt hat", findet der Kritiker und schließt die Frage an: "Ist es wie die Animationseffekte wenigstens ironisch gemeint?" Man könne den Abend auslassen, ist das finale Urteil des Autors.

Das "digitale Palim-Palim" in einigen Szenen dieser Inszenierung wirke "wie eine semisentimentale Abrechnung mit gestelzten Abendessen, an die man sich vielleicht noch aus der Vor-Corona-Zeit erinnert", meint Gerald Heidegger im ORF (3.6.2022). "Wo das Bild der Gegenwart auf schwachen Beinen steht, könnte man frei nach Hans Blumenberg sagen, krankt auch die Vorstellungswelt", schreibt der Kritiker. Der Witz des Digitalen ist, laut Heidegger, "die süchtigmachende Bedienungswelt, die ihre Abhängigkeit in der Unauffälligkeit erzeugt" – dies vertrage sich schlecht mit Bühnendramaturgie des Abends. Immerhin: Für "die Generation Vierteltelefon" habe er dann doch auch die Beruhigung gebracht, "dass die virtuelle Welt auch nicht schlimmer ist als die Hölle der alten".

 

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