Presseschau vom 2. September 2010 – SZ und FAZ berichten über israelische Reaktionen auf den Künstler-Boykott der Siedlung Ariel

Weckruf an das alte Friedenslager

Weckruf an das alte Friedenslager

2. September 2010. Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung berichten von den Reaktionen auf den Künstler-Boykott des Kulturzentrums in der Westbank-Siedlung Arie. Peter Münch schreibt in der Süddeutschen (1.9.2010): "Israels Kulturszene ist in Aufruhr, und wer etwas auf sich hält, der meldet sich (...) zum öffentlichen Bekenntnis". Die Boykott-Unterstützer pochten "auf ihr Recht zur politischen Korrektheit", die Gegner "beschwören die Kultur als höheres Gut, jedenfalls höher als die Politik" – eine Diskussion, "wie sie die desillusionierte und bisweilen zynische Politik in Israel lange nicht gesehen hat".

Die Petition wirke "fast wie ein Weckruf an das alte Friedenslager, das sich (...) enttäuscht in die innere Emigration zurückgezogen hat". 150 Universitätslehrer hätten sich dem Aufruf angeschlossen, ebenso wie die Schriftsteller Amos Oz und David Grossmann. Zwar seien "Boykotte als Zeichen des politischen Protests" in Israel keineswegs ungewöhnlich, so Münch, dass jetzt jedoch auch "Juden Juden boykottieren", das sei neu.

Die Theaterdirektoren, die oftmals bereits Verträge über Tournee-Auftritte unterschrieben haben, äußern in einer gemeinsamen Erklärung zwar Respekt für die "politische Meinung unserer Darsteller", machen aber auch deutlich, dass sie "das Beste aus Israels Theatern nach Ariel bringen" wollen. "Dienstrechtlich sind die Fronten ohnehin klar: Wer beim Theater angestellt ist, muss auch auf Tournee in die besetzten Gebiete mitkommen – oder eben persönlich die Konsequenzen tragen."

Premierminister Netanjahu sprach davon, dass Israel "von verschiedenen Elementen in der internationalen Arena einer Delegitimierungs-Kampagne ausgesetzt" sei. Ein "Boykottversuch von innen" sei "das Letzte, was wir jetzt brauchen", sagte er und drohte, den Theatern die staatlichen Subventionen zu streichen. Finanzminister Juval Steinitz argumentierte, dass auch die Einwohner Ariels Steuern zahlten und also auch von Subventionen profitieren müssten. Gegenwind bekommen die Boykott-Unterzeichner auch von Künstler-Seite. In der Zeitung Jedioth Achronot erklärten Schauspieler und Sänger ihre Auftrittsbereitschaft, die Gewerkschaft für darstellende Künste unterstützt die Boykott-Gegner. Außerdem hätten einige Petitionsunterzeichner sich mittlerweile von der Erklärung distanziert.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2.9.20210) schreibt Joseph Croitoru: Den Siedlern in Ariel sei es gelungen, auch Gastauftritte des Nationaltheaters Habimah und des Cameri-Theaters, beide aus Tel Aviv, zu buchen. Viele Mitglieder der Ensembles reagierten auf die Entscheidung, "die hinter ihrem Rücken getroffen wurde", mit "Entsetzen". Nie zuvor hätten die "angesehenen Theater" Gastspiele in den besetzten Gebieten gegeben. Die prominenten Unterzeichner, unter ihnen die Dramatiker Joshua Sobol und Edna Mazya, erklärten, sie "seien nicht gewillt, das Siedlungswerk, das gegen den Frieden gerichtet sei, mit ihrer künstlerischen Arbeit zu unterstützen".

Kulturministerin Limor Livnat habe dagegen gewarnt, "Schauspieler dürften Politik und Kunst nicht vermischen". Einige rechts gerichtete Politiker hätten angekündigt, Künstler demnächst per Gesetz zum Auftritt in den besetzten Gebieten zwingen zu wollen, während die "rechts-orientierte Presse" die Protestierenden als "linksradikale Volksverräter" beschimpft habe.

Die Friedensbewegung Peace Now sowie rund 150 Universitätsdozenten hätten sich mittlerweile dem Protest angeschlossen. Außerdem (s.o.) prominente Künstler, darunter auch der Autor Abraham B. Jehoschua. Dieser habe gegenüber der liberalen Zeitung Haaretz erklärt, bei Ariel handele es sich um einen "problematischen Ort im Hinblick auf den Frieden". Die "junge Schriftstellerin" Klil Zisapel habe sogar erklärt: ein Auftritt in Ariel, wohin "Apartheid-Straßen" führten, würde die israelische Besetzung palästinensischen Bodens nur weiter "zementieren".


Mehr über die israelische Theaterlandschaft lesen Sie in dem Theaterbrief aus Tel Aviv von Avishai Milstein.

 

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