Presseschau vom 18. April 2011 – die FAZ schreibt über den Fall Olivier Py und die französische Kulturpolitik
Improvisierter Trostpreis
Improvisierter Trostpreis
18. April 2011. Anlässlich der Nichtverlängerung Olivier Pys am Pariser Théâtre de l'Odéon beschreibt Joseph Hanimann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (17.4.2011) die Vergabe der Leitungsposten an den sechs Staatsbühnen Frankreichs als "ein kompliziertes Pokerspiel in der hohen Sphäre der Politik", bei dem der Kulturminister Namen nennt, der Staatspräsident entscheidet. Dabei steche "politische Opportunität" bisweilen die Kompetenz aus.
"Pys Ernennung vor vier Jahren ins Pariser Odéon-Théâtre de l'Europe war eine Überraschung, die Bekanntgabe seiner Nichtverlängerung eine Provokation, seine nun angekündigte Übernahme des Theaterfestivals Avignon 2014 ist ein Witz." Eben dieses Festival hätte Py vor fünf Jahren schon haben wollen und auch fast bekommen – wurde dann aber mit dem Odéon vertröstet. "Kulturpolitik als improvisierte Trostpreisvergabe."
Bei Pys Ernennung vor vier Jahren, sei angezweifelt worden, dass der Intendant als jemand, "der stets etwas ratlos durch Antwerpen, Berlin oder London und die bald kühlen, bald hysterischen Theatermetropolen des zeitgemäßen Europa ging", die europäische Ausrichtung des Programms angemessen würde erfüllen können. Py habe das Odéon dann allerdings "binnen kurzem in ein Treibhaus des Geistes" verwandelt, in dem klassisches Repertoire neben neuen Stücken stand, Bücher und Autoren vorgestellt sowie Gesellschaftsdebatten geführt wurden. Und mit den eingeladenen Gastspielen aus dem Ausland – u.a. Peter Steins I Demoni, Thomas Ostermeiers Dämonen, Nikolai Kolyadas russische "Hamlet"-Inszenierung aus Jekaterinenburg, Krzysztof Warlikowskis "Koniec" aus Warschau, Frank Castorfs Kean – sei durchaus vom persönlichen Stil des Hausherrn abgewichen worden.
Im Gegensatz zum zeitgenössischen "Textflucht- und Bearbeitungstheater" vertrete Py ein "Kreations- und Repertoiretheater, das die Umgestaltung von den Themen her angeht und unermüdlich die alten Mythen umpflügt". Sein Theater lasse "Metaphern zum Kampf gegen Konzepte antreten" und trage durchaus "Züge eines neuen politischen Theaters" – der Stil dürfe "nach einer Periode der Formspiele" demnächst dann auch wieder nach Avignon zurückkehren.
"Die Talentverschleuderungspolitik der politischen Stellenbesetzungen trifft aber nicht in allen Fällen auf Universalbegabungen und sollte drauf achten, etwas längerfristig zu denken", kommentiert Hanimann abschließend.
(ape)
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