Anything for Love

von Cornelia Fiedler

München, 25. März 2013. Die Krise ist eine wunderbare Ausrede, eben noch in den Nachrichten im Autoradio, wenige Minuten später dann auf der Bühne: für schlechtes Benehmen, für miese Laune, für Egozentrik, für Gewalt. "Vor lauter Krise und Wirbel", behauptet der Möchtegern-Dandy Alfred, käme er nie dazu, seine Mutter zu besuchen – die erste verlogene Phrase des Abends, und viele weitere werden folgen.

Es sind keine Krisenverlierer, die Ödön von Horvath 1931 in seinen "Geschichten aus dem Wiener Wald" vorführt, sondern ganz gut aufgestellte Kleinbürger, die die engen Grenzen ihrer Welt eisern verteidigen. Mit welcher Brutalität dies geschieht, daran lässt Volkstheater-Intendant Christian Stückl in München von Anfang an keinen Zweifel.

Küsse als Bisse, Sex als Brachial-Handwerk

Schon in der Sprache der Figuren, die er allesamt als überspannte Karikaturen inszeniert, schwingt stets etwas Gewaltsames mit. Bei Jean-Luc Buberts fahrigem Zauberkönig mit der ständig überschlagsgefährdeten Stimme; bei der Trafikantin Valerie, gespielt von Ursula Burkhart, die einfach keine normale Tonlage zwischen rauchig frivol und viel zu schrill finden kann; oder im bellenden Kommandoton des Stolzdeutschen Erich (Johannes Meier). Noch erschreckender ist, wie die Gewalt auch jedem Versuch von Zärtlichkeit innewohnt. Küsse sind Bisse, Umarmungen schnappen zu wie tödliche Fallen, Sex wird zum rein mechanischen, vorwiegend männlichen Brachial-Handwerk.

WienerWald1 560 ArnoDeclair u"I would do anything for love." © Arno Declair

Dass Marianne, Tochter des Scherzartikel- und Spielwarenhändlers Zauberkönig, sich am Tag ihrer Verlobung mit dem Metzger Oskar in letzter Minute aber lieber dem so unverschämten wie weltmännischen Alfred (Max Wagner) an den Hals wirft, endet notwendigerweise mit dem Ausschluss aus jener Gemeinschaft, die nie eine solidarische gewesen ist. Lenja Schulze sieht als Marianne mit roten Zöpfen und aufgemalten Bäckchen aus wie Gretel aus dem Kasperltheater, und spielt ihren Ausbruch, die vermeintliche Rettung durch die Liebe, als rührend tollpatschige Gesangsnummer: "And I would do anything für love", beginnt sie zart und naiv und lässt dann, plötzlich ganz Rockröhre, die volle Wucht der unzulässigen Gefühle heraus – so als wollte sie in einem einzigen Meat-Loaf-Song ihre ganze pubertäre Revolte auf einmal nachholen, bevor ihr sozialer Abstieg beginnt.

Panoptikum der Schäbigkeit

Bei diesem konstant hohen Level von Anspannung, latenter Gewalt und greller Dauerpersiflage ist eine Steigerung schon bald nicht mehr möglich. So werden zur Unterhaltung einige Runden Herrenwitze serviert und alle Varianten von Wasserspielen in der großen, schilfbewehrten Donau-Pfütze durchprobiert, die den hinteren Teil der Bühne bis zu einem kitschig leuchtenden, aufgemalten Wald ausfüllt.

Stückl führt die schäbigen, selbstherrlichen Figuren wie ein Panoptikum vor, und erlaubt ihnen nur in kurzen Momenten ansatzweise menschliche Seiten. Meist agieren sie als grausames Kollektiv der aufgesetzten Lebensfreude. Gute Laune wird durch Gesang und bunte Kleidung demonstriert, eine Farbe für jeden, zusammen fast ein Regenbogen: Grün der Rittmeister, Blau der Zauberkönig, Valerie in Pink, Oskar und Marianne in Orange. Nur steht am Ende des Regenbogens für das "gefallene Mädchen" kein Schatz bereit, zu hoch ist der Preis für die Rückkehr. "Ich kann nicht mehr... jetzt kann ich nicht mehr", ist Mariannes letzter stockender Satz. Blass und zerbrechlich versucht sie dennoch wegzugehen, vorbei am fetten Oskar. Doch der streckt einen Arm aus, hält sie auf und die Falle schnappt zu.

 

Geschichten aus dem Wiener Wald
von Ödön von Horváth
Regie: Christian Stückl, Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier, Musik: Michael Gumpinger, Licht: Günther E. Weiss, Dramaturgie: Kilian Engels.
Mit: Max Wagner, Ilona Grandke, Sohel Altan G., Ursula Burkhart, Pascal Fligg, Michael Tschernow (Krankheitsvertretung für Thomas Kylau), Lenja Schultze, Jean-Luc Bubert, Johannes Meier, Constanze Wächter.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.muenchner-volkstheater.de

 

Kritikenrundschau

Vor einer "unbedingt sehenswerten Veranstaltung" und einem "echten Klangerlebnis", schreibt Christian Böhm auf Welt-online (27.3.2013) und wünscht sich mehr Horváth von Christian Stückl. "In der ersten Hälfte ist alles von den Kostümen bis zur Bühne bunt und bildgewaltig, dennoch am rechten Fleck. Quasi Wahnsinn mit Methode!" Schleichend, fast nebenbei, werde aus der Komödie eine Tragödie. Das Lachen bleibe nicht nur den Figuren auf der Bühne im Halse stecken." Im Gegensatz zu den vielen dunklen Horváth-Übersetzungen ins Jetzt, so Böhm, konzentriere sich Stückl auf das, "was Menschen bereit sind, sich anzutun".

"Vielleicht Stückls beste, auf jeden Fall seine ergreifendste Inszenierung am Volkstheater," schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (27.3.2013). Auf Stefan Hageneiers "wunderschöner" Bühne gingen alle rau miteinander um: "jeder Kuss ist auch ein Biss. Doch es gibt auch Zärtlichkeit." Auch "die Sprache klappt gut" aus Sicht des Kritiker. "Was im ersten Teil grob, grell und auch lustig ist, wird im zweiten brutal. Jeder kämpft ums Überleben und um ein klein bisschen Glück. Das zeigt Stückl fabelhaft."

Temporeiches, packendes und "krachertes Volkstheater", notiert Michael Schleicher im Münchner Merkur (27.3.2013), "sowie und erbarmungslose Gesellschaftsanalyse, höchst unterhaltsam und bitter in ihrer Erkenntnis". Christian Stückl arbeite mit einer "geschickt gekürzten und behutsam modernisierten Fassung", und entfalte ein kleinbürgerliches Typenkabinett, das "verlogen und böse" sei.

Von einer "schrillen Knallchargenrevue" spiricht Rosemarie Bölts in der Sendung "Kultur Heute" beim Deutschlandfunk (26.3.2013). "Der knallbunte Klamauk soll wohl Spaß bereiten", und Regisseur Christian Stückl habe wohl übersehen, dass "Ödön von Horváth es mit seinem Stück durchaus ernst meinte". Stückl hat aus Sicht der Kritikerin "mal wieder maßlos übertrieben. Aufgedonnert kommen seine Figuren auf dieser Schaukastenbühne daher, grell geschminkt und wild entschlossen, mit Gebrüll und Getöse auch noch der letzten Zuschauerreihe klar zu machen, wo der Hammer hängt."

 

Kommentare  
Wiener Wald, München: Fahrt nach Berlin!
Liebe Münchner, investiert in die Reise nach Berlin! Es lohnt sich und bietet die Chance unfassbar provinzielle Dramaturgie zu überwinden. Dieser Stückl-Abend ist einfach Kasperquatsch. Ärgerliche Geschlechterbilder, grober und unsinnlicher Unfug. Schaut lieber Thalheimer und gut ist.
Wiener Wald, Volkstheater M: Geschrei, Unterwäsche, Wasser
Diese Inszenierung ist einfach nur ärgerlich. Viel Geschrei auf der Bühne (das soll wohl Gefühle ausdrücken), jede Menge Unterwäsche und nackte Haut (das soll wohl Sex und Begierde ausdrücken) und mal wieder das bei Herrn Stückl so beliebte Wasser .Richard III., Merlin oder das wüste Land im Schauspielhaus Zürich und jetzt die Geschichten aus dem Wiener Wald - ohne Wasser scheint's nicht zu gehen! Arme Schauspieler. Die im übrigen den Eindruck machen, als ob sie bei den Proben ziemlich allein gelassen worden sind.
Wiener Wald, München: eher durchwachsen
Gestern abend das Stück gesehen und...., kein Klammauk, nein, viel Geschrei und nackte Haut, mag dahin gestellt sein, ob das notqwendig ist oder nicht. Die Schauspieler geben wirklich ihr letztes, jedoch hat vielen Zuschauern die Inszenierung nicht so gepasst, der Beifall viel eher durchwachsen aus. Kann man sehen, das Stück, muß man aber nicht.
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