Mutti, was machst Du da? - Berliner Ensemble
Hör auf Mutti
3. Dezember 2023. Axel Ranisch erzählt oft von Menschen von Nebenan. In seinem mit Paul Zacher geschriebenen Stück treffen zwei Familien aufeinander, machen einander das Leben zu Hölle – und am Ende haben sich alle wieder lieb. Die Uraufführung inszenierte Ranisch selbst – mit etlichen BE-Stars.
Von Vincent Koch
3. Dezember 2023. Plötzlich geht alles ganz schnell. Gerade noch hat Anton Hartwichsen sehnsüchtig davon gesungen, nie den Mann fürs Leben zu finden, steht der auf einmal vor ihm: Pepe Schauer, selbsternannter Lebenskünstler. Schockverliebt grinsen sich die beiden an. Sie kennen sich von früher. Ein Augenaufschlag später stecken sie sich bereits die Zungen in ihre Hälse. Da ist dann auch egal, dass Antons Oma Evelyn gerade danebensteht. Die hat zwar Alzheimer, aber nicht vergessen, dass der patente Pepe schon als kleiner Junge Rilke zitieren konnte. Auch wenn sie gerade damit zu kämpfen hat, dass wiederum ihre eigene Mutter Elke ihre Wohnung für sie kündigt, weil sie sie für pflegebedürftig hält. Und das alles: mitten im Büro des Wohnungsverwalters Braunert, von dem hier alle irgendwas wollen – oder er von ihnen.
Menschen von Nebenan
Der Mikrokosmos Familie ist Ausgangspunkt für Axel Ranischs und Paul Zachers Stück "Mutti, was machst Du da?". Ranisch selbst hat diesen Text im Neuen Haus des Berliner Ensemble inszeniert. In letzter Zeit waren von ihm eher Opern zu sehen; außerdem hat er gerade seinen eigenen Roman "Nackt über Berlin" verfilmt. 2021 hatte er zudem mit Zacher die fünfteilige Hörspielreihe "Anton und Pepe" für den NDR produziert. Was er dort in 318 Minuten erzählt, taucht hier so oder ähnlich auch in knapp zwei Stunden auf. Ranisch geht es immer um den Menschen in seiner Individualität und die Einflüsse der anderen. Diese Menschen sind auf den ersten Blick oftmals schräge Vögel und bei genauerem Hinschauen einfache Leute von nebenan. Der Blick ins Private will die Gesellschaft jenseits der Hochglanzmitte zeigen.
In Ranischs Setzung drehen sich die Menschen um den hohen, holzvertäfelten Block mit vier Stühlen davor – wie Gestrandete. Aus einer Fensterfront steckt zum Beispiel Constanze Becker ihren Kopf als liebevoll-hysterische Mutter heraus und entdeckt in einem Notizbuch, dass ihr Sohn schwul ist. Sie habe es eh schon geahnt. Dafür kassiert sie einen frivolen Kommentar von ihrer Mutter Evelyn, die in Gestalt von Tilo Nest auf wackligen Absätzen steht.
Es ist ein komischer Vibe, der in dieser Familie herrscht. Trotzdem fehlt es den Szenen an Dynamik und emotionaler Tiefe. Die Verliebtheits-Euphorie von Anton und Pepe – schnell verflogen. Sie schreiben sich fortan SMS, was dazu führt, dass ihre Repliken frontal ins Publikum sprechen. Zu Beginn gab's noch Tempo im Text. Zunehmend werden Sätze wie "Ich möchte Zukunft mit ihnen basteln" unironisch an der Rampe vorgetragen. So sehr sich das Ensemble auch ins Zeug legt: Man kauft ihnen das alles nur so halb ab.
Emotionen auf Knopfdruck
Stefanie Reinspergers Anton sieht mit viereckiger Brille und Pferdeschwanz herrlich nerdig aus – als wäre er einem Reality-TV-Meme entstiegen (Ausstattung: Saskia Wunsch). Aber Anton muss eben auch noch unbeholfen daherreden, Chansons singen und ganz schön oft blinzeln oder gleich weinen. Damit verkommt er zu einem Charakter, den man kaum ernst nehmen kann.
Es fehlt dem Abend an Zwischentönen. Aber da ist noch die vom Deutschen Theater an ans BE gewechselte Kathleen Morgeneyer. Hinreißend zu sehen, wie sie mit dem Vermieter durchbrennt. Wie sie plötzlich losprustet, als er vorschlägt, Fußball zu schauen. Sie kann die komischsten Sätze glaubhaft abschmecken. Ihren Pepe (Max Gindorff), den sie erst aus ihrer Wohnung geschmissen hat, um sich ungestört mit besagtem Lover zu vergnügen, erkennt sie nicht wieder, als er eine bipolare Störung entwickelt. Aber sie kuschelt sich trotzdem an ihn und singt ein charmantes Lied. Sie schreit nicht sofort los, wie alle anderen, wenn sie einem Konflikt begegnen, als wären Emotionen auf Knopfdruck abrufbar. Mit ihrer zarten Ambivalenz wird sie zum Lichtblick an diesem Abend. Das funktioniert auch deshalb, weil sie in den Mutter-Sohn-Momenten nach Intimität und auch Körperlichkeit sucht – die der anderen Familie irgendwie zu fehlen scheint.
Aber Astrid muss natürlich noch eine Krebsdiagnose performen. Warum sind hier eigentlich alle krank? Die Krankheiten und Komplexe verkommen zu einem Token, der der Sache nicht gerecht wird. Die zwei Wochen Klinikaufenthalt werden natürlich noch abgefrühstückt, inklusive Schwarz-Videos (Bergsee, Nebel, alles klar). Was sich dramaturgisch auch nicht erschließt, ist Pepes menschlicher Hund Blümchen. Der guckt bei Jonathan Kempf niedlich und liest aus seinem ICD-10-Heftchen Krankheitsdiagnosen vor. Aber was soll das sein? Ein tierischer Begleiter, der sich jeden Tag eine neue Störung für Dich ausdenkt?
Am Ende haben sich alle lieb
Musik ist ein Hauptmotiv von Ranischs Arbeiten. Es gibt auch an diesem Abend zwei, drei hübsche Arrangements am Klavier. Der Rest Songbegleitung kommt allerdings vom Band, was klanglich nicht so richtig harmoniert. Vielleicht ist das auch ein Symptom, warum die Charaktere flach geraten sind: weil sie alle drei Minuten erstmal was singen müssen.
"Mutti, was machst Du da?" soll eine Feel-Good-Komödie sein. Es wirkt allerdings ein bisschen so, als hätte man sich zwischen Liederabend und Familiendrama nicht entscheiden können. Dramatische Fallhöhe ist wenig vorhanden an diesem Abend, flache Witze gibt's dafür umso mehr. Natürlich haben sich am Ende beide Familien lieb, denken darüber nach, eine Mehrgenerationen-WG zu gründen und genießen ihr Happy End. Der menschelnde Abend über Familien – er bleibt eine Behauptung. Oder wie Mutti sagt: Manchmal spielt das Leben eben Moll.
Mutti, was machst Du da?
von Axel Ranisch und Paul Zacher
Regie & Video: Axel Ranisch, Ausstattung: Saskia Wunsch, Musik: Martina Eisenreich, Licht: Hans Fründt, Dramaturgie: Johannes Nölting.
Mit: Stefanie Reinsperger, Constanze Becker, Tilo Nest, Max Gindorff, Kathleen Morgeneyer, Jonathan Kempf, Martin Rentzsch .
Uaufführung am 02. Dezember 2023
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.berliner-ensemble.de
Kritikenrundschau
Eine der "sympathischen und menschenfreundlichen Tragikomödien" von Axel Ranisch hat Barbara Behrendt von rbb|24 (2.12.2023) am BE erlebt. "Der Cast an diesem Abend ist exquisit", schreibt die Kritikerin und hebt Kathleen Morgeneyer, Martin Rentzsch sowie Tilo Nest hervor. "Dass der Abend trotzdem nicht abhebt, liegt an seiner ungeheuren Nettigkeit und Harmlosigkeit." Axel Ranisch, "der im Film Konventionen bricht, der mit Schauspieler:innen frei improvisiert, hat ausgerechnet am Theater, das doch so viel freier ist als Film und Fernsehen, einen erstaunlich konventionellen und regelkonformen ersten Abend vorgelegt".
"Der Abend wirkt bei aller sympathischen Arglosigkeit fahrig und hastig zusammengesetzt", urteilt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (4.12.23, €) – "zu heiß und schnell gebügelt". Wenig entwickele sich, vieles sei Behauptung. So "erfreulich hemmungslos" Axel Ranischs Filmgeschichten "auf den dramatischen und psychosozialen Reichtum außerhalb der abgefederten bürgerlichen Mitte“ zugriffen, so spürbar kippe der BE-Abend leider doch in "Holzhammer-Sentimentalität und Milieu-Romantik". Schade, denn: "Man würde diesen Mut zur sozialen Realität und zur Menschenliebe so gern feiern", so der Kritiker.
Der Abend präsentiere sich als "warmherzig-versöhnliche Komödie, die sich bestens in den vorweihnachtlichen Besinnlichkeitsimperativ" einpasse, schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (4.12.23) – "ohne falsche Töne, aber auch ohne nennenswerten Tiefgang". Er sei "unterhaltungswillig aus bekannt-bewährten Versatzstücken gezimmert und letztendlich grunderbaulich bis zur finalen Botschaft, dass sich alle Probleme lösen lassen, wenn man einander nur liebt".
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„Mutti, was machst Du da?“ ächzt unter dieser Überfülle an Themen und leidet auch darunter, dass dem Theaterdebütanten Ranisch noch das Gespür für die notwendige szenische Verdichtung fehlt. In den besten Passagen gelingen ihm jedoch traurige, kleine Momente, in denen man fast eine Stecknadel fallen hören könnte. „Mir kamen ein paar Mal die Tränen“, seufzte eine Premierenbesucherin.
Im Zentrum des Abends über Lichtenberger Familien steht eine erste, homosexuelle Liebe voller Hindernisse: Stefanie Reinsperger spielt den Musikwissenschafts-Student Anton als unbeholfen, überforderten jungen Mann, der sich ausgerechnet in den bipolaren ehemaligen Klassenkameraden Pepe (Max Gindorff) verguckt, dem die Schulden so sehr über den Kopf wachsen, dass er kriminelle Auswege wie Drogen- und Tablettenhandel versucht. Die zarte Annäherung der beiden und die tragikomische Verzweiflung der Reinsperger-Figur gehören zu den besseren, berührenden Momenten dieses Abends.
Für kleine komische Auflockerungen der Moll-Grundstimmung sorgen die heiteren Musical-Einlagen: dann tanzen zwischendurch Gindorff/Reinsperger mit Tilo Nest als demente Großmutter ein „Trio infernale“ oder Constanze Becker begleitet Nests Klavierkonzert mit ihrer Blockflöte. Das ganze Geschehen kommentiert Pepes Hund Blümchen (Jonathan Kempf) lakonisch.
„Da steckt ganz viel Liebe drin“, schrieb Max Gindorff kurz vor der Premiere auf Instagram. Das ist den knapp zwei Stunden auch anzumerken. In den besten Momenten wird „Mutti, was machst Du da?“ zum atmosphärisch dichten Kammerspiel über unglückliche Familien. Dazwischen gibt es aber noch zu viele Szenen, in denen zu spüren ist, dass die Theaterbühne noch fremdes Terrain für Ranisch ist und bei denen die eine oder andere Streichung und Verdichtung wünschenswert wäre.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/12/03/mutti-was-machst-du-da-theater-kritik/
Man kann aber auch einen super komischen Abend gesehen haben, mit großartigen Schauspieler*innen. So ist es mir heute geschehen.
Mitunter ist es einfach auch einmal gute Unterhaltung einer gekonnt inszinierten Komödie. Das ist übrigens ganz schwer zu meistern.
Ranisch ist das gelungen. Das Haus war ausverkauft. Der Abend wurde von den Zuschauern umjubelt!
Liebe Kritiker*innen, vielleicht auch einmal die Reaktion der Zuschauer beachten! Oder besser recherchieren!
Ich hatte jedenfalls große Freude im Theater. Aber halt, Frau Wahl hat, wie so oft, eine lesenswerte Kritik geschrieben.