Felix Krull und seine Erben - Tobias Rausch und Lunatiks Produktionen gehen in Kiel zeitgenössischer Hochstapelei nach
Gigolo auf Identitäts-Shoppingtour
von Jens Fischer
Kiel, 5. April 2012. Der Mensch findet sich selbst nur, indem er sich erfindet. Mal ganz existenzialistisch gedacht. So wird aus Thomas Manns Tausendsassa Felix Krull, der in einer geschickten Mischung aus Lebenslust und Kalkül sein Blenderkunsthandwerk mit dem edlen Parfüm des Charmes darbietet, ein vergötterter Held unserer Zeit. Denn der Schein, die Fantasie, das Schauspiel sind der Stoff, aus dem die Wirklichkeit gemacht ist. Ein Spielfeld unserer Wunschfantasien. Darauf agieren begnadete Betrüger als Entertainer menschlicher Sehnsüchte, werden zu idealen Verkäufern.
Effekt ist wichtiger als Wahrheit, so eines der "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull". Der nebenbei noch die Lust seiner Zuschauer am Neuen, Unerwarteten bedient wie seinerzeit der Baron von Münchhausen, der auf seiner Kanonenkugel über den TV-Schirm der Uraufführung "Felix Krull und seine Erben" im Schauspielhaus Kiel fliegt. Der "Hauptmann von Köpenick" Wilhelm Voigt und andere prominente Bluffer könnten dort ebenso flimmern.
Falsche Polizisten, Bestellbetrüger, Enkel-Trickser
Autor-Regisseur Tobias Rausch aber suchte nach weniger bekannten, aktuellen, ähnlich spektakulären Beispielen und Namen. Etwa 30 hat sein Lunatiks-Produktionen-Team recherchiert, die Beteiligten interviewt, Psychologen zurate gezogen. Anstatt aus dem so gewonnen Material einen Theaterabend zu kreieren, versucht Rausch, es mit Manns Roman zu verkoppeln. Von der Handlung bleiben Spurenelemente; die Schauspieler treten immer wieder aus ihrem comichaft zitierten Rollenspiel der sieben Roman-Figuren heraus, um O-Töne als Rechercheergebnisse vorzutragen.
Da erzählt die Darstellerin von Manns Prostituierter Rosza plötzlich aus dem Leben eines Jungen, der erblindete, aber trickreich und mit einnehmendem Wesen sowie der Hilfe seiner Freundin weiterhin den Sehenden spielte, als Kellner arbeitete, zum Restaurantleiter aufstieg, schließlich aber in der Psychiatrie und im Behindertenheim landete. Während Krull und Madame Houpflé sich mit einem Golfschläger liebkosen, erfahren wir durch Professor Kuckuck von einem Transvestiten, der seine Umwelt jahrelang mit einer Männlichkeitsshow belogen hat. Und der Oberstabsarzt Dr. Grässlich gibt erst einen Bußgelder abkassierenden falschen Polizisten, dann einen Bestellbetrüger, der mit 5,7 Millionen Euro Schulden im Gefängnis endet, und präsentiert schließlich den Enkeltrick – mit anschließendem Warnhinweis der Polizei, plötzlich mit Geldforderungen auftauchenden Verwandten zu misstrauen.
Hoch-, Tief- und Querstapelei
Leider haben das Mann'sche Personal und die zeitgenössischen Hochstapler nichts miteinander zu tun. Möglichst viele Aspekte ihrer Taten, -Täter und -Opfer werden lediglich angerissen, weder diskutiert noch tiefenscharf oder multiperspektivisch beleuchtet. Da sich Hochstapler häufig nicht als Kriminelle, sondern als darstellende Künstler verstehen, geht es auf der Bühne auch immer wieder um die Wechselwirkung von Akteur und Publikum. Die Betrogenen sind ebenso am Betrug beteiligt, heißt es, die Welt sei also einfach nur zu gierig danach, betrogen zu werden?
Alles bedenkenswert. Alles an Beispielen vorgestellt. Artig referiert. Langweilend aufeinandergestapelt. Eine Dramaturgie, beispielsweise mit Dialogen eine tragfähige Struktur für eine Bühnenversion zu finden, gelingt bis zur Pause überhaupt nicht.
Dann endlich werden Form und Inhalt eins: Liebe zum Theater, zur Illusion, die es schafft, zur Verführung, die es ermöglicht. Zu erleben ist ein Gigolo, der 22 Frauen parallel vorgaukelt, nur sie zu lieben, und dabei schmiegsam zurechtgeflunkerte Facebook-Profile nutzt. Dabei wird deutlich, wie gut das Bühnenbild (Michael Böhler) beim Identitätshopping funktionieren würde. Neun Selbstdarstellungsräume auf drei Etagen sind zu sehen, versehen mit Luken, Bodenklappen, Leitern, Kletterstangen – sie laden ein, springfidel von einem zum anderen Ich zu flutschen: Akrobatik der Hoch-, Tief- und Querstapelei.
Erhellender Bluff
Das war es dann aber leider in Sachen Vitalität. Es folgt der Endlosmonolog eines namentlich nicht genannten Schriftstellers. Wer einige der vorgestellten Details recherchiert, stößt auf den Schweizer Bruno Dössekker, der unter dem Namen Binjamin Wilkomirski 1995 ein Buch über seine Holocaust-Erfahrungen als Jude in Riga und im KZ Majdanek veröffentlichte, die er nie erlebt hatte. Perfekte Hochstapelei gelingt auch dem Musiker Matthias Herrmann: Er spielt immer nur ein Instrument, sampelt dazu als Loop aber diverse andere – so dass im Tonfall einer üppigen Liveband klangmalerisch Atmosphären getupft werden.
Was Tobias Rausch gelingt, ist auch nicht wenig. Immer wieder wurden Lunatiks Produktionen für ihre Authentizität gelobt. Nun zeigt sich: Die gibt es nicht, zumindest nicht bei Rausch & Co. Denn die recherchierte Wirklichkeit bringt er jetzt deutlich als inszenierte auf die Bühne. Auch Dokumentartheaterkunst findet gerade dabei zu sich selbst, indem sie Realität präziser erfindet als sie in Wirklichkeit ist – ein erhellender Bluff.
Felix Krull und seine Erben (UA)
Frei nach Thomas Mann von Tobias Rausch (Lunatiks Produktion)
Regie: Tobias Rausch, Ausstattung: Michael Böhler, Musik: Matthias Herrmann.
Mit: Isabel Baumert, Jennifer Böhm, Claudia Friebel, Ellen Dorn, Marius Borghoff, Marko Gebbert und Werner Klockow.
www.theater-kiel.de
Im Rahmen des Nord-Schwerpunkts wird in dieser Spielzeit verstärkt über Theater in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern berichtet, wo sich Kunst, die nicht unmittelbar ökonomischen Interessen dient, kaum noch gegen Zwänge der Haushaltskrisen behaupten kann.
So richtig finden der Hochstapler aus dem Roman und die Geschichten aus der Wirklichkeit nicht zueinander für Ruth Bender, die in den Kieler Nachrichten (7.4.2012) schreibt. Die aus der Realität gesampelten Schicksale von Bluffern und Blendern seien spannend genug; "und dass vom Roman kaum mehr als Spuren bleiben, stört kaum." Vielmehr leide der Abend unter dem Mangel an Dramaturgie. Rausch reihe die Episoden wie auf dem Fließband. "Seltsam unscharf schlingert dazu das Spiel zwischen sachlichem Erzählton und Comic-Überzeichnung." So gewinne die Inszenierung nur selten das Tempo, das die Bühne (ein "wunderbar ausgeklügelter Setzkasten") suggeriere. Es mache sich Eintönigkeit breit. Immerhin halte das Ensemble "mit Spiellust dagegen".
Der Kniff des Ganzen besteht darin, originale Romanszenen nur anzuspielen und zu mischen mit typischen Einfällen von Hochstapelei, analysiert Wolfgang Butzlaff in der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung (10.4.2012). Ihre Recherchen hätten die "lunatiks" sich Butzlaffs Meinung nach ersparen können, "denn über Heiratsschwindler oder die Ausbeutung alte Menschen durch angebliche Enkel und Neffen, (...) weiß man aus Presse und Fernsehen so schon allerhand". Die angestrebte philosophische Vertiefung des Identitätsproblems werde überspielt durch eine eher kabarettistische Machart. "Mit Tempo, Komik, Schlagzeug-Rhythmen und tänzerischer Beweglichkeit hat das zwar einigen Unterhaltungswer, durchkreuzt aber manchmal die Klarheit dessen, was aufgedeckt werden soll", befindet Butzlaff und zieht am Ende das Fazit: "Das halb gelungene, halb gescheiterte Stück kann man nur als Experiment gelten lassen."
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 10. September 2024 Tabori Preis 2024 vergeben
- 10. September 2024 Theaterpreis des Bundes 2024 vergeben
- 10. September 2024 Fabienne Dür wird Hausautorin in Tübingen
- 10. September 2024 Saarländisches Staatstheater: Michael Schulz neuer Intendant
- 08. September 2024 Künstlerin Rebecca Horn verstorben
- 08. September 2024 Österreichischer Ehrenpreis für David Grossman
- 04. September 2024 Görlitz, Zittau: Theater will seinen Namen verkaufen
- 02. September 2024 Trier: Prozess gegen Ex-Intendant Sibelius eingestellt
neueste kommentare >
-
Empusion, Lausitz Weitere Kritiken
-
Essay Osten Bürgerliches Kunstverständnis
-
Essay Osten Kuratieren im Osten
-
Hamlet, Wien Zumutung
-
Sachsens Kultur Ich wünsche ...
-
Leserkritik Vorhang Auf, Rendsburg
-
Nathan, Dresden Unterschätze nicht den Kasper!
-
Nathan, Dresden Verbaute Sicht
-
Hamlet, Wien Welche Warnung?
-
Don Carlos, Meiningen Kraftvoller Opernabend
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
ich hab viele andere produktionen von rausch und co. gesehen und mich endlos gelangweilt. eine diffuse ansammlung von gut recherchierten geschichtchen. ohne dramaturgie, ohne idee, ohne mehrwert, einfach brav aufgezeigt. guckt mal was wir alles zum thema gefunden haben.
vielleicht sollte rausch eine produktion weniger im jahr machen und sich mit der möglichkeit einer interessanteren aufbereitung seiner funde auseinandersetzen. zurück zu den anfängen. noch mal drüber nachdenken: warum mache ich eigentlich theater und schreibe keine zeitungsartikel.
oder die theater sollten ihn nicht alle ständig und überall zu jedem scheiss thema was sammeln lassen. es gibt da wirklich interessantere fische im dokutheaterbecken.
für die Aufnahme dieses Abends meinerseits, kann ich auch zuschauerkalla ein wenig verstehen, denn tatsächlich muten sich lunatiks einiges zu und da könnte es dann irgendwann an der nötigen Tiefenschärfe und Multiperspektive fehlen), zwiespältig darum, weil ich allerdings schon auch gewillt bin (vielleicht kann nachtkritik de. das von mir an anderer Stelle erwähnte Interview mit Tobias Rausch im Kulturradio Deutschland noch schalten, um zu unterstützen), das, was lunatiks hier vorweist, nicht in die Schublade "Dokutheater" zu stecken. Insofern bin ich auch nicht vollends bei Jens Fischers Kritik, daß das Mannsche Personal so garnichts mit den (nicht alle sind dies übrigens) "zeitgenössischen" Hochstaplern (das Wort wird hier viel zu oft in den Vordergrund gestellt und trifft für die meisten Fälle, auch für Felix Krull selbst, garnicht (durchgängig) zu) zu schaffen hat bzw. haben könnte; de facto gelingt es der Inszenierung meineserachtens nur leider nicht so richtig, Kontrast-Spannungen zwischen der imaginären Parallführung des Romans mit den Schilderungen aus den Recherchen aufzubauen; immerhin aber gelingt es einigermaßen, das Thema "Auserwähltheit-Verdienst-angeborenes Erbe" (bei Thomas Mann etwa Goethe versus Schiller) ins Zentrum des Abends zu rücken. Als ich das Interview mit Tobias Rausch hörte, mußte ich sofort an eine Art "prismatische Brechung" (Multiperspektivität ist da ganz ähnlich gelagert) des Recherchematerials qua der Mannschen Personage denken: allein, eine solche findet so gut wie nicht statt - muß es freilich auch nicht zwangsläufig, lag aber anhand des Interviews nahe.
Wer die Verfilmung aus dem Jahre 1957 mit Horst Buchholz kennt, durfte sich hier und dort ein wenig gen Handlungsstrang des Romanfragmentes erinnern und konnte -recht oberflächlich- das eine oder andere Motiv von der einen Sphäre (Roman) in die andere (Recherche) übersetzen bzw. lediglich wiederfinden.
Klar wird der "Enkeltrick" (in der Variante des "betrogenen Betrügers") den einen oder anderen Zuschauer daran gemahnen, wie auch die Venostas bei einer Gegenüberstellung ihren "Sohn" (Krull spontan "adoptierend") identifizieren, um so ein Beispiel zu nennen für den "betrogenen Betrüger".
Als Venosta auf Zaza (im Film) losgeht, da kommen Zaza auch etwa 22 Frauen zur Hilfe, und es gibt eine wilde Hatz wie auch auf der Bühne anfänglich der zweiten Hälfte des Abends. Man mag sogar den windigen "Venosta"-Typus und seinen "zeitgenössischen" Erben an dieser Stelle schlüssiger "verschaltet" bzw. angebunden finden als es bei der sonstigen Personage gelingt.
Die Art und Weise, wie Kant quasi ausgemustert wird (mittels der uralten Argumentationsfigur "Ist es auch verboten zu lügen, wenn Du jemanden vor den Schergen versteckst, die Dich fragen, ob X etwa bei Dir ist ?") und zwar "ausgemustert" im wahrsten Sinne des Wortes (Parallelschaltung mit der berühmten Ausmusterungsszene mit Krulls Zuckungen), noch dazu unter einer Fastfolter durch jene nicht enden wollenden Schnarchgeräusche der Madame Houpfle (ein Bild für unseren ? dogmatischen Schlummer), entspricht leider der Suchtiefe, die den gesamten Abend durchzöge, ja, wenn es nicht jenen letzten Monolog, die Gegendarstellung zu diesem Monolog, die Geschichte dazu als Geschichte in der Geschichte zum Ende des Stückes hin gäbe ! Zwar behagt mir die zeitgeistige (und in Lübeck und Hamburg häufig erprobte) Fiktionalismus-Geilheit bzw. -Einseitigkeit der Botschaft aus dem Abend heraus keineswegs, aber: sie wußte immerhin, so wie sie eingeführt wurde, mir zu denken zu geben, und ich empfinde es schon als Qualität, dermaßen nachdenklich letztlich dann doch den Theaterraum verlassen zu haben.
Ich sehe es als Indiz für die Qualität jenes Einbaus einer "Geschichte in die Geschichte"
an, wie muxmäuschenstill es im Bühnenraum plötzlich wurde, als nach dem (in der Tat zunächst strapazierenden) Monolog zur Gegendarstellung übergegangen wurde: fast kam es mir vor, es hätte wie im Gespräch des Porfiri mit Raskolnikow in "Schuld und Sühne" allerlei Vorgeplänkel gegeben, um hier sozusagen den Hammer schnellen zu lassen.
Gerade Binjamin Wilkomirski sollten wir, denke ich, hier sorgsamst nicht unter die Zeitgenossen mengen ! "Seine" Geschichte, seine Geschichte(n) , sie fanden zu einem Zeitpunkt statt (als Gelebtes), der zwischen der ersten Periode und der zweiten Periode der Arbeit Thomas Manns am "Felix Krull" (der ein Vor- wie Nachkriegskrull doch ist) zu verorten ist: ich hörte "Schweiz,Berge" und weit von da zu jenem "Nicht jedem passiert jede Geschichte" (aus dem "Zauberberg") ist es nun auch wiederum nicht. Wie allzuzeitgemäß der Eine so leben kann, währenddessen sich die "unzeitgemäßesten Betrachtungen" (freilich zitiert das Programmheft Nietzsche, ich bin gespannt, wann ich das erste Mal seit langem eines öffne ohne Nietzschebezug ...) in ihr Gegenteil verkehren und überspannen !.
Leider blieb das "Künstlerproblem" unterbelichtet und die Kunst des Abends einer gewissen Erdung beraubt, wir bekamen "dargeboten", präsentiert, von "Lektionen" war die Rede ( etwa so: Lügen - Notlügen - Max Frischs (siehe Schweiz !) dritte Art
zu lügen), das schnurrte so ziemlich runter, viel mehr nicht im Grunde.
Kant für die "öffentliche Moral" (ohne die es Gesellschaft nicht geben könne) zu reklamieren, um ihn dann zu belehren quasi, ist angesichts seines Projektes, selbst für ausgewiesene Teufel noch Argumente zu finden in seiner Pflicht-Ethik, ziemlich albern, und leider gilt das auch für die eine oder andere pubertierende Spielidee rund ums (Trans-) Sexuelle: da hat "man" einige Lacher an bemerkenswerten Stellen vernommen, fürwahr..
Mein Tipp, wenn man sich immer "endlos gelangweilt" hat, einfach zu den Dingen gehen, die einen nicht langweilen.
Und hier gibt es auch eine weitere Besprechung:
http://www.kielerleben.de/news/premiere-felix-krull-und-seine-erben
Also ich kann mir nicht helfen,
manche Kommentare wirken jedoch einfach nur durch ganz profanen Neid inspiriert.
Daß die Bundeskulturstiftung im DOPPELPASS gerade die Zusammenarbeit vom Schauspiel Kiel und lunatiks gewürdigt hat, finde ich sehr erfreulich; Neid gibt es da jedenfalls bei mir nicht. Dennoch ist der lunatiks-Ausstoß nicht ohne: das muß gesagt sein dürfen; der Ur-Aufführungshype ist auch an anderen Stellen bedenklich, und in Kiel laufen freilich auch noch langweiligere Sachen als dieser Abend; mit der "Maria Stuart" zB. freilich auch bedeutend interessantere, spannendere, für mich jedenfalls
Ich stimme Ihnen grundsätzlich zu, daß der "Wechsel" ins "Große Haus"
spezielle Herausforderungen birgt, die -wie Herr Butzlaff es tut- hier an ein Experiment gemahnen. Solche "Experimente" sind zu begrüßen, wenngleich nicht immer so furchtbar mutig : der Abend weiß schon, wie man hin und wieder jenes Publikum bedient, das die "Cabaret"-Abende bevölkert und immer wieder als "ausverkauft" gekennzeichnet sein läßt. Für dieses Publikum mag es eine Frage des "Eingroovens" sein, ob so ein Abend "gelingt" oder nicht, aber im Sinne des Experimentes ist halt mehr, daß es garnicht gesagt ist, daß so ein Abend (immer) funktionieren kann, zumal, wenn man bedenkt, daß Abende zu Barschel oder Afghanistan viel zentrierter sind als ein Abend zu "Wer bin ich, und wenn ja, wieviele ?" (denn so könnte dieser eigentlich eher heißen, und es wäre möglicherweise mutiger, im Titel gänzlich auf Thomas Manns "Felix Krull" zu verzichten ...).
Ich finde ja gerade, daß das Ende plötzlich sehr anzog (ich fand die Geschichte zu Wilkomirski keineswegs -wie Frau Bender- deplaziert, zumal es hier wie in Manns Falle um eine Schriftstellergeschichte sich dreht, noch dazu einer gegenüber Mann
"zeitgenössischen" gewissermaßen: das ist ja keine Kieler Geschichte mit heißer Nadel (ich hoffe, daß der nächste Abend, in der Spielplanschau für die kommende Spielzeit als "Kiel-Abend" deklariert, nicht dem Prozeß anheimfällt, welcher die "Nördliche Trilogie (???) des Glücks" erfaßt hat !!)), und mir gezeigt hat, was so ein Abend wohl hätte auch sein können: ein aufwühlendes Erlebnis !
Aber, das Meiste war recht oberflächliche Karikatur für meine Begriffe; nun mag ich da nicht -wie Sie- genau und konzentriert genug hingeschaut haben, insofern ließe ich mich über gewisse -von mir übersehene- Feinzeichnungen hier gerne belehren-, ich kann mir da jedenfalls schwer helfen.
Gut, natürlich war das Ende sehr schlüssig eingebettet: "So" wie sich Krull in die Venosta-Biographie einarbeitet, so arbeitet sich auch der "Wilkomirski"-Part ein: Treffpunkt ineins ! Treffpunkt: Zugabteil gen Lissabon !! Wir steigen aus dem Zug aus, der Setzkasten (Bender), das Puppenhaus, die Experimentierstätte verliert seine Rückwand: wir steigen aus, einmal nach vorne, dann nach hinten gewissermaßen (nach dem Applaus).
Auch schafft es das bemerkenswerte (!) Bühnenbild, dem "Großen Haus" ein wenig von seinem "Schrecken" zu nehmen und verwandelt das Ganze -nicht ungeschickt- dann doch eher in ein Kammerspiel (bestens erprobt bei "lunatiks" , siehe "Alles offen" in Rostock im Theater am Stadthafen zum Beispiel), sowohl Puppenhaus, Hotel, Experiment (siehe "Hamsterboden") klingen an, ein Haus mit einer Ebene des Liegens, Sitzens, Stehens, Kriechens: hierin durchaus allegorisch..
Scheinbare Bedeutung erlangen.
Außerdem:
Streit ist die Mutter aller Dinge. (Und Krieg der Vater von allem).
Klingt beinahe so, als seien Sie sogar neidisch auf ein etwaiges "Sich-wichtig-Nehmen" und "scheinbare Bedeutung".
Wer bringt Sie auf diese Ideen ?
Erläutern Sie, wenn Sie mögen, den "Mechanismus", den Sie hier irgendwie wohl im Auge haben werden, ein wenig, und ich versichere Ihnen für meinen Teil, das -anständig- so wichtig wie möglich zu nehmen.