Alle anderen – Ronny Jakubaschk bringt in Bielefeld Maren Ades Film auf die Bühne
Warum bin ich nicht wie du?
von Kai Bremer
Bielefeld, 19. April 2013. Der Baum aus türkisen Dachlatten, der seine Äste wie ein Dach über Teile der kleinen Bühne wirft, ist eine klare Ansage: Keine Nachmache! Wer in die kleine Studiobühne unter dem Dach des Theaters am Markt in Bielefeld gekommen ist, um schlicht eine Live-Version von Maren Ades 2009 mit dem Großen Preis der Jury auf der Berlinale dekorierten Film Alle anderen zu sehen, ist hier falsch. Jenseits des Baums, der einen Olivenbaum andeuten mag, und ein paar Weinkisten um ihn herum erinnert in Bielefeld nichts an Sardinien, das im Film die idyllische wie zerklüftete Kulisse bildet und so Allegorie der Geschichte einer scheiternden Liebe sein mag.
Der Fetzen Stoff dazwischen
Auch sonst setzt Regisseur Ronny Jakubaschk alles dran, um bloß nicht in Konkurrenz mit dem Film zu geraten. Hemd, T-Shirt und Hose von Lukas Grasers Chris variieren hübsch das Türkis des Baums; Gitti (Felicia Spielberger) ist hier zwar nicht stilsicherer (schwarze Leggins, gestreiftes Shirt, weiße Schlabberbluse), zeigt aber entschieden weniger Haut als im Film. Doch nicht nur Bühne und Kostüme (beides Matthias Koch) heben sich vom Film ab. Selbst wenn sich Gitti und Chris näherkommen, sich brauchen und berühren, bleibt immer ein Fetzen Stoff zwischen ihnen. Der in Ades Film so zentralen Körperlichkeit erteilt Jakubaschk eine Absage.
Das ist nicht zuletzt deswegen eine kluge Entscheidung, weil er dadurch seine Schauspieler vor einem direkten Vergleich mit Birgit Minichmayr, die 2009 zurecht den Preis als beste Darstellerin erhielt, und Lars Eidinger schützt.
Doch machen Absagen allein selbstverständlich keinen guten Theaterabend. Dazu braucht es auch eine eigene Interpretation dieses Beziehungsdramas zweier Menschen, die ihren Weg nicht nur in die Berufswelt, sondern ebenso und vielleicht vor allem in die Liebeswelt jenseits von erotischer Neugier suchen. Gitti nervt zu Beginn zwar etwas, weil Felicia Spielberger sie doch arg görenhaft spielt. Aber je mehr Chris versucht, zu dem zu mutieren, was er für einen Mann hält, desto intensiver wird ihr Blick, der zwischen Abscheu und Angst, den anderen zu verlieren, schwankt. Das Mädchen wird zur Frau, die immerhin weiß, was sie nicht will.
Ein Leben wie alle anderen
Graser gibt Chris zu Beginn weniger introvertiert, sondern neugieriger, lebenslustiger als im Film. Das tut der Figur gut, weil ihr dadurch die Egozentrik abgeht, die bei Eidingers Chris so beklemmt. Chris wird dadurch noch facettenreicher, als er eh schon von Ade angelegt ist. Einer, der nicht nur seinen Weg als Architekt sucht, sondern sich verstehen will und es doch nicht tut. Zur Herausforderung für Chris wird die Begegnung mit seinem Kumpel Hans (Guido Wachter) und Sana (Julia Friede), die eben kein Paar auf der Suche sind, sondern eins, wie "Alle anderen": glücklich, mit klaren Geschlechterrollen. Jakubaschk nimmt Hans überzeugend einen Teil der Macho-Speckigkeit, die die Figur im Film noch hat. Das Schwangerschaftsglück von Sana spielt Friede angenehm natürlich und nicht überzeichnet: schlicht eine glückliche werdende Mutter.
Minutenlang wie tot
Dass Chris auch ein solches Leben führen möchte, versteht man in Bielefeld weit besser als im Film. Chris aber scheint zu meinen, dass er dahin nur kommt, wenn er wie Hans wird. Dass Gitti nicht Sana ist, bedenkt er allerdings nicht einen Augenblick. Und den echten Kerl bekommt er auch nicht hin. Während Hans Sana souverän den Arm um die Hüfte legt, steht Chris nur breitbeinig neben Gitti wie der kleine Bruder von Michael Wendler. Kein Wunder, dass Gitti seine Möchtegern-Verwandlung nicht ertragen kann und mit ihm bricht.
Bei Ade versuchen zwei komplizierte Menschen miteinander und mit sich selbst klarzukommen – bis zuletzt, da Gitti nicht einfach geht, sondern minutenlang wie tot erscheint und zumindest vorläufig bleibt, auch wenn alles aus sein dürfte. Jakubaschk, der die Handlung präzise wie sensibel gekürzt hat, behält diesen Schluss bei. Aber man fragt sich, warum Gitti nicht längst ihren Koffer gepackt und Sardinien den Rücken zugekehrt hat, wo das junge Glück Urlaub machen wollte und nun vor den Trümmern seiner Beziehung steht. Dass dieser Möchtegern-Macho bei einer Frau wie Gitti Schockstarre auslöst, mag man so recht nicht glauben.
Alle anderen (UA)
nach dem gleichnamigen Film und der Bühnenfassung von Maren Ade
Regie: Ronny Jakubaschk, Bühne und Kostüme: Matthias Koch, Musik: Anna Bauer, Johannes Hofmann, Dramaturgie: Franziska Betz.
Mit: Julia Friede, Lukas Graser, Felicia Spielberger, Guido Wachter.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.theater-bielefeld.de
"Jakubaschk inszeniert in kleinen Sequenzen beispielhaft, wie es um die Liebe eines Paares bestellt ist, das die Freiheit will und sich nach Vollkommenheit sehnt", schreibt Maria Frickenstein in der Neuen Westfälischen Zeitung (22.4.2013). Der Blick konzentriere sich "auf das Markante, die wesentlichen Eckpfeiler einer Beziehung". Ein jeder "benötigt Resonanz aus der Welt, aber es wäre fatal, wenn es nur einen Spiegel und keine Erkenntnis gäbe". Ideal für diese Problemlage passe der "Rundumspiegel" von Bühnenbildner Matthias Koch, der "eine Landschaft erweitert, aber auch Blendung und Täuschung sein" könne. "Mehr Symbol geht nicht". Das durchgängige Lob der Kritikerin für die Schauspieler fällt für Felicia Spielberger besonders groß aus, deren Ausstrahlung "enorm" sei: "Lebendig lebensfroh, voller Sehnsüchte spielt sie die Authentische".
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