Das Rheingold. Eine andere Geschichte - Düsseldorfer Schauspielhaus
Weltenbrand Open Air
von Sascha Westphal
Düsseldorf, 27. Mai 2021. Vor knapp drei Jahren haben Feridun Zaimoglu und Günter Senkel mit Siegfrieds Erben die Nibelungensage fortgeschrieben. Auf das große Morden an König Etzels Hof folgten weitere Gemetzel. Die Geschichte der Menschheit als ewige Wiederkehr des immer Gleichen. Nun blicken sie gemeinsam zurück und wenden ihre Aufmerksamkeit dem Vorabend von Richard Wagners großer Opern-Tetralogie zu. "Das Rheingold. Eine andere Geschichte" ist nicht nur Überschreibung der Oper. Zaimoglu und Senkel schließen mit ihrem Stück die Lücken, die Wagner einst gelassen hat.
Götter und Menschen als selbstzerstörerische Getriebene
Anders als Wagner huldigen die beiden Autoren nicht den alten Göttern. Ganz im Gegenteil, sie wenden sich vor allem jenen Aspekten der germanischen Mythologie zu, in denen die Erzählungen der Götter, die "Lügenlegenden", wie der Alb Alberich sie einmal nennt, als solche kenntlich werden. Entsprechend schlägt "Das Rheingold" einen etwas anderen Ton als "Siegfrieds Erben" an. Manchmal blitzt in den Dialogen noch der tiefschwarze, alles in die Farce treibende Humor des früheren Stücks auf. Doch meist herrscht ein fast schon elegischer Klang vor. Zaimoglu und Senkel porträtieren die Götter um Wotan und die Alben aus Nibelheim, die Riesen und in einer kurzen Szene auch die Menschen als Getriebene, die sich letzten Endes immer selbst zerstören. Die Macht ist ungleich unter ihnen verteilt, aber ansonsten sind sie einander näher, als es ihnen recht ist.
Wie bei der Uraufführung von "Siegfrieds Erben", die seinerzeit vor historischer Kulisse bei den Nibelungenfestspielen in Worms stattfand, ist Roger Vontobel erneut für die Regie verantwortlich. Allerdings findet dieses Open-Air-Spektakel in einem weitaus moderneren Ambiente statt. Im Zuge der Corona-Pandemie hat das Düsseldorfer Schauspielhaus eine Freilichtbühne auf dem Gustaf-Gründgens-Platz direkt vor dem Schauspielhaus eingerichtet. Die riesige Spielfläche wird von Flugzeugteilen dominiert, die ursprünglich zu der von raumlabor berlin für die Ruhrtriennale 2020 konzipierten "Third Space"-Installation gehörten. Das Setting reißt die Geschichte um Alberichs Raub des Rheingoldes und Wotans Handel mit den Riesen Fasolt und Fafner aus ihren mythischen Kontexten heraus und situiert sie in einer stilisierten Gegenwart. So prägt ein ständiger Anachronismus diese Aufführung, der eigentlich perfekt zu Zaimoglus und Senkels Stück passt.
Befreien um zu unterdrücken
Während sich Alberich und dessen Bruder Mime, die von Florian Lange und Kilian Ponert verkörperten Alben, in Live-Video-Bildern zunächst mühsam aus dem Dunkel unter einer kleinen Bühne hervorarbeiten, geben sich Donner und Froh von Anfang an als Stars. Sebastian Tessenow und Joscha Balta werfen sich fortwährend in Posen, als würden sie gerade fotografiert und gefilmt. Die Götter unserer Zeit sind oberflächliche Influencer, die Macht alleine aus ihrem Aussehen und ihrem Reichtum ziehen. Alberichs Sehnsucht nach einem Leben jenseits von Nibelheim und damit auch jenseits der schweren Arbeit unter der Erde ist zugleich eine Sehnsucht nach einer neuen Ordnung. Der hässliche, von den körperlichen Strapazen seiner Bergarbeit gezeichnete Mann will ebenso leben wie die verwöhnten und umworbenen, die geliebten und gefürchteten Götter um Florian Claudius Steffens Wotan und Judith Bohles Fricka.
Dieser diffuse Wunsch verwandelt sich nach der Zurückweisung und dem Mobbing durch die Rheintöchter, die Vontobel als eine Art Girl Group inszeniert, in einen Hass, der alles in Flammen setzen möchte. "Wenn ich schon nicht Teil der Welt der Reichen und Schönen sein kann, dann will ich sie wenigstens zerstören." Dieser Gedanke lässt Florian Lange in dem Moment, in dem Alberich der Liebe abschwört, regelrecht über sich hinauswachsen. Der Hort der Rheintöchter verwandelt ihn in einen Befreier, der zwangsläufig zum Unterdrücker werden muss. Wenn er später gegenüber Mime seine grausige Herrschaft über die Alben beschreibt und zugleich rechtfertigt, spielen Zaimoglu und Senkel bewusst mit Assoziationen an Politiker wie Donald Trump. Der Furor der sich zurückgesetzt Fühlenden kennt keinerlei Grenzen.
Effekte schlagen Nuancen
Die Größe und Weite der Open-Air-Bühne verlangt nach Spektakel und nach großen, möglichst eindeutigen Bildern. Und genau die liefert Roger Vontobel auch. Er fährt so ziemlich alles auf, was das Open-Air-Theater zu bieten hat. So wird das Rheingold von einem achtköpfigen Skater-Ensemble symbolisiert, das mal über die Spielfläche tanzt, mal über sie torkelt und so Bilder für den Wandel dieses Schatzes und der Welt schafft. Nur verdecken all die Effekte den Kern der Figuren eher, als dass sie ihn freilegen. Von den meisten Auftritten bleiben kaum mehr als Äußerlichkeiten. Das Offensichtliche lässt kaum Raum für die Nuancen, die Zaimoglu und Senkel immer mitdenken.
Nur dem von André Kaczmarczyk gespielten Loge gelingt der psychologische Balanceakt, den eigentlich alle Figuren vollführen. Mit seinen roten Kontaktlinsen und seinen rotlackierten Fingernägeln ist er der androgyne Verführer, der mit seinen geschickten Lügen jeden manipulieren kann. Seine Worte sind Waffen der Verführung. Zugleich ist dieser androgyne Außenseiter der Einzige, der die Zusammenhänge der Welt durchschaut. Er sieht das Schöne und blendet doch nie das Schreckliche aus. Wenn er von Blüten und Bienen schwärmt, gibt Kaczmarczyk natürlich einen modernen Dekadent. Aber seine Worte sind zugleich auch ernsthafte Mahnungen, Versuche, den Lauf der Dinge zu lenken und die Katastrophe zu verhindern.
Das Rheingold. Eine andere Geschichte
von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel nach Richard Wagner
Uraufführung
Regie: Roger Vontobel, Bühne: Ansgar Prüwer, Kostüm: Ellen Hofmann, Musik: Matthias Herrmann, Keith O‘Brien, Video: Stefan Bischoff, Choreografie: Takao Baba, Hanna Vien, Licht: Christian Schmidt, Dramaturgie: Janine Ortiz.
Mit: Florentine Kühne, Marie Jensen, Sarah Wilken, Florian Claudius Steffens, Sebastian Tessenow, Joscha Baltha, André Kaczmarczyk, Judith Bohle, Cennet Rüya Voß, Manuela Alphons, Florian Lange, Kilian Ponert, Thomas Wittmann, Andreas Grothgar, Luisa Bell, Isoken Iyahen, Marie Joline Matthes, Johanna Oxenfort, Luisa Mages Salgado, Ben Stüttgen, Lisa Zaefferer, Hanna Vien (Dance Captain), Marvin Blamberg / Manuel Loos, Keith O’Brien, Jan-Sebastian Weichsel / Nils Imhorst.
Premiere am 27. Mai 2021
Dauer: 2 Stunden 55 Minuten, eine Pause
www.dhaus.de
Kritikenrundschau
"Haus- und Hof-Regisseur Roger Vontobel kredenzte zur Wiedereröffnung eine verwegene, streckenweise lautstarke Mischung aus Rock-Musical, Fantasy und nordischer Sage. Mit starken, manchmal auch plakativen Tableaus, die nur wenig Raum ließen für psychologischen Feinschliff", schreibt Michael-Georg Müller von der Westdeutschen Zeitung (28.5.2021). Feridun Zaimoglu und Günter Senkel legten ein leicht verdauliches, auch jugendtaugliches Theater-Spektakel vor: "Zupackende Schwarz-Weiß-Malerei, die Vontobels kraftbetonte Regie noch verstärkt."
"Eine kenntnisreiche Hassliebe muss den Regisseur und die beiden Autoren mit Wagner verbinden." Bertram Müller von der Rheinischen Post (28.5.2021) versteht 'Das Rheingold' als eine Kampfansage an die Mythengläubigkeit des Komponisten. Es gehe darum, die Jagd nach Geld und Gold infrage zu stellen.
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