Volksfeind for Future - Düsseldorfer Schauspielhaus
Nach vorne kommen, Schlüssel abgeben!
von Sascha Westphal
Düsseldorf, 11. September 2020. Die Wut der 20 Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist echt ebenso wie ihre Sorgen und Ängste. Aber es ist vor allem dieser gerechte Zorn über die Generationen ihrer Eltern und Großeltern, die bei der Zerstörung der Umwelt tätig mit angefasst und zugesehen haben und immer weiter zusehen, der ihren Aufrufen und Anklagen eine solche Kraft verleiht. Eine Kraft, die durch Robi Voigts die ganze Bühnenbreite füllende Großaufnahmen ihrer Gesichter noch verstärkt werden. Etwas geht zwar von der Unmittelbarkeit verloren, mit der einen Volker Löschs Chöre sonst von der Bühne herab attackieren. Dennoch geht das durch die Corona-Verordnungen bedingte Experiment, den Chor der Umweltaktvist*innen ausschließlich über Videoaufnahmen zuzuspielen, perfekt auf. Diese zunächst ganz schmucklosen, auf die Gesichter der Schüler*innen und Studierenden reduzierten Videobilder verstärken sogar noch die Wirkung ihrer Aussagen. Denn nichts lenkt von ihren mahnenden Worten ab.
Tesla nach Düsseldorf
Diese Videos, in denen die 20 Aktivist*innen ihre gesellschaftlichen Diagnosen und ihre politischen Forderungen knapp und zugleich voller Leidenschaft auf den Punkt bringen, sind nur eine Ebene von Volker Löschs neuestem Theater-Agitprop. Die andere ist das Live-Spiel auf der großen Düsseldorfer Bühne, das damit beginnt, dass sieben mit Schwimmnudeln ausgestattete Schauspielerinnen und Schauspieler – man spielt schließlich auf Abstand – auf eine Videobotschaft aus Kalifornien warten. Ein Autowerk in "der schönsten Stadt am Rhein" soll geschlossen werden. Die Zukunft von 6000 Arbeiter*innen und ihren Familien steht auf dem Spiel und damit auch die Zukunft der Stadt. Also hat die grüne Oberbürgermeisterin eine Entscheidung getroffen und alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit das neue deutsche Tesla-Werk an den Rhein und nicht nach München oder Leipzig kommt.
Das Engagement der von Minna Wündrich gespielten wendigen und dabei auch ziemlich windigen Politikerin geht auf. Ihre überaus großzügigen Versprechen an den Konzern zeigen Wirkung. Ein ziemlich lächerliches Video, das den hedonistischen Konzernchef dabei zeigt, wie er im wahrsten Sinne seine Muskeln spielen lässt, verkündet die frohe Botschaft. Das Werk wird gerettet, der Weg in die schöne neue Elektromobilität ist gebahnt. Da spielt es auch keine Rolle, dass der Betriebsrat wehmütig vom Diesel schwärmt. Nicht einmal der nebenbei auch recht kleinlaute Protest des Ehemannes der Oberbürgermeisterin kann noch die Stimmung trüben. Schließlich wissen alle, dass dieser ehemalige Aktivist heute nicht mehr als die "First Lady" der Oberbürgermeisterin ist. Ein Schwächling, der gerne Rückgrat hätte und doch immer wieder einknickt. Nur die Proteste der 17-jährigen Tochter der Oberbürgermeisterin gegen das E-Auto-Werk wecken das Interesse der opportunistischen Chefredakteurin der "Rheinischen Rundschau".
Ibsen-Überschreibung
Lothar Kittstein bleibt in seiner zeitgemäßen Überschreibung von Henrik Ibsens "Volksfeind" sehr nahe an seiner Vorlage. Alle zentralen Konflikte und Konstellationen finden sich auch in "Volksfeind for Future" wieder. Nur wird passend zu den politischen Frontlinien unserer von "Fridays for Future"-Protesten und Extinction Rebellion-Aktionen geprägten Zeit aus dem Bruderzwist ein Generationenstreit. Cennet Rüya Voß und Charlie Schrein wenden sich als Kinder der Oberbürgermeisterin mit Worten und schließlich auch mit Taten gegen die Politik ihrer Mutter. Dabei bringen sie viele schlüssige Argumente vor. Doch wie so oft in Löschs an Brecht geschulten, aber längst nicht so dialektischem Theater gibt es jenseits dieser Argumente nichts, was sie als Figuren interessant machen könnte. Schon Ibsens Stück über die Mechanismen lokaler Politik hat etwas Holzschnittartiges. Aber in Kittsteins und Löschs Bearbeitung geht noch der letzte Rest an Psychologie und Ambivalenz verloren. Das Düsseldorfer Ensemble muss nicht mehr als Thesen vertreten und Parolen brüllen. Immer wenn sich mal so etwas wie Figurenzeichnung andeutet, etwa in den Szenen zwischen Minna Wündrich und Glenn Goltz als ihrem Ehemann, flüchten sich diese Pappkamerad*innen in Beschimpfungen und eine aufgesetzte Radikalität.
So bekommen noch die Zuschauer*innen in der hintersten Reihe mit, was für eine verlogene und erbärmliche Generation gerade an den Schalthebeln der politischen und wirtschaftlichen wie medialen Macht sitzt. Eine Generation, die nichts als Spott und Verachtung verdient. Für die Verachtung ist Cennet Rüya Voss zuständig, die Minna Wündrichs Oberbürgermeisterin mit großer melodramatischer Verve entgegenschmettert, dass sie sie hasst, um sich sofort zu korrigieren: "Ich verachte dich." Den Spott übernimmt indessen Volker Lösch. Die Oberbürgermeisterin und ihr Mann, der Geschäftsführer – Rainer Philippi als rheinische Frohnatur – und der Betriebsrat – Jonas Friedrich Leonhardi als SPD-Schmalspurversion eines Angus Young – und vor allem die so wetterwendige wie selbstmitleidige Chefredakteurin Claudia Hübbeckers sind nicht einmal Karikaturen. Sie gleichen eher Schießbudenfiguren, die nur wirklich in ihrem Element sind, wenn sie zu Rose Royces "Car Wash Song" mit den vierzig auf der Drehbühne stehenden in Pastellfarben angemalten Autos aus Spanplatten kopulieren.
Ein Riss durch Voker Löschs Welt
Schon durch viele Inszenierungen Volker Löschs ging ein Riss. Die Chorszenen, in denen Laien ihr Schicksal dem Publikum unvermittelt entgegenbrüllten, wurden von eher kabarettistischen Spielszenen flankiert, die in ihrer Seichtigkeit möglichst nicht von den Aussagen der Chorist*innen ablenken sollten. Dieser Riss wird durch das Nebeneinander von Videoaufnahmen und Live-Szenen noch verstärkt. Die Aufrufe der Aktivist*innen in den Videos haben zwar eine aufrüttelnde Wirkung. Aber die Revolution, die sie in Gang setzen wollen, wird von dem peinlichen Spiel auf der Bühne im Keim erstickt. Ein großes Stadttheater führt seinen Apparat = seine ganze Macht vor. Die Bühne dreht sich, einzelne Elemente heben und senken sich in einem beispiellosen Aktionismus, der durchaus die Frage nach der Klimabilanz solcher Inszenierungen provoziert. Währenddessen wird die Revolution zur Revue, bis sich der Abend im Rahmen der Bürgerversammlung selbst entlarvt. Natürlich hebt etwa die Hälfte des anwesenden Publikums den Arm, wenn das sofortige Verbot von privaten PKWs oder von Fleischkonsum gefordert wird. Doch wenn all diese Theatersessel-Revoluzzer nach vorne kommen und ihre Autoschlüssel abgeben sollen, bleibt natürlich ein jeder sitzen.
Volksfeind for Future
Nach Henrik Ibsen von Lothar Kittstein, Uraufführung
Regie: Volker Lösch; Bühne und Kostüm: Carola Reuther; Chorleitung: Sandra Bezler; Video: Robi Voigt; Licht: Jean-Mario Bessière; Dramaturgie: Janine Ortiz.
Mit: Minna Wündrich, Glenn Goltz, Cennet Rüya Voß, Charlie Schrein, Claudia Hübbecker, Jonas Friedrich Leonhardi, Rainer Philippi, Philipp Alfons Heitmann, Esra Atanasova, Nora Beisel, Lena Berghaus, René Boddice, Sara Lin Chen, Kester Elfroth, Nathanael Evers, Emma Fuhrmeister, Janna Gangolf, Sina Göttmann, Gesa van gen Hassend, Jan-Moritz Hoffmann, Greta Kolb, Oskar Lüttmann, Emilio Maestro, John-Frederik Reeg, Linus Reimann, Rebecca Roche, Juliane Sattler, Hanna Lei Shen.
Premiere am Düsseldorfer Schauspielhaus am 11. September 2020
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.dhaus.de
"Der Regisseur Volker Lösch hat den Zorn zu seinem vorrangigen Produktionsmittel erkoren, und Jetzt, am Düsseldorfer Schauspielhaus, hat er es richtig gut gemacht, so Martin Krumbholz in der Süddeutschen Zeitung (20.9.2020). Kittsteins Skript halte sich eher vage an die Vorlage von Ibsen, eigentlich wird nur die Figurenkonstellation übernommen. "Löschs Chöre waren schon immer perfekt trainiert." Die erzählte Geschichte habe nun zwar kaum Zwischentöne, "aber eine Dringlichkeit, eine Schärfe, der man schwerlich widersteht".
Das Stück sei auf der Höhe der Zeit, findet Glenn Jäger im Neuen Deutschland (15.9.2020). Denn es werden Positionen betont, wie sie aktuell etwa auch die Publizistin Kathrin Hartmann vertritt, den Klimaschutz an den tiefen Wunsch nach einer anderen, gerechten Welt zu knüpfen. Zweitens erscheint die inszenierung auch als Antwort auf die jüngst diskutierten Fragen, was für ein Theater wir brauchen in einer Zeit der Demontage von Demokratien.
"Sie sind jung, und sie sind zornig. Ungehemmt brüllen die Umweltaktivisten heraus, was sie bedrückt." Weil sie als Chor wegen des Virus nicht auf der Bühne stehen können, erscheinen die 20 Fridays-for-future-Demonstranten gefilmt auf der Leinwand, was noch direkter wirkt, wenn man sie im Großformat sieht, schreibt Marion Meyer in der Rheinischen Post (14.9.2020). Der kurzweilige, bissige, manchmal plakative Abend lasse einen aufgewühlt, aber nicht aufgeklärt zurück. "Doch er regt zur Diskussion an. Einfache Lösungen gibt es nicht."
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Einen starken Auftritt haben die jungen Aktivist*innen von Fridays for Future im Düsseldorfer Online-Gastspiel „Volksfeind for Future“. Kenntnisreich und selbstbewusst vertreten sie ihre Forderungen in Video-Einspielern und setzen damit die Politik vor Ort unter Druck.
Der Rest des knapp zweistündigen Abends fällt jedoch deutlich ab: zu holzschnittartig sind die Figuren, die Lothar Kittstein in seiner Übermalung des Ibsen-Klassikers zeichnet. Vor allem die Grüne Oberbürgermeisterin (Mina Wündrich), die beim Marsch durch die Institutionen alle Ideale über Bord geworfen hat, ist nur eine Pappkameradin.
Das Ibsen-Drama „Ein Volksfeind“, das auch heute noch erstaunlich aktuell ist und - wie die Schaubühnen-Gastspiele zeigen - leidenschaftliche Debatten auslösen kann, wird in dieser Inszenierung von Volker Lösch, die im September 2020 am Schauspielhaus Düsseldorf Premiere hatte, verzwergt.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/01/20/lessingtage-2021-thalia-theater-hamburg-kritik/