Arche NOA - Das Ende vom Schluss - Theater Chemnitz
Los komm, wir sterben endlich aus
von Verena Großkreutz
Chemnitz, 15. Mai 2021. Draußen wütet ein unheimlicher Nebel, der alles Leben tötet. Drinnen im Supersupermarkt treffen drei letzte Menschen und bizarre Geistergestalten aufeinander. Hinein in den rettenden Laden kommen allerdings nur die Kaufwilligen und Liquiden. Dietmar, der Anwalt, hat's geschafft. Ein gefundenes Fressen für die Supersupermarkt-Filialleiterin Simone, die Dietmar gleich in ihre geistverwirrende NOA-Verkaufstechnik verwickelt: "Willst du NUR dieses Düngemittel, damit deine Pflanze ein langes Leben haben wird, ODER willst du AUCH dieses Anti-Borkenkäfer-Spray?" Der fiese Nebel ist für sie weniger bedrohlich als vielmehr nervend: Denn er entzieht sich jedem wirtschaftlichen Nutzen – im Gegensatz zu anderen Katastrophen, an denen sich gut verdienen lasse.
Später taucht noch der Bundeswehrsoldat und Drohnenpilot Karl Schmidt auf, der über das entfremdete Arbeiten am Bildschirm jammert und sich um "die Früchte seiner Arbeit" betrogen fühlt: das reale Miterleben von Tod und Verderben. Menschen, die den Frieden bedrohen, müsse man wegbomben. Auch eine tote Mutter erscheint, die ihre Kinder umgebracht hat – zwecks Befeuerung eines Kreuzfahrtschiffes.
Im Nebel des Grauens
Sören Hornung hat sein Stück "Arche NOA – Das Ende vom Schluss" eine "Farce" genannt. Im Visier der satirischen Zuspitzung steht nichts weniger als der Kapitalismus in seiner ganzen Monstrosität, der, befeuert von Wachstumsgesetzen und Profitmaximierung, unaufhaltsam die Erde plattwalzt. Ein witziges, bitterböses, aktuelles Stück, dessen Metaphorik auch auf unsere Pandemie-Gegenwart, auf Flüchtlingsdramen und den Klimawandel verweisen kann. 2020 erhielt es den Chemnitzer Theaterpreis.
Inspirieren ließ sich Hornung von John Carpenters Gruselklassiker "The Fog – Nebel des Grauens" – wobei die (unsichtbaren) Rachegeister hier natürlich nicht Leprakranke sind, sondern Kobaltminen-Arbeiter*innen, umgekommen beim lebensgefährlichen Schürfen nach dem weltweit begehrten Rohstoff für Handy- und E-Auto-Akkus. Der Nebel steht aber auch als Metapher für die Unfähigkeit der Menschen, den alten Kurs noch frühzeitig zu verlassen, um längst erkanntem, drohendem Unheil aktiv entgegenzuarbeiten und es dadurch abzuwenden.
Die Uraufführung, die das Theater Chemnitz jetzt coronabedingt verspätet geliefert und online gestreamt hat (als Aufzeichnung der Generalprobe vom November 2020), hat Matthias Huber inszeniert. Ein starker, unterhaltsamer, brillant und pointiert gespielter Theaterabend ist daraus geworden.
Klaustrophobes Paradies
Klaustrophobe Atmosphäre herrscht auf der kargen Bühne. Holzwand trifft auf Glasfront. An der Rückseite sieht man spiegelverkehrt die Restbuchstaben der Leuchtreklame "Paradies". Nach und nach tauchen weitere Elemente aus dem Dunkel der Bühne auf, bis sich am Ende die Konturen eines Schiffs erahnen lassen. Während sich draußen nicht nur der tödliche Nebel verbreitet, sondern die Pole schmelzen und der Wasserpegel steigt, wird auch im Supersupermarkt die Luft dünn. Was tun? Kooperieren? Weltrettende Denkansätze ausbaldowern?
Mitnichten. Der naive Dietmar (Martin Esser) erstarrt im Phlegma, angelt lieber mutierte Fische und betreibt Videotagebuch-Nabelschau. Klar würde er, der Gute, gerne etwas tun, aber wie? Gott (Christine Gabsch) taucht auf, in weißem Mantel, mit langen grauen Haaren und einem Zigarillo zwischen den Zähnen. Kann und will nicht helfen. "Den Nebel habt ihr euch selbst eingebrockt." Er sei nichts, "ich bin nur durch euch". Er verstehe nichts, könne auch gar nichts verstehen, weil es ihn nicht gebe, sagt er. Und – gemünzt auf den biblischen Noah – was bringe der Plan eines anderen, wenn man selbst keinen habe?
"Katastrophe als Chance"
Simone derweil lebt ihr Motto "Katastrophe als Chance" und ist emsig dabei, trotz allem die Gesetze des Kapitalismus zu ihrem Recht kommen zu lassen. Sie will mit ihrem Machwerk "Der grausame Nebel des Grauens, der alles und jeden tötet" einen Weissage-Bestseller landen: Aus der Katastrophe werde der Kapitalismus wie Phönix aus der Asche wiederauferstehen. Sie baut eine Arche, um darin nicht Lebewesen, sondern ihre Waren zu retten, um an anderer Stelle ihr Geschäft als Supersupersupermarkt wiederaufzubauen.
Katka Kurze gelingt als Simone eine großartige Performance: wie sie deren größenwahnsinnigen, zielorientierten, mitleidlosen Charakter fein auslotet und plastisch macht – ihr wirres Prophetinnengebaren, ihre unheimlich komische Wut, wenn ihr die Dinge außer Kontrolle geraten, ihre manchmal tänzerische Selbstvergessenheit, die gleichzeitig Allmacht auszudrücken weiß.
Geiselnahme des Publikums
Ein drittes wohlbekanntes menschliches Verhaltensmuster zeigt der desorientierte Drohnenpilot Karl Schmidt (Alexander Ganz-Kuhl), in dem Simone längst ihren ersten Anhänger gefunden hat. Ein viertes liefert die Rahmenerzählung der Theodore Müller Schulz (Lauretta van de Merwe), die von ihren Eltern gelernt hatte, wie er funktioniert, der ausbeuterische Kapitalismus, und die sich nach deren Tod, noch Teeny, ranmachte, ihn mit Molotowcocktails und ähnlichem zu bekämpfen. Landete im Gefängnis und taucht am Ende des Stück wieder auf: Um die Zuschauer*innen als Geiseln zu nehmen, um sie in einem Lesekreis zur Lektüre von Marxens "Kapital" zu zwingen. Originell!
Rettet die Welt aber wohl auch nicht. Nix zu machen, sagt auch der Soundtrack, den man in Chemnitz fürs Stück gefunden hat: "Abschied", Song der Ärzte von 2019. Darin heißt es aufmunternd und gut gelaunt: "Los komm, wir sterben endlich aus, / denn das ist besser für die Welt / der letzte Drink, der geht aufs Haus, / unsere Stunden sind gezählt."
Arche Noa – Das Ende vom Schluss
Farce von Sören Hornung
Uraufführung
Regie: Matthias Huber, Bühne und Kostüme: Cleo Niemeyer, Dramaturgie: Stefanie Esser.
Mit: Martin Esser, Christine Gabsch, Alexander Ganz-Kuhl, Katka Kurze, Lauretta van de Merwe.
Premiere als Online-Uraufführung am 15. Mai 2021
(Aufzeichnung der Generalprobe am 20. November 2020)
Dauer: 1 Stunde, 35 Minuten, keine Pause
www.theater-chemnitz.de
Der Dramatiker Sören Hornung gewann mit seinem Stück den Chemnitzer Theaterpreis. 2020 war er mit Arche Noa auch zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen. In einem Video stellt Hornung das Stück auf der Festivalseite von nachtkritik.de für den Stückemarkt vor.
"Schlichtweg abgefilmtes Theater und das teilweise noch in miserabler Tonqualität", gibt in der Sendung MDR Kultur (17.5.2021) Wolfgang Schilling zu Protokoll. Nein, so werde man dem Gewinnerstück des Chemnitzer Theaterpreises, "eines nicht ganz unbedeutenden Theaterwettbewerbs" nicht gerecht. Denn mit diesem Stück greift Sören Hornung aus Sicht des Kritikers "in die Kiste mit den ganz großen Themen. Er stellt unser Leben, das ganz individuelle, aber auch das gesellschaftliche, den Kapitalismus mit seinem Wachstumsprinzip auf den Prüfstand. Selbst Gott bleibt da nicht außen vor, er steht mit auf dem Besetzungszettel. Sören Hornung ist nicht nur ein kluger, sondern auch ein gewiefter Dramatiker." Schillings Fazit: "Super Stück, schlecht inszeniert."
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