Das Leben ist Traum - Staatsschauspiel Dresden
Macht macht müde
26. März 2023. Die ersten 24 Stunden als Herrscher sind die schwierigsten: Tilmann Köhler inszeniert Pedro Calderón de la Barcas "Das Leben ist Traum" aus dem "goldenen Zeitalter" Spaniens mit einem stark aufspielenden Ensemble – und Monarchen-Männern voller Identitätskonflikte.
Von Iven Yorick Fenker
26. März 2023. Klaffende Leere auf der Dresdner Bühne. Das Ensemble sitzt an einem Tisch, weit entfernt an der weißen runden Rückwand des wunderbar tiefen Bühnenraums. Die Züge hängen schon bereit. Es ist klar: Bald wird hier der Horizont aufgehen. Noch liegt der goldene Stoff zusammengeknüllt auf dem Bühnenboden. Gespielt wird ein Stück aus Spaniens Siglo de Oro, dem "goldenen Zeitalter", Zeit der Prosperität und Machtfülle: "Das Leben ist Traum" von Pedro Calderón de la Barca, in der Inszenierung von Tilmann Köhler. Eigentlich hätte es schon am Donnerstag Premiere feiern sollen, doch, wie der Intendant Joachim Klement anmerkt, der das heutige Premierenpublikum begrüßt, sei die Pandemie noch gar nicht so sehr vorbei, jedenfalls werden Menschen immer noch krank. Die Arbeit einer Theaterproduktion ist sowieso per se exponiert. Aber ich schweife ab, Sie merken, das ist kein gutes Zeichen.
Ein bisschen Schattenspiel
Über den Lastenzug und durch die Drahtseile steigt Daniel Séjourné und geht zur Rampe, erstmal Kontakt zum Publikum aufbauen. Einstimmen. "Bitte schließen Sie die Augen." – "Sie befinden sich unter freiem Himmel." – "Es herrscht Krieg in Europa" – "der dreißig Jahre gehen wird." Das funktioniert. Die Stimmung ist super. Dann geht es los und der goldene Horizont wird hochgezogen. Kurz davor noch ein letzter Witz: "Wir haben zwar nicht besonders viele Mittel, dafür aber überraschende.“ Überraschendes kommt dann aber nicht. Ein bisschen Schattenspiel, na gut. Aber die Bühne bleibt merkwürdig ungenutzt.
Hier geht es doch um was
Die Inszenierung gibt dem Spiel das Spotlight und die Spieler:innen verdienen das auch. Das Ensemble spielt routiniert, ohne einfach abzuspulen, kleinteilig, ohne Eitelkeiten, kollegial, füreinander, miteinander, für das Publikum. Das ist schon berührend. Wie sich die Spieler:innen immer wieder, wirklich immer wieder, ordentlich aufdrehen zum Saal und ins Publikum, zu den Zuschauer:innen sprechen. Teilweise auch direkt. Das kommt an. Aber auf die Dauer passiert dann eben doch zu wenig. Drei Stunden Auftritt, Aufdrehen, zueinander Sprechen, aber über Bande, also zu den Zuschauer:innen, saalfüllend, Replik, Replik und dazwischen mal ein Schwertkampf. Hier geht es doch um was.
Es geht um die Thronfolge Polens. Basilius, der alternde König und Astronom, will seinen geheim gehaltenen Sohn aus der Isolation befreien, in die er ihn nach seiner Geburt verbannte. Die Sterne standen schlecht, eine Prophezeiung besagte, dass Zygmunt zum Tyrannen werden würde. Nun also kommt er frei, vollnarkotisiert aus dem Verließ ins Schloss gezerrt. Aufgewacht kann der dann mal schauen, was er mit Freiheit, Macht und monarchisch unbegrenzten Mitteln macht. Seine 24 Stunden an der Macht verlaufen blutig. Er landet wieder im Kerker, seine Freiheit, so wird ihm gesagt, sei nur ein Traum gewesen. Gaslighting vom feinsten. Das Leben als Traum. Bis er wieder befreit und dann doch zum Herrscher wird. Der Plot ist wohlkonstruiert, Reißbrett. Der Text bietet philosophisches Planspiel, Königs- und Liebesdrama und noch mehr. Was ihn spezifisch für heute auszeichnet und brauchbar macht, bleibt allerdings unklar.
Minotaurus mit Männlichkeitsproblemen
Matthias Reichwalds Zygmunt ist das Highlight des Abends. Sein erster Auftritt aus dem Bühnenboden ist spektakulär. Mit Minotaurusmaske und angekettet, gegen größte Widerstände – so scheint es – kämpft er sich zur Rampe. Das ist einer der wenigen Momente, in denen mit den reduzierten Mitteln die wirklich große Bühne wirklich gut gefüllt wird und eine Spannung entsteht, die auch mal unangenehm ist, irritiert. Reichwalds Spiel schwankt zwischen Toxic-Gym-Bro mit Männlichkeitskomplex und Philosophiestudenten-Soft-Boy-Unbeholfenheit. Christine Hoppes Basilius hingegen kommt ohne plumpe Machtgesten aus. Sie spielt den machtmüden König, der sein Machtrepertoire kennt. Das spielt sie souverän aus.
Die Kostüme sind sophisticated. Susanne Uhl dekonstruiert die klassischen MA-1 Bomberjacken und formt aus ihnen alles von Pluderhose, Rucksack, Korsett bis hin zu einem Rock aus zwei zusammengenähten Pieces, lovely. Die Live Musik von Matthias Krieg am Schlagzeug unterstützt den Abend sehr passend. Die Trommelschläge geben den dramatischen Rhythmus vor. Nur bleibt die Frage: wohin? Wohin geht dieser Abend? Die Geschichte, das Leben, der Traum, das wird alles erzählt. Gut, wirklich gut, aber da bleibt etwas, das fehlt und das Gefühl, dass hier mehr hätte passieren können als ein unterhaltsamer, seichter Samstagabendtheaterabend.
Das Leben ist Traum
Von Pedro Calderón de la Barca, aus dem Spanischen von Fritz Rudolf Fries
Regie: Tilmann Köhler, Bühne: Karoly Risz, Kostüme: Susanne Uhl, Musikalische Leitung / Komposition / Live Musik: Matthias Krieg, Gesang (Aufnahme): Leila Schütz, Licht: Andreas Barkleit, Dramaturgie: Uta Girod.
Mit: Kriemhild Hamann, Oliver Simon, Matthias Reichwald, Christine Hoppe, Philipp Lux, Sven Hönig, Karina Plachetka, Daniel Séjourné, Matthias Krieg, Leila Schütz.
Premiere am 25. März 2023
Dauer: 3 Stunden, 15 Minuten, eine Pause
www.staatsschauspiel-dresden.de
"Die Besetzung des stark aufspielenden achtköpfigen Ensembles ist ein Glücksfall", schreibt Rainer Kasselt in der Sächsischen Zeitung (27.3.2023). "Denn die Inszenierung setzt aufs Wort, attackiert Kriege. Philosophische Argumente fliegen hin und her. Monologe wenden sich oft direkt ans Publikum." Sehr effektvolle Schattenspiele sorgen für Aufruhr, Witz und Bedrohung gleichermaßen und lassen manche Länge vergessen.
Im Hintergrund der Parabel tragen sich kriegerische Auseinandersetzungen zu. Und immer mal wieder werde vor der russischen Fremdherrschaft gewarnt. "Man darf es Dramaturgin Uta Girod und Regisseur Tilman Köhler hoch anrechnen, dass sie die tagesaktuellen Assoziationen nicht platttreten, sondern dem Märchen eine große Portion Zeitlosigkeit zutrauen", so Wieland Schwanebeck in den Dresdner Neueste Nachrichten (27.3.2023). Das erweise sich im weiteren Verlauf zu gleichen Teilen als Stärke und Schwäche, denn wenn das Stück einerseits immer wieder Fahrt aufnehme, "wird es an anderen Stellen mit Entscheidungen ausgebremst, die eher nach Weltflucht und altbekannter 'Die ganze Welt ist Bühne'-Rhetorik schmecken."
"Seziert wird das Handeln von Despoten und autokratischen Herrschern. Aktuell und brillant gespielt ein Stück zur Zeit", heißt es in der Kritik unter dem Kürzerl hn in der Dresdner Morgenpost (27.3.2023). "Es regiert das Wort. Karge Schönheit bieten Schwertkämpfe in Zeitlupe und Schattenspiele, von Live-Musik und Gesang betörend-bedrohlich untermalt. Surreal die weißgekalkten Gesichter mit fantasievollem Kopfschmuck."
Jakob Hayner bejubelt in der Welt (30.3.2023) einen "Abend, der verführt und begeistert, der sinnlich berauscht und geistig ernüchtert, der das große Rätsel der Welt und des Theaters auf die Bühne bringt und es nicht durch halbgare Deutungsstümperei verdeckt." Und er leitet aus der Erfahrung einen Imperativ ab: "Ja, spielt mehr Klassiker! Aber bitte spielt sie so und nie mehr anders, ohne Scheu vor gewaltigen Bildern und ungeheuren Gedanken."
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z.B. Hätte die DB noch einen späten Zug nach Berlin fahren lassen können - es ist ein ewiges Ärgernis, daß zwischen zwei benachbarten Großstädten nach 9 nichts mehr fährt.
Oder Nachtkritik.de hätte eine Bleibe arrangieren können, oder der Kritiker hätte einfach Lust, Interesse und Auge genug gehabt zu erkennen, was für Theater das ist und Verstand zu sehen, was gespielt wird und wie und warum - oder wenigstens das Talent, seine Ahnungs- und Interesselosigkeit origineller zu kaschieren. (ich hab mal ne 1 gekriegt im Gymnasium für einen Vortrag über ein Buch, das ich nie gelesen hatte - kann hier nicht passieren)
(...)
Zu den Dingen, die noch hätten passieren können, zählt, was noch passiert ist an diesem grandiosen Theaterabend, der poetisch, sowohl ästhetisch als auch inhaltlich vielschichtig und tief durchdrungen ist; unterhaltsam, berührend und verstörend zugleich - und bärenstark gespielt, vom gesamten Ensemble!
Ja, am Ende hat man das Gefühlt, dass mehr geschehen könnte: (...) Die Bahn könnte spätere Züge fahren lassen und das Wlan ausbauen an der Strecke, damit der Kritiker nicht bereits bei den ersten Sätzen des Abends, eigenem Bekenntnis zufolge, "abschweift" (...)
Ja, soviel hätte noch geschehen können!
Und so wenig geschieht dann doch.
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(Der Kommentar wurde um einige Passagen gekürzt, die Unterstellungen enthielten.
Herzliche Grüße aus der nachtkritik.de-Redaktion)
"Spiel das Spotlight ... Gaslighting vom feinsten. --- ... Highlight des Abends. ... zwischen Toxic-Gym-Bro und Philosophiestudenten-Soft-Boy-Unbeholfenheit. Kostüme sind sophisticated. .... zusammengenähten Pieces, lovely."
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Paul Tostorf