Familienaufstellung 1844

von Reinhard Kriechbaum

Wien, am 20. Februar 2014. "Über Menschen sage ich nichts, gar nichts", versichert der alte Meister Anton, "ich mache nur Erfahrungen". Wäre er doch zu Erfahrungen fähig! Aber Meister Anton lebt in seinem hermetisch abgeschlossenen System, einzementiert in einer alten Welt, die er – so sagt er am Ende des Stücks immer noch voller Selbstmitleid – nicht mehr versteht. Er hat sie wohl nie kapiert. Zu bloßen Formeln geronnen sind Verhalten und Rede. Jede und jeder in seinem Umfeld weiß, welche Rolle sie oder er auszufüllen hat, welcher Satz wann fällig wird.

Vor ziemlich genau einem Jahr hat Michael Thalheimer im Burgtheater Hofmannsthals Elektra in einen Schacht gestellt, sie eingepfercht in Schräglage. Schon aus Gleichgewichtsgründen war sie ständig verheddert mit den anderen Figuren des Stücks. Einen ähnlichen Schacht hat Bühnenbildner Olaf Altmann auch diesmal gebaut, als dekoratives, aber nicht so konsequent genutztes Versatzstück. Thalheimer lässt Hebbels "Maria Magdalena" dort drinnen beginnen. Noch ist der Schacht gerade, doch er neigt sich, wenn die Nachricht kommt, der Sohn habe Juwelen entwendet. Da trifft die Mutter der Schlag. Leonhard, der eigentlich nur hinter der Mitgift her ist, nutzt die gute Gelegenheit und sagt sich von Tochter Klara los.

mamagdalena3 560 georg soulek uKlara (Sarah Viktoria Frick) und Leonhard (Lucas Gregorowicz) © Georg Soulek

Tilo Nest stampft als Meister Anton bei jedem Schritt mit seinem Stock so fest auf, dass er suggeriert: Da steht einer mit drei kräftigen Beinen da, im Leben und in der Gesellschaftsordnung. Der Familienvater als Oberpharisäer. Bei einem solchen hätte eine Büßerin nicht das Geringste zu hoffen, und hieße sie Maria Magdalena. Die Tochter heißt aber Klara, und sie ist schwanger. Noch am Totenbett der Mutter nimmt sie der Vater ins Gebet, in die Hand der Verstorbenen muss Klara ihre Unberührtheit schwören.

mamagdalena4 280h georg soulek uWankende Statik © Georg SoulekZurück zur Tragödie

Sarah Viktoria Frick ist diese Klara – ein pausbäckiges Püppchen mit weit abstehendem Rock. Die Arme hält sie steif wie eine Marionette seitwärts am Körper. Sie versucht, ein Abklatsch der Mutter zu sein oder wenigstens zu werden. Die Mutter (Regina Fritsch) ist freilich seelisch auch total verkorkst, sie fällt in eine unnatürliche Fistelstimme, wenn sie ihre Stehsätze aus der heilen protestantischen Bürgerwelt von sich gibt. Der Bruder Karl (Tino Hillebrand) versucht's mit Schneid und etwas mehr Lautstärke. Er wird sich ja dann davon machen, aufs Schiff, wogegen seine Schwester ins Wasser geht.

Michael Thalheimer führt uns krasse Charaktere vor, immer eigentlich an der Grenze zur Karikatur. Als präziser Zeichner von Gemütslagen bestätigt sich der Regisseur, aber diesmal auch als einer, dem die eigene Didaktik ein Bein stellt, der sich irgendwie selbst eingefroren hat mitsamt seinen Figuren. Es darf sich wenig, ganz wenig entwickeln an diesem Abend. Jede Gestalt ist von der ersten Minute weg fertig definiert. Hebbels bürgerliches Trauerspiel gerät zur Antikentragödie, in der alles zwangsläufig dem schlechten Ende entgegen läuft. Vielleicht ja auch deshalb Thalheimers Anspielung auf seine eigene "Elektra" am selben Ort.

"Wir wollen spießrutenlaufen!"

Dieses Nicht-Entwickeln wird zum Problem, denn in den Eindreiviertelstunden passiert wenig Unvorhersehbares. Wie Diaprojektionen wirken diese deformierten Menschen, von Sekunde eins ultra-scharf eingestellt. Der Fokus wird keinen Zehntelmillimeter mehr verrückt. "Es ist schönes Wetter, wir wollen spießrutenlaufen", heißt es einmal. Den Spießrutenlauf dieser Leute enthält uns Thalheimer dann doch weitgehend vor, sondern zeigt uns eine Familienaufstellung anno 1844. Ein schauspielerisch ausgefeiltes Setting freilich, das viel Anschauliches bereit hält. Die Verschlagenheit des verlobten Leonhard etwa, dem Lucas Gregorowicz leicht buckelnd eine mehr als traurige Gestalt gibt. Oder den kurzen Auftritt des Kaufmanns Wolfram (Johann Adam Oest), der sich gar nicht einkriegen kann vor Entsetzen, dass seine Juwelen ja gar nicht gestohlen sind.

mamagdalena2 560 georg soulek uKlara und Meister Anton (Sarah Viktoria Frick und Tilo Nest) © Georg Soulek

Kurze Freiheitsoption

Klaras Jugendfreund, der Sekretär (Albrecht Abraham Schuch). Der kommt ganz unbefangen daher, legt los mit seinem herzhaften small talk. Und da sieht es ganz kurz so aus, als entglitte der stocksteifen Klara doch ein Lächeln wie ein Silberstreif am zapfendusteren Horizont. Übrigens: Sie schauen nicht nur aneinander vorbei, diese Leute, die nie auch nur ansatzweise gelernt haben, ein Gespräch zu führen. Ein (zu Tode gerittenes) Stilmittel von Thalheimers Inszenierung ist es, dass alle Protagonisten immer geradewegs nach vorne in den Zuschauerraum blicken. Es spielt ja jeder seine vordefinierte Rolle in diesem bürgerlichen Trauerspiel, da braucht es keine Dialogpartner, keine Blicke des Einverständnisses. Das hält Thalheimer auch wirklich durch, und nur in den paar Szenen, in denen ultra-kurz die Option auf persönliche Freiheit aufblitzt, wenden die Protagonisten einander die Gesichter zu. So wie eben Klara und der Sekretär in der kurzen Szene, da sie allein sind.

Der Sekretär wird, nach verlorenem Duell gegen Klaras Verlobten, dem Vater seine blutverschmierte Hand entgegen strecken – aber der alte Meister Anton sieht wieder einmal nicht hin. Warum sollte er? Er hört da wohl nur mehr jenen sirrenden hohen Ton, der sich gezielt-enervierend durch die ganze Aufführung zieht: Leute, die vor sich und anderen so kräftezehrend-intensiv (lebens)lügen, schweben in latenter Tinnitusgefahr.

 

Maria Magdalena
von Friedrich Hebbel
Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Katrin Lea Tag, Musik: Bert Wrede, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Klaus Missbach.
Mit: Sarah Viktoria Frick, Regina Fritsch, Lucas Gregorowicz, Tino Hillebrand, André Meyer, Tilo Nest, Johann Adam Oest, Albrecht Abraham Schuch, Stefan Wieland.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

Wenn man auf dem Burgtheater, "das durch miserable Führung und missliche Finanzen in eine schwere Krise geraten ist, nichts weiter sähe als Hebbels kleine Klara," schreibt Gerhard Stadelmaier in der FAZ (22.2.2014), "wie sie leuchtet und wie Thalheimer sie verteidigt und ausstellt – es wäre Grund genug, dieses herrliche Theater mit Zähnen und Klauen zu retten." Auf das "kleine, taffe" Mädchen Klara lasse Thalheimer Gestalten aus einem Spuk-Albtraum einstürmen "bis es selbst dorthin geht, wo sie schon alle sind: in den Tod."

Obwohl die Aufführung aus Sicht von Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (22.2.2014) "etwas schleppend in die Gänge" komme, würden ihre Qualitäten schon in diesen ersten Szenen deutlich: "Sie hat, durch Altmanns Setzung, etwas Monumentales, ist zugleich aber detailgenau gearbeitet. Jede kleine Geste, jeder Lichtwechsel ist exakt gesetzt." Den ganz großen Auftritt aber habe Albrecht Abraham Schuch, der als hypernervöser Sekretär zu Hochform auflaufe: "Wenn er Klaras Namen ruft, klingt es wie ein Liebeslied, und aus seinem Monolog, in dem er über Eulen, Fledermäuse und Maulwürfe schwadroniert, wird eine hinreißende Performance, die Klara ein so strahlendes Lächeln ins Gesicht zaubert, dass man für ein paar magische Momente glaubt, es könnte doch noch alles gut werden. Schönste Liebesszene der Saison, gar keine Frage."

Die Inszenierung glänzt aus Sicht von Margarethe Affenzeller vom Wiener Standard (22.2.2014) vor Präzision, "allerdings um den Preis, dass sie in ihrer Mechanik wenig mitfühlend macht. Die Befremdung, die einen umfängt und mit der der Abend auch kalkuliert, hat auch Ungerührtheit zur Folge." Michael Thalheimer gehe es wie immer um den Überbau, "um das Konzept des von einem für alle ausgedachten guten Lebens, um flächendeckend wirksame, sittliche Parameter, denen kein eigener, unabhängiger Gedanke zugrunde liegt. Die Korsage, die nötig ist, dies zu zeigen, misst er Affenzellers Eindruck zufolge allerdings "seinem Ensemble bravourös an".

Die "Zurschaustellung" des von Hebbel mit diesem Stück sezierten Knochenbaus der frühindustriellen Gesellschaft bewegt Norbert Mayer von der Wiener Presse (22.2.2014) vor allem deshalb, "weil in einem prächtigen Ensemble Sarah Viktoria Frick als Antons Tochter Klara eine fantastische Protagonistin ist. Sie ist unter all diesen Marionetten ein liebendes, leidendes Wesen, das aus perverser Pflichterfüllung konsequent in den Tod geht. Der aber wird, fast wie in einem mittelalterlichen Mysterienspiel, von Anfang an gezeigt."

"Die Starrheit oder die Ticks der Figuren sollen moralische Verkommenheit oder moralische Rigidität repräsentieren", so Karin Fischer auf DLF Kultur vom Tage (21.2.2014). Das funktioniere hier, mit zuverlässigem Ensemble, nicht besser oder schlechter als an anderen Thalheimer-Abenden. "Dieser aber kommt nicht wirklich über die Rampe. Und die Frau ist am Ende natürlich trotzdem tot."

"Thalheimers Geisterstunde braucht Zeit, um in die Gänge zu kommen, läuft aber dann zu feinem, wenn auch kühlem Schauspieler-Theater auf", findet Karin Cerny in der Welt (online 17.3.2014). Obwohl das Stück uns einigermaßen fern sei, sei es "im Detail interessant genug gebaut, dass man gerne zuschaut". Weil "die Schauspieler ihre Figuren wie glitzernde Miniatur-Diamanten in den dunklen Bühnenraum stellen. Und weil der Tod von Klara am Ende doch sehr rührend ist, woran Bert Wredes wilde musikalische Mischung aus Moll-Tönen und flirrend hohen Tinnitusklängen nicht ganz unschuldig ist."

 

 
 

Kommentare  
Maria Magdalena, Wien: hundertster Aufguss
Das ist sehr nett von Olaf Altmann, dass er einfach sein "Elektra" Bühnenbild wiederverwertet und den Spalt in die andere Richtung kippt. Das hat dem Burgtheater doch sicher Geld gespart!

Überhaupt sieht die Inszenierung aus wie der hundertste Aufguss der immer gleichen Thalheimer-Stilmittel. Gibts dafür volles Honorar? Hier funktionierts nur nicht - es bleibt ein sehr laues Erlebnis... Na ja, vielleicht das nächste Mal. Spalt wieder in die andere Richtung kippen und was Griechisches spielen, dann passts vielleicht wieder!
(Und vielleicht mal irgendeine andere Musik als die von Bert Wrede verwenden ... die wurde zur Karikatur ihrer selbst ...)
Maria Magdalena, Wien: ewig gleiche Stilmittel
Dito. Kein Zweifel, Thalheimer gehört zu den Besten, und das deutschsprachige Theater verdankt ihm und seinen künstlerischen WeggefährtInnen großartige und z.T. auch innovative Aufführungen. Und auch für ihn gilt wie für jeden Theatermacher gleich welchen Renommees das Recht auf gelegentliches Scheitern. Aber wie alle anderen einst bahnbrechenden Regisseure seiner Generation (Kusej, Kimmig) erstarrt er in seinen ewig gleichen Stilmitteln, die das Feuilleton (und das Publikum?) dann bejubeln oder zumindest goutieren, weil sie kriegen, was sie wünschen und erwarten und erhoffen (?). Und so geben sich an allen großen, wichtigen Theatern die ewig gleichen Regisseure/Teams die Klinke in die Hand. Sogar solche angeblich mit "konträren Theaterauffassungen" geführte Häuser wie z.B. die Burg und das Residenztheater München (so zumindest wird das zumindest in den öffentlich inszenierten Pressefehden dargestellt) engagieren letztendlich inzwischen dieselben Regisseure, alt wie jung: Breth, Thalheimer, Castorf, Bösch. Vielleicht gibt es keine "besseren"? Oder die Intendanten gehen alle auf "Nummer sicher"? Hin und wieder bekommt ein "Neuling" eine große Chance, wie z.B. jener Regieassistent, dem dann der "Alpenkönig" an der Burg entzogen wurde. Dann übernimmt der Chef und die jungen 'Talente' verschwinden von der Bühne.
Maria Magdalena, Wien: Stilmittel und Theaterschablonen
Ist irgendwie sehr interessant das gleichzeitig Thalheimer und Kriegenburg ihre Stilmittel zu tode reiten.Immerhin lange unantastbare Stars.Und jetzt?Irgendwie vorbei.
Stilmittel und Theaterschablonen aus einer anderen Zeit,die über das heute nichts mehr zu sagen haben.Vielleicht auch weil niemand mehr immer die genau erkennbare Marke wiedersehen will.
Vielleicht passt die Vorhersehbarkeit oder das "Eingefrorensein" nicht mehr hierher.
Es scheint fast als gäbe es ein Bedürfnis nach Organischem,Wärmerem,Berührenderem.
Nicht diese kühle Sterilität,vielleicht zerschmilzt der Kristallpalast einfach.
Maria Magdalena, Wien: Laufstegtheater
Thalheimer ist in Deutschland schon lange abgefrühstückt. IMMER dasselbe. Schablone drauf und alles läuft nach Plan. Da ist kein Wagnis. Da gibt es immer nur Laufstegtheater mit den selben dramaturgischen Mitteln. Ein Bühneneffekt, ein Sound. Was wäre Thalheimer ohne Altmann? Nichts!
Ja Sinnlichkeit und Wagnis wären zu wünschen.
Maria Magdalena, Wien: immer die gleichen Klagen
Cézanne: wie langweilig! Immer die gleichen Vasen! Strauß: wie fade! Immer die voraussehbaren Walzer! Chaplin: wie erstarrt! Immer die gleichen Stilmittel! Die Kommentatoren auf "Nachtkritik": wie unerträglich! Immer die gleichen Klagen einer Generation, die den Kapitalismus inhaliert hat und der Logik des Warenumsatzes folgt: dass alles immer neu, anders, überraschend sein muss wie die jüngste Schuhmode oder das aktuelle Partygetränk. Wer dieser Logik nicht gehorcht: ab mit ihr und ihm ins Altersheim. Warum sollte man mit Künstlern und Regisseuren anders umgehen als mit dem Arbeiter, der entlassen wird, wenn er nicht mehr "leistungsfähig" ist. Menschlichkeit fängt nicht erst auf der Bühne an, sondern beim Umgang mit den Menschen. Aber das ist langweilig. Das haben wir immer schon gehört...
Maria Magdalena, Wien: ins Herz treffend
... und, lieber Thomas Rothschild, um das noch zu ergänzen, obwohl Thalheimer/Altmann immer wieder dasselbe Repertoire benützen, sie treffen immer wieder ins Herz des Stückes und damit des Zuschauers, jedenfalls in meines. Damit kein Irrtum entsteht: die Wiener Inszenierung habe ich nicht gesehen, aber ich kenne die Aufführungen in Frankfurt.
Wilhelm Roth
Maria Magdalena, Wien: dem System einverleibt
Lieber Thomas Rothschild

Ja ja, man wird ein bisschen wehmütig, wenn man zurückdenkt an die alten Regiegötter und ihre großen Zeiten. Als ich ans Theater kam, wie verehrte ich Hans Kresnik. Oder jemanden wie Ciulli. Viel später, wenn ich mir wieder Aufführungen von Ciulli ansah, dachte ich, ich muss verrückt gewesen sein. Das sah ja alles immer noch genauso aus wie in den Achtzigern, warum nur konnte ich dasselbe, was ich damals grenzgenial fand, kaum ertragen? War es wirklich nur die Zeit, die darüber hinweggegangen war? Auf der anderen Seite muss man zugeben, gab es früher mehr Regisseure, die unterschiedliche Genres inszenieren konnten. Heute sind die meisten Regisseure ihre eignen Genres. Jedes Stück, dass ihrem System einverleibt wird, wird dem individuellen Formdiktat gebeugt. Das allerdings kränkt mich auch nicht. Allerdings finde ich, es sollte weniger Epigonen geben, die dann noch zehn Jahre lang versuchen, Castorf oder meinetwegen Thalheimer hinterherzuinszenieren. Was soll der Quatsch? Seid mutig. Macht doch abseitiges Zeug. Und ihr Intendanten: Lasst es zu. Wir leben ja nur einmal. Und die Klassiker bleiben noch lange jung.
Maria Magdalena, Wien: entseelte Seelen
Na, ja, Menschlichkeit auf der Bühne is eben so’n Ding – Herr Thalheimer hat ja immer so viel Wert darauf gelegt, dass den Figuren ihre Menschlichkeit, die ihnen irgendwann einmal – sicher völlig unberechtigt und verblödet und inkompetent – angedichtet worden war, so gründlich ausgetrieben wurde! Dafür ist er doch gefeiert worden, soweit ich mich entsinne! - Kann also sein, dass die so aufwendig und ästhetisch entseelten Seelen nun zurückschlagen ins Regiekontor… Weil das Publikum sich – in Teilen – durch offenbar sich eingestellt habende Thalheimer-Gewohnheit mittlerweile vorstellen kann, dass so wie mit den Figuren der Klassiker auch mit seiner echten Seele umgesprungen werden könnte, wenn Mitmensch Thalheimer es sich erst mal als genialer Chefeindampfer, Skelettierer, Textzertrümmerer usw. mit einer z.B. zeitgenössischen Textvorlage vornimmt…
Gegen die Wiederverwendung von Bühnenbilddetails habe ich allerdings überhaupt gar nichts einzuwenden. Von mir aus dürften, ja MÜSSTEN, sie gedreht und gewendet werden bis das Material aus dem sie hergestellt wurden, so abgenutzt aussieht wie alte Schuhe. Ich fand das schon als Kind witzig am Theater, dass von Kleist bis Mozart und Puccini immer derselbe Leuchter umgefärbt wurde und es im Theater offenbar nur einen einzigen Koffer und auch nur einen Lehnstuhl oder Sessel gibt - warum spielt eigentlich keiner mit sowas? Jedes Kind kann das, bloß keine Staatstheatraliker - Man könnte sich auch ein geniales und bewährtes Bühnenbild von einer Bühne für eine Inszenierung ausleihen z.B. Das schreibt man dann eben ins Programmheft: Aus Kostengründen spielen wir heute Abend unseren neuen Faust im Hamlet-Bühnenbild von daundda… Das Publikum ist ja Wohnwelten-Denken durch die Werbung gewöhnt und hätte bestimmt Freude an der Vorstellung, dass das Theater ihm Vorstellungskraft zutraut-
Maria Magdalena, Wien: kühl und wenig menschlich
Chaplin immer die gleichen Stilmittel-wo denn city lights und der tramp und der grosse diktator und modern times -Jaaa??? nochmal ansehen bitte!
Ich möchte nix neues ich möchte was echtes! was mich berührt! und das gibts im laden eben nicht!
im übrigen bin ich ein kind das den glorreichen sozialismus inhalieren durfte.
mein problem mit diesem kühlen theater ist eigentlich, das ich es eben nicht so menschlich finde.
eine beziehung zwischen menschen, ein kontakt, ein konflikt, ein schmerz, naja.
ansonsten fühle ich mich von ihnen ganz wunderbar verstanden herr rothschild.
Maria Magdalena, Wien: Labeling
Zu Nr. 5: Sie stehen vor einem Bild von Cézanne: es sieht aus wie ein Walzer von Strauß. Sie sehen einen Film von Chaplin: er sieht aus wie ein Walzer von Strauß. Sie hören einen Walzer von Strauß: er sieht aus wie ein Walzer von Strauß, aber das fällt nicht weiter auf. Sie sehen ein Stück von Hebbel: es sieht aus wie ein Stück von Schiller. Sie sehen ein Stück von Schiller: es sieht aus wie das Stück von Hebbel. Sie sehen ein Stück von Molière: es sieht weder aus wie ein Stück von Molière, noch wie ein Stück von Schiller, noch wie ein Stück von Hebbel, es sieht aus wie ein Stück von Horváth, welches wiederum aussah wie ein Stück des Euripides, welches stark an ein Stück von Tschechow erinnerte. Ihnen dämmert: es handelt sich um eine Frage des "Labels", welches die verschiedenen Stücke, Bilder, Klänge gleichförmig etikettiert und den Eindruck hervorruft, als handelte es sich bei all den diversen, ja kontroversen Produkten um die - stark nachgefragten - unverwechselbaren Erzeugnisse ein- und derselben Firma. Sie sind verwirrt. Sie inhalieren ein paar Züge Kapitalismus, die Ihnen zu der erlösenden Einsicht verhelfen, daß eine Marke eine Marke ist, die keineswegs kleinliche Rücksicht auf Cézanne, Strauß, Chaplin, Hebbel usw. nehmen darf, wenn es darum geht, sich am Markt durchzusetzen, im Gegenteil, schließlich fängt der Markt nicht erst im Feuilleton an, sondern beim Umgang mit den Autoren. Und dann setzen Sie sich froh an Ihr allerneuestes Schreibgerät und verfassen einen Kommentar wie Nr. 5.
Maria Magdalena, Wien: pseudoempörte Verteidigung
Lieber Herr Rothschild,
das ist einem wirklich ein bisschen peinlich, auf welchem Niveau Sie gerade jammern: Glauben Sie wirklich, die böse "kapitalistische Logik" macht den Thalheimer fertig? Geht's auch eine Nummer kleiner: Dass ein Regisseur zu viele Stücke macht und ihm einfach nichts mehr einfällt - bzw, dass er seinen Ansatz ohne Unterscheidung über Sommernachtstraum, Tartüffe und Hebbel kippt und damit einfach bequem geworden ist? Ich finde Ihre Rolle als Rezensent dieser Seite und gleichzeitig als empörter "Leser" inzwischen sehr kokett und scheinheilig. Wollen Sie sich nicht für eine Seite entscheiden? Das wäre ehrlicher. Und Thalheimer braucht keine pseudoempörten Verteidiger wie Sie.
Grüße von Schildroth
Maria Magdalena, Wien: Auseinandersetzung gewünscht
Lieber Herr Schildroth,
Ihre feinsinnige Empörung nehme ich mit Gelassenheit hin, auch den Vorwurf der Scheinheiligkeit und der Koketterie. Nur eins: wenn Rezensenten an den Debatten nicht teilnehmen sollen, mag man das zur Regel machen. Ich dachte, just solche Auseinandersetzungen seien von der Redaktion gewünscht. Ich sehe nicht ganz, warum ein Rezensent keine Ansicht zu der angeblichen Langweiligkeit von Regiekonzepten haben und äußern soll, aber wenn Sie meinen: ich lasse mich gerne belehren. Nur dies noch, weil es die Ehrlichkeit betrifft: Ich verschleiere meine "Doppelrolle" nicht hinter einem Pseudonym. Im Gegensatz zu Ihnen.
Maria Magdalena, Wien: Klarnamen-Missverständnis
Lieber Herr Rothschild,
ein Kommentar mit Klarname ist nicht schon an sich eine Tugend - diesem Missverständnis unterliegt der andere Grantler dieser Seite, Herr Baucks, auch immer: Die mutigen Klarnamen und die feigen Anonymen: albern.
Vielleicht ärgert mich gar nicht so sehr Ihre Doppelrolle, sondern der oberlehrerhafte Ton, den Sie in den Kommentaren kultivieren, als Rezensent und Kenner in Freizeit, sozusagen, aber immer auf der Seite der Gewissheiten.
Thalheimer ist leider auch in die Marken-Falle gegangen, wie das der Herr in 7. so treffend für Ciulli beschreibt. Oder einfach denkfaul geworden. Deshalb ist es so rührend, wie Sie meinen ihn verteidigen zu müssen.
Maria Magdalena, Wien: Plädyer für Ehrlichkeit
Lieber Herr Schildroth,
ich verteidige nicht Thalheimer, zu dessen Inszenierungen ich ein ambivalentes Verhältnis habe - und er hätte meine Verteidigung nicht nötig -, wohl aber das Recht auf eine eigene künstlerische Handschrift, die man, wenn man denn will, auch "Marke" nennen kann. Ob sie jeweils dem umzusetzenden Text und dessen Autor gerecht wird, ist im Einzelfall zu entscheiden. Vielleicht ist es tatsächlich die beste Lösung, wenn man, wie die von mir uneingeschränkt bewunderte Ariane Mnouchkine, von Shakespeare und den Atriden zu für ein Ensemble geschriebenen und mit seiner Teilnahme kollektiv verfassten Texten übergeht. Aber auch sie hat ihre Handschrift 40 Jahre lang beibehalten, oder, wenn man es böswillig formuliert, ist zur Marke geworden (unter verkaufstechnischen Gesichtspunkten freilich ohne großen Erfolg). Wenn das denn so ist: ich möchte sie nicht missen. Was meinen oberlehrerhaften Ton angeht, so werde ich ihn mir wohl nicht mehr abgewöhnen können. Wohl aber kann ich ohne Entzugserscheinungen darauf verzichten, bei "Nachtkritik" Kommentare abzugeben. Da niemand Ihrer Forderung widerspricht, sich für eine "Seite" zu entscheiden (Rezensenten vs. Leser als Kontrahenten!), auch weil ich ungern zusammen mir Herrn Baucks in die Kategorie der Grantler gehören möchte, soll dies mein letzter Kommentar sein. Und weil ein Klarname zwar keine Tugend ist, wohl aber ein Zugeständnis an die von Ihnen eingemahnte Ehrlichkeit, unterzeiche ich mit den beiden Silben, die Sie so einfallsreich und ganz und gar oberlehrerkritisch für Ihr eigenes Pseudonym vertauscht haben.
Maria Magdalena, Wien: Dreigestirn
Was ist Altmann ohne Thalheimer - gar nix und was ist Thalheimer ohne Wrede noch weniger - SO GEHT ES NICHT. Das ist keine Debatte, das ist Schwachsinn. Welche Art Theater das Dreigestirn verzapft und warum das eine Zeitlang gut funktioniert hat und bei wem, das müsste schon untersucht werden. Mit der plumpen Erklärung: "Label ist Label" ist es erst recht nicht getan. Zu viel der Mühe? Da müsste man spätestens bei der "Emilia G." am DT analytisch einsetzen, sich der "Orestie" widmen und vielleicht noch der "Ratten"-Inszenierung - dann könnte man die Mittel beschreiben, die Weltsichten herausfinden und dann schlussfolgern: Bedeutend nichts aber kurzweilig und rhetorisch überrumpelnd also zeitgemäß hohl. Das könnte man. Muss man aber nicht, weil selbst das ist langweilig.
Maria Magdalena, Wien: liebevoller Hirte
Mensch, Jungs, jetzt reichts aber – Motti hält das Schild hoch, und zwar das rot(h)e! – Das hört sich ja an wie Zickenkrieg auf Nachtkritik! – Jeder Kritiker soll, finde ich, was zu seiner Kritik nachschieben, umändern, überdenken und sich auch zur Kritik der Kritiker äußern dürfen! Und auch der Baucks is doch kein Grantler, sondern hat eben immer son Austauschbedürfnis, das is ja menschlich… Ich finde ihn sogar unwahrscheinlich zahm. Dem Steckel sollten wir alle dankbar sein, weil er sein Theaterlebtag immer so genau gelesen und nachgedacht hat und dies immer mit einem so großen Grundrespekt vor Autoren und Schauspielern, dass wir alle jedesmal wieder davon lernen können und dann liegt das bei ihm ja auch in der Familie, was noch einmal Extra-Respekt verlangen kann. Finde ich. Die Namen hier sind doch einfach alle bescheuert, wenn es nicht die echten sind und man erkennt die meisten ohnehin auch unter Psydonymen am Ton wie ein liebevoll auf seine Herde starrender Hirte eben seine Schweine am Gang… Die Pseudonyme sind wie Smilies, nur eben theatralischer bei uns launischen Theatermenschen… Thalheimer wird schon merken, dass er andere Texte braucht, um seine Begabung weiterzubringen. Hätte er bessere und das heißt strengere, streitbare dramaturgische Beratung gehabt, wärs ihm aufgefallen, bevor er zum Label, an dem jetzt alle rummeckern, mutiert ist. Das ist Theater: eine Kollektivkunst, da ist nie einer alleine schuld – is das jetzt klar, Leute? Die Kritiker werden gebraucht für die Korrekturen. Aber ihre klaren Aussagen werden gebraucht, nicht ihre Verschnupftheiten und Ichspielnichtmehrmit-Allüren… Nehmt einen Kritiker mit in die Probe und der fällt beim ersten harten internen Kritik-Wort um, deshalb lassen wir die ja auch immer erst in die Vorstellung, um ihre zarte Besaitung zu schonen. Und, wie wird uns das gedankt? – Mit Eingeschnapptheit!
@jubelperser: Ich denk schon seit gestern über den Palast vom jubelperser nach: Mein Problem ist, dass ich nicht weiß, wie die Schmelztemperatur von Kristall ist, denn nur Wärme, (Be)Rührung und ein Organon würde wahrscheinlich zum Zerschmelzen nicht ausreichen... Ich könnte meinen Jugendfreund Klaus – auch einst ein Sozialismus-beamtetes reales Kind und Libero der Hochschulmannschaft – fragen, der war Chemiker, aber ich erreich ihn nicht. Und die nächste Frage ist dann, erhöhte Temperatur doch sicher unter gleichzeitig erhöhtem Druck, oder nicht? Und was, wenn dann das Schmelzwasser – so ein Palast ist ja ein ziemlich großes Gebäude, nicht aufgefangen werden kann und irgendwem darin die Felle wegschwimmen? Gibt’s da einen Notfallplan, der die Überlebenden der Auftauphase rettet oder zumindest an ein sichereres Ufer bringt? – Und dann fällt mir noch ein, dass eigentlich bei höheren Temperaturen und gleichzeitig erhöhtem Druck – zumindest bei den Sternengeburten im Erd-Off, in den Kernen die Stoffe sich zu Diamant verdichten und wenn dann der Kern, nach ein paar Millionen Lichtjahren, sozusagen implodiert, allenfalls noch irgendwelche Gase entstehen und eine neue, schwarze Materie, die alle anderen Massen in der Nähe so anzieht, dass die anfangen zu kreiseln und sich dann wieder, im Verlaufe von wieder ein paar Millionen Lichtjahren, neue Sterne mit Diamantkernen davon bilden… Hat der Palast so lange Zeit?
Maria Magdalena, Wien: seit Jahren
Einer: ne, ich red schon seit Jahren: beim Faust hätte man ansetzen müssen. Gleich. Das hätte Thalheimer wirklich genutzt.
Maria Magdalena, Wien: Vereinnahmung von allen Seiten
Ich weiss nicht. Wenn jetzt schon auf alten Gutshöfen in Brandenburg Thalheimer-Stücke nachgespielt werden (z.B. "Herr Puntila und sein Knecht Matti") und dann noch so Typen dabei sind, welche bei der SPD sowie der LINKEN arbeiten, dann hört's bei mir irgendwie auf. Eine Verschmelzung von Politik und Kunst, das ging noch nie gut aus. Und jetzt noch Maria Magdalena? War das - der katholischen Tradition nach - nicht die Sünderin/Prostituierte/Fußwäscherin in der Bibel?
Maria Magdalena, Wien: Verteilungskampf alt-jung
Lieber Herr Rothschild, im Prinzip bin ich ja auf Ihrer Linie. Mir tut aber nur der Nachwuchs des Regiehandwerks leid. Die Altgurus touren herum und die Jungen haben immer weniger Engagements. Das ist die andere Seite des angeschnittenen Problems: Verteilungskämpfe zwischen "Alten" und "Jungen"- Aber warum soll es in der Kultur anders als in den anderen gesellschaftlichen Subsystemen sein....
Maria Magdalena, Wien: Angst?
Lieber Herr Schulz, ganz meine Meinung (s. Kommentar Nr. 2). Aber warum ist das so? Angst?
Maria Magdalena, Wien: Rührung statt Konflikt
Inga: ja, ich habe auch so meine Probleme mit dieser Stückwahl in unserm Heute. Was dabei herauskommt, sieht man z.B. an der Stadelmaier-Kritik: Rührung ob des Klara-Mädchens und Anerkennung für Mädchen-R(e)itter Thalheimer. Dabei gibt es ja nun einmal die Tatsache, dass ein geschwängertes Mädchen nun einmal kein Mädchen mehr ist, wenngleich in jeder Frau lebenslang ebenso das Mädchen steckt wie in jedem Mann der Knabe, das/der sie/er einst gewesen ist… Hier wird also eine Rührung erzeugt, die einen realen, biologisch determinierten Reifegrad ignoriert und damit den gesellschaftlichen Konflikt abschwächt, statt für unser Heute herausarbeitet. Heraus kommt als Geistesausbeute: Nur ein totes Mädchen ist ein gutes Mädchen im Sinne von: mit ästhetischem Gewinn anzusehen…
Das meine ich dann mit schlechter dramaturgischer Beratung für Thalheimer. Womit wir sogleich beim beinahe zwangsläufig sich einstellenden „Totreiten“ von Stilmitteln (jubelperser) ankommen: Hier könnte zunächst einmal Sprachkritik beim Nachdenken helfen: in dem Wort Stilmittel steckt ja, dass ein Stil durch bestimmte angewandte Mittel sichtbar, bewahrt und für Zeugenschaft vermittelt wird. Und da müsste man überlegen, ob das für Theater überhaupt taugt, so ein bewusster Umgang mit eigenem oder fremdem Stil. Ob es für Theater als Kunst wichtig ist, Stil pirmär nicht nur zu entwickeln und sichtbar für andere zu machen, sondern das sekundäre Bewahren von Stil und Wiedererkennbarkeit von Stil zu sichern zum Primat zu erheben… Das ist ja eine Frage der Eitelkeit und da ist ja jeder anfällig dafür und im Theater sind dann aufrichtige Freunde wichtiger als tolle gegen das „Totreiten“. Ich glaube auch nicht, dass Thalheimer und Kriegenburg hier das gleiche Problem haben, auch wenn es im Moment vielleicht von außen so aussieht. Bei Thalheimer kommt das Problem vielleicht eher von innen und bei Kriegenburg eher von außen durch eine Art Zeitdruck, den der Betrieb aufbaut, und der ihm vielleicht immer weniger gestattet, seine individuellen Führungsqualitäten im Schauspiel so sinnvoll einzusetzen, wie es das Publikum verdient hätte. Weil Kriegenburgs Führungsqualitäten, soweit ich das beobachtet habe und zu sagen wage, auf einem gezielten Anfangsschweigen beruhen, das den Schauspielern gestattet wie abverlangt, sich eigenverantwortlich in einem Text zunächst ungehemmt auszubreiten, er hat hier Tugenden von Besson vielleicht aus meiner Sicht ins Extrem getrieben und der Betrieb mit seinen Organisationsstrukturen schneidet das zunehmend eher ab… Womit wir, Herr Schulz , auch bei Ihrem Mitleid für die jungen RegisseureInnen angelangt wären… Ich glaube nicht, A. Preitenegger, dass die Theater oder die älteren Regisseure Angst haben vor den jüngeren und ich glaube aber in jedem Fall, dass die jüngeren aus Mangel an praktischer Erfahrung (für den sie nicht unbedingt können) zu wenig Respekt haben vor einer langjährigen, dauerhaften, immer das Existenzielle berührenden (das meint durchaus nicht nur die ökonomische Existenz!) Auseinandersetzung mit dieser so schweren Theaterkunst, die sich für die Darstellung des Einfachen so lebensbestimmend anstrengen muss und die anders eben nicht zu haben ist. Was nicht unmenschlich, sondern Wesen der Kunst, jeder Kunst, ist. Da hilft keine Fluchtbewegung aus der Verantwortung, um sich diese Kunst etwas leichter zu reden oder zu machen. Geb ich das Ideal des Einfachen auf und begnüge mich mit dem Diffusen, Unklaren in der Darstellung, verlier ich das Publikum. Zu Recht. Geb ich das Ideal der existenziellen Selbstgefährdung auf, verlier ich die Bühne und die Schauspielkunst, geb ich das Ideal der historischen Genauigkeit im Fach – und das heißt Genauigkeit im Wahrnehmen der Fachgeschichte- auch der Arbeits-Geschichte der Älteren, Regie-Gurus, auf, dann bin ich eben (noch) kein/e Regisseur/In – selbst wenn das auf einem Hochschulzeugnis steht – Dagegen hilft kein Mitleid, sondern einzig und allein freundliche Übernahme aus sehr persönlichem, individuell unterschiedlich stark ausgeprägtem Verantwortungsgefühl… Und dann ist die Frage: Wer ist jung und wer ist alt? In meinem Alltag begegnen mir mitunter 20jährige Greise und 80jährige Mädchen, 11jährige, die alles für eine Mutter haben und 40jährige, die nicht einmal Verantwortung für einen Gang zum Zahnarzt übernehmen wollen, obwohl sie schmerzgeplagt sind und sogar Privatzahler sein könnten…
Maria Magdalena, Wien: Gurus werden alt
@ Mottiusw.: Warum vermischen Sie hier Jetzt Thalheimer und Kriegenburg?

So so. Und die jüngeren Regisseure hätten also zu wenig Respekt vor den älteren, den Regie-Gurus? Irgendwann müssen eben auch die Gurus mal erkennen, dass sie, gemeinsam mit ihrer Kunst, alt geworden sind. Was Respekt natürlich nicht ausschließt. (...)
Maria Magdalena, Wien: historische Ignoranz
Inga: Vermische T und K wegen Kommentar Nr. 3 - späte Antwort, pardon. Nicht alle älteren RegisseureInnen sind ja Gurus und ich glaube keiner ist je ein Guru geworden, der nicht erkennen könnte oder wollte, dass er/sie eben inzwischen alt geworden ist. Mangel an Willen zu fachhistorischer Auseinandersetzung - egal in welchem Fach - ist für mich allerdings ein Anzeichen für Mangel an Respekt. Da kann natürlich unbenommen Ihre Haltung dazu eine ganz andere sein. Respekt ist nicht das Wichtigste, aber historische Ignoranz ein ungeheurer Hemmschuh für künstlerische und wissenschaftliche Entwicklung nach meiner Erfahrung-
Maria Magdalena, Wien: wenig Respekt
@ D. Rust: Sind Sie jetzt Mottiusw. oder wie? Jedenfalls, was Sie zum Thema "historische Ignoranz" sagen, wird mir schon deutlich. Mangelndes Geschichtsbewusstsein führt meist auch zu eher wenig interessanten Theaterergebnissen in Gegenwart und Zukunft. Weil das Bewusstsein für das Geworden-Sein von historischen bzw. aktuellen gesellschaftlichen Kontexten fehlt. Bei Kriegenburg und Thalheimer wird wohl oft nur oberflächlich angerissen, ohne wirklich archäologisch vorzugehen. Und ich finde mittlerweile auch, dass Thalheimer eher wenig Respekt hat vor den Figuren der von ihm inszenierten Stücke. Mir fällt auf, dass, wenn Frauenfiguren vorkommen, er diese häufig immer nur als "kleine Mädchen", selten aber als "erwachsene Frauen" inszeniert. Vielleicht liegt es (hier) aber auch an der Stückwahl. Maria Magdalena könnte ein heller Stern sein. Bei Hebbel scheitert sie - wie alle anderen Figuren auch - an der Krankheit einer Welt, in welcher der Einzelne als Mensch nichts zählt, einer Welt, welche an lieblosen Moralvorstellungen leidet und zugrunde geht. Inwiefern passt diese Klara eigentlich noch in die heutige Welt, frag ich mich da. Wird eine Tochter heute wirklich noch als Schande für die ganze Familie betrachtet, wenn sie ein uneheliches Kind bekommt? Glaub ich ja kaum.
Maria Magdalena, Wien: entseelt
Inga: ja, genau das ist die Frage. Die Schande ist heute verschoben. Nicht das uneheliche Kind ist heute noch allgemein Schande, aber immer noch wie eine Schande wird z.B. eine sehr junge Mutter betrachtet. Ihr wird entweder Blödheit (gibt doch die Pille!) oder Hilflosigkeit (hat er dich vergewaltigt,Kind?) oder Asozialität (kannst nix, bist nix, denkst du als Mutter wirst du anerkannt) und entsprechende Unreife sowieso (du musst das so halten, aber dafür bis du auch zu blöd) Vorurteil begegnen. DAS gibt eben der Hebbel-Text leider nicht her und kein Stilmittel eines noch so guten Regie-Stars könnte das das dieser Klara sichtbar machen... Und es wird auch oft übersehen, dass durch solche infantilisierten Frauensichten das Männerbild ebenfalls entseelt wird-
Maria Magdalena, Wien: Wer überhaupt?
gott sei dank,dass ihr euch alle so gut auskennt!!!
lauter kluge koepfe hier auf nk!
und wer von denen hat es ueberhaupt gesehen???
Maria Magdalena, Wien: kein moralisches Problem
@ D. Rust: Teenagermütter oder sehr junge Mütter? Das gibt Hebbel tatsächlich nicht her. Aber ich kann darin auch kein moralisches Problem im Sinne einer Schande erkennen. Wenn ich eine Teenagermutter auf der Straße sehe, dann frag ich mich als Erstes, ob sie das Kind wirklich wollte. Denn klar irritiert es erstmal. Am Besten, man fragt die Mütter selbst:
http://www.arte.tv/de/teenagermuetter/890568,CmC=890638.html
Maria Magdalena, Wien: Vorstellen reicht aus
@ was ihr alles wisst! (oder wollt): Ist doch egal! Inzwischen sieht sowieso alles aus dem Bereich des sogenannten Regietheaters irgendwie immer gleich aus. Da reicht oft schon das Vorstellen allein völlig aus. Und mit dem realen Leben hat das manchmal (leider) gar nicht soviel zu tun. Warum, meinen Sie, hat Thalheimer denn gerade diesen Stoff gewählt? Hat das irgendwas mit seinem Leben zu tun? Das wären so Fragen.
Maria Magdalena, Wien: mit Absicht
@27: Ja, das ist auch die entscheidende Frage! Und die Schande besteht darin, wenn eine 16jährige dann sagt: klar, ich habe das Kind gewollt. Es war nicht einmal ein Zufall, gibt ja Pille und so, sondern richtig in Absicht gemacht. Und mit richtig Spaß dabei! - Da hat sie nämlich sofort alle Über-Mütter, Über-Geliebten und auch noch gleich alle 16-Jährigen reihum gegen sich. Sogar dann, wenn sie nicht einmal den Kinds-Vater oder ihre eigene Familie gegen sich hat! Und außerdem sind sofort das Jugendamt, die wahnsinnig tollen Psychologen und die restlichen um verirrte Schäfchen bemühten staatlichen Ämter hinter ihr her wie der Teufel hinter dem Weihwasser - Und das ist gesellschaftspolitisch, menschlich und psychologisch super-interessant, was hinter so einem Konflikt lauert...
Maria Magdalena, Wien: tolle Schauspieler
Ich hab es sehr schön gefunden, die Schauspieler waren toll. Sarah Viktoria Frick fand ich so grossartig und zum verlieben. Ebenso Albrecht Abraham Schuch.
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