Deponie Highfield - Wiener Festwochen
Lipizzaner, Lipizza, Ibiza
von Theresa Luise Gindlstrasser
Wien, 24. Mai 2019. Sieben Lipizzaner stehen gesattelt bereit. Drehen die Ohren und schwenken die Schweife. Aus den Nüstern kommt Rauch. Auftritt der glorreichen Fünf: Kathrin Angerer, Birgit Minichmayr, Caroline Peters, Irina Sulaver und Martin Wuttke. Sie reiten, reiten, reiten was das Zaumzeug hergibt, kommen nicht vom grünen Rasen-Fleck. Beharrlich wiederholt "Deponie Highfield" von René Pollesch die Frage, "warum ich dich so schnell vergessen habe". Warum also die große Liebe schon nach zwei Tagen vergessen ist. Und warum andererseits es ein Zeichen für Qualität sein soll, wenn ein Theaterabend lange "nachwirkt".
Ob er am Pferd denn rauchen dürfe
"Ja, verdammt. Wie bleibt man zusammen? Es hatte so schön angefangen. Man beginnt zusammen und dann... ist es weg", lamentiert Angerer gleich am Anfang. Hängt mit einem Cowboy-Stiefel im Steigbügel und liegt mit dem Bauch am Boden. Sulaver zündet als Erste eine Zigarette an und wird von den anderen bewundert. Das beschäftigt den mit Reiter-O-Beinen watschelnden Wuttke den restlichen Abend: Ob er am Pferd denn rauchen dürfe. Peters fasst die Diskussionen beschwörend zusammen: "Menschen eine Stimme geben, heißt sie auslöschen". Im Tonfall der Schlussfolgerung kommt immer noch was Neues nach. Was das darstellen soll, fragt Sulaver. Und Minichmayr antwortet patzig: "Ich bin Pferd mit Reiter, das ist doch ganz klar zu sehen".
Apropos Patzigkeit. Es wird ordentlich viel angeschnauzt und zusammengestaucht. In Edel-Cowboy-Kostümen von Tabea Braun streicheln die fünf Edel-Schauspieler*innen zärtlich die Pferdemähnen. Kommunikation von Mensch zu Mensch findet hier jedoch nur unter Revolver-Gefuchtel statt, das macht die großen Gesten noch größer, das verleiht der opulenten Rede eine herrlich lächerliche Dringlichkeit. Später kommen die Cowgirls in weißen Kleidern wieder und die fünf Schauspieler*innen lassen sich an der Rampe im Kunstrasen nieder. Freie Sicht auf die krass glorreichen sieben Lipizzaner. Irgendwann übergibt sich ein Tier. Katrin Bracks Bühnen-Chichi verpasst den Pferde-Figuren die Hauptrolle.
Weil das Darzustellende in der Darstellung verschwindet
Tiergeschichten kennen schließlich alle. Bei "Pferd" haben alle eine Erfahrung zu erzählen. Und obwohl nicht jede Anekdote interessant ist, wie der Abend betont, sind es doch Geschichten vom Zusammensein von Menschen und Tieren. Mit Verweisen zum Beispiel auf Donna Haraway unternimmt "Deponie Highfield" den Versuch, Quellen abseits von repräsentativem Wissenschafts-Wissen anzuzapfen. Die neutrale Position des Herrn Wissenschaftlers ist ein Problem. Sein Versuch der Unsichtbarkeit in der Beobachtung von, zum Beispiel, sozialer Interaktion unter Pavianen, zwingt das untersuchte Objekt in die Sichtbarkeit, schreibt das Dargestellte in einer bestimmten Darstellung fest.
Es geht also um Repräsentation. Besser gesagt: Um Unsichtbarkeit als Privileg. Warum die große Liebe nach zwei Tagen vergessen ist? Weil das Darzustellende in der Darstellung verschwindet. Oder weil Gemeinschaft undarstellbar ist. Oder beides. "So Texte sind halt da und dann sind es so Texte und die gehen um was, aber es ist doch erstaunlich, dass sie alles vernichten und den Widerspruch nicht aushalten", heißt es irgendwann. Pollesch-Texte halten Widersprüche wahnsinnig gut aus.
"Ich?", säuselt er stolz
Da schillern die Worte. Lipizzaner, Lipizza, Ibiza. "Wir sind eben Spitzensportler und deshalb sollte man uns auch wie welche behandeln", gibt sich Peters überzeugt. Und verwirrt Angerer, immer einen Tick gedehnter als die High-Speed-Quasselei: "Sag mal, redest du über die Lipizzaner?" Minichmayr weiß Bescheid: "Ja, sie sind teuer und sie müssen Leistungen bringen, deshalb leben sie aber auch in allem Komfort." – "Ich?", säuselt Wuttke stolz. Und da ist schon längst das Burgtheater mit der spanischen Hofreitschule mit der österreichischen Bundesregierung verschwommen. Die großen Repräsentationen von "Österreich". Zum Lachen!
Deponie Highfield
von René Pollesch Regie: René Pollesch, Bühne: Katrin Brack, Kostüm: Tabea Braun, Licht: Michael Hofer, Dramaturgie: Anna Heesen.
Mit: Kathrin Angerer, Birgit Minichmayr, Caroline Peters, Irina Sulaver, Martin Wuttke.
Premiere am 24. Mai 2019
Dauer: 1 Stunde und 40 Minuten, keine Pause
www.festwochen.at
Stets würden bei Pollesch "mit leichter Ironie (...) die schwersten und die plattesten Themen verwoben", schreibt Norbert Mayer in Die Presse (25.5.2019). "Diesmal gelingt das mit Bravour." Man komme sich vor, "als ob Ludwig Wittgenstein erbarmungslos darauf bestünde, dass ihm beim trabenden Denken zugehört werde. Nur wurde seine Vorlesung offenbar in die Hofreitschule edler Lipizzaner verlegt, die sich als Hoftheater ausgibt, das eine Mülldeponie irgendwo jenseits des Atlantiks vorführen will", so Mayer. "Die Show ist anstrengend, die Darsteller sind bewundernswert bei ihren Turnübungen mit Pferden und den Sprachübungen mit den sich endlos wiederholenden, raffiniert variierten Satzmustern."
"Deponie Highfield" enttäusche "die Erwartungen der Anhängerschaft des Stücke-Ent- und Verwicklers" offenkundig nicht, schreibt Bernadette Lietzow in der Tiroler Tageszeitung (25.5.2019). "Für jene im Publikum, die diesem Ritt über den schillernden Quassel-See weniger abgewinnen können, bleibt die Freude, einem hochkarätigen Darsteller-Team beim fundamentalen Spaß am eigenen Tun zuzusehen."
"Das ist die immerzu und überall gut geölt funktionierende 'Methode Pollesch', und dieses Quintett repräsentiert sie problemlos als hippes Ereignis. Jubel gibt es wie beim Popkonzert in Wien", gibt Michael Laages auf Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur (25.5.2019) zu Protokoll – obwohl es sich eigentlich um "recht krude durcheinander gemischten Gedankensalat" handle. Rundum staunten alle Beteiligten "immer wieder von neuem darüber, wie unerhört schnell, zwei Tage nach der Trennung nur, selbst die größte Liebe des Lebens vergessen sein kann", setzt Laages sich in die Retourkutsche: "Ob es womöglich um mehr ging, außer um die Pferde – das ist schon jetzt, einen Tag danach, so gut wie vergessen."
"'Deponie Highfield' tritt inhaltlich wie szenisch viel zu sehr auf der Stelle, als dass das Stück einen geistig auf Trab bringen könnte. Auch politisch ist der Abend harmlos", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (26.5.2019). "Aber die Premium-Besetzung, die Kunst-Lipizzaner, die tollen Westernkostüme von Tabea Braun – das alles macht die Sache dann doch zu einem ereignishaften Dressurakt."
"Die Assoziationsstränge sind sehr grobmaschig gestrickt, der Rückgriff auf die Quellen kaum nachvollziehbar. Teilweise schaut der Abend aus, als wäre er in der dritten Probenwoche steckengeblieben", schreibt Stephan Hilpold im Standard (26.5.2019). Pollesch stelle die gesamte Repräsentationsmaschinerie Theater infrage. "Anstatt ihre Wirkmächtigkeit aber verschmitzt und subversiv unter Beweis zu stellen, verheddert er sich im Diskursnetzwerk. Die Qualitäten des All-Star-Ensembles gehen dabei leider auch verschütt."
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- so ist Pollesch zum Establishment geworden - und dann wird immer gesagt : die Schauspieler sind so toll! Ich fand sie allesamt langweilig - wie ferngesteuert in diese Welt kopiert - und soooo faul und selbstverliebt - sich von billigen Lachern ernährend - schäme on you pollesch für diese gedankenfaulheit
Was diesen Pollesch-Abend aus dem seriellen Einheitsbrei etwas heraushebt, sind drei Faktoren: Erstens ein besonders stargespicktes Ensemble. Zweitens ist das Bühnenbild mit den sieben lebensgroßen Lipizanern aus der Hofreitschule nachempfunden sind, ein echter Hingucker. Das glorreiche Quintett kann sich mit Turn- und Slapstickübungen an ihnen austoben und tänzelt ansonsten um die Pferde herum. Drittens gönnte sich René Pollesch bei seiner vorerst letzten Wiener Inszenierung einige spöttische Seitenhiebe gegen österreichische Nationalheiligtümer, nahm den Burgtheater-Finanzskandal aus der Ära Matthias Hartmann aufs Korn, der die Gerichte jahrelang beschäftigte, und kalauert auch mit einigen Ibiza-Wortspielen.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/10/29/deponie-highfield-akademietheater-wien-kritik/