Das Wuppertaler Schauspiel ist fast in die Unsichtbarkeit geschrumpft worden – Ein Kommentar
Zuende mit allen Träumen
von Andreas Wilink
Wuppertal, 2. Oktober 2014. Während die Pina Bausch Foundation ihre Archivarbeit mit einem soeben installierten "Erinnerungslabor" ("Du und Pina") in die Zukunft führt, bereitet der Rückblick und die Gedächtnisarbeit, bezogen auf die Wuppertaler Bühnen, Schmerzen.
"Not macht erfinderisch – Wenn arme Städte Geld drucken" werben rundum Plakate, die auf die Ausstellung im Wuppertaler Museum für Frühindustrialisierung hinweisen. Es gehört zum Historischen Zentrum in Barmen, gruppiert um das Engelshaus mit seiner hübschen Gartenanlage in Sichtweite zur Oper. Nun gehört auch das kleine, mit grau-roten Isolierplatten umkleidete Theater dazu, das aus einer Lagerhalle für das gegenüberliegende Museum entstand.
Freundeskreis und Stiftungs-Engagement. Das Nicht-mal-200-Plätze-Haus ist Ersatz für das abgewickelte, 1966 eröffnete und in den vergangenen Jahren zusehends verlotterte Wuppertaler Schauspielhaus in Elberfeld, das Intendant Christian von Treskow zuletzt mit Mühe und Anstand bespielt hatte. Der Neubau wirkt wie in den Hinterhof abgeschoben – hinten zieht eine Hochstraße die Kurve – und an den Rand gedrückt. Das Provisorische wird eher ausgestellt, als kaschiert. Not macht erfinderisch, aber auch erbarmenswert.
Angesichts der klammen Kommune mit ihren 1,8 Milliarden Schulden verdankt sich die signalfarbige Bühnen-Kiste demWuppertal kackt ab
Die Wuppertaler (Kultur-)Politik leistet sich eine eigenartige Mischung aus Selbstgenügsamkeit und Selbstgefälligkeit. Der neue Opernchef Kamioka hat die bewährte Stadttheater-Struktur aufgekündigt für ein Betriebsmodell mit jeweils einzukaufenden Sängern und risikofreien Produktionen, begonnen mit einer schlimmen "Tosca". Für das Schauspiel macht man eine krumme Rechnung auf über das Verhältnis von Bevölkerungsschwund und proportionaler Verkleinerung der Kapazität des Theaters. "Wuppertal kackt ab", kommentiert prägnant-provokant ein Jugend-Video-Projekt der örtlichen Initiative "Medienprojekt". Man darf schon melancholisch werden.
Insofern war die Eröffnung der kläglich dürftigen Spielzeit im Theater am Engelsgarten (ein halbes Dutzend Premieren inklusive Kinderstück und einem Audiowalk) mit dem Schubert-Liederzyklus "Die schöne Müllerin" nicht verkehrt. Aber ob die Wahl des Auftakts von der Intendantin Susanne Abbrederis auch so gemeint gewesen ist? Da ist kein Raum und keine Zeit für romantische Gefühle im Theater am Engelsgarten, außer, dass in einer Bildprojektion ein Bächlein über felsigen Grund springt.
Gute Ruh'! Thu' die Augen zu!
Ein Dutzend aufklappbarer Podeste füllt die Bühne: eines für den Flügel, an dem der Pianist als Schubert-Imitat sitzt und spielt; in einem anderen stehen Schuhe aufgereiht; ein weiteres ist mit Sand gefüllt; auf einem steht eine Vitrine, in die auch mal ein Stofftier-Reh gestellt wird. Neun Schauspieler – das gesamte Ensemble (!) – singen sich mehr schlecht als recht durch die szenisch arrangierten, unbeholfen inszenierten 90 Minuten und knapp zwei Dutzend Lieder. "Gute Ruh', gute Ruh'! Thu' die Augen zu!", wünscht das Schlusslied. Es wird einem ganz anders bei diesem Totengesang – auf Wuppertal. Die Aufforderung der Intendantin in ihrem Grußwort, das neue Haus "mit Theaterträumen zu füllen", kann man nur mit einer Zeile aus Schuberts "Winterreise" beantworten: "Ich bin zu Ende mit allen Träumen."
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wohl noch einigen Theatern in Deutschland und in Österreich -
für "Theaterkultur" bleibt nicht viel übrig!
Also setze ich den Leserbrief hier als Kommentar ein:
Hätte ich Herrn Leuschen am Samstag im "Theater am Engelsgarten" nicht mit eigenen Augen gesehen, ich nähme beim Lesen seiner Kritik an, er hätte eine andere Vorstellung in einem anderen Haus besucht, aber nicht "Die Schöne Müllerin" gesehen.
"... das neue Ensemble meisterte die Herausforderung überwiegend zufriedenstellend", schreibt der Leiter der Lokalredaktion. Mit dieser Aussage, die in einem Arbeitszeugnis schon vernichtend wäre, meint Leuschen die Herausforderung des Lied-Gesangs!
Lieber Herr Leuschen, das Kunstlied ist eine hohe Kunst (wie der Name schon sagt) und Schauspieler haben diese Kunst in der Regel nicht gelernt. Sie müssen nicht singen können.
Warum man es trotzdem von ihnen verlangt, war sicherlich für viele Zuschauer bei der Premiere nicht zu erschließen. Manche Gesangsversuche der Darsteller führten eher zu körperlichem Unbehagen bei Musikliebhabern im neuen Werner-Jackstädt-Saal.
Das neue Kleine Haus ist sehr schön geworden. Wuppertal kann wirklich stolz darauf sein. Die erste Inszenierung in diesem neuen Haus aber ging ziemlich daneben: Man sollte Schauspielern abverlangen was sie können: Spielen. Für das Spiel blieb den Schauspielern leider kaum noch Energie, denn diese verbrauchten sie bei dem Versuch zu Singen.
Frau Abbrederis hätte doch lieber "auf Nummer sicher" gehen sollen. Ein "Siegbringer, ein Stück, das beim Publikum ankommt", wie Leuschen schreibt, wird "Die Schöne Müllerin" wohl eher nicht.
"...irgendwie passte das Stück in die Zeit des aktuellen Wuppertaler Kulturlebens", schreibt Leuschen. Ich schaue besorgt herüber aus der Nachbarstadt und hoffe, dass es in Wuppertals Kulturlandschaft nicht so dilettantisch zugeht.
Lilo Gegic
Schwelm