Blackfacing in Sebastian Baumgartens "Johanna der Schlachthöfe" - In einer Sonderveranstaltung der Berliner Festspiele treffen Welten aufeinander
Der Gegenwert der Zeichen
von Esther Slevogt
Berlin, 12. Juni 2013. Statt des Podiums diesmal also eine Art Stuhlkreis in der Kassenhalle des Hauses der Berliner Festspiele. Das sei als Geste gedacht, dass man nicht von oben herab dozieren, sondern auf Augenhöhe diskutieren wolle, so der Journalist und Ex-Theatertreffenjuror Tobi Müller, der als Moderator angetreten war. Auf einem Tisch in der Mitte lagen griffbereit Mikrophone für jene bereit, die sich an der Debatte beteiligen wollten. Wobei sich bald herausstellte, dass Augenhöhe nicht per Sitzunordnung herstellbar ist, solange es keine grundsätzlichere Befragung von Strukturen und Machtverhältnissen gibt, die auch die Bedingungen der Möglichkeit von Hochkultur definieren: und zwar die ihrer Finanzierung ebenso wie ihrer grundsätzlichen Formen und Kodierungen.
Es hatten sich etwa fünfzig Menschen eingefunden, um noch einmal über die Kritik an Sebastian Baumgartens Zürcher Brecht-Inszenierung Die heilige Johanna der Schlachthöfe zu diskutieren. Baumgartens brecht- und kapitalismuskritisch gedachte Inszenierung bedient sich eines schrillen Zeichenrepertoires, um ihre Intention zu transportieren: Die alten Kapitalisten treten als Cowboys auf, der Neokapitalist als Chinese und die depravierteste Figur des Dramas, Frau Luckerniddle, schwarz angemalt als "Afrikanerin" mit Wollperücke und ausgestopftem Hinterteil, soll darauf verweisen, dass im globalisierten Kapitalismus inzwischen die Afrikaner die Ausgebeutetsten der Ausgebeuteten sind.
Kunstfreiheit versus Konstruktion des "Anderen"
Besonders an dieser Darstellung hatten sich anlässlich des Gastspiels beim Berliner Theatertreffen im Mai Rassismusvorwürfe entzündet, die von der Organisation Bühnenwatch formuliert worden waren, die immer wieder zur Reflexion von rassistisch grundierten Darstellungspraktiken wie des Blackfacings aufruft, auf deren rassistischen Ursprung sie mit guten Argumenten verweist. Und damit immer wieder reflexhafte Abwehr der Angegriffenen hervorruft: Wir sind doch keine Rassisten und die Kunst muss frei sein. Auch von Moral. Sonst komme keine Kunst, sondern Kunstgewerbe heraus.
So formulierte es auch Sebastian Baumgarten, der auf der Freiheit der Zeichen beharrte und als einzige Grenze der Kunst die körperliche Versehrung anderer gelten lassen wollte. Er war zum Vortrag seiner Positionen an ein kleines Rednerpult getreten, wo zuvor der Regisseur und Puppenspieler Atif Hussein als Vertreter von "Bühnenwatch" die seinen vorgetragen hatte: freundlich wiewohl theoriegestählt durch Gender- und Black Studies sowie die Diskurse der Critical Whiteness, die sich mit den unterschiedlichen Konstruktionen des "Weißseins" befassen und dem daraus konstruierten Blick auf das, was aus dieser Perspektive als "anders" empfunden und beschrieben wird. Warum, hatte Hussein unter anderem gefragt, würde er selbst durch seine Hautfarbe definiert, Baumgarten jedoch nicht?
"Ich kann kein Rassist sein"
Baumgarten war dann ebenso entgeistert wie trotzig ans Mikrophon getreten und glaubte, sich dagegen verwahren zu müssen, ein Rassist zu sein. Dabei war das gar nicht der Punkt der Kritik gewesen, deren wesentlicher Vorwurf darin bestand, das verwendete Mittel "Blackfacing" nicht ausreichend reflektiert zu haben. Auch sei, so Baumgarten, der Rassismus ein Ergebnis des Kapitalismus und er könne gar kein Rassist sein, weil er in der sozialistischen DDR geboren und sozialisiert worden sei. Das ist der mit Baumgarten fast gleich alte Atif Hussein übrigens auch. Doch hier sprachen zwei aneinander vorbei, als stammten sie aus unterschiedlichen Galaxien. Wie, fragte Baumgarten dann, solle er denn die Differenz benennen, die die verschiedenen Hautfarben doch bedeuteten und verteidigte sein Recht auf Ausdruck. Um schließlich seinen (auch in der diskutierten Inszenierung formulierten) antikapitalistischen und antiamerikanischen Diskurs grundsätzlich gegen den Tugendterror der "Political Correctness" (der schließlich aus den USA stamme!) in Stellung zu bringen: Freiheit der Kunst und des Künstlers gegen Denkverbote. So viele Missverständnisse.
Die Debatte schien also bald verfahren, wie ähnliche Debatte in dieser Frage zuvor. Die Aktivisten von Bühnenwatch versuchten zunächst noch engelsgeduldig, ihre Sichtweisen und Diskurse zu erläutern. Eine Amerikanerin äußerte ihre Fassungslosigkeit darüber, dass in Deutschland so vehement eine offensichtlich rassistische Praxis wie das Blackfacing verteidigt würde: Mit dem Beharren auf diese Praxis beharre man auch auf den herabsetzenden, dehumanisierenden Blick, der dieser verzerrten Darstellung zu Grunde liege. Auch müsse man kein Rassist sein, um rassistisch zu handeln. Doch die Mauer des Unverständnisses, auf die ihr Anliegen stieß, ließ auch die Bühnenwatcher zunehmend dogmatischer argumentieren.
Ironie der Zeichenhoheit
In allem ist es nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet die Verteidiger einer kapitalismuskritisch gedachten Inszenierung über die Verheerungen des Kapitalismus bei dem Versuch, ihre Diskurshoheit im Reich der Zeichen zu behaupten, wie Bänker beim Internationalen Währungsfonds bei der Festlegung der Zinssätze für ihre Kredite wirkten. Oder wie Angela Merkel, die den Griechen die Leviten liest, die Europäische Zentralbank im Rücken. Nicht ohne Ironie auch, dass die Kunstform Theater, deren Repräsentationspraktiken hier befragt wurden, in Zeiten des Hochkapitalismus als Kunst von und für die herrschende Klasse der Bürger = Kapitalisten entstand, die im 19. Jahrhundert nicht bloß den Gegenwert des Geldes kodierten, sondern auch den Gegenwert der Zeichen als Leitkultur.
Ein leise erlösendes Wort kam schließlich von Festspielchef Thomas Oberender, der manch Anwesende(n) zunächst mit ebenso hilflos wie ernsthaft vorgetragenem Erkenntnisinteresse ergriffen hatte: Er wolle wirklich verstehen, was denn genau das Kränkende am Blackfacing sei – und zog am Ende eine Analogie zum Sexismus. Auch dort sei es nur dem sturen Insistieren von Aktivisten zu verdanken, dass bestimmte Verhaltensweisen von Männern gegenüber Frauen inzwischen als Unterdrückungstechniken identifiziert und sanktioniert worden seien.
Zur Frage des Blackfacing
Diskussion im Haus der Berliner Festspiele
Mit: Sebastian Baumgarten, Atif Hussein, Aktivisten von Bühnenwatch, einigen alten und neuen Theatertreffenjuroren und anderen.
Moderation: Tobi Müller
www.berlinerfestspiele.de
Mehr zur Blackfacing-Debatte im Lexikoneintrag
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Und wie hätte Bühnenwatch reagiert, wenn eine Schwarze diese Rolle gespielt hätte? Wäre das nicht ebenso problematisch, weil damit genau das Stereotyp (= "alle Schwarzen sind arm wie Frau Luckerniddle") reproduziert werden würde, welches eigentlich vermieden bzw. auf seine strukturellen Ursachen hin befragt werden soll? Wie kommt man da raus? Warum nicht das Gemeinsame zwischen Weissen und Schwarzen suchen, anstatt immer wieder auf die Unterschiede zu fokussieren? Es gibt so schöne Filme dazu, die die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen soviel besser thematisieren als das Theater. Zum Beispiel "BB King - The Life Of Riley" von Jon Brewer.
Daher die Gegenfrage:
Warum kommen Schwarze Figuren in Stücken auf etablierten, hochfinanzierten deutschen Theaterbühnen fast immer nur vor (wenn überhaupt), wenn es um Armut, Kriminalität, Flucht, Gewalt oder Sex geht? Was macht die anderen Figuren in den Stücken so eindeutig weiß, dass sie nur von weißen Schauspieler_innen gespielt werden können? Wenn die Figuren universal sind, könnte jede_r Darsteller_in sie spielen. Daher würde ich lieber mal fragen was wäre, wenn eine Schwarze Schauspielerin die Johanna gespielt hätte, zum Beispiel. Ohne dass ihre Hautfarbe irgendwas ganz wichtiges bedeutet und ohne, dass sie für irgendein mythologisches 'Afrika' stehen muss.
Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten, über die Ausbeutung der afrikanischen Länder zu sprechen, ohne weiterhin mit abwertenden, eurozentrischen Zerrbildern aus dem 19./frühen 20. Jh zu arbeiten, denn damit bleibt man unweigerlich in einer kolonialen Tradition (egal ob man das will oder nicht) und die Kritik wird in ihr Gegenteil verkehrt.
Dass Menschen in kreativen Berufen (wie Regie etc.) dazu nichts besseres einfällt, zeigt, dass nicht genügend eigene Recherche stattgefunden hat und Baumgarten sich seiner Rolle in der Gesellschaft sehr sicher sein kann. Er hat während des Gesprächs unglaublich aggressiv reagiert, als Aktivist_innen die unterschiedliche Verteilung von Geldressourcen für (fast völlig weiß dominierte) etablierte Kunststätten und kleinere Produktionen (in denen Personen of Color eher mitarbeiten) angesprochen haben. Er wollte nicht stehenlassen, dass es da strukturelle Unterschiede gibt. Also, in Sachen Kapitalismuskritik versus eigene Privilegien war das immerhin geradezu unterhaltsam...
Abgeordnetenwatch bezieht sich auf die (inszenierte) Realität der politischen Bühne, wobei Demokratie von unten für mich sowieso nochmal anders aussieht.
Bühnenwatch bezieht sich auf die Theaterbühne, wo bereits seit den Ursprüngen des Theaters gespielt und darüber die Probleme der Polis-Gemeinschaft öffentlich verhandelt wurden und werden. Auch in meinen Augen handelt Bühnenwatch oft zu sehr in Richtung eines "Kontrollorgans" moralischer Korrektheit. Und gerade bei Brecht muss man zuallererst auch dessen Theaterästhetik in die Diskussion miteinbeziehen - was hier ja auch geschah.
Über das Mittel der Verfremdung, über die Parodie von Typen wird die Realität ganz bewusst überzeichnet. Psychologischer Realismus ist was anderes. Gerade Brecht hat mit seinem epischen Theater der Verfremdung darauf abgezielt, dem Vorgang oder dem Charakter/Typ das Selbstverständliche, Bekannte, Einleuchtende zu nehmen. Über das Erzeugen von Staunen und Neugier sollte eine Hinterfragung und mögliche Neugestaltung der Wirklichkeit auf und hinter der Theaterbühne und somit auch der sozialen Lebenswirklichkeit ausserhalb der Theaterbühne angeregt werden. War/ist nicht genau das Baumgartens Intention? Meine Frage geht eher in die Richtung, warum Baumgarten die Figur der Frau Nuckerniddle hier unbedingt in einen kolonialistischen Kontext setzen musste. Armut ist ein globales, strukturelles Problem, nicht allein ein Problem der afrikanischen Länder. Dort tritt die durch den globalen Kapitalismus ausgelöste soziale Ungleichheit nur besonders verschärft zu Tage.
Ich spreche nicht aus einer Ost-Sozialisation heraus. Trotzdem empfinde ich es beinahe als absurd, dass sie hier jetzt DDR-Bürger pauschal als Rassisten sehen, nur weil es diesen unsäglichen Thüringer Heimatschutz gibt bzw. das NSU-Trio. Ganz so simpel ist es doch nun nicht, oder?
Ich war hoch im Norden, in Warnemünde in der Sauna und begegnete einem alten Scheusal. Ich hatte zuvor das kleine, groarartige Buch "Adressat unbekannt" gelesen. Das Scheusal sitzt in der Ecke und röchelt vor sich hin. Ich sitze schon gut 8 Minuten in der Sauna, da betritt er sie und sitzt lethargisch und starrt vor sich hin. Ein weiterer Saunagast betritt den Raum. Plötzlich wird das Scheusal munter. „Ich habe jetzt gerade über Fußball gelesen und festgestellt, dass die Juden in der europäischen Liga mitspielen. Warum tun die das, das sind doch Asiaten.“
Mir wird übel. Ich schaue dem Scheusal ins Gesicht und antworte kurz und knapp: „Weil sie zu unserer europäischen Geschichte gehören. Diese Geschichte endete vor 60 Jahren, weil die deutschen Väter eine unermessliche Schuld auf sich geladen haben. Ihre Äußerung ist antisemitisch, geprägt von einer nicht aufgearbeiteten Geschichtevergangenheit. Simpel und dumm. Aber nun ist es an der Zeit, und es wird nicht mehr lange dauern, da wird das alles endlich zu Grabe getragen. Und wenn ich sie so betrachte, kann das Gott sei Dank gar nicht mehr so lange dauern. Ich kann es nicht ertragen, mit Antisemiten in der Sauna zu sitzen!“ Ich stand auf, blickte dem Scheusal noch einmal tief in die Augen und verließ die Sauna.
Diese Erfahrung einfach einmal zur ostdeutschen Sozialisierung. Ich weiß aber auch was Baumgarten meint. Ich in meiner ostdeutschen Sozialisierung bin äußerst sensibilisiert, wie Baumgarten bestimmt auch. Er ist kein Rassist und kann es nicht sein. Ist es auch nicht. Er stellt richtige Fragen. Die sind umbequem und nicht gewollt.
Das Gaorki hat gerade mit einem fröhlichen Revolutions-, Aufbruchprogramm geschlossen, leider!!! Aber, was bleibt von revolutionären Gedanken. Palmetshofer hat das Schuldengenital geschrieben, räuber franz + karl, genial inszeniert, verkannt, verissen.
Schade all dieses Unverständnis. Bleiben die komischen Momente "O Boy" oder "Frau Luna".
Bin ich noch zu verstehen?
Die Welt ist aus den Fugen. Zum Glück nicht zum ersten Mal.