Bühnen zu Waffenkammern

3. Januar 2023. Was für ein Jahr! Man glaubte die Corona-Krise langsam überwunden, da schlug der russische Krieg gegen die Ukraine mit voller Wucht zu. Und es wurde nichts mit dem Aufschwung aus dem Depri-Loch. Stattdessen: Debatten um Waffenlieferungen, Zeitenwende, autoritäre Gelüste in Teilen der Bevölkerung, Energiekrise, Schuldenkrise.

Wer mag da an Kunst denken?

Kostüme im Friedrichstadtpalast Berlin © sle

30. Januar 2022. Aber wie sagte Regisseur Herbert Fritsch auf der Konferenz "Theater und Netz" im Mai 2022 zur Frage, wie man in diesen Zeiten an der Kunst der Komödie festhalten könne: "Wenn nicht mehr genug Angebot da ist, nicht mehr genug Öl oder Gas. Wenn es nichts mehr zu lachen gibt, dann ist das ein wertvolles Gut. Und um dieses wertvolle Gut möchte ich kämpfen."

JANUAR

Der Jahresauftakt hat noch einen Tauwettermoment: Regisseur Kirill Serebrennikow ist nach vierjährigem Reiseverbot und Hausarrest in Moskau unerwartet in Hamburg eingetroffen, um am Thalia Theater "Der schwarze Mönch" von Anton Tschechow zu inszenieren.

Die Corona-Pandemie verliert ihren Schrecken: Die Theater spielen wieder vor Publikum mit Sicherheitsauflagen (Abstand, Maskenpflicht, Genesungs- oder Impfnachweis). Der Dramatiker Harald Müller stirbt im Alter von 87 Jahren; seine "Stücke wurzeln in den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts und weisen in der Schroffheit, mit der sie ihre dystopischen wie hoffnungslosen Szenarien entwerfen, doch weit darüber hinaus", schreibt Esther Slevogt. In Wien bringt Claudia Bauer das Jandl-und-Mayröcker-Maskenspiel "humanistää" auf die Bühne des Volkstheaters. Es wird die Inszenierung der Saison.

FEBRUAR

Mit den großen Theaterleuten Dieter Mann und Hans Neuenfels verliert das deutsche Theater im Februar zwei exemplarische Figuren der Theatersysteme des geteilten Deutschlands – Ost und West. Dass diese Geschichte der Nachkriegs-Teilung noch längst nicht verarbeitet ist, auch auf globaler Ebene nicht, wird dann am 24. Februar klar, als Russland die Ukraine überfällt. "Putin will die Sowjetunion zurück", sagte die Dramatikerin Sasha M. Salzmann im Interview kurz nach Kriegsbeginn. Berichte aus Lviv und Kyiv handeln davon, wie Theater zu Luftschutzeinrichtungen für die bedrohte Zivilbevölkerung werden.

MÄRZ

Der März steht ganz im Zeichen des alle Gewissheiten erschütternden Krieges – darf man in solchen Zeiten überhaupt noch von Kunst sprechen? Man muss es sogar, weil sich Kunst und Leben nicht trennen lassen. Georg Kasch plädiert in seiner Kolumne für das Aushalten von Ambivalenzen. Während Alla Shenderova beschreibt, wie in Moskau unter den Repressalien der Kriegspolitik eine Blütezeit des Theaters im Zeitraffer verdorrt. Oleksii Palianychka berichtet vom Überleben in Lviv, Lena Myhashko debattiert Boykotte russischer Kultur und Regisseur Alvis Hermanis liest im Interview Deutschland die Leviten.

shelter in teatr powszhechny 1 Lena Myhashko uIm Theater werden aus Büros, Bühnen und Kellerräumen Notunterkünfte für Geflüchtete und Ausgebombte © Lena Myhashko

Aber auch ästhetische Debatten werden vor dem Hintergrund des Krieges geführt, etwa von Dramatikerin Caren Jeß, die in einem Essay gegen Eindeutigkeiten in der Kunst plädiert in einer Zeit, in der alle aufgefordert seien, sich zu positionieren. Theaterstücke müssten nicht Recht haben, Kunst sei kein Unterricht, so Jeß. Ihr Fazit: "Die zeitgenössische Dramatik sollte nicht zu vorsichtig sein, sich nicht verstecken hinter unangreifbaren Texten."

APRIL

Das Schauspiel Stuttgart gibt bekannt, der britischen Autorin Caryl Churchill den Europäischen-Dramatiker:innen-Preis verleihen zu wollen. "Mit ihrem formal und inhaltlich anspruchsvollen Werk forderte Churchill Kritik und Publikum immer wieder heraus", heißt es in der Jurybegründung. Später im November wird dieser Satz einer harten Realitätsprobe unterzogen werden. Eine andere Form herausfordernder Kritik üben Regisseurin Yana Ross und Schriftsteller Lukas Bärfuss an den Salzburger Festspielen. Sie monieren "toxisches Sponsoring" durch das Bergbauunternehmen Solway, das für seine Geschäftspraktiken seit geraumer Zeit Vorwürfe erhält: "Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzung, Bestechung, Vertuschung, Einschüchterung und Verfolgung kritischer Journalist:innen". Die Liste ist lang. Später im Jahr werden die Festspiele ihre Zusammenarbeit mit Solway beenden.

reigen 2022 c sf lucie jansch 0002 1Yana Ross und Lukas Bärfuss kritisieren die Sponsoring-Verwicklungen der Salzburger Festspiele und zeigen beim Festival eine Neubearbeitung des "Reigen" von Arthur Schnitzler © Lucie Jansch

Die Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch beruft Regisseurin Friederike Heller zur neuen ordentlichen Professorin für Schauspielregie. Heller ist die erste Frau auf diesem Posten. Nahe Wien stirbt der österreichische Aktionskünstler Hermann Nitsch im Alter von 83 Jahren.

MAI

Bekannte Gesichter, beglückte Gefühle – nach zwei Jahren Streaming und Diskursbildung in Zoom-Format finden die großen Festival erstmals wieder als Präsenzveranstaltungen statt: Heidelberger Stückemarkt, Mülheimer Theatertage, Berliner Theatertreffen, Ruhrfestspiele, Passionsspiele Oberammergau. nachtkritik.de feiert fünfzehnten Geburtstag und Redakteurin Christine Wahl beschreibt den Wandel der Theaterkritik in den Jahren seit 2007: Von der Öffnung der "Einbahnstraße" der Kritik zurück in eine neue Form von Einbahnstraße, "nur unter anderen Vorzeichen: Während die Gegenfahrbahn seinerzeit blockiert war, sitzen heute alle zusammen im Bus und sind in die gleiche Richtung unterwegs."

Die Konferenz "Theater und Netz", die nachtkritik.de gemeinsam mit der Heinrich Böll Stiftung in Berlin seit 2013 veranstaltet hat, findet ein letztes Mal in Berlin statt. Mit Reflexionen des digitalen Theaterschaffens seit Corona und Diskussionen zur Theaterarbeit unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges. Unter anderem denken Anne Lenk und Herbert Fritsch über Komödie in Zeiten des Krieges nach. Und Herbert Fritsch ("Ich kann nur Fratzen schneiden") gibt sein Fazit: Lachen ist nötig, "weil es einen Abstand zur Welt herstellt, der es erlaubt, weiter mit Vernunft auf die Ereignisse zu schauen."

Juni

Die Theatersaison 2021/22 legt sich in die Schlusskurve. Was allerdings nicht endet, ist die Debatte um sinkende Besucher:innen-Zahlen: "Publikumsschwund" wird zum Buzzword des Jahres. Sophie Diesselhorst begibt sich auf Ursachenforschung bei Zuschauer:innen und Expert:innen, während Esther Slevogt darüber nachdenkt, was die Kultur von der (Verkehrs-)Politik lernen kann und auf Twitter fragt: "Wann wird eigentlich ein 9-Euro-Ticket für Theater und Oper eingeführt?"

Mit besonders niedrigen Auslastungszahlen sieht sich die Dortmunder Schauspielintendantin Julia Wissert konfrontiert – was in der Lokalpresse zu Diskussionen über ihr diskurslastiges Diversifizierungsprogramm führt. Hinzu kommen Vorwürfe eines dogmatischen Führungsstils; die Nachricht vom Weggang der Chefdramaturgin Sabine Reich irritiert. Max Florian Kühlem spricht mit beiden und recherchiert die Konfliktlage.

JuliaWissert 1 560 Birgit Hupfeld uDortmunds Schauspiel-Intendantin Julia Wissert © Birgit Hupfeld

Einen Durchbruch vermelden die Künstler:innengewerkschaften GDBA, VdO und BFFS: Sie einigen sich mit dem Deutschen Bühnenverein auf satte Tarifsteigerungen: Die Mindestgage und die Gagen für Gäste an den Theatern werden um mehr als 30 Prozent erhöht.

Ansonsten schaut die Theaterszene nach NRW, wo Sivan Ben Yishai den Mülheimer Dramatikpreis gewinnt, und die komplette Kulturwelt – wie auch Janis El-Bira in seiner Kolumne – blickt nach Kassel, wo ein Bild der Gruppe Taring Pardi wegen Antisemitismusvorwürfen entfernt und in der Folge für monatelange Debatten sorgen wird.

JULI

Das Sommerloch ist nicht tief. Der Monat beginnt mit einer die Branche überraschenden Nachricht: Das Theatertreffen bekommt eine neue, kollektive Leitung. Gemeinsam mit der Kritiker:innen-Jury soll sie von nun an die Geschicke des Leuchtturm-Festivals koordinieren. Die brisante Personalie wirft viele Fragen auf – Christian Rakow denkt über einige nach.

Theater- und Filmregisseur Peter Brook, der große, stilbildende Sozialethnograph, stirbt im Alter von 97 Jahren. Das Gespenst Publikumsschwund tritt in die Hochphase seines Spuks. Die Landestheaterintendanten André Nicke und Thorsten Weckherlin fordern einen kulturellen Zukunftsplan. Auch der Blick über den deutschsprachigen Tellerrand ist alarmierend: Russlands Theaterlandschaft wird massiv umgebaut, kritische oder ästhetisch "verdächtige Künstler:innen" aus Leitungspositionen gedrängt und durch regimetreue Akteur:innen ersetzt. Die derzeit im deutschen Exil lebende Journalistin Alla Shenderova analysiert für uns weiter die Lage.

Und eine zweite Todesmeldung trifft ins Herz der Branche. Der Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann, der Erforscher und Chronist des postdramatischen Theater, stirbt im Alter von 77 Jahren.

August

Die Diskussion über die Pläne für einer Erneuerung des Berliner Theatertreffens hält die Theaterszene weiter auf Trab: Christine Wahl fragt bei Festspiel-Intendant Matthias Pees deswegen nach, was das Theatertreffen in Zukunft von anderen Festivals noch unterscheiden soll. Währenddessen rauscht der Festivalsommer: Thorsten Lensing inszeniert zum ersten Mal ein selbst geschriebenes Stück bei den Salzburger Festspielen, Barbara Frey zeigt Arthur Schnitzlers "Das weite Land" auf der von ihr geleiteten Ruhrtriennale.

Wie der pandemiebedingte Lockdown den deutschsprachigen Theaterinstitutionen zugesetzt hat, ist in der Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins nachlesbar. nachtkritik.de-Redakteurin Sophie Diesselhorst findet in ihrem Filmessay "Publikumsgespräch" Antworten auf die Frage, wo das Publikum geblieben ist.

September

Der Saisonstart 2022/23 wird überschattet von Befürchtungen: Wie wird die Energiekrise die Kulturinstitutionen treffen? Anfang September beschließt die Bundesregierung das Entlastungspaket III, rund eine Milliarde Euro können dem Kultursektor zugutekommen. Von gemischten Gefühlen in der Branche kündet eine Stimmensammlung des Netzwerks Performing for Future, im Theaterpodcast ist Wesko Rohde von der DTHG zuversichtlich, dass die Theater gut aufgestellt sind. Gegen den Publikumsschwund könne Künstliche Intelligenz helfen, sagt der Tech-Gründer Hanes Tronsberg.

Felicia Zeller 1200 privat uDramatikerin Felicia Zeller in der Galerie zum Weltklimastreik im September 2022 © privat

Ein Gerichtsurteil entscheidet für den ehemaligen Volksbühnen-Intendanten Klaus Dörr: Der taz, die Dörr 2021 mit #MeToo-Vorwürfen konfrontiert hat, wird die justiziable, aber nicht belegte Behauptung des Upskirting untersagt. Am Rosa-Luxemburg-Platz sorgt unterdes Florentina Holzinger mit ihrem neuen Hit "Ophelia’s Got Talent" für ein volles Haus. Benny Claessens fällt mit einer Kritikerinnenbeschimpfung auf. Die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek wird für eine spekulative Regierung der Dichter als Familienministerin vorgeschlagen und lehnt ab, weil sie keine Deutsche sei und keine Ministerin sein möchte: "Die Deutschen spielen nicht".

Die umstrittene documenta 15 biegt in die Zielgerade. Der Krieg gegen die Ukraine dauert an – die Theaterkritikerin und Journalistin Lena Myhashko beschreibt in einem Essay ukrainische Theaterinszenierungen der letzten Jahre, die vom Prozess der ukrainischen Identitätsbildung nach dem Euromaidan 2014 und von den "Grauzonen" der russisch besetzten Gebieten erzählen. Mit Michail Gorbatschow und Queen Elizabeth II. versterben zwei Granden der internationalen Politik. Und im Iran beginnen nach dem Tod von Mahsa Jina Amini in Polizeigewahrsam die Proteste gegen das Regime.

Zum globalen Weltklimastreik von Fridays For Future sagen uns Künstler:innen wie Sibylle Berg oder Felicia Zeller, was das Theater in der Klimakrise ausrichten kann.

Oktober

Am Zürcher Schauspielhaus unter der Intendanz von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg wird die ganzjährige Debatte um sinkende Zuschauerzahlen kulturpolitisch zugespitzt (mancher würde sagen: ausgeschlachtet). Mit seiner Öffnung ins Internationale und Richtung diverse Gesellschaft wird es von der ortsansässigen Presse als “House of Wokeness” angegriffen. Die Zürcher Nachtkritikerin und Theatertreffenjurorin Valeria Heintges analysiert den Fall und gibt den Blick frei auf ein Theater in Umbrüchen, die die ganze Gesellschaft betreffen.

Dortmunds ausgeschiedene Cheframaturgin Sabine Reich hat eine These, was gegen den Publikumsschwund helfen könnte: "Theater muss mehr denn je der Zwischen-den-Menschen-Raum sein, in dem wir kochen, trinken, reden, zuhören", schreibt sie in ihrem Plädoyer für ein freieres, offeneres, vielfältigeres Stadttheater. “Vielleicht ist die Mitte des Theaters keine Bühne, sondern ein Tisch oder viele Tische. Dann werden die Räume des Theaters von Vielen genutzt für genau das, was sie gerade brauchen."

Zuerich Pfauen Andreas Graber uDer Pfauen, die Hauptspielstätte des in die Diskussion geratenen Schauspielhauses Zürich © Andreas Graber

Im Iran wächst die Menschenrechts-Bewegung im Anschluss an den Tod von Mahsa Jina Amni, und die Schauspielerin und Theaterwissenschaftlerin Maryam Palizban berichtet im Interview mit Esther Slevogt vom gefährlichen Kampf gegen das Patriarchat, und wie das Mullah-Regime Theater und Film kontrolliert. Das Monatsende bringt die traurige Nachricht vom Tod der Theaterkritikerin Petra Hallmayer, die über lange Jahre eine der prägenden Stimmen in der Münchner Theaterkritik und eine Autorin der ersten Stunde von nachtkritik.de war.

November

Im November rückt das Theater gleich doppelt ins Zentrum einer gesamtöffentlichen Debatte: Wo beginnt Antisemitismus? Eigentlich hätte, wie im April entschieden, die britische Dramatikerin Caryl Churchill in Stuttgart den Europäischen Dramatikpreis erhalten sollen. Doch nach Antisemitismusvorwürfen und Kritik an Churchills BDS-Engagement macht die Jury einen Rückzieher. Der Entscheidung folgt eine wochenlange Kontroverse, in deren Verlauf sich unter anderem israelische Künstler:innen mit Churchill solidarisieren, aber auch das unsouveräne Vorgehen der Jury aus unterschiedlichen Perspektiven kritisiert wird.

Die Churchill-Debatte läuft noch, da bringen zwei jüdische Studierendenverbände in München ihre Kritik an Wajdi Mouawads Erfolgsstück "Vögel" vor. Auch hier lautet der Vorwurf: Antisemitismus und Relativierung des Holocausts. Am Münchner Metropoltheater wird "Vögel" daraufhin vom Spielplan genommen.

Um ästhetische Kontroversen und unterschiedliche dramatische Methoden geht es in der ganzjährigen Reihe "Streitfall Drama" (in Kooperation mit dem Literaturforum im Brecht-Haus Berlin), die im November mit Gesprächen zwischen Yael Ronen und Marta Górnicka sowie Theresia Walser und Falk Richter zu Ende geht.

Dezember

2022 war ein Jahr der schmerzlichen Abschiede von Großen der Theaterwelt. Manuel Soubeyrand, Schauspieler am Berliner Ensemble bis in die 1990er, Regisseur und zuletzt Intendant an der Neuen Bühne Senftenberg, stirbt an den Folgen einer Corona-Erkrankung.

NikolausMerck2018 LillyMerckJPGTheaterkritiker und nachtkritik-Mitgründer Nikolaus Merck (1957–2022) © Lilly Merck

nachtkritik.de trauert: Nikolaus Merck, der Fordernde und Umarmende, der freundliche Streiter, Mitgründer von nachtkritik.de und unermüdlicher Redakteur bis zuletzt, stirbt im Alter von 65 Jahren an einer Krebserkrankung: "nachtkritik.de kennt eine solche Funktion nicht, doch man könnte Nikolaus Merck als idealen Herausgeber verstehen, als ein solcher, der nie Chef oder Vorgesetzter war oder sein wollte, sondern seine Aufgabe vielmehr darin erkannte, diese Gruppe und die von ihr selbst formulierten Regeln zu schützen", schreibt die Redaktion im gemeinsamen Nachruf.

Am Schauspiel Leipzig fliegen derweil die Fetzen, weil zwei wichtige Schauspielerinnen des Ensembles nicht verlängert wurden, was zu Zerwürfnissen führte. Die Intendanz spricht Hausverbote aus. Ein No Go für Hausregisseurin Claudia Bauer, die im Interview Klartext spricht.

In Wien gab's eine lange Hängepartie um die Intendanz des Burgtheaters, der größten und wichtigsten Schauspielbühne der deutschsprachigen Theaterlande. Noch-Intendant Martin Kušej  zieht kurz vor Verkündung der neuen Direktion seine Kandidatur um eine Verlängerung genervt zurück. Tags darauf wird Stefan Bachmann als Burgtheater-Direktor ab 2024 benannt. Der hochdekorierte Regisseur wechselt vom Schauspiel Köln. "Stefan Bachmanns charmante Geschmeidigkeit, bürgerliche Beweglichkeit und schweizerische Gewissenhaftigkeit könnten es in Wien richten", schreibt Andreas Wilink in seinem Kommentar.

So naht der Jahreswechsel mit einem Quantum Aufbruchsstimmung. Die Hausverbote in Leipzig fallen, in Göttingen gewinnt der Schauspieler Nikolaus Kühn einen richtungsweisenden Arbeitsrechtsprozess gegen das Theater, Virologe Christian Drosten verkündet das Ende der Corona-Pandemie in diesem Winter – während der russische Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung mit Angriffen auf Mensch und Infrastruktur nicht abebbt, während im Iran zu Tausenden Kritiker:innen des Regimes inhaftiert werden (darunter auch viele Theaterkünstler:innen), während es Fantasie braucht, um sich eine Welt vorzustellen, die dem Klimakollaps entkommt. Es bleibt viel Raum, Besseres zu imaginieren und Gegebenes zu reflektieren für die Bühnen im Jahr 2023.

Kommentare  
Rückblick 2022: Existenzbegründung der Kunst
Deutschland ist das einzige mir bekannte zivilisierte und demokratische Land der Welt, wo Kunst - darunter alles Komische und Komödiantische im besonderen - immer irgendwie unter Generalverdacht steht und stets erst ihre Nützlichkeit für die Gesellschaft beweisen muss. Wohingegen alles Ideologische und Politische mitunter geradezu fetischistisch aufgewertet und idolisiert wird. Was wiederum dann die Kunst in Zugzwang bringt, ebenfalls unbedingt politisch und ideologisch sein zu wollen (weil sonst der Vorwurf aufkommt, „unpolitisch“ zu sein, was in Deutschland manchmal bezeichnenderweise als Makel angesehen wird).
Vielleicht ist das ein Erbe des Protestantismus, des Nationalsozialismus sowie der DDR gleichermaßen. Und es hat den Hauch des Totalitären.
In anderen demokratischen Ländern jedenfalls benötigt Kunst keine gelegentlich ziemlich nervende Existenzbegründung durch dauernde, nicht selten zwanghaft anmutende Bezugnahme auf bzw. Anpassung an Politik und Ideologie. Und natürlich werden anderswo Komik und Komödie als große, erhellende, subversive, anarchische, die menschliche Existenz und ihre Absurditäten entschlüsselnde Kunstformen anerkannt. Sie sind einfach zentraler Bestandteil dessen, was als Kultur bezeichnet wird. Eine Kultur, die nicht mehr spielt und nicht mehr lacht und immer ängstlich auf die obrigkeitsstaatliche Heiligsprechung durch Politik und Ideologie wartet, hat sich eigentlich selbst aufgegeben.
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