Carl Philip von Maldeghem tritt sieben Tage nach seiner Ernennung wieder zurück als Intendant vom Schauspiel Köln
Notlösung ohne Not
von Dorothea Marcus
Köln, 1. Februar 2019. Der Rücktritt von Carl Philip von Maldeghem ist eine Erleichterung. Und das nicht, weil er ein schlechter Intendant geworden wäre – im Gegenteil, er hätte wohl ein solides, theaterpädagogisch gestütztes, konservatives und unterhaltsames Abonnenten-Programm garantiert. Gestern Nachmittag hatten wir für nachtkritik.de noch ein Interview geführt, Carl Philip von Maldeghem war aufgeräumt, überaus freundlich und schien sich wirklich auf Köln zu freuen.
Seinen Beruf als Intendant in Köln ganz neu erfinden wollte er, mitten in die Stadtgesellschaft gehen, neue, auch migrantische Communities erreichen, mindestens zu 50 Prozent Regisseurinnen einsetzen – und das alles ganz hierarchiearm, keine Macht-, sondern eine "Gestaltungsposition" bekleiden. Noch vor der Autorisierung des Interviews, aber nachdem sich täglich neue, entsetzte Stimmen über die Art und Weise seiner Wahl meldeten, kam dann am Freitag Nachmittag die Nachricht: er tritt zurück.
Drei Auswahl-Juroren unter sich
Dass er nicht in der ersten Theaterliga spielte, kann man dem sympathischen, klug und kommunikativ wirkenden Maldeghem gewiss nicht vorwerfen, auch wenn die Vorwürfe natürlich kamen. Dafür, dass die Stadtspitze den amtierenden Intendanten Stefan Bachmann, den sie noch nicht einmal von der Verkündungs-Pressekonferenz unterrichtete, übel brüskierte, kann er auch nichts.
Auch, dass sich Carl Philip von Maldeghem nach einem Anruf der Kölner Kulturdezernentin höchstpersönlich um diesen Posten bewarb, ist nur zu verständlich – ebenso, dass er den eigenen, unerwartet großen Karriereschritt nach der Entscheidung für ihn nicht ausschlug.
Empörend und beschämend war an seiner Berufung nur eins: das selbstherrliche Gebaren der Kölner Kulturpolitik, ohne jede Diskussion mit der Stadtgesellschaft einen Intendanten zu installieren, der in der dritten Liga spielt, überregional nie aufgefallen war und schon gar nicht mit so etwas wie politischer Reibung oder Innovation. Eine künstlerische Notlösung ohne Not, weitgehend im Alleingang getroffen. Denn die Kölner Kulturdezernentin und die Kölner Oberbürgermeistern haben sich bisher nicht gerade als Theaterfachfrauen hervorgetan. Wie der pensionierte Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins, Rolf Bolwin, diese Entscheidung befürworten, gar mitinitiieren konnte, bleibt ein Rätsel.
Hinter der Entscheidung der dreiköpfigen Kommission scheint ein konservatives Theaterverständnis zu stecken, an dem jede kulturelle Debatte der vergangenen Jahre vorbeigerauscht ist, die diversere, weiblichere, heterogene Kollektive fordern. Die Entscheidung, dem freundlichen Intendanten der lieblichen Stadt Salzburg im urban ungleich schwierigeren Köln eine kulturpolitische Machtposition zu geben, erscheint niederschmetternd ignorant gegenüber allen Theaterdiskursen, weil man Theater nur wirklich als repräsentativ denken kann, wenn es die gesamte Gesellschaft anspricht, weil man althergebrachte Hierarchien nur verhindern kann, wenn man dies bereits in den Strukturen vorbereitet.
Viel Gegenwind
Doch ein womöglich weiblich getragenes Kollektiv, von Thomas Schmidt als übrigens letzte Rettung der deutschen Stadttheaterlandschaft gesehen, wurde für Köln offenbar nicht einmal in Erwägung gezogen. Kein einziges öffentliches Forum gab es, in dem die Stadtbevölkerung und Theaterfachleute Wünsche und Erfordernisse für ein Stadttheater hätten formulieren können.
Gut ist, dass es offenbar doch nicht möglich ist, so wichtige kulturpolitische Entscheidungen im Quasi-Alleingang zu treffen. Spätestens, seit sich Navid Kermani gestern in die Diskussion eingeschaltet hat und die katastrophale Kulturpolitik der Stadt im Kölner Stadtanzeiger öffentlich angriff, hat wohl auch Carl Philip von Maldeghem erkannt, welch schweren Stand er mit seiner Art von Theater in der Großstadt gehabt hätte. Auch wenn er gestern im Interview klar kritisierte, dass dass man sich einerseits für Offenheit einsetzt und dann überhaupt keine Offenheit zeigt einer Überraschung gegenüber. Er hat klug entschieden. Jetzt ist der Weg hoffentlich frei für eine echte Diskussion darüber, was Köln braucht. Was ein Theater in einer Großstadt leisten kann und soll, und wen es repräsentieren und erreichen will.
Mehr dazu:
Carl Philip von Maldeghem wechselt nicht nach Köln - Meldung vom 1. Februar 2019
Köln hat einen neuen Intendanten für sein Schauspielhaus bestimmt - Kommentar von Andreas Wilink, 24. Januar 2019
Neue Intendanz in Köln: Carl Philip von Maldeghem - Meldung vom 24. Januar 2019
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(...)
Zu kritisieren ist vorallem die Suche und Begründung der Kommission gewesen.
Die ist garnicht innovativ gewesen.. jetzt allerdings quasi zu verlangen die neu zusammenzusetzende Kommision soll eine „Frauen besitze Kollektiv“ finden,empfinde ich als ebenso oberflächlich und der Sache nicht dienlich!
Zum einen sind die Strukturen des Theaters schlicht veraltet, dass ein Herr Bolwien, der jahrztelang eine Reform von NV-Bühne nicht maßgeblich vorangetrieben hat, solle bekannt sein..
Ich denke die Art der Suche muss sich neben den Theaterstrukturen ändern.. alles schön und gut „in die Stadt gehen“ etc etc etc.. aber was ist mit Führungspersönlichkeit, ein Interesse die Festangestellten Küntlerinnen und Künstler zu fördern und fordern.
Und dazu braucht es nicht Mitglieder des Bühnenvereins und Intendanten die ihre bevorzugten RegiseurInnen in Position zu bringen..
In die kommision gehören endlich Schauspieler, Ausstatter und ander NV-Bühne beschäftigten!
Das wäre ein wirklich erste schritt aus dem ewig gleichen Topf Leute zu finden.
Maldeghem Hat mit diesem sehr respektablen Schritt allerdings eins bewiesen, dass er sehr sehr verantwortungsvoll agiert.. und eine hysterische Öffentlichkeit hat hier jemanden im Vorfeld verhindert..
Ich kenne seine Arbeit in Salzburg nicht, do ist es auch schade, dass man einem Intendanten aus der dritten Liga diesen Schritt nicht zu traut..
angesichts ihrer Beschreibung eines Menschen, der als Intendant des Stadttheaters in Köln vorgesehenen war, als jemand, "der in der dritten Liga spielt, überregional nie aufgefallen war, schon gar nicht mit so etwas wie politischer Reibung oder Innovation", stellt sich die Frage, aus welcher Perspektive sie das beschreiben. Aus der Perspektive der ersten Liga-Kritikerin oder der zweiten, dritten... Ich finde diese Art der Vernichtung eines Künstlers, der noch nicht einmal die Chance hatte sich zu bewähren, sehr bedenklich (...).
Mit freundlichen Grüßen,
Frank Hörner
Es ist so lächerlich. Natürlich muss die Stadt sich fragen, was sie will. Und jetzt so zu tun, als hätte es nicht zumindest Zweifel an der Führungsqualität von Bachmann gegeben, ist Unsinn. Welche Art der Leitung will man, welches künstlerische Profil usw. Und wenn man eine Frau haben kann, ja sollte man sie hole , einfach aus Gründen der Parität. So sehe ich das.
Es kann ein inhaltlicher Vorteil entstehen, wenn durch die Erfahrungen struktureller Benachteiligung ein anderes Führungsmodell angestrebt wird. Oder wenn vermeintlich "weibliche" Themen wie Mutterschutz, Bezahlung oder Arbeitszeiten beherzt angegangen werden. Oder wenn ein alteingesessenes Netzwerk von traditionell männlichen Entscheidungsträgern durch eine frische Stimme auf Augenhöhe ergänzt wird.
Aber -Obacht- jetzt kommt der Knaller: das muss auch nicht geschehen.
Frauen sind nicht die besseren Menschen. Sie sind genauso durch Macht korrumpierbar, weil sie eben auch Menschen sind (um mal Hannah Gadsby einzuflechten).
Und GENAU DESHALB ist die disproportionale weibliche Abwesenheit in Führungspositionen nicht gerechtfertigt.
Wissen Sie was nervt? Nach all den Sendungen, Diskussionen, Seminaren und Artikeln (vor allem) der letzten Jahre, in denen bis zum Gehtnichtmehr differenziert wurde a) wenig von Konsequenz passiert ist, und b) das Grundlegende geflissentlich missverstanden wird.
Das aktuelle sexistische, kapitalistische und homophobe Theater-System bleibt mit einer Frau an der Spitze sexistisch, kapitalistisch und homophob.
Dieser ekelhafte Ivanka-Trump-Pseudofeminismus, diese riesengroße Lüge des Kapitalismus heißt nichts anderes als einzelne ohnehin privilegierte Frauen noch reicher zu machen, um Frauen allgemein weiterhin Gleichberechtigung verweigern zu können.
Und das klappt auch bestens, denn Frauensolidarität gibt es nicht. Traurig, und deswegen läuft es genauso sexistisch und homophob weiter.
@hannes: Ja. Kollektive können auch Monster gebären, und doch sind für die Zukunft Leitungskollektive, die ausgeglichen besetzt sind, ein wichtiger Ansatz. Gerade wenn man sich bewusst macht, dass autoritäre Bewegungen aktuell erstarken, ist es zentral, dass die Theater - überhaupt öffentlich-rechtliche Institutionen - demokratischer aufgestellt werden. Wenn es die AfD schafft tiefer in die Mitte vorzudringen, ist es zentral, dass sie nicht Institutionen vorfindet, die von Intendanzen regiert werden. Wenn die Theater ihre Funktion als Demokratieverstärker wahrnehmen sollen, müssen sie auch so aufgestellt sein, dass sich potentiell autoritäre Politik nicht auch an diesen Institutionen ausdrücken kann. Deshalb führt auch die Diskussion ob Person X oder Y ein Theater als TheaterfürstIn regiert, am Thema vorbei. Wir müssen reden über die Demokratisierung von „Führung“. Ansätze wie in Zürich am Neumarkt und Schauspielhaus weisen in eine gute Richtung, gerade auch für Deutschland
Kollektive finde ich grundsätzlich spannend, ich habe allerdings Vorbehalte. So ist es bei gemischten Kollektiven oder Doppelspitzen des Öfteren zu beobachten, daß sie eher als Sprungbrett für eine männliche Einzelkarriere dienen und so trotz aller guter Vorhaben das "System" nicht geknackt sondern bestätigt wird.
@14: schauen Sie mal auf das gerade auf nachtkritk veröffentlichte Interview mit Anna Bergmann.
Im Moment ist es so: Stadt sucht (wie auch immer..) eine/n Intendantin/en, diese/r ein Leitungsteam bestehend aus vielen Dramaturgen und manchmal Regisseuren/innen, die machen einen Spielplan und die engagieren Schauspieler, Regisseur/innen, Ausstatter/innen.
Als Schauspieler bin ich nicht nur weisungsgebunden, sondern abhängig vom Wohlwollen der/des Intendanten... das schafft Abhängigkeit... also das permanete Austauschen der Ensembles schafft schon gleich ein "undemokratische" Abhängigkeit. Diese ist per se durch ein Leitungskolletiv zu lösen..
Im Moment kenne ich KEIN/E Theaterleiter/in (ich kenne natürlich nicht alle), die im Zweifel und trotz aller Gegenargumente an einer Stelle sagen: "Wir machen das aber so, ich will das so!" Dieses Ausleben der Hierachie ist aus meiner Sicht allgegenwertig..
Die Schweizer (Kultur)Politik kenne ich nur auf Abstand. Die SVP bildet da seit vielen vielen Jahren die Mitte der Gesellschaft ab. Welche Rolle spielten Ihrer Meinung nach Leitungsmodelle öffentlich-rechtlicher Institutionen im Aufstieg und hoffentlich baldigen Niedergang der Rechtspopulisten dort?