Medienschau: Berliner Festspiele – Diskussion: Festivals der Zukunft
Eine zu deutsche Veranstaltung
Eine zu deutsche Veranstaltung
6. Juli 2022. Für das Berliner Theatertreffen diskutieren die Theatermacher*innen Amelie Deuflhard (Kampnagel Hamburg) und Matthias Lilienthal (Ex-HAU und Ex-Münchner Kammerspiele) ihre "Vision für Festivals der Zukunft" (abrufbar in der Mediathek der Berliner Festspiele).
In Zeiten der zunehmenden Internationalisierung von Arbeitsbeziehungen müssten kuratorische Teams diverser aufgestellt sein, so die übereinstimmende Meinung der beiden. Im Zuge ihrer Diskussion kommen sie auch auf das Berliner Theatertreffen als Festival der "zehn bemerkenswertesten" deutschsprachigen Inszenierungen einer Saison zu sprechen, die von einer Jury von sieben Theaterkritikerinnen ausgewählt wird.
Aus Lilienthals Sicht sei das Theatertreffen eine "sehr 'nationale' Angelegenheit, also im Sinne eines "deutschsprachigen Gebietes", und setzt insofern unbewusst auch koloniale Strukturen fort." Öffnungen in Richtung freie Gruppen abseits des Stadttheaters seien "bisher total halbherzig". Den Fokus auf den deutschsprachigen Raum macht Lilienthal als Manko aus, denn das stehe "quer zu unserer Erfahrung, dass die Theaterkultur sich längst von dieser Sprache gelöst hat"; etwa ein Drittel von Arbeiten im Produktionshäuserverbund seien auf Englisch. "Diese Vielsprachlichkeit und Diversität müsste sich natürlich auch in einem Festival wie dem Theatertreffen anders ausdrücken", sagt Lilienthal.
Deuflhard sekundiert: Der "Best of"-Charakter des Festivals sei "kein zukunftsweisendes Prinzip" – "obwohl es ein überaus erfolgreiches Prinzip ist. Ich glaube, wenn wir das auflösen würden, würden wir richtig viel Stress kriegen." Statt dem "universalistischen Anspruch" in der Auswahlfrage präferiert sie, Festivals mit "kuratorischen Fragen (zu) hinterlegen, einer räumlichen Fragestellung oder einer zu den aktuellen Krisen".
Lilienthal schlägt als Erweiterung der Frauenquote (die er begrüßt) auch eine "Migrationsquote" vor. "Ich fände es extrem sinnvoll, das Theatertreffen als deutsche Veranstaltung aufzulösen und in ein europäisches Festival zu überführen", sagt er.
Deuflhard stellt flankierend das Prinzip der Kritiker:innenjury infrage: "Ich glaube, das kommt noch aus einer Sicht auf Journalismus, die nicht mehr zeitgemäß ist: Dass Journalist*innen neutral auf irgendetwas gucken. Sie sind genauso wenig neutral oder objektiv wie wir." Obendrein sei das Gros der Journalist:innen in Deutschland "weiß" und es gäbe unter ihnen "mehr Männer als Frauen".
(berlinerfestspiele.de / chr)
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Und englischsprachige Inszenierungen nicht?
Ist das vielleicht ein bisschen bubble Diskurs?
Ich fänds jedenfalls klasse, auch ohne Fremdsprachenunterricht ins Theater gehen zu können.
Das TT zu einem Europäischen, Internationaleren Theatertreffen zu machen bedeutet die Überführung in eine Form, die kaum mehr zu unterscheiden ist von Dutzenden anderen Festivals in Europa. Das wäre doch nichts anderes als die Abschaffung des TT in seiner jetzigen Form.
Ich plädiere für eine Beibehaltung der Kritiker:innen-Jury, schon allein auch deshalb, weil (wie auch hier anschaulich zu lesen) Kulturjournalismus und Theaterkritik selbst zu den bedrohten Spezies gehört. Und ich plädiere für eine Beibehaltung des Fokus auf die großen Theaterbetriebe im deutschsprachigen Raum.
Sollte sich das ändern, müsste man eigentlich ein neues TT in einer anderen Stadt gründen, in Wien zum Beispiel, oder in Zürich. Oder in Bonn, wenn schon retro, dann richtig...
So sehr, dass die Kritiker*innen jetzt endlich aus dem TT vertrieben werden sollen, damit auch dort der übliche Klüngel aus befreundeten und abhängigen Kulturschaffenden ohne einen Blick von außen entscheiden kann. Wirklich schade, dass sich die beiden geschätzten Kolleg*innen für so ein plumpes Kritiker*innen-Bashing hergeben.