Kolumne: Als ob! - Warum das Theater als Kunstform überfordert wirkt
Formal wie gehabt
14. November 2023. Keine Weltkrise, kein Morden scheint zu gewaltig, als dass man es am Theater nicht in einer weitschweifigen Textfläche verquirlen könnte. Unsere apokalyptische Gegenwart hat kaum andere oder gar neue Formen hervorgebracht. Dabei ist es an der Zeit, sich auch ästhetisch endlich radikal in Frage zustellen.
Von Michael Wolf
14. November 2023. Mit leichtem Schaudern blickt man auf die letzten Jahre zurück. Die Massenfluchtbewegung von 2015, der Aufstieg des Rechtspopulismus, Corona, der russische Einmarsch in die Ukraine, nun der Krieg in Nahost – und im Hintergrund dräut beständig der Klimawandel.
All diese Herausforderungen hätten für sich bereits eine Gesellschaft und ihre Institutionen in hohem Maße in Anspruch genommen. Zusammengenommen hinterlassen sie die Wahrnehmung einer Gegenwart, in der die Krisen sich überlagern und die Resilienz von Menschen und Gesellschaftlichen auf eine harte Probe stellen.
Nah am Zeitgeist
In der Kulturbranche fehlt es sicher nicht an Sensibilität hierfür. Wann immer man Theatermacher auf diese anspricht, erweisen sie sich der drängenden Probleme sehr bewusst. Viele nahmen und nehmen auch öffentlich Stellung, verteidigen Aktivisten, verurteilen Gewalt, rufen zu Solidarität auf oder fordern den Rücktritt von Politikern. Die Künstler agieren also fraglos sehr nah am Zeitgeist.
Der Klimawandel hat seinen festen Platz im Spielplan, ebenso wie der Krieg, wie Sexismus, Rassismus und Antisemitismus. All das wird selbstverständlich verhandelt, in Stücken und Inszenierungen, in umgeschriebenen Klassikern. Und das ist gut so, das ist politisch geboten. Als soziale Institution erfüllt das Theater also seine Aufgabe, indem es dem Publikum die drängenden Themen präsentiert, über die es sich sodann austauschen kann.
Wo sind die neuen Formen?
Als Kunstform jedoch zeigt es sich überfordert. Denn die allenthalten geäußerten Erschütterungen drücken sich meist eben nur in Inhalten, nicht aber in neuen Ästhetiken aus. Will man von der drohenden Verwüstung durch die Folgen der Erderwärmung, will man von Krieg, von Gewalt erzählen, sind dafür eben neue Formen vonnöten, solche, die es noch nicht gab, und die der Verfasstheit der aktuellen Lage und der reklamierten Dringlichkeit gerecht werden.
Bei der Lektüre der Nachtkritiken der letzten Wochen ist davon nicht viel zu erkennen. Elfriede Jelinek scheint den Klimakollaps mühelos in ihre seit Jahrzehnten fortgeführte Textfläche zu integrieren, Christoph Marthaler dehnt weiter die Zeit, Christian Weise verulkt routiniert Shakespeare, Herbert Fritsch macht Quatsch und Kay Voges inszeniert zum wiederholten Male einen Medientransfer.
Vom Risiko, sich neu zu erfinden
Aus der Sicht der hier, lediglich stellvertretend, Genannten mag sich das völlig anders darstellen, und natürlich sei auch niemand gezwungen, auf Brüche in der Welt zu reagieren. Doch bei den vielen Theatermachern, die gerade in Interviews, Statements, Programmheften und Offenen Briefen eine fundamentale Krise beschwören und in ihren Arbeiten dann höchstens Inhalte austauschen, tut sich doch ein deutlicher Widerspruch auf. Als Intellektuelle mögen sie nachvollziehbar ihre Positionen vertreten, als Künstler jedoch machen sie sich auf diese Weise unglaubwürdig.
Es wird für viele Regisseure und Autoren sehr nahe liegende Gründe geben, warum sie weiterhin inszenieren und schreiben, wie sie es gewohnt sind: Erwartungshaltungen spielen sicher eine Rolle, womöglich auch finanzielle Sicherheit. Man will engagiert, uraufgeführt und nachgespielt werden. Es birgt Risiken, sich neu zu erfinden. Aber das sind keine ästhetischen Kriterien. Zumindest von den großen Namen im Geschäft darf man erwarten, dass sie auf das reagieren, was jenseits der Probebühnen passiert. Und dass diese Reaktionen in ihren formalen Verfahren zu erkennen sind.
Kolumne: Als ob!
Michael Wolf
Michael Wolf hat Medienwissenschaft und Literarisches Schreiben in Potsdam, Hildesheim und Wien studiert. Er ist freier Literatur- und Theaterkritiker und gehört seit 2016 der Redaktion von nachtkritik.de an.
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https://www.limited-blindness.eu/zumewigenfrieden
Erfinden Sie doch mal wirklich neue Formen der Ästhetik des Kolumnenschreibens anstatt immer wieder ihre eigene Gelangweiltheit in immer die gleichen Forderungsphrasen zu gießen. Neue Form ergibt sich oftmals durch ....... ..........na? ........... neue Inhalte.....vielleicht?
Ein Tip noch: lesen Sie nicht zu viel Nachtkritiken. Gehen Sie lieber ins Theater, sehr geehrter Herr Wolf.
Richtig!
Die Menschen wollten abschalten vom Alltag und raus aus ihren Leben. Einfach mal "sein" dürfen und sich unterhalten lassen.
So lange heute weiterhin Betroffenheitstheater zum Selbstzweck gemacht wird, müssen sich die TheatermacherInnen nicht wundern, wenn das Publikum sich umorientiert.
Tja.
Neue Formen verknüpft mit politischer Aktualität
https://www.nachtkritik.de/nachtkritiken/deutschland/bayern/augsburg/staatstheater-augsburg/ugly-lies-the-bone-staatstheater-augsburg
Neue Formen
https://nachtkritik.de/nachtkritiken/deutschland/nordrhein-westfalen/koeln/schauspiel-koeln/hinter-den-zimmern-schauspiel-koeln-onlinetheater-pionier-roman-senkl-durchforstet-mit-einem-text-von-wilke-weermann-die-mythischen-weiten-des-internets
Was man von ihnen halten mag auch immer, aber das hier war auch ein "Theaterabend" im fürchterlich, aktuellen und berührenden Sinne
https://forensic-architecture.org/investigation/a-city-within-a-building-the-mariupol-drama-theatre
In der Freien Szene gehts zudem an vielen Stellen auch recht ... frei ... ab. Aber da wird Nachtkritik eben über die eigenen Ausschlüsse nachdenken müssen.
Es ist also in Bewegung, wieviel Bewegung, ob genug, oder wohin es sich bewegt, das kann man ja alles besprechen, aber die Behauptung, dass sich nichts bewegt, ist einfach schlechte Recherche.
Lebenslang war ich gegen Rassismus, Antisemitismus und Sexismus und vieles mehr. Und jetzt bin ich damit einverstanden. Ich habe begriffen, dass es nie aufhört. Ich bin nicht gegen Rassismus. Ich stelle mich gegen die Ursachen, die solche Phänomene hervorbringen. Damit erfülle ich nicht die Zugangsberechtigung für ein Theater. Ich komme nicht in den Club. Das ist ok. Ich habe verstanden: Das ist nicht mein Club. Ich gehöre woanders hin. Wo ich nicht erkannt und markiert werde. Ich brauche einen Ort, an dem Fehler geliebt werden. In dem Sinne bin ich eine Art Moliere. Das ist alles. Mehr habe ich nicht zum Sagen.
"mehr hast du nicht zu sagen", und doch, Herr Baucks, sagst du es so oft, in den Netzwerken, hier in den Kommentaren, auf Versammlungen. Immer im Theaterbereich, immer auf Krawall. Die ewige Ankündigung. Der nie vollzogene Abtritt. In dem Sinne passt das hervorragend zum Kommentar. Keine neue Form, nur der Hinweis auf einen Mangel.
Martin "Ich bin nicht gegen Rassismus" Baucks. Herrje.
Immerhin eine Pointe! Das ist ein Anfang!