Presseschau vom 31. Mai 2013 – Die Leipziger Volkszeitung befragt Centraltheater-Chefdramaturg zu Hermann Nitschs Schlachtungs-Plänen
Kunst: entweder gefährlich oder unwichtig
Kunst: entweder gefährlich oder unwichtig
31. Mai 2013. In der Leipziger Volkszeitung (29.5.2013) fragt Jürgen Kleindienst Uwe Bautz, Chefdramaturg des Centraltheaters, angesichts massiver Proteste im Vorfeld zu Hermann Nitschs "Orgien-Mysterien-Theater" zum Abschluss der Leipziger Intendanz von Sebastian Hartmann: "Ist Nitschs Orgien-Mysterien-Theater nun Vollendung oder eher ironische Pointe?" Und Bautz antwortet: "Es ist die Klammer: Die Kreatur des Menschen, herangeführt an Extremsituationen. Das Leiden Christi paradigmatisch für das Leiden des Menschen in der Welt."
Angeblich sollen im Rahmen des "Orgien-Mysterien-Theaters" Tiere geschlachtet werden. Tierschützer werfen Nitsch Tiermord im Namen der Kunst vor. Dazu sagt Bautz: "Wir haben ja bereits klargestellt, dass auf der Bühne keine Tiere getötet oder gequält werden. Wir sehen uns als Gegner der Massentierhaltung und des wahnsinnigen Fleischkonsums in unserer Gesellschaft." Das sei aber gar nicht der Punkt, um den es Nitsch gehe. Er nehme für seine Kunst Tiere, die ohnehin geschlachtet werden, ohnehin in den Kreislauf des Verzehrs gebracht würden. "Wenn man gegen jegliches Schlachten von Tieren für menschliche Bedürfnisse ist, dann wäre ich sehr froh, wenn wir diese Bewegung permanent im Bewusstsein hätten." In einem solchen Sinne sehe er Nitsch als Teil dieser Bewegung. "Er ist ein Tierschützer." Es finde im Centraltheater "kein Zynismus, keine Ironie, kein leichtfertiges Umgehen mit der Würde und dem Ansehen von Menschen oder Tieren statt, sondern ein hochkonzentrierter Versuch, einen Raum zu schaffen, in dem man bestimmte Grenzerfahrungen, die wir verdrängt haben, machen kann."
Sagt Bautz und holt dann noch ein bisschen weiter aus: "Hier sind Künstler angetreten, um Theater zu spielen." Sie hätten nicht taktiert oder sich verstellt, sondern versucht, ehrlich zu sein. "Und wir haben euch nicht für dumm verkauft, indem wir euch das vormachen, was wir gar nicht sind. Wir haben die Stadt ernstgenommen." Und er nehme sie sehr ernst, wenn er sage: "Lasst uns über Menschsein und Erlösung auch auf andere Weise diskutieren, als wenn ich mir – als Beispiel – eine halbszenische Wagner-Aufführung in der Uni-Aula ansehe." Dass sie da den Kommunikationsbedarf möglicherweise an der einen oder anderen Stelle unterschätzt hätten, schlössen sie nicht aus.
Aber er glaube, "es werden sich einige stärker an das Centraltheater erinnern, als sie sich das jetzt vorstellen können." Was hier gewesen sei, habe hier und andernorts Folgen. "Ich denke, dass wir für das Theater Menschen gewonnen haben, die sich früher nicht dafür interessierten. Wir haben versucht, dieses Haus in einer, was Sprechtheater angeht, äußerst komplizierten Stadt, in gewisser Weise zu erlösen."
Das größte Problem für die Stadttheater sehe er darin, dass Kunst immer mehr in die Dienstleisterposition gebracht wird, indem wir uns permanent erklären und auf Bedürfnisse reagieren sollen. "Dadurch, dass die Städte die Vorgaben an die Kunst immer weiter spezifizieren, schaffen sie sie letztlich ab." Dieser Verengung hätten sie immer entgegenarbeiten wollen. "Dafür steht auch ein Künstler wie Nitsch. Dass es gefährlich ist, an eine Grenze geht, ist klar. Kunst ist immer gefährlich. Oder unwichtig."
(sd)
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Eine Wiener Auseinandersetzung von damals vor 25 Jahren) in Sachen Tier:
Bildpost 22.Januar 1988: Tierschützer glauben zu wissen eine lebendige Schlange sei "dank unsachgemäßer Pflege" während der Proben zu Shakespeare "Der Sturm" im Burgtheater entschlummert.
Dr. Hans Haider "Die Presse" stellt öffentlich die Frage an Claus Peymann: Wir hören, dass durch unsachgemäße Pflege usw. eine probierende Großschlange gestorben sei...
Der Tierschutzverein sieht sich daraufhin auf Drängen der Bevölkerung gefordert an das Bundesministerium zu schreiben "da besonders im Bereich der Kunst - es seien hier stellvertretend die Filmemacher genannt - Tierquälereien bei der Produktion verschiedener MACHWERKE auftreten".
Das Ende der Causa, die ausführlich im Buch Claus Peymann von A - Z nachzulesen ist:
Dialog im (offensichtlich sehr durchlässigen) Zuschauerraum des Burgtheaters während einer "Sturm"-Probe:
Regieassistent: "Herr Peymann, was ist mit der Schlange?"
Peymann: "Die Schlange ist gestorben".
KLEINES LEXIKON DER THEATERSPRACHE:
Mit dem Ausdruck "gestorben" bezeichnet man gemeinhin Einfälle oder Ideen, die sich erledigt haben.
"1971
(Nach kompliziertem Traum, den ich vergessen habe). Ich sage kopfschüttelnd "Was müssen die Tiere von uns denken!"
Die Tiere stehen daneben mit langen blauen Ohren und ockrigen, hochgestellten Augen. Sie schwanken leicht auf ihren Stengeln, eher wie Iris."
(Meret Oppenheim)
(...)