Das Portal - Schauspiel Stuttgart
Bloß nicht spielen!
20. Januar 2024. Nis-Momme Stockmann hat eine Theaterbetriebssatire geschrieben, Herbert Fritsch hat die Uraufführung inszeniert. Mit einem im Wortsinn abgehobenen Intendanten (Sebastian Blomberg), dauerdurchdrehenden Betriebsnudeln und einer grandiosen Live-Musikerin.
Von Verena Großkreutz
20. Januar 2024. Jaja, das Theater. Ist so ein ganz eigenes Universum, hermetisch. "In diesem Gebäude ist so gut wie kein Tageslicht, das Gebäude wurde durch einen baulichen Irrtum fast komplett ohne Fenster gebaut", so heißt es einmal witzelnd in "Das Portal", dem neuen Stück von Nis-Momme Stockmann, das jetzt am Stuttgarter Schauspiel uraufgeführt wurde: eine mit Gags nur so gespickte Theaterfarce, eine Satire auf den Bühnenbetrieb, auf den Theaterwahnsinn.
Elias Geldoff, dem Intendanten, geht’s darin kulturpolitisch an den Kragen, weil er sein Theater in den finanziellen Ruin getrieben hat. Ein hipper Jungregisseur und ein neues Stück sollen’s richten. Chefdramaturg Ivan Eisenstern wiederum hat andere Pläne, will die Macht am Haus an sich reißen. Und so wird der junge Autor Ricardo Cornwald gleich von zwei Seiten bearbeitet, bis sich sein Stück in Luft auflöst – heißt in Stuttgart: der Bühnenboden ist dicht bedeckt mit den einzelnen Seiten seines Manuskripts. Der junge Mann – angesichts der Ignoranz der Verantwortlichen völlig konsterniert – ist da schon mehrmals sehr gelenkig in Ohnmacht gefallen.
Theaterschaffende am Rande des Nervenzusammenbruchs
Aber die Handlung ist sowieso Nebensache, denn Herbert Fritsch hat den Abend inszeniert. Und dementsprechend unterliegen die Figuren der Fritsch’schen Dauerbeschäftigung: der ständigen Maskierung durch Körperkomik und Grimassen, Schielen, Stolpern, Gruppenschreien, skurrile Verbiegungen und Verdrehungen, artifíziell getuntes Sprechen. Wort gewordene Körper. Alles wird körperlich geechot. Saugt Tonfälle im Text weg, lenkt ab. Die Qualitäten von Stockmanns Stück werden dadurch sicherlich nicht unbedingt unterstrichen.
Zu Beginn noch denkt man, einen Haufen Vollidiot:innen vor sich zu haben. In Gruppe choreographiert tippelt einer im Tutu, andere rennen gegen Wände, zucken, zappeln – und erinnern darin ein bisschen an Monty Pythons "Upper class twit of the year". Aber an diese völlige Überspanntheit am Rande des Nervenzusammenbruchs gewöhnt man sich schnell. Und wenn dann Valentin Richter nach über einer Stunde endlich seine Solonummer kriegt und seine Grimassen und Verdrehungen ihr Ventil bekommen, dann wirkt er als postdramatischer Regisseur, der einem Schauspieler das bühnengerechte Sandwich-Verspeisen erklären will, schon fast normal. Schön klischiert, wie er als irrer, beinahe hyperventilierender Regisseur den Schauspieler (Christiane Roßbach) mit Tipps und Kommentaren torpediert und damit lähmt: ihn erst mit Phrasen wie "Die kognitive Dissonanz, die du empfindest, die wir alle empfinden, ist vielleicht das zentrale, supra-technologische Problem der Postmoderne" vollsülzt, um ihm am Ende lapidar hinzuwerfen: "Wenn es dir hilft, dann stell dir vor, dass du Hunger hast. Aber, denk bitte dran: Spiel – das – nicht!"
Ohne Autoren wäre alles Tanz!
Ins körperliche Winden und Verbiegen lassen sich aber durchaus auch Charaktereigenschaften hineinmodellieren. Das demonstriert eindrücklich der großartige Sebastian Blomberg (als Gast) in der Rolle des Intendanten: größenwahnsinnig-selbstgerecht, mal jovial, mal anmaßend bis unverschämt, unverbesserlich, eitel, sich trotz desaströser Bilanzen unangreifbar fühlend. Einer der Running Gags: Der Intendant wird an Seilen mal von oben, mal von der Seite durchs Bild gezogen. Irgendwie stoisch da seiend, aber ohne Bezug zu den Mitarbeiter:innen. Am Ende muss er einer Grünlilie (Reinhard Mahlberg) beim Sterben zusehen. Schönster Satz: "Wir lieben und fördern unsere Autoren – ohne euch wäre das Theater ja Tanz oder Pantomime." Marco Massafra spielt derweil den jungen Autor als einen am Theaterirrsinn Verzweifelnden so gut, dass er tatsächlich anrührt und Mitleid erregt (singulär in Fritschs Inszenierungskosmos).
Von dieser Tragödie oder überhaupt vom Untergang ihres Theaters kriegen die Mitarbeitenden nichts mit. Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten geht’s vorrangig um den eigenen Machtbereich, und mag er noch so eng abgesteckt sein: Wie im Falle des völlig unempathischen Pförtners (Michael Stiller), der den DHL-Boten samt Paket durchs ganze Haus hetzt, statt ihm die schwere Last einfach zu quittieren. Oder des Inspizienten Burko (Marietta Meguid), der sich mit Vorliebe zum eigentlichen Chef des Hauses aufspielt. Merkwürdig übrigens, dass Stockmann fast sämtliche Figuren mit männlichen Namen ausgestattet hat. Als hätten sich die Zeiten nicht doch mittlerweile ein bisschen geändert.
Lachtheater mit toller Musik
Fritsch ließ ordentlich kürzen am Stück. Nicht aber die von Celina Rongen präzise und wirkungsvoll performte Wutrede der Schauspielerin Henriette Ullmann gegen die "Machtfantasien" heterosexueller Männer. Zuvor hatte sich Ullmann erfolgreich gegen den übergriffigen, sich ständig am Sack kratzenden Schauspieler Ulrich Baader (Peer Oscar Musinowski) gewehrt, der doch tatsächlich Gleichstellungsbeauftragter am Haus ist – was auf der Bühne durch gefühlt fünfminütiges höllisch-chorisches Dauergelächter kommentiert wird.
Nun ja, Fritsch ist halt so ne Sache. Er will Lachtheater, und wer das mag, kommt auf seine Kosten. Denn er beherrscht sein Handwerk. Abgesehen davon – und da wird’s dann "ernst" – kann er aber eines deutlich besser als die meisten anderen. Er hat ein ausgeprägtes musikalisches Gespür. Deshalb hat er die junge Multi-Künstlerin Charlie Casanova mit im Boot. Bühne leer, ein paar bunte geometrische Lichtfiguren, ein Flügel. Den bearbeitet sie, körperlich exaltiert, im Harlekinkostüm (Commedia dell’arte lässt ja ohnehin stets grüßen bei Fritsch). Switcht fließend zwischen Le sacre du Revolutionsetüde con Clair de Lune, kakophonem Mickeymousing und vielem anderen. Springt zwischendurch hinter die Bühne, um sich ratzfatz in den gehetzten DHL-Boten zu verwandeln und wieder zurück. Die Frau ist pures Theatergold, keine Frage.
Das Portal
von Nis-Momme Stockmann
Uraufführung
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Bettina Helmi, Live-Musik: Charlie Casanova, Licht: Jörg Schuchardt, Dramaturgie: Sabrina Zwach.
Mit: Sebastian Blomberg, Gabriele Hintermaier, Reinhard Mahlberg, Marco Massafra, Marietta Meguid, Peer Oscar Musinowski, Valentin Richter, Sebastian Röhrle, Celina Rongen, Christiane Roßbach, Michael Stiller.
Premiere am 19. Januar 2024
Dauer: 2 Stunden 5 Minuten, keine Pause
www.schauspiel-stuttgart.de
Kritikenrundschau
"Stockmanns Stück jongliert, wenn auch nicht klischeefrei, zwischen bitterem Humor und brillanten Einfällen", schreibt Otto Paul Burkhardt im Schwäbischen Tagblatt (22.1.2024). Hinter allem verberge sich auch eine "weitherzige Ironie, ja, eine Liebeserklärung ans Theater". Fritsch treibe das Ganze in "eine Farce" und "durchgeknallte Spaßchoreografie", bei der das Ensemble zu überzeugen wisse. Es gelinge "trotz einiger Abstriche" eine "böse, doch irgendwie liebenswerte Satire, von der Regie mit viel Speed ins Bizarre verschärft", so der Kritiker.
"Dieses Theater will weder die Welt abbilden noch entschlüsseln. Es ist eine Feier des Spielerischen. Was Fritsch an den Bühnenmitteln spart, lässt er seine Truppe ins Körperliche legen", schreibt Jakob Hayner in der Welt (22.1.2024). Dabei sei der "ernste Kern" des Klamauks, "dass das Spiel nur frei ist, wo es geschützte Räume hat", so der Kritiker, der zufrieden ergänzt: "Solange diese Kraft zur Selbstkritik vorhanden ist, kann es einem um das Theater schon etwas weniger bang werden."
"Stockmanns Text ist lustig, intelligent, selbstreferenziell, schwachsinnig, ernsthaft, kitschig, größenwahnsinnig", schreibt Grete Götze in der FAZ (23.1.2023). "Der Abend wimmelt von Szenen, die man sich immer wieder ansehen könnte, weil Fritsch wie gewohnt aus den Schauspielern maximale Spiellust herauskitzelt und szenisch furchtlos mit den vielen abenteuerlichen Vorgaben des Textes umgeht." Und weiter: "Die leiseren, ernsthafteren Töne, in denen es um eine Reflexion über den Betrieb selbst geht, um die Frage, was die Theaterkunst eigentlich leisten soll, finden dagegen weniger Gehör."
"Ein vergnügliches Chaos", freut sich Björn Hayer in der taz (23.1.2023). "In dieser Groteske ausschließlich eine Finte auf das Theater zu sehen, griffe zu kurz. Denn Fritschs Setting versteht sich auch als allgemeingültige Reflexion über eine sich in Blasen und Echokammern abschottende Gesellschaft, eine, die den Blick nach außen sinnbildlich durch das Portal verlernt hat. Ihr raunt diese grandiose Premiere zu: Führt eure Diskurse, aber rüstet ab, beweist vor allem ein wenig mehr Mut zur Selbstironie."
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