Plauderton im Dickicht der Kleinstadt 

von Willibald Spatz

Augsburg, 18. Juli 2008. Bert Brecht kommt aus Augsburg. Viele, die praktisch nichts über Augsburg wissen, wissen das und vielleicht noch, dass es da eine Puppenkiste gibt. Die kann sich, wenn sie es für nötig hält, selbst feiern. Brecht kann das nicht, er ist tot. Die Stadt muss ihn feiern, und sie macht das gern, denn sie ist stolz auf ihn und besitzt zudem kein Selbstbewusstsein, sonst käme einer mal auf die Idee, irgendeine andere kulturelle Leistung in den vergangenen 50 Jahren für erwähnenswert zu halten.

 

 

Es bleibt bei Brecht, mehr muss keiner von Augsburg kennen, und damit ihn auch innerhalb der Stadt keiner vergisst, darf der Schriftsteller Albert Ostermaier jeden Sommer das "abc"-Festival ausrichten, dieses Jahr zum dritten Mal. "abc" steht für "Augsburg-Brecht-connected", im Zentrum stehen die "abc"-Veranstaltungen, die auf einem Podium Schauspieler, Moderatoren, Schriftsteller oder anderweitig Prominente versammeln, die vor Publikum Brecht hören und sich dann selbst äußern.

Weich gewordene Stadt
Da liest zum Beispiel beim "abc des Wolkenkratzens" die aus dem Münchner Residenztheater angereiste Sibylle Canonica einen Brecht-Text, der SZ-Redakteur Andrian Kreye findet eine Überleitung zum 11. September und befragt die Architekten Ruth Berktold und Sebastian Knorr, wie sie diesen Tag erlebt haben. Sie hat zu der Zeit in New York und er in Los Angeles gewirkt, zufällig waren sie aber beide an jenem 11. September nicht in Amerika und können deshalb soviel erzählen, wie jeder andere Mensch auf dieser Welt, der an diesem Tag auch nicht in New York war.

Ihr fällt noch ein, dass danach die Stimmung in New York anders war: Eine harte Stadt sei weich geworden, die Menschen hätten versucht zusammenzuhalten; er gesteht, dass es sein Traum sei, wie der um eines jeden Architekten, einen Wolkenkratzer zu bauen. Mit in der Runde sitzt der Schriftsteller Assaf Gavron aus Tel Aviv. Tel Aviv sei eine relativ junge Stadt, man lebe dort ein modernes Leben mit jungen Leuten und so weiter.

Veränderung der afrikanischen Verhältnisse
Jedes "abc-Festival" bekommt ein Motto aus dem Brecht-Werk, dieses Mal "Im Dickicht der Städte". 60 Prozent der Weltbevölkerung lebt mittlerweile in Städten. Darüber soll man reden. Man hätte dieses Festival zudem auch dazu nutzen können, ein bisschen auf den Dramatiker Brecht einzugehen, nachdem die Lyrik und die Prosatexte schon gewürdigt wurden bei den letzten beiden Festivals. Doch ans Theater traute man sich nur zaghaft: Man lud den Theatermacher Evaristo Abreu aus Mosambik ein, acht Wochen in Augsburg zu verbringen und ein Stück über die Stadt und ihre Bewohner zu entwickeln.

Irgendwas lief schief. Evaristo Abreu beschloss, kein neues Stück zu schreiben, sondern einen alten Monolog umzuarbeiten und dem Anlass anzupassen. Der afrikanische Text war im deutschen Kontext nicht vorstellbar, deswegen wurde vom hiesigen Stadttheater-Team weiter gewurschtelt, bis etwas eigenartig Halbfertiges auf die Bühne kam. Das aber beginnt stark: Evaristo Abreu sitzt auf einem Barhocker – das Stück wird in der Foyerbar des Stadttheaters aufgeführt – und spricht einen Monolog in seiner Muttersprache. Man versteht nichts, aber man bekommt mit, dass der Mann ein Anliegen hat und dass man ihm gern zuhören würde.

Ausgebeutete Frauen

Es kommt stattdessen die farbige Schauspielerin Justina Muchanga, schwer mit Taschen beladen, herein und setzt sich an einen Tisch. Sie spricht kein Deutsch, deshalb bleibt sie stumm sitzen. Ihr Text wird von Karoline Reinke in die Szene hineinsynchronisiert. Sie unterhält sich einmal mit ihrer inneren Stimme, die Eva-Maria Keller spielt, und zum anderen mit dem Barbesitzer über den Tresen. Der hat die Frau, die vom Land kommt, aufgenommen in seiner Stadtbar und beginnt nun, sie auszubeuten.

Es wird Nacht auf der Bühne, da ergreift noch mal Evaristo Abreu das Wort und erzählt auf Englisch, wie es ihm hier ergangen ist. Er wirkt nicht glücklich dabei. Die Deutschen seien gute Menschen, aber kalt. Wahrscheinlich hat er recht damit, auf jeden Fall haben sie nicht den Mut aufgebracht, sich auf seine Art von Theater einzulassen, sie wollten es ein bisschen verbrechteln, den hiesigen Verhältnissen anpassen, und haben ihm damit die Kraft geraubt. Schade um die Chance.

Schöner Schwerpunkt Musik
Ein weiterer Schwerpunkt des Festivals sind die schönen Konzerte, die der fürs Musik-Programm verantwortliche Hans Platzgumer organisiert. Er spielt selbst auch ein paar Mal, zum Beispiel mit seinen Freunden Rocko Schamoni, Schorsch Kamerun und Knarf Rellöm beim "Golden Pudel Club". Sie freuen sich aneinander und tragen alte Lieder aus eigener Feder und spritzige Coverversionen von "Slime" vor. Zwei Stunden früher konnte man die wunderbare Sängerin Trost aus Berlin hören, minimalistische Lieder mit Groove und ein bisschen Krach.

Doch auch bei der Band-Auswahl könnte man nörgeln. Man schreibt ja "abc" auf Plakat, weil man Augsburg und Brecht zusammenbringen will, und vergisst völlig die lokale Szene. Nur "Anajo", die seit ihrem Stefan-Raab-Auftritt die drittbekannteste Sache aus Augsburg sind, dürfen drei Lieder beim Eröffnungsabend singen. Da wird viel geredet und ein bisschen performt. Der neue Oberbürgermeister Kurt Gribl zum Beispiel dankt brav allen Sponsoren, stolpert nur über wenige Namen und verkündet dann stolz mit dem Verweis auf den Werkstattcharakter der Festivals, dass man im Nachtragshaushalt Geld für die Renovierung des Bühnenbodens im Theater vorgesehen habe.

Was bringt die Zukunft?
Nach dem bescheidenen Applaus, den er für diese Meldung einfährt, erwähnt der im ganzen Rest seiner Rede nicht ein einziges Mal das Festival im kommenden Jahr. Drei Jahre waren vorgesehen, jetzt darf man das Schweigen des Oberbürgermeisters als düsteren Zeichen deuten. Dann wäre die Party aus, dann hätte man nur noch die Puppenkiste und eventuell die Zeit, sich zu überlegen, ob man nicht selbst was auf Beine brächte, anstatt sich ständig von Auswärtigen den einzigen Dichter der Stadt, den man für wichtig hält, hoch leben zu lassen.



O Homem ideal (Ein idealer Mann)
Ein Stück in einem Akt von Evaristo Abreu
aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner
Szenische Einrichtung: Markus Trabusch, Ausstattung: Isabelle Kittnarm, Dramaturgische Begleitung: Hilko Eilts.
Mit: Eva-Maria Keller, Justina Muchanga, Karoline Reinke, Michael Stange.

www.abc-festival.de

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